abhängen
Von Jungs, die coole Autos fahren und an einer Tanke in der Provinz bei Kaffee über Panzer und Politik reden
Wer "Tanke" sagt, muss auch "Danke" sagen, findet Simone, die Kellnerin im Esso-Rasthof Nossen-Nord. "De Gusche fällt von alleene wieder zu", sagt Simone in breitem Sächsisch. Sie ist auf Hundertachtzig. Dann bringt sie brav neuen Kaffee.
Nicht mal der Mond findet an diesem Abend das Autobahndreieck Nossen. Die Nacht hängt schwarz wie Asphalt über den Straßen. Der Leuchtturm ist die Esso. Da fahren die Jungs der Umgebung auf. Der nächste Ort: drei Kilometer entfernt. Die nächste Disko: 14 Kilometer. Der letzte Bus: 16:35 Uhr weg gewesen.
Hier leben Lacto, Pi, Henne, Guzzler, Brettel und - Marco, der Einzige ohne Spitznamen. Er ist noch nicht so lange dabei wie die anderen. Das kommt noch. Die waren in einer Schulklasse. Aus den Dörfern flüchten Jugendliche in die Städte und in die Arbeit. Den meisten bleibt nichts, nur wenige bleiben übrig. Wer geht, tut's dennoch oft mit Wehmut.
Die Fünf von der Tankstelle müssen nichts bestellen, frau weiß, was sie trinken. Sie nennen sich die "Streetkings" und die Frau hinterm Tresen "Bockwurst-Moni". Bockwürste heißen "Schwitzriemen" und die Esso "Zentrale". An der A14, verloren irgendwie zwischen Leipzig und Dresden, können die Kings auf dicke Haube machen. Es riecht nach Kaffee und Wiener Schnitzel. Der Kaffee kommt vollautomatisch. Das Bistro der Esso-Tankstelle heißt "Taverne", und wenn Lacto seinen Opel Vectra "Marie" auf den Behindertenparkplatz vor der "Taverne" stellt, ist den Kellnern schon klar, dass gleich die ganze Bande vorfährt. Jetzt braucht's Krönung für die Streetkings, frisch aufgebrüht - wie jedes Wochenende.
Die Streetkings haben mittlerweile ihre eigenen Kaffeetassen. Die großen, die eigentlich nur Trucker kriegen, aber viel billiger als für Ottonormalmotorisierte, versteht sich. "Boar, Alter, Premium", sagt Lacto. Lacto, 20, heißt eigentlich Philipp, aber weil er unter einer Intoleranz gegen Milchprodukte leidet, Lactose-Allergie, hat er seinen Ulk weg. Er trägt ausgewaschene blaue Jeans, die man schon so kaufen kann. Unter der Woche wohnt er in Dresden. Lieber kommt er aber zurück aufs Dorf. Jetzt sitzt er mit seinen Jungs am runden Tisch der Tanke.
Den Opel Vectra, Baujahr 2002, hat Philipp schon mal gegen den Baum gesetzt, das kostete 7.000 Euro. 15.000 Euro stecken mittlerweile in seinem Wagen. Philipp nennt ihn "Marie". Seit Neuestem hat Philipp auch eine Freundin - aus der Uni. Aber am Wochenende ist er hier. Wie Marco, ebenfalls 20, der seinen BMW E39 529d, "mit ziemlich viel Hubraum", Baujahr 2004, auf den Parkplatz gepflanzt hat. Marco studiert im dritten Semester Wirtschaftsingenieurwesen. Keiner der Jungs kann gut an Autos schrauben. Gut fahren können sie alle.
Dann kommt Guzze, der eigentlich Frank heißt. Er tut Dienst beim Panzergrenadierbataillon, ist klein und stark, hat zwar keine Freundin, aber große Ziele bei der Bundeswehr. "Die Grundausbildung ist was für Luschen", sagt Frank. Und Lacto ergänzt: "Der fährt einen Ford Faschista MG4". Guzze lacht nicht, sondern guckt wie Lactos Mörder. Gleich muss er weg. "Gehste wieder Wölfe jagen in der Oberlausitz?", flachst Lacto. Guzze lacht doch. Heiner, der sonst auch dabei ist, musste gerade nach Afghanistan und gehört jetzt in Kundus zur Bundeswehr-Schutztruppe. "Ich finde gut, dass er sich einsetzt, und hoffe, dass er bald heil zurückkommt", sagt Pi. Es ist immer ein großes Brummbrumm, wenn die "Streetkings" an der Esso aufschlagen. Sie sind nicht nur so eine Autoclique. "Wir sind Freunde", sagt Pi. "Wir machen Kulturausflüge. Zum Minigolf und ins Militärmuseum." - "Und manchmal fahren wir zusammen zu'n Tschechen", sagt Lacto. Wird's doch langweilig, gehen sie ins "Gameland", die Spielhölle neben der Esso, wo die Trucker ihr Kleingeld verzocken.
Pi ist auch 20 und hat neulich seinen Opel Astra an einer Kreuzung geschrottet. "Er war ultrablau. Die Frau, die mir entgegenkam, hatte Schuld. Wann war das, Jungs: vor zwei Monaten?" "Jo", hallt es ihm entgegen. Das neue Auto ist schon bestellt. Ein Neuwagen. Opel. Zur Zeit fährt er wieder seinen auch wieder nicht so alten Smart Forfour, den eigentlich schon seine Mutter übernommen hatte. Die muss jetzt erst einmal wieder ohne auskommen.
Pi ist so etwas wie der Gruppenintellektuelle. Er faltet die Hände. Heute trägt er einen dünnen Schlips, wie er früher mal Mode war, weil sein Bruder Tanzstundenball feiert. In der Schule hat Pi schon immer gerne über Politik geredet und warum man wen wählen könnte. Er macht die programmatischen Sätze in der "Taverne".
"Das Auto ist nebensächlich. Es geht um den Zusammenhalt, um das Treffen, wir sind ja keine Zweckgemeinschaft zur Autoreparatur. Ich würde am liebsten einen eingetragenen Verein gründen, aber es wäre schwierig, die Gemeinnützigkeit nachzuweisen." Oder: "Wir treffen uns nur zum Selbstzweck. Natürlich werden bei uns alle Entscheidungen demokratisch gefällt." Man könnte auch sagen: Über das Auto geht nicht viel, die Freundschaft aber auf jeden Fall. Die Golffahrer, die sich hier auch treffen, findet Pi zwar blöd, sagt das aber anders: "Da steigen Leute aus ihren Autos, von denen würde man nicht denken, dass sie die Spitze der Evolution sind."
Die letzte Hauptversammlung der Herrengemeinschaft fand, unter der fachmännischen Anleitung Pis, bei Lacto zu Hause statt. Es gab Essen von Muttern, aber kein Bier, denn "wer Auto fährt, der trinkt nicht", sagen die Jungs. Da sind sie eisern. Und an Kaffee gewöhnt man sich auch.
"Dort, wo die Bäume und die Blätter fallen, sind wir zuhaus', an dem Ort, wo alles besser werden kann, auch. Und wir beide können uns freuen und nur nach vorn gehen und selbst wenn es donnert, stehen wie ein Leuchtturm an der Nordsee."
Die Jungs haben sich einen Songtext von Bizzy Montana als Claim rausgesucht, der wohl ganz gut zu ihnen passt. "Leuchtturm" heißt der. Montana ist ein Rapper aus Bushidos Dunstkreis, der zu dessen Label "Ersguterjunge" gehört.
Das Lied wird sicher auch am Wochenende wieder laufen, dann ist Klubfeier im "Kalten Knie", einer Kneipe in Nossen, die eigentlich "Zum Libero" heißt, wo man aber kalte Knie kriegt, wenn die Tür aufgeht.
Nossen liegt wenige Kilometer weg von der Esso, dort sind sie alle zur Schule gegangen. Das sei gut für den Zusammenhalt, sagen alle. Deshalb ist auch wichtigste Bedingung für die Neuaufnahme der Mitglieder, dass alle Streetkings die potenziellen Neumitglieder kennen. Da kann niemand einfach einen Kumpel mitschleppen. Doch wenn einer erst einmal dabei ist, dann will er so schnell nicht mehr weg.
Das kann er dann auch allen zeigen. Für den Autoclan gibt es Sticker mit dem "SK"-Logo, für "Streetkings". Den auch ans Auto dranzupappen, gehört zum guten Stil. Brettels 97er Golf III ist das letzte Auto der Gruppe, das den Sticker noch nicht hat. Pi schimpft. Schließlich hat er extra einen Kameraden bei der Bundeswehr angehauen, der sich mit Logos und deren Druck auskennt. Vom ersten Entwurf waren die Jungs gleich begeistert: Ein schnörkeliges S, ein schnörkeliges K. Eine Klebstoff-Krone für die Könige der Straße.
Die Könige haben sogar so etwas wie einen funktionierenden Hofstaat: Bockwurst-Moni kommt wieder. Sie holt die leeren Tassen diesmal gleich selbst. Was für ein Leben für die Könige der Straße! Die Nacht kann beginnen.
Der Autor ist Schüler der Deutschen Journalistenschule in München. Er ist 20 Jahre alt.