In der jüngsten Vergangenheit haben in- und ausländische Akteure immer wieder die unterschiedlichsten Machtansprüche auf verschiedene Teile Zyperns erhoben. Der Kampf um Souveränität charakterisiert den "Zypernkonflikt" bereits seit der britischen Kolonialzeit. Bis heute haben beide Seiten - die griechischen Zyprioten im Süden und die türkischen Zyprioten im Norden der Insel - gegensätzliche Vorstellungen von Nationalismus, und eine von allen Seiten akzeptierte Lösung ist noch lange nicht erreicht. Dieser langwierige Konflikt prägt das Leben der Zyprioten auf unterschiedliche Weise. So gibt es inzwischen auf der Insel nicht nur ein Zypern, und jedes dieser "Zypern" wird von den verschiedenen Menschen und Volksgruppen - je nachdem, wo sie auf der Insel leben - unterschiedlich geprägt und erfahren. Im daraus zeitweise entstandenen Chaos versuchten einzelne Bürgerinnen und Bürger, ihre (vermeintlich) legitimen Rechte geltend zu machen, meist erfolglos, waren sie doch Opfer von Auseinandersetzungen, die höheren Orts stattfanden. Da es keinen Konsens darüber gibt, was unter "Gerechtigkeit" und "Rechten" zu verstehen ist, wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gefordert, das geschehene "Unrecht" anzuerkennen und "Rechte" wiederherzustellen. Dieser Wunsch zieht sich durch die politischen Diskussionen und beherrscht das Leben auch in Bereichen außerhalb der Politik.
Im Beitrag werden einige Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung auf der Insel während der vergangenen zehn Jahre analysiert, die vom starken Einfluss UN-geführter Friedensgespräche sowie vom EU-Beitrittsprozess geprägt waren und im Zusammenhang mit dem weltweiten Boom an den Immobilien- und Rohstoffmärkten (vor allem von Öl und Gas) standen. Noch während der Niederschrift dieses Textes gipfelten sie in der - wie es heißt - größten Weltwirtschaftskrise der Moderne. Die Entwicklung wird speziell im Hinblick auf die Immobilienmärkte und den Bauboom analysiert. Dabei werden die Auswirkungen auf Umwelt und Tourismus beleuchtet, unter welchen die Inselbewohner auf beiden Seiten der Green Line 1 heute leiden. Die geographische Terminologie wird hier bewusst verwendet. Damit soll ein präziseres Bild der Wirklichkeit vermittelt und auf verallgemeinernde und gegensätzliche nationalistische Begrifflichkeiten verzichtet werden, die auf der jeweiligen Volksgruppenzugehörigkeit und/oder Religion basieren (türkische Zyprioten/griechische Zyprioten). So sollen auch die Sichtweisen anderer einheimischer Menschen oder die von Ausländern einbezogen werden, die sich nicht unbedingt einer der Konfliktparteien zugehörig fühlen, aber dennoch in Zypern leben. Mit Zypern ist die Insel Zypern gemeint, deren natürliche Grenze das Mittelmeer bildet, dementsprechend werden alle Menschen und Volksgruppen, die in Zypern leben, Zyprioten genannt.
Globalisierung und Europäisierung wurden am Vorabend des neuen Jahrtausends als ideologisch motivierte Prozesse gefeiert, die gesellschaftliche Verbesserungen mit sich bringen könnten, vor allem in kleineren Ländern wie Zypern. In diesem Klima brach der junge Aktienmarkt südlich der Green Line einen Rekord nach dem anderen und wurde zum Symbol globaler Wirtschaftsintegration und lokaler Errungenschaften eines liberalen Kapitalismus. Die internationale Nachfrage nach Wertpapieren ging einher mit der Unersättlichkeit der Einheimischen nach dieser "neuen Erfindung", die - zumindest auf dem Papier - immer größere Gewinne versprach. Diese Euphorie wurde durch die Hoffnung auf erwartete Vorteile aus der EU-Mitgliedschaft und der lang ersehnten UN-Lösung des Zypernkonflikts verstärkt. Im Rahmen des neuen, vergrößerten Europas und mit einer politischen Lösung hätte Zypern ein Ort der Stabilität und des Wohlstands werden können. Die EU-Mitgliedschaft war ein ideologisches und zugleich politisches Ziel, nicht unbedingt ein wirtschaftliches, denn die Volkswirtschaft im Süden gehörte bereits zu den gesündesten in Europa.
