Wirtschaftskrise
Städte und Gemeinden profitieren vom Konjunkturprogramm - Investitionen sollen Mittelstand helfen
Aus maroden Abwasserrohren versickert schmutziges Nass. Stahlbetonbrücken für Autos und Fußgängerüberwege ist teils bedrohlich marode. In Schulen sorgen zugige Fenster für kühle Temperaturen, Heizungen funktionieren nicht optimal, durch undichte Dächer tropft Regen - von einer energetischen Sanierung solcher und anderer öffentlicher Gebäude ganz zu schweigen. Auf innerörtlichen Straßen nerven Schlaglöcher und holpriges Kopfsteinpflaster. Geldmangel ist die Ursache so manchen Übels.
Nicht überall sieht es in Städten und Gemeinden derart schlimm aus. Doch die Klagen von Lokalpolitikern über den schlechten Zustand der Infrastruktur scheinen berechtigt: Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Urbanistik (DIfU) hat sich bei den Kommunen ein Investitionsbedarf von 700 Milliarden Euro aufgestaut, die bis 2020 in Reparatur, Instandsetzung und Modernisierung gesteckt werden müssten. Nach DIfU-Kalkulationen werden im Straßenbau 160 Milliarden Euro und für Abwassersysteme 60 Milliarden Euro benötigt. Laut Gerd Landsberg, Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, müssen in die 40.000 deutschen Schulen bis 2020 über 70 Milliarden Euro, in den öffentlichen Nahverkehr fast 40 Milliarden Euro fließen.
Warum aus der Not keine Tugend machen? Rund zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen werden von den Rathäusern getätigt. Da liegt es nahe, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die Infrastruktur aufmöbeln und gleichzeitig in der heraufziehenden Rezession die Ökonomie ankurbeln, Handwerk und Mittelstand stärken sowie Arbeitsplätze sichern. Kein Wunder, dass bei Kommunalverbänden, in der Regierung und im Bundestag zusehends intensiver darüber diskutiert wird, Städten und Gemeinden beim Kampf gegen die Wirtschaftskrise eine besondere Rolle zukommen zu lassen. Christian Ude, Präsident des Städtetags und Münchner Oberbürgermeister (SPD): Man habe vielerorts "Pläne in der Schublade für Investitionen, die nur noch nicht finanziert werden können". Die Behebung des "gewaltigen Investitionsstaus" könne einen wichtigen Beitrag zur Eindämmung der Krise leisten, so der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Götz. "Die Erhöhung der kommunalen Investitionskraft ist gerade jetzt von zentraler Bedeutung", meint Britta Haßelmann von der Grünen-Fraktion.
Aber haben die Rathäuser die Kraft für eine Herkulesaufgabe? Momentan profitieren die Kämmerer noch vom Aufschwung der vergangenen Jahre. "Bei der Gewerbesteuer sieht es bisher eigentlich gut aus", meint Bernd Scheelen, Kommunalexperte der SPD-Fraktion. In der Tat dürften diese Einnahmen 2008 gegenüber 2007 um fünf Prozent auf gut 42 Milliarden Euro steigen.
Doch die goldenen Zeiten sind vorerst vorbei: "Auch die Städte werden 2009 die Folgen der Finanzmarktkrise und der schwächeren Wirtschaftsentwicklung spüren", warnt Städtetags-Geschäftsführer Stephan Articus. Allerdings dürfte die Gewerbesteuer "wohl erst zeitversetzt sinken", vermutet Götz. In Stuttgart und München schätzt man bereits, dass die Gewerbesteuer 2009 um jeweils mehrere hundert Millionen Euro einbrechen wird. In Saarbrücken fürchtet Kämmerer Frank Oran für das letzte Quartal 2009 einen "großen Knall". Die bislang veranschlagte Gewerbesteuer von 125 Millionen Euro ist in Gefahr.
Wirtschafts- und Steuerkraft sind im Übrigen "regional sehr differenziert zu beurteilen", so Scheelen. So profitierten etwa der Großraum Frankfurt und viele Städte im Süden kräftig, während zahlreiche Kommunen in Nordrhein-Westfalen oder im Osten wenig vom Boom hatten. Laut Ude leidet fast ein Drittel aller Städte und Gemeinden an Rhein und Ruhr an dramatischer Finanznot. Haßelmann verweist darauf, dass viele Rathäuser wegen eines Vetos der Aufsichtsbehörden keine Kredite mehr aufnehmen dürfen. Man müsse "gezielt finanzschwachen Kommunen helfen", betont Scheelen. Bei ihrem ersten Konjunkturpaket hat die Regierung bereits 6 Milliarden Euro bereitgestellt, die vor allem in den Rathäusern ankommen dürften und "schnell greifen können", wie Götz erwartet: Das Programm zur ökologischen Gebäudesanierung wird um 3 Milliarden Euro aufgestockt, zudem stellt die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) 3 Milliarden Euro für Städte und Gemeinden zinsgünstig bereit. Ude lobt dies als Anstoß für Investitionen, "um beispielsweise Schwimmbäder und Schulen energetisch zu sanieren". Bei der hektischen Diskussion über eine Ausweitung der Subventionsprogramme warnt Götz "vor Schnellschüssen".
Auch der CDU-Parlamentarier sieht indes das Problem, dass klamme Rathäuser die Ko-Finanzierung von durch Bund oder Länder mitbezahlten Projekten nur schwer oder gar nicht zu stemmen vermögen. Scheelen plädiert dafür, in solchen Fällen KfW-Darlehen für mehrere Jahre zins- und tilgungsfrei zu stellen. Auch regt der SPD-Abgeordnete an, zu prüfen, ob der kommunale Anteil reduziert oder erlassen werden kann, wenn Bund, Länder und Gemeinden Projekte zusammen finanzieren. Haßelmann ruft dazu auf, Rathäusern, die keine Kredite mehr aufnehmen dürfen, "direkte Investitionshilfen zu gewähren".
Nichts kosten würde die geforderte Erleichterung des Vergaberechts: Zur Beschleunigung von Investitionen sollen Kommunen bei Vorhaben bis zu einer Million Euro von der Pflicht zu langwierigen Ausschreibungen befreit werden, bislang liegt diese Schwelle bei 200.000 Euro. Das sei "eine im Prinzip gute Idee", meint Götz, doch müsse eine solche Änderung mit EU-Recht vereinbar sein. Scheelen kann sich eine solche Lockerung "in der aktuellen Krise vorstellen, aber nur zeitlich begrenzt". Haßelmann mahnt, "Transparenz und faire Wettbewerbsbedingungen müssen gewährleistet bleiben."