Ganz selbstbewusst werben die Europäischen Liberalen auf ihrer Website dafür, ihren britischen Fraktionsvorsitzenden Graham Watson in der kommenden Legislaturperiode zum Präsidenten des Europäischen Parlaments zu wählen. Doch obwohl Watson von allen Fraktionen als blendender Redner und engagierter Europäer geschätzt wird, sind seine Erfolgsaussichten gering. Denn es hat sich in der vergangenen Legislaturperiode eingebürgert, dass sich die beiden großen Fraktionen, die Sozialisten und die Konservativen, die Amtszeit teilen. Die ersten zweieinhalb Jahre übte der spanische Sozialist Josep Borell das Amt aus. Ihm folgte in der zweiten Hälfte der deutsche CDU-Abgeordnete und konservative Fraktionsvorsitzende Hans-Gert Pöttering.
Die Liberalen hatten damals den ehemaligen polnischen Außenminister und Solidarnosc-Mitbegründer Bronislaw Geremek für die gesamte Amtszeit vorgeschlagen. Seine Wahl wurde auch von den Grünen unter-stützt, da er als Symbolfigur der europäischen Wiedervereinigung angesehen wurde. Doch eine Mehrheit für Geremek kam nicht zustande. Stattdessen einigten sich die beiden stärksten Fraktionen in einer Art großen Koalition auf die Teilung der Amtsperiode.
Das könnte auch jetzt wieder so laufen. Ab Juni würde eventuell der derzeitige sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende Martin Schulz die Präsidentschaft übernehmen. Er ist zwar auch als deutscher EU-Kommissar im Gespräch, doch die CDU beansprucht diesen Posten ebenfalls. 2011 übernähme dann ein Konservativer den EP-Vorsitz, vielleicht der jetzige Fraktionsvorsitzende Joseph Daul oder noch einmal Hans-Gert Pöttering. Bis jetzt ist alles völlig offen: Zunächst müssen die Ergebnisse der Europawahl abgewartet werden.