Varusschlacht
Deutschland erinnert sich an den Sieg des Germanen Arminius über die Römer vor 2.000 Jahren
Sein Namen war Marcus Caelius. Er stammte aus dem heutigen Bologna in Norditalien und er diente als hoch dekorierter Zenturio in der 1. Kohorte der 18. Legion. Im Alter von 53 Jahren fiel Markus Caelius in jener Schlacht, die sich im Herbst dieses Jahres zum 2000. Mal jährt und über die derzeit so viel zu lesen und zu hören ist - die Varusschlacht, die Schlacht im Teutoburger Wald.
Es mutet schon ein wenig wundersam an, wie sehr die Vernichtung von drei römischen Legionen im Jahre 9 nach Christus in den nördlichen Wäldern Germaniens zwischen Weser und Ems die Deutschen bis heute beschäftigt. Schließlich hält das Jahr 2009 eine Reihe von Gedenktagen bereit, die für das Selbstverständnis der Deutschen weitaus gravierender sind: die Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai vor 60 Jahren und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland, der Mauerfall am 9. November vor 20 Jahren und damit verbunden die Deutsche Einheit ein Jahr später sowie der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September vor 70 Jahren mit dem Überfall auf Polen.
Doch trotz des geschichtsträchtigen Jahres 2009 tobt nun bereits seit Monaten die Schlacht im Teutoburger Wald Woche für Woche neu. Woche für Woche erringen die Germanen unter der Führung des cheruskischen Fürstensohns Arminius - den meisten Deutschen besser bekannt als Hermann der Cherusker - ihren Sieg über Roms Legionen unter dem Oberbefehl des Statthalters Publius Quinctilius Varus. Woche für Woche kämpfen und fallen die schätzungsweise 18.000 römischen Soldaten der 17., 18. und 19. Legion in der Schlacht, die sich über drei Tage hingezogen hat. Woche für Woche stürzt sich Varus aus Scham über die katastrophale Niederlage in sein Schwert. Woche für Woche schlägt Kaiser Augustus im fernen Rom verzweifelt seinen Kopf gegen eine Tür und ruft wutentbrannt: "Quinctilius Varus, gib mir meine Legionen wieder."
Seit Sommer vergangenen Jahres kämpfen Deutschlands Verlage auf dem Buchmarkt mit ihren Publikationen über die Varusschlacht um die Gunst der Leser. Daran wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern, wie ein Blick in die Frühjahrskataloge der Verlage verät. Längst haben auch Magazine und Zeitungen ihre Titelstorys und Dossiers veröffentlicht und im Februar strahlt das ZDF eine inzwischen obligatorische Fernsehdokumentation aus.
Aus welcher Quelle sich das große Interesse am antiken Gemetzel speist, verraten Schlagzeilen, die vom "Ur-Mythos der Deutschen" ("Die Zeit") oder gar von der "Geburt der Deutschen" ("Der Spiegel") sprechen. Sie künden von der Rolle, die Arminius - sein ursprünglicher germanischer Name ist nicht überliefert, den Namen Hermann verdankt er wohl dem Reformator Luther - in der Wahrnehmung der Deutschen lange Zeit gespielt hat: als erster national gesinnter Führer, der die germanischen, sprich deutschen, Stämme einte und das freie Germanien, sprich Deutschland, gegen den römischen Aggressor erfolgreich verteidigte. Aus dem germanischen Cherusker wurde der Urvater aller Deutschen, ein antiker Bismarck. Und in dieser Rolle steht er auch in Bronze gegossen auf den Höhenzügen des Teutoburger Waldes bei Detmold und reckt sein Schwert zum Zeichen des Sieges gen Himmel. Am 16. August 1875 wurde das monumentale, 57,4 Meter hohe Denkmal - errichtet nach Plänen des Künstlers Ernst von Bandel - eingeweiht. Natürlich in Anwesenheit Kaiser Wilhem I. Die Deutschen feierten das erst vier Jahre zuvor in Versailles ausgerufene deutsche Kaiserreich und den vermeintlichen antiken Vorkämpfer aller deutschen Einheitsbestrebungen gleichermaßen.
Der Journalist Ralf-Peter Märtin, Autor der "Varusschlacht" (S. Fischer), unkte bereits im vergangenen Jahr: "Mit Sicherheit werden im Jubiläumsjahr 2009 die alten Klischees wieder aufgewärmt werden, vom Tag, der Deutschland und die Deutschen entstehen ließ, und von der Romanisierung, die Arminius angeblich verhinderte." Mit diesen Klischess aufräumen wollen auch seine Autoren-Kollegen, die sich dem Thema angenommen und Bücher unterschiedlicher Art vorgelegt haben. An erster Stelle ist die solide und wissenschaftliche Darstellung des Althistorikers und Archäologen Reinhard Wolters ("Die Schlacht im Teutoburger Wald"; CH. Beck) zu nennen, die sich an die historischen Fakten hält und wilden Spekulationen eine klare Absage erteilt.
Wer eine eher journalistische Darstellung bevorzugt ohne dabei auf historische Genauigkeit verzichten zu wollen, dem seien die Bücher von Tillmann Bendikowski ("Der Tag, an dem Deutschland entstand"; C. Bertelsmann) und Dirk Husemann ("Der Sturz des Römischen Adlers"; Campus) empfohlen; auch wenn Husemann über weite Passagen dann doch recht effektheischend im Stil des "Spiegels" erzählt.
Peter Arens, Leiter der "Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft" des ZDF, präsentiert schließlich den durchweg gelungenen Begleitband zur Fernsehdokumentation seines Senders. Den schnellsten Überblick über das Thema verschafft hingegen der Band des Althistorikers Boris Dreyer ("Als die Römer frech geworden"; Primus), der allerdings sprachlich stellenweise recht holprig daherkommt.
Das umfangreichste und in seiner Darstellungsform vielleicht interessanteste Buch ist das von Ralf-Peter Märtin. Seine "Varusschlacht" schwankt zwischen journalistischem Essay, wissenschaftlicher Analyse und historischem Roman und bietet eine rund- um spannende Lektüre.
So unterschiedlich die genannten Publikationen in Umfang, Stil und Qualität auch sein mögen, so sehr gleichen sie sich in der thematischen Bandbreite. Neben den Darstellungen über Vorgeschichte, Verlauf und Auswirkung der Varusschlacht, widmen sich alle Autoren ausgiebig der Frage, wie aus der antiken Schlacht seit dem frühen 16. Jahrhundert nach und nach ein "deutscher Mythos" gesponnen wurde, der mit den historischen Ereignissen nur noch entfernt Ähnlichkeit hatte. Rund 1.500 Jahre war die Varusschlacht im Dunkel der Geschichte verschwunden. Dann stießen Mönche 1505 im Kloster Corvey an der Weser auf eine mittelalterliche Abschrift der "Annalen" des römischen Geschichtsschreibers Tacitus, der von der Schlacht "nicht weit vom Teutoburger Wald" berichtet und Arminius als "Befreier Germaniens" titulierte. Zehn Jahre später stieß der Gelehrte Ulrich von Hutten während eines Aufenthaltes in Rom auf eine erste Veröffentlichung des Werkes von Tacitus und formte daraus den edlen Freiheitskämpfer für das Vaterland.
Seit diesen Tagen Ulrich von Huttens wurden Arminius und seine Cherusker gegen alle "Feinde der deutschen Sache" in Stellung gebracht: gegen den Papst in Rom, gegen die Habsburger, gegen Napoleon in den Befreiungskriegen, gegen den Partikularismus der deutschen Fürsten und erneut gegen die Franzosen im deutsch-französischen Krieg. Stets wurden die Taten des Cheruskers beschworen bis ihn schließlich die Nationalsozialisten endgültig für ihren germanisch-deutschen Rassenwahn vergewaltigten.
Die Gründe, wie aus dem historischen Arminius das Zerrbild Hermann werden konnte, sind vielfältig. Ein entscheidender Grund findet sich in dem lapidaren Faktum, dass das gesicherte Wissen über die Person des Cheruskers, seine Pläne, Taten, Motivationen äußerst gering ist. Ebenso wie über die Varusschlacht selbst. "Ein Mythos", so beschreibt Tillmann Bendikowski das Problem treffend, "besitzt nun einmal die Eigenschaft, dass er eben nicht auf historische Tatsachen angewiesen ist: Er nährt sich von den Wünschen und Bedürfnissen der Zeitgenossen, die im geschichtspolitischen Zugriff auf die Vergangenheit ihre Helden und ihre Heldengeschichten finden und formen. Bei der Mythenbildung ist es geradezu von Vorteil, wenn das tatsächliche historische Wissen dürftig ist - umso mehr lässt sich erzählerisch hinzufügen."
Die Person des Arminius ist durchaus widersprüchlich. So war der Cherusker schließlich nicht nur Germane - er war auch Römer. Noch als Kind war er als Geisel an die Römer von seinem Vater Segimer, einem cheruskischen Fürsten, überstellt worden. Als Unterpfand für den Frieden mit der Besatzungsmacht. In Rom machte Arminius Karriere in der Armee: er erhielt das römische Bürgerrecht, stieg zum Offizier und Befehlshaber germanischer Hilfstruppenkontingente auf, die in römischen Diensten standen. Zusammen mit Varus, dessen volles Vertrauen er genoss, sollte er das rechtsrheinische Germanien engültig unter die Kontrolle Roms bringen. Dort war die Romanisierung zu diesem Zeitpunkt viel weiter fortgeschritten als die Forschung lange Zeit angenommen hat. Aus welchen Gründen auch immer - Arminius wurde zum Verräter und lockte Varus auf einem Rückmarsch von der Weser in die Winterquartiere am Rhein in einen gut vorbereiteten Hinterhalt. Sein Wissen um die Stärken und Schwächen der römischen Legionen machte ihn zum perfekten Anführer des Aufstandes der Cherusker und anderer germanischer Stämme. Heldentat oder Verrat? Das ist eine Frage des Standpunktes.
Das Problem mit der Varusschlacht beginnt bereits beim Ort des Geschehens. Denn die Schlacht im Teutoburger Wald hat nach dem heutigen Kenntnisstand eben nicht in jener Region stattgefunden, die seinen Namen trägt. Bis ins 17. Jahrhundert hieß der Höhenzug an der nordöstlichen Grenze des Münsterlands "Osning". Zum Teutoburger Wald wurde der Osning erst im Jahr 1672, als der Paderborner Fürstbischof Ferdinand von Fürstenberg vom "Teutoburgiensies Saltus", gelegen zwischen den Flüssen "Amisia" (Ems) und "Lupia" (Lippe), in den "Annalen" des Tacitus las. Über 700 verschiedene Orte in ganz Deutschland wurden bislang als möglicher Schauplatz der Varusschlacht ausgemacht. Und die Auseinandersetzung um die richtige Lokalisierung wurden zumindest mit Worten ebenso erbittert ausgefochten wie die Schlacht vor 2.000 Jahren mit Waffen. Heute gilt der Engpass nördlich des Kalkrieser Berges als der heißeste Anwärter. Zumindest sprechen alle archäologischen Befunde dafür. Auch wenn ein abschließender Beweis noch aussteht. "Heute hat die Varusschlacht als Heldentat im Namen der Nation ausgedient", meint Dirk Husemann, "nach wie vor aber belebt der Mythos das Fantasiespiel von Varus und Arminius neu. An die Stelle des nationalpathetischen Sentiments ist der kriminalistische Nervenkitzels des historischen Rätsels getreten." Endgültig gelöst wird es vielleicht nie.
Kampf um Germanien. Die Schlacht im Tutoburger Wald.
Eichborn Verlag, Berlin 2008; 240 S., 19,95 ¤
Als die Römer frech geworden. Varus, Hermann und die Katastrophe im Teutoburger Wald.
Primus Verlag, Darmstadt 2008; 144 S., 16,90 ¤
Die Varusschlacht. Rom und die Germanen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2008; 460 S., 22,90 ¤
Der Tag, an dem Deutschland entstand. Geschichte der Varusschlacht.
C. Bertelsmann, München 2008; 272 S., 19,95 ¤
Der Sturz des römischen Adlers. Arminius, Varus und das römische Germanien.
Campus Verlag, Frankfurt/M. 2008; 223 S., 24,90 ¤
Die Schlacht im Teutoburger Wald. Arminius, Varus und das römische Germanien.
Verlag C.H. Beck, München 2008; 255 S., 19,90 ¤