US-KONGRESS
Trotz breiter Mehrheit muss Obama Koalitionen schmieden
Wie ein Popstar wurde Barack Obama empfangen, als er zwei Wochen vor seiner Amtseinführung mit seiner Familie in Washington ankam. Doch der Mann, der am 20. Januar als 44. Präsident der USA vereidigt wird, gönnte sich keine Starallüren, sondern zog wie ein Bittsteller vor den amerikanischen Kongress.
Vor der Vereidigung der Volksvertreter am 6. Januar hatte Obama schon die Hände der Fraktionsführer in Senat und Repräsentantenhaus geschüttelt - Demokraten wie Republikaner. Für die Opposition hatte er sogar ein Antrittsgeschenk mitgebracht: Das milliardenschwere Konjunkturpaket, mit dem er als Präsident die Wirtschaft ankurbeln will. Es soll nicht nur aus staatlichen Ausgaben, sondern auch aus Steuersenkungen für die amerikanischen Unternehmer bestehen.
Die Demut will nicht so recht zum Wahlausgang passen. Schließlich haben die Wähler Obama am 4. November 2008 ein deutliches Mandat verliehen. Und auch bei den gleichzeitigen Kongresswahlen konnten die Demokraten abräumen. Im Repräsentantenhaus sitzen nun mindestens 256 Demokraten 178 Republikanern gegenüber - die größte Mehrheit, die eine Partei seit 1993 hatte. Auch Nancy Pelosi, Mehrheitsführerin der Demokraten, wurde als Präsidentin des Parlaments bestätigt. Noch größer ist das Übergewicht der Demokraten im Senat, wo die Partei 59 von 100 Sitzen hält. So eine komfortable Mehrheit hatte seit 1980 niemand mehr - auch wenn es nicht bis zur magischen Zahl von 60 Stimmen gereicht hat, mit der die Demokraten Hinhaltemanöver der Opposition (so genannte Filibuster) aushebeln könnten.
Obama könnte also durchregieren - sollte man meinen. Zumal auch die ersten Gehversuche seines Übergangsteams große öffentliche Sympathie fanden. Vier von fünf Amerikanern waren Ende des Jahres mit der Arbeit des gewählten Präsidenten zufrieden. Selbst prominente Republikaner lobten daher seine wichtigsten Kabinettsentscheidungen, wie etwa die Ernennung einer Reihe von überparteilich angesehenen Pragmatikern in sein Wirtschaftsteam. Doch die Entscheidungen, die nach Obamas Amtsantritt am 20. Januar anstehen, sind so weitreichend, dass ein demokratischer Alleingang politisch unklug wäre. Um der Wirtschaftskrise Einhalt zu gebieten, fordert der neue Präsident 775 Milliarden US-Dollar vom Kongress. Es wäre das größte Konjunkturprogramm aller Zeiten - Erfolg ungewiss. Die Partei, die dafür die Verantwortung trüge, würde alles auf eine Karte setzen. "Wenn er nur die Demokraten hinter sich hat und scheitert, dann wird er ein Präsident für eine Amtszeit sein", sagt James Thurber, Direktor des Center for Congressional and Presidential Studies an der American University in Washington. "Hier geht es um ein globales Problem, das er nicht alleine kontrollieren kann. Um sich in so einer Lage abzusichern, muss Obama auch eine gewisse Zahl von Republikanern an Bord holen." Und so hat er das Konjunkturprogramm in zwei beinahe gleiche Hälften geteilt: 60 Prozent Staatsinvestitionen für die Demokraten, 40 Prozent Steuersenkungen für die Republikaner. Das reichte, um den republikanischen Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell, milde zu stimmen - und dem linksliberalen Ökonomen Paul Krugman in der "New York Times" die Klage zu entlocken, er leide an einer "überparteilichen Depression". Doch würde Obama diese Zugeständnisse wohl kaum machen, wenn es nicht noch eine andere Zielgruppe gäbe: den rechten Flügel seiner eigenen Partei. Die Zugewinne, die die Demokraten sowohl 2006 als auch 2008 im Kongress errangen, kamen zu einem großen Teil aus diesem Lager - fiskalpolitisch und teilweise auch sozial konservative Demokraten, denen die wachsende Unbeliebtheit von Präsident George W. Bush neue Wähler zutrug. Die "Blauen Hunde", wie sich diese Gruppe nennt, werden von Obama besonders hofiert: Bereits kurz nach der Wahl traf er sich mit ihren Vertretern in Washington.
Ein "komplizierter Tanz" sei der politische Entscheidungsprozess in den USA, so Thurber. Der Fraktionszwang, der in einem parlamentarischen System wie dem deutschen herrscht, ist den amerikanischen Kongressabgeordneten fremd. Der Präsident kommt schließlich nicht aus ihrer Mitte, sondern hat sein Mandat direkt vom Wähler erhalten. "Wir haben schwache Parteien und eine schwache Disziplin", so Thurber.
Mehr als dem Präsidenten gilt die Loyalität der Abgeordneten ihren Herkunftsregionen und jeweiligen Wählergruppen. Eine Zerreißprobe für die Demokraten könnte in diesem Jahr der Versuch werden, ein nationales Klimaschutzgesetz zu verabschieden. Denn die Emissionsgrenzen für Treibhausgase, die liberalen Ost- und Westküstendemokraten ein Herzensanliegen sind, werden für Vertreter aus dem Kohlebaustaat West Virginia oder aus dem Automobilstaat Michigan nicht so leicht zu akzeptieren sein. Wenn jemand direkten Einfluss auf die Volksvertreter nehmen kann, dann sind es die Mehrheitsführer in den beiden Kammern: Nancy Pelosi als Sprecherin des Repräsentantenhauses und der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid. "Die Herausforderung für Obama wird es sein, engen Kontakt zu Pelosi und Reid zu halten", glaubt John Glenn, außenpolitischer Direktor beim German Marshall Fund. "Bei den komplexen Entscheidungen, die er treffen muss, braucht er die Unterstützung der Kongressführung auf der praktischen wie auf der symbolischen Ebene."
Eine Lektion, an die sich Obamas Vorgänger Bill Clinton und George Bush nicht immer gehalten haben. Obama hat gelobt, das Parlament zu respektieren - und anders als seine Vorgänger kennt er dessen Spielregeln aus seiner Zeit als Senator von Illinois. Einer der Gründe, warum ihn viele Weggefährten aus dieser Zeit ins Weiße Haus begleiten werden.