In Nordzypern gab es keine rekordverdächtige Aktienbörse, geschweige denn eine ordnungsgemäß funktionierende Wirtschaft. Es gab nur eine große, von türkischer Hilfe abhängige Staatsbürokratie mit einem Heer von Beamten und einem schwachen privaten Sektor, geprägt von einer Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen und einigen wenigen Großunternehmen mit monopolistischen und oligopolistischen Strukturen. Ackerbau und Viehzucht nahmen immer mehr ab, der Tourismus steckte in Schwierigkeiten. Allein der Hochschulsektor besaß Entwicklungspotential.
Geschlossene Märkte und die Verwendung der türkischen Währung führten dazu, dass Nordzypern die Wirtschaftskrisen der Türkei in stärkerem Maße erlitt als diese selbst: Eine ineffiziente, schlecht organisierte und in vielfacher Hinsicht einzigartige Volkswirtschaft war im Norden der Insel entstanden. In diesem abgeschotteten und weitgehend von türkischer Hilfe abhängigen Wirtschaftssystem war der öffentliche Sektor führend. Daneben gab es zwei parallele Wirtschaftssysteme: zum einen die vom türkischen Militär betriebene Wirtschaft. Sie umfasste den steuerfreien Import und Verkauf von Lebensmitteln und Kleidung für das eigene Personal sowie für "auserwählte" Bürgerinnen und Bürger, für die es Strom, Wasser und Dienstleistungen kostenlos gab. Zum anderen gab es eine für Nordzypern unverhältnismäßig große Schattenwirtschaft, die auf Glücksspiel, Drogen, Prostitution und Menschenhandel aufgebaut war. Dieser fiel insbesondere der traditionelle Tourismussektor zum Opfer. Mit überwiegend türkischem Kapital wurden neue Hotels gebaut; die Hotels der Einheimischen wechselten die Besitzer. Im Ergebnis entwickelte sich ein "Glücksspielparadies" mit hohen sozialen und wirtschaftlichen Kosten.
Um die Jahrtausendwende wirkten der bevorstehende EU-Beitritt und die laufenden Friedensverhandlungen wie ein Katalysator auf die Nordzyprioten, die sich bis dahin wie in einem "Freiluftgefängnis" gefühlt hatten und sich nun gegen die Herrschaft der Türkei, vertreten durch die lokalen nationalistischen Eliten, auflehnten. Unter dem Motto "Dieses Land [Nordzypern] gehört uns und wir wollen es selbst regieren" kam es zu zahlreichen Massendemonstrationen, auf denen die Menschen eine Lösung und die EU-Mitgliedschaft der Insel forderten. Die Bewohner des Nordens wollten ein Ende der von ihnen als ungerecht empfundenen Politik der politischen und wirtschaftlichen Isolation bzw. des Embargos der internationalen Gemeinschaft und eine Verbesserung der sich stetig verschlechternden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Bedingungen. Die nationalistische Politik der vergangenen Jahrzehnte, die einige wenige Menschen unverhältnismäßig reich werden ließ, galt als Ursache für den fehlenden Wohlstand, für das Elend und für die Auswanderung von Freunden und Verwandten aus Nordzypern. Die Demonstrationen nahmen ein solches Ausmaß an, dass das Regime im Norden seine letzte Karte ausspielte und die Green Line öffnete: das Symbol des "Schutzes" durch das türkische Militär, das die Nordzyprioten vor den "Feinden" im Süden schützen sollte. Vielleicht war damit die Hoffnung verbunden, dass sich die Auseinandersetzungen und Morde der Vergangenheit - vor allem in den Jahren 1963 bis 1974 - wiederholen würden. Damit hätte sich die nationalistische Theorie bewahrheitet, derzufolge die Menschen in Nord und Süd nicht zusammenleben können. Am 23. April 2003 überquerten zahlreiche Zyprioten die Grenze und unternahmen alles Mögliche; Morde und Feindseligkeiten blieben zur Überraschung der nationalistischen Führungen beider Inselteile aus.
Der historische Wandel Zyperns von einem umkämpften zu einem europäischen Territorium, das Frieden und Sicherheit gewährleisten sollte, ging mit einem Boom der weltweiten Immobilienmärkte einher, der vor allem von der US-amerikanischen und britischen Wirtschaft forciert wurde. Dabei stiegen auch die Preise für Rohstoffe wie Gas und Öl. Dies bedeutete nicht nur, dass Zypern für Kapitalinvestitionen attraktiv wurde, sondern auch, dass vermehrt Kapital zur Verfügung stand. Einzelpersonen und Unternehmen aus dem Ausland wurden in Scharen auf den zypriotischen Immobilienmärkten aktiv. Ihrer Tradition entsprechend, investierten inzwischen auch die reichen Südzyprioten wieder in Immobilien, hatten sie doch die Erfahrung gemacht, dass es an der Börse nicht nur aufwärts, sondern auch abwärts gehen kann. Die Nordzyprioten, welche die immer wiederkehrenden Wirtschaftskrisen überstanden hatten, begannen jetzt ebenfalls in Immobilien zu investieren, die zu sehr günstigen Preisen angeboten wurden. Zur heimischen kam die ausländische Nachfrage hinzu. Grundstücksspekulanten und Bürgerinnen und Bürger, die es sich leisten konnten, wollten von dieser Verlagerung (in den Wirtschaftsraum EU) profitieren und erwarteten, dass Vermögenswerte wie Immobilien im Wert steigen und sich die Investitionen gut auszahlten würden, wie es in anderen Ländern nach dem EU-Beitritt der Fall gewesen war. Dies schien eine einzigartige historische Chance zu sein, sich zu relativ niedrigen Preisen ein Stück vom Paradies zu sichern (Sonnenschein, Meer, gutes Wetter und relativ gut geschützte Natur), das bald zu Europa gehören würde. Die Tatsache, dass Zypern einerseits wegen Eigentums- und Souveränitätsrechten erfolgreich vor Gericht gezogen war (Loizidou-Fall) und dass andererseits mit diesen Eigentumsrechten Missbrauch getrieben wurde, spielte dabei keine große Rolle, da das Kapital für solche moralischen Überlegungen offenbar blind war.
Britische Staatsbürger nahmen neue Hypotheken auf ihre bereits hoch bewerteten Häuser auf und kauften Ferienwohnungen oder Alterswohnsitze in Zypern, die im Vergleich zu jenen in Spanien und anderen europäischen Ländern mit Zugang zum Mittelmeer und seiner Sonne relativ günstig zu haben waren. Es folgten Russen, die durch die Transformation des planwirtschaftlichen in ein System der freien Marktwirtschaft und die hohen Öl- und Gaspreise zu Reichtum gelangt waren. Sie investierten vorrangig in Südzypern und in der Hafenstadt Limassol. Käufer aus Israel konzentrierten sich in erster Linie auf das günstigere Nordzypern. Türken und Griechen investierten entsprechend in Nord- bzw. Südzypern. Diese Liste ließe sich noch verlängern. Sie zeigt die Vielfalt ausländischer Investoren, deren Kauflust (ob privat oder als Firma) zusammen mit der heimischen Nachfrage dazu führte, dass immer mehr Immobilien und Baugrundstücke verkauft wurden. Das wiederum löste einen wahren Bauboom in Nord- und Südzypern aus.
Die Öffnung der Green Line ermöglichte nicht nur einen direkten Preisvergleich von Immobilien und Baugrundstücken in Nord- und Südzypern; die Menschen im Norden gewannen damit auch eine weitere indirekte Verbindung zum Rest der Welt, abgesehen von der üblichen Route über die Türkei. Die Immobilien- und Grundstückspreise in Nordzypern schossen in die Höhe, lagen aber immer noch um 30 bis 50 Prozent unter jenen im Süden. Dieser Preisunterschied erklärt sich vor allem aus dem Risiko für die Investoren: Wegen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse aufgrund des Zypernkonfliktes fielen die zum Kauf stehenden Immobilien in verschiedene Kategorien mit unterschiedlichem Kaufrisiko. 2
Es gab jedoch zwei Punkte, die für die Investitionen sprachen: Zum einen enthielt der auf eine Konföderation zweier selbständiger Teilstaaten zielende Annan-Plan (seit seiner ersten Version von 1999), der als Blaupause einer Lösung des Zypernkonflikts galt, einen ausführlichen Abschnitt zum Thema Immobilien, darunter eine "Wertsteigerungsklausel" für Immobilien von Flüchtlingen. Demnach sollten Verbesserungen, die den Wert solcher Immobilien um 100 Prozent oder mehr steigerten, dem aktuellen Eigentümer ein vorrangiges Besitzrecht garantieren. Zum anderen sollte das Prinzip von "Treu und Glauben" gelten: Für Geschäfte, die in gutem Glauben abgeschlossen worden waren, würden die zuständigen Behörden bürgen. Mit anderen Worten: Die Behörden in Nord- bzw. Südzypern sollten für die Fehler der Vergangenheit einstehen, die in Bezug auf Immobilien von Flüchtlingen begangen worden waren, und nicht der Investor oder Nutzer, der sie in gutem Glauben erworben hat. In Anbetracht der Vorteile, welche die niedrigen Preise und gewisse Schutzrechte mit sich brachten, galt für ausländische Privatinvestoren nur eine Einschränkung: Sie durften nur ein einziges Haus und/oder ein Donum 3 Land rechtmäßig besitzen. Der Markt war durch diese Normen geprägt, was zu einem Boom im Wohnungsbau führte.
Auch in Südzypern stiegen die Immobilienpreise. So, wie die Preissituation im Norden Zyperns günstiger war als im Süden, war diese im Süden wiederum günstiger als in vergleichbaren Landstrichen Europas. Es gab genügend Kapital, und eine Vielzahl von Interessenten mit unterschiedlichen Risiko- und Gewinnerwartungen investierte in Nord- und Südzypern, so dass die Insel bald einer riesigen Baustelle glich. Die Landwirtschaft schrumpfte inselweit, erreichten doch die Grundstückspreise solche Dimensionen, dass sie sich ökonomisch kaum noch lohnte. So verkauften viele Bauern ihr Land für den Bau von Ferienwohnungen oder Alterswohnsitzen für Ausländer oder im Ausland lebende Zyprioten. Die meisten Einheimischen konnten sich jedoch weder Grundstücke noch Häuser leisten.
Der Bauboom nahm solche Ausmaße an, dass er zur scharfen Konkurrenz für den im Norden ohnehin schon stark angeschlagenen Tourismus wurde. Die durch die Bauaktivitäten verursachten Umweltschäden wirkten sich bald auch auf den Tourismus aus. Vor allem blieben jene Gäste aus, die bislang wegen der unberührten Natur Nordzyperns gekommen waren.
Jedes verkaufte Haus bedeutete den Verlust einer Urlauberfamilie, die sonst touristische Einrichtungen wie etwa Hotels genutzt hätte. Der Hausbesitz führte zu einer groß angelegten Nachfrage nach Langzeittouristen. Der damit einhergehende Rückgang kurzfristiger Nutzung touristischer Einrichtungen wirkte sich negativ (kostensteigernd) auf den traditionellen Tourismussektor aus. Im Süden wirkte sich der Immobilienboom auf den bereits etablierten Tourismussektor mit seiner stärkeren sozioökonomischen Integration und der besseren Infrastruktur weniger drastisch aus. Die Wirtschaft des Südens im Allgemeinen und der Tourismussektor im Besonderen konnten den Boom besser verkraften, aber bald zeigte sich, dass die Ressourcen der Insel, vor allem Wasser, begrenzt waren (2008 musste sogar Wasser aus Griechenland in den Süden Zyperns gebracht werden).
Neben Kapital und Land absorbierte der Bauboom auch Arbeitskräfte: billige Arbeitskräfte, die in Zypern größtenteils fehlten. Nordzypern konnte zwar auf dem riesigen türkischen Markt nach Arbeitskräften suchen, aber Südzypern war auf Menschen aus Drittländern angewiesen. In der Folge kam es zu großen legalen und illegalen Einwanderungswellen. Dabei spielten die Arbeits- und Menschenrechte der Migranten und die sozialen Folgen dieser Migration kaum eine Rolle. Auch auf die sinkende Lebensqualität der Inselbewohner durch die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden wurde keine Rücksicht genommen, auch nicht darauf, wie sich dies alles auf die kostbare Umwelt, das Wasser und das Land auswirken würde. Selbst als Zypern am 1. Mai 2004 Mitglied der EU wurde, ohne dass eine Einigung über den seit langem bestehenden Konflikt auf der Insel erzielt worden war, wurde der Boom nicht schwächer, sondern nahm sogar noch zu. Schließlich lief der weltweite Immobilienboom noch auf Hochtouren, und in Zypern waren die Immobilienpreise im Vergleich zu vergleichbaren Orten in Europa noch immer verhältnismäßig günstig.
Die nordzypriotischen Behörden, die in diesen Boom hineingezogen worden waren, beschlossen Anfang 2007, die Landerschließung in weiten Teilen Nordzyperns zu untersagen. Das bewirkte jedoch lediglich, dass das Kapital nun in Grundstücken gebunden war, die nicht mehr erschlossen, bebaut und gewinnbringend verkauft werden durften. Dieser Schlag für das Kapital der Bauträger (Angebotsseite) hatte seine Entsprechung auf der Nachfrageseite: Die Behörden gelang es nicht mehr, die notwendige Infrastruktur für die neuen Häuser bereitzustellen (wie Strom, Wasser oder Zugangsstraßen), Immobilienübertragungen zu regeln und Baugenehmigungen zu erteilen. Auch die zahlreichen gerichtlichen Klagen gegen möglichen Missbrauch der Immobilien von Flüchtlingen aus dem Süden sowie windige Geschäfte in diesem Bereich trugen nicht gerade zur Verbesserung der Lage bei. Das Einsetzen des globalen Immobiliencrashs ließ die heimische Nachfrage weiter sinken, was zu einer tiefen Krise führte, deren Ausmaße heute erst zu erahnen sind. Die meisten Bauunternehmen besitzen jetzt Grundstücke, die sie nicht erschließen können, zahlreiche Gebäudekomplexe, die sich nicht verkaufen lassen, und viele unvollendete Projekte mit wachsenden Schulden.
Südzypern hat zwar auch Probleme, aber es ist weit besser organisiert und ins globale System integriert. So konnte es den Boom viel länger nutzen und muss sich erst jetzt Gedanken über die lokalen Auswirkungen der immer näher rückenden globalen Krise machen. So geht es inzwischen auf beiden Seiten - im Norden wie im Süden - im Bau- und Tourismussektor steil bergab, da diese weitgehend abhängig vom Zustrom ausländischen Kapitals sind. Die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen sind derzeit weder weltweit noch in Zypern rosig.
Das vergangene Jahrzehnt war in Zypern durch das Wirken der Kräfte der europäischen Integration und den globalen Boom des Immobilienmarkts gekennzeichnet, der einen lokalen Bauboom auslöste. Die Einheimischen hat der ungelöste Zypernkonflikt blind gemacht für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden, wodurch dem Kapitalismus in seiner schlimmsten Form Tür und Tor geöffnet wurden (wenngleich er durch die aktuellen globalen und lokalen Bedingungen ein wenig abgemildert wird). In diesem "wilden Kapitalismus" geht es ausschließlich um rasche Profite; Rücksicht auf die Bewohner der Insel, auf deren begrenzte natürliche Ressourcen und auf Billiglohnarbeiter aus Drittländern wird dabei nicht genommen.
Die Auswirkungen auf die Umwelt lassen sich derzeit überhaupt nicht absehen. Es ist offensichtlich, dass die produktive Agrarwirtschaft und die Natur Zyperns großen Schaden genommen haben. Die Infrastruktur der Insel ist in jeder Hinsicht an ihre Grenzen geraten. Der Boom lässt allmählich nach, und wir stehen jetzt vor gewaltigen Schäden an den kostbaren, lebenswichtigen Ressourcen der Insel: Land, Wasser, Wälder und natürliche Lebensräume. Grauer Beton statt des vorherigen Grüns der Natur beherrscht jetzt die Landschaft. Unerträglicher Verkehr (der durch den fehlenden öffentlichen Nahverkehr noch verschlimmert wird) sowie die Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser belasten das tägliche Leben.
Von meinem Balkon im vierten Stock eines Hauses nahe der noch immer vorhandenen, wenn auch durchlässigen Grenze quer durch Nikosia, einer so genannten europäischen Hauptstadt, sehe ich die Steinbrüche in den Bergen und die ständig brennende Müllhalde in Nord-Nikosia, und der Gestank der Kläranlage, die Nord- und Süd-Nikosia gleichermaßen dient, steigt mir in die Nase. Die Auswirkungen des Booms sind in Nikosia deutlich spürbar, und sie werden uns noch lange nach dessen Abflauen erhalten bleiben.
1 Die Green Line
entstand als einfache Stacheldrahtbarriere, die eine lebendige
Geschäftsstraße in der Altstadt Nikosias bereits Ende
der 1950er Jahre teilte. Seit 1974 trennt sie als
Waffenstillstandslinie Nord- und Südzypern voneinander. Diese
Grenze war bis zur Öffnung des Checkpoints am Ledra Palace
Hotel am 23. April 2003 für Zyprioten dicht und trennte die
zypriotischen Volksgruppen voneinander (bis auf illegale
Aktivitäten). Seit dem 1. Mai 2004 ist die Green Line eine
europäische Außengrenze, die ein Territorium der EU
(Südzypern ohne die britischen Basen) von Nordzypern trennt,
in dem die EU-Gesetze nicht gelten. Trotz Einführung der
"Green Line Regulation", einer EU-Initiative zur Erleichterung des
Handels und des Austauschs zwischen beiden Regionen, hat die
Öffnung bisher keinen wirklichen Nutzen gebracht. Denn diese
Regeln sind recht willkürlich und führen eine Art
Eigenleben, unterliegen sie doch häufig den Auslegungen
einzelner Grenzposten oder staatlichen Eingriffen aufgrund
ideologischer, politischer oder wirtschaftlicher Abwägungen.
Kurzum, der Zypernkonflikt, den die Green Line gewissermaßen
symbolisiert, besteht trotz formeller Unterschiede fort.
2 Im Einzelnen: originär
türkisch-zypriotisches Eigentum, originär
ausländisches Eigentum sowie originär
griechisch-zypriotisches Eigentum, das sich heute entweder im
Besitz von türkisch-zypriotischen Flüchtlingen, von
Siedlern aus der Türkei oder anderer befindet.
Verstöße gegen Eigentumsrechte sind bei dieser
Kategorisierung das Hauptproblem. Es darf aber nicht übersehen
werden, dass ähnliche Verstöße auch im Süden
begangen worden sind, da beide Seiten das Eigentum der "anderen"
als "feindlichen Besitz" eingestuft und es im Laufe der Jahre in
unterschiedlicher Weise missbraucht hatten.
3 Örtliche Landvermessungseinheit.
Ein Donum umfasst etwas mehr als 1300 Quadratmeter, 0,33 Morgen
oder 0,133 Hektar.