Biografie
Irmtrud Wojak hat eine längst überfällige Darstellung über das Leben und Werk von Fritz Bauer vorgelegt
Fritz Bauers Leben, das die Historikerin Irmtraud Wojak in ihrer beeindruckenden Biografie nachzeichnet, spiegelt die Verwerfungen der jüngsten deutschen Geschichte exemplarisch wider. Am 16. Juli 1903 in Stuttgart als deutscher Jude geboren, von zwei Weltkriegen geprägt, Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, 1925 in Tübingen promoviert mit einer Dissertation über "Die rechtliche Struktur der Truste". Drei Jahre später wurde er aufgrund seiner politischen Aktivitäten von der Gestapo verhaftet und in das KZ Heuberg eingeliefert, dem ersten nationalsozialistischen Konzentrationslager in Württemberg. Dort traf er - neben vielen anderen Häftlingen - sein politisches Vorbild Kurt Schumacher und den Reichstagsabgeordneten und Landesvorsitzenden der SPD in Württemberg Erich Rossmann.
Fritz Bauer kam im Dezember 1933 wieder "frei" - war aber im April 1933 bereits aus dem Justizdienst entlassen worden. Ihm blieb nur die Flucht aus seinem Vaterland. Er emigrierte nach Dänemark, ging später ins Exil nach Schweden, wo er in Exilkreisen aktiv wurde. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück. Alle Bemühungen, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges "zurückkommen" zu können, waren mehr als drei Jahre lang vergebens - trotz mancher Bemühungen seiner politischen Freunde. Es gelang erst, als ihm im neu gegründeten Bundesland Niedersachsen die Stelle eines Landgerichtsdirektors angeboten wurde.
Mit der Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeiten in Braunschweig begann Bauers "Ringen um ein Rechtssystem, das durch das nationalsozialistische Regime bis zur Unmenschlichkeit entstellt worden war". Im Rückblick auf diese ersten Jahre schrieb Bauer: "Ich bin zurückgekehrt, weil ich glaubte, etwas von dem Optimismus und der Gläubigkeit der jungen Demokraten in der Weimarer Republik, etwas vom Widerstandsgeist und Widerstandswillen der Emigranten im Kampf gegen staatliches Unrecht mitbringen zu können. Schon einmal war die deutsche Demokratie zugrunde gegangen, weil sie keine Demokraten besaß. Ich wollte einer sein. Schon einmal hatte die Justiz, als es galt, die Demokratie zu verteidigen, ihre Macht missbraucht, und im Unrechtsstaat der Jahre 1933 bis 1945 war der staatlichen Verbrechen kein Ende. Ich wollte ein Jurist sein, der dem Gesetz und dem Recht, der Menschlichkeit und dem Frieden nicht nur Lippendienst leistet."
Im Nachkriegsdeutschland haben diejenigen, die als Flüchtlinge und Exilanten, vor allem wenn sie Juden waren, ein raues, ja bisweilen kaltes Klima im alltäglichen Umgang miteinander erleben müssen. Hannah Arendts Aufzeichnungen "Besuch in Deutschland" aus dem Jahr 1950 beschreiben den "allgemeinen Gefühlsmangel" und die "offensichtliche Herzlosigkeit", die denjenigen entgegenschlug, die sich als Jude zu erkennen gaben auf das Eindrücklichste. Walter Mehring konstatierte 1948 bitter: "Man wird es uns nie verzeihen, dass wir uns nicht haben erschlagen oder ein bisschen vergasen lassen."
Im relativ raschen wirtschaftlichen Wiederaufbau gewannen die politischen Stichworte Amnestie und Integration bald große Zustimmung in der Bevölkerung. Für Menschen wie Fritz Bauer war die "erkennbare Verdrängung der NS-Zeit in der Politik, der Justiz und der Öffentlichkeit" eine permanente Provokation. Einer seiner ersten Fälle als niedersächsischer Generalstaatsanwalt handelte direkt von jüngster deutscher Geschichte - der um sich greifenden Verleumdung des deutschen Widerstands gegen die Hitler-Barbarei.
Bauer klagte einen unverbesserlichen Nazi an: Otto Ernst Remer, ehemaliger Kommandant des Berliner Wachbataillons "Großdeutschland", der den Umsturzversuch verhindert hatte und von Hitler postwendend zum Generalmajor befördert worden war, hatte in Braunschweig die Attentäter des 20. Juli 1944 als Landesverräter, die vom Ausland bezahlt worden seien, bezeichnet. Der damalige Bundesinnenminister, Robert Lehr (CDU), selbst dem Widerstand zugehörig, zeigte Remer an. Jetzt hatte Bauer als Generalstaatsanwalt den Nachweis zu führen, dass sich die Attentäter mit Recht gegen Hitler und sein Regime aufgelehnt hatten.
In seinem Plädoyer führte Fritz Bauer aus, dass es in diesem Prozess "nicht darum gehe, Zwietracht zu säen, sondern Brücken zu schlagen und zu versöhnen, freilich nicht durch einen faulen Kompromiss, sondern durch die Klärung der Frage: Waren die Männer des 20. Juli Hoch- und Landesverräter?". Bauer argumentierte damit, dass der Krieg am 20. Juli 1944 bereits verloren und das deutsche Volk von seiner Regierung total verraten war. Ein verratenes Volk aber könne nicht mehr "Gegenstand eines Landesverrats" sein, genauso wenig, "wie man einen toten Mann durch einen Dolchstoß töten kann". Bauer siegte in diesem Prozess auf ganzer Linie.
In Hessen wartete viel Arbeit auf den Juristen Bauer. Rechtsstaatlichkeit und Aufklärung - das waren die Herausforderungen, auf die auch dort traf. Schwerstarbeit war zu leisten. Die Führung des Auschwitz-Prozesses von Dezember 1963 bis August 1965 war eine der größten Leistungen von Fritz Bauer. Dieser Prozess, der bisher nicht gekannte Dimensionen annahm - 20 Angeklagte, 21 Nebenkläger, acht Gutachter, 356 Zeugen und 20.000 Besucher - fand weltweite Beachtung. Das historische Bild des Nationalsozialismus wurde damals geprägt.
Der Prozess führte der deutschen Bevölkerung den verbrecherischen Völkermord an den europäischen Juden in seinen schrecklichsten Details vor Augen. Von nun an konnte niemand mehr die begangenen Verbrechen leugnen. Auschwitz wurde "zum Begriff für die Totalität des Unrechtssystems. Nicht um die ,Schreibtischtäter' oder um den ,Verwaltungsmord' ging es hier, sondern um die erstmals deutlich hervortretende Nähe der Handelnden zur Tat an ebenjenem Ