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Das Land will seine Gefangenen aus Guantánamo jetzt zurücknehmen. Noch sind viele Fragen offen
Für den jemenitischen Anwalt Chalid al-Ansi ist die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, das umstrittene Gefangenenlager in Guantánamo Bay binnen eines Jahres zu schließen, die beste Nachricht, die er seit langem gehört hat. Und kaum waren Obamas Worte verklungen, da verkündete der jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih auch schon, dass sein Land nun bereit sei, die Häftlinge aus dem Jemen zurückzunehmen. Er wolle mit Finanzhilfe aus den USA ein Rehabilitationszentrum für die Rückkehrer bauen, erklärte der Staatschef.
Der Menschenrechtler Al-Ansi, der sich seit Jahren für die Freilassung der in Guantánamo inhaftierten Jemeniten einsetzt, würde sich nun gerne von Herzen freuen. Doch er ist misstrauisch. "Ich glaube, dass es bald größere Probleme zwischen der neuen US-Regierung und der jemenitischen Führung geben wird, und dass diese Probleme die Rückkehr und die Freilassung unschuldiger Jemeniten, die mehrere Jahre in Guantánamo inhaftiert waren, doch noch verzögern oder gar verhindern könnten", sagt der Anwalt. "Unter US-Präsident George W. Bush hatte man in Washington alles nur unter dem Aspekt des Kampfes gegen den Terror betrachtet und sich nicht um die Menschenrechte gekümmert, um die es im Jemen ja nicht gut bestellt ist. Unter Obama wird das anders sein, vermute ich."
Nicht nur Al-Ansi, nach dessen Informationen 104 der verbliebenen 245 Guantánamo-Häftlinge aus dem Jemen stammen, hat Bedenken. "Es ist bis heute nicht klar, woran die Rückkehr der Jemeniten bislang gescheitert ist", erklärt ein unabhängiger Beobachter in Sanaa. "Die jemenitische Führung behauptet, die Bush-Regierung habe unannehmbare Bedingungen gestellt. In Washington sagt man aber, der Jemen habe sich schlicht geweigert, sie zurückzunehmen."
Belastet werden die Pläne zur Schließung des Lagers auf Kuba außerdem durch ein Video mit Grüßen aus dem terroristischen Untergrund, das kurz nach dem Amtsantritt Obamas in Washington veröffentlicht wurde. Das Video zeigt zwei ehemalige Guantánamo-Insassen aus Saudi-Arabien, die nach mehreren Jahren Haft an die Behörden ihres Heimatlandes überstellt und wenige Monate später in die Freiheit entlassen worden waren. Die beiden Männer, Said al-Shihri und Mohammed al-Aufi, haben sich, daran besteht nach der Veröffentlichung des 19-minütigen Videos kein Zweifel, inzwischen den Al-Qaida-Terroristen im Jemen angeschlossen, zu deren Kommandeuren sie heute zählen. An ihrer Überzeugung, dass sie Krieger im "Heiligen Krieg" gegen die "Ungläubigen" sind, hat ihr kurzer Aufenthalt in der saudischen Rehabilitations-Einrichtung, in der sogenannte moderate islamische Religionsgelehrte die Ex-Guantánamo-Häftlinge auf ihre Rückkehr in die Gesellschaft vorbereiten sollen, ganz offensichtlich nichts geändert. In Saudi-Arabien heißt es nun inoffiziell, es sei zwar bedauerlich, dass zwei der insgesamt 109 saudischen Guantánamo-Rückkehrer, nun als Terroristen im Nachbarland ihr Unwesen treiben. In 80 bis 90 Prozent der Fälle sei die Arbeit des Rehabilitationszentrums jedoch erfolgreich gewesen. Jeder der dort betreuten Ex-Häftlinge habe ein Auto erhalten, Unterstützung bei der Suche nach einem Job und ein Monatsgehalt. Für einige der ehemaligen Gefangenen habe man sogar die Hochzeitskosten übernommen, sagte ein Beamter des Innenministeriums in Riad der arabischen Zeitung "Al-Hayat".
Für den jemenitischen Präsidenten Salih ist das El-Kaida-Video peinlich, zeigt es doch, wie durchlässig die saudisch-jemenitische Grenze ist und wie frei sich islamistische Terroristen in den Provinzen des südarabischen Landes bewegen können. Andererseits kann er sich bestätigt fühlen. Seinen Angaben zufolge hatte er vor dem Machtwechsel in Washington einen Vorschlag der US-Regierung abgelehnt, Jemeniten aus Guantánamo nach Saudi-Arabien zu schicken, wo sie das dort entwickelte Rehabilitationsprogramm hätten durchlaufen sollen.
Auch im Jemen gibt es noch etliche offene Fragen. Präsident Salih erwartet die Rückkehr von 94 Gefangenen innerhalb von 60 bis 90 Tagen. Das Rehabilitationszentrum soll offenbar in der Hauptstadt Sanaa entstehen. Doch wie der Plan des Präsidenten, die Familien der Rückkehrer ebenfalls in dem Zentrum unterzubringen, in dem es auch eine Schule, eine Moschee und ein Krankenhaus geben soll, weiß bislang noch niemand so recht. In Sanaa heißt es, islamische Prediger sollten helfen, die Rückkehrer auf das Leben in Freiheit vorzubereiten. "Denn Menschen, die von den USA zu Unrecht mehrere Jahre lang eingesperrt und misshandelt wurden, sind besonders anfällig für terroristische Hasspropaganda", glaubt der Mitarbeiter einer Menschenrechtsvereinigung in Sanaa.
Das Militärgefängnis in Guantánamo, das nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 eingerichtet worden war, haben bislang nur 15 Jemeniten verlassen. Keiner von ihnen wurde in der Heimat wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt. Im vergangenen November kehrte Salim Hamdan (40), der ehemalige Fahrer des El-Kaida-Anführers Osama bin Laden, in den Jemen zurück, nachdem er eine fünfeinhalb Jahre lange Haftstrafe verbüßt hatte. Nach seiner Rückkehr nach Sanaa wurde der Mann, der dem Terroristenanführer von 1997 an gedient hatte, sechs Wochen lang in einer Haftanstalt des Geheimdienstes festgehalten, bevor er freikam. Er lebt heute im Kreis seiner Familie.