Chancengleichheit
Die Grünen fordern einen sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft
Die Feierlaune der Regierungsfraktionen zu stören, ist gewissermaßen Pflicht der Opposition. In ihrem Antrag "Gerechtigkeit und Chancen statt Ausgrenzung und Armut" ( 16/11755) kommen die Grünen dieser Pflicht ausführlich nach. Den Stolz von Union und SPD auf die Konjunkturpakete können die Grünen nicht nachvollziehen und nutzen ihren Antrag für eine umfassende Kritik daran: "Nicht mehr Teilhabe, bessere Zugänge zu Bildung und Arbeit sowie zukunftssichere Jobs, sondern makellose Bundesstraßen und eine atemberaubende Flotille von steuerfreien CO2-Schleudern werden das Ergebnis der schwarz-roten Bundesregierung sein, die dem Prinzip mehr Beton statt mehr Gerechtigkeit folgt."
In diesem Tonfall eröffnete - aus Sicht der Grünen konsequent - Markus Kurth die Debatte am 29. Januar, die sich mit dem Antrag seiner Fraktion befasste. Sowohl die Kompromisse zum Mindestlohn als auch die Gestaltung der Konjunkturpakete zeigten das "Ausmaß der Desorientierung der Bundesregierung", sagte Kurth. Zur Armutsbekämpfung jedenfalls würden sich beide Vorhaben nicht eignen. Außerdem habe die Regierung nicht erkannt, dass "die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg der Auftakt eines lang anhaltenden Strukturwandels" sei. Diesen müsse die Politik mitgestalten. "Wir müssen die Möglichkeit für einen Umbau hin zu einer ökologischen Wirtschaftsordnung und hin zu einer sozial gerechteren Wissensgesellschaft nutzen", so Kurth.
Einige der Vorschläge, die die Grünen in ihrem Antrag nun präsentieren, sind nicht neu: Sowohl die Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 420 Euro als auch neue Berechnungsgrundlagen für die Regelsätze für Kinder hatte die Fraktion bereits in früheren Anträgen gefordert - ebenso wie Mindestlöhne in allen Branchen.
Dementsprechend harsch fiel dann auch die Erwiderung der Regierungsfraktionen auf die Kritik der Grünen aus. "Der Titel des Antrags hält nicht, was er verspricht. Er ist eine herbe Enttäuschung für mich", sagte Karl Schiewerling (CDU). Zwar "wollen wir das auch", lenkte er unter Bezug auf die geforderte Chancengleichheit ein. Die Grünen würden jedoch "allerhand Situationen" beschreiben, ohne Auswege anzubieten, kritisierte er. Letzteres tue dagegen die Koalition - mit ihren Konjunkturpaketen. Diese würden durch die Stabilisierung des Arbeitsmarktes überhaupt erst die Grundlage dafür schaffen, mehr Chancengleichheit erreichen zu können.
Auch die FDP zeigte sich wenig begeistert. Als "vollkommen daneben" bezeichnete Hans-Peter Haustein die Vorschläge der Grünen. Höhere Regelsätze für Hartz-IV lehnte er ab, denn "sie fordern immer 'mehr Geld' und sagen nicht, woher es kommen soll", hielt er der Öko-Partei vor. Obwohl der soziale Frieden gesichert werden müsse, dürfe man nicht immer nur übers Geldverteilen reden und nie über jene, die die Mittel erarbeiten.
Ähnlich argumentierte Hausteins Kollege Rolf Stöckel von der SPD. Offensichtlich sei der Antrag "mit heißer Nadel" gestrickt. Stöckel verteidigte ebenfalls die beiden Konjunkturpakete und betonte: "Wir wollen gestärkt aus der Krise herausgehen, und nur mit einer gestärkten Wirtschaft können wir den Sozialstaat erhalten."
Mit diesen Argumenten wollte sich Klaus Ernst (Die Linke) nicht zufrieden geben: "Was wir hier versuchen, sind kleine Änderungen an einem großen Murks", sagte er mit Blick auf die Hartz-Gesetze, deren Abschaffung Ernst bei dieser Gelegenheit erneut forderte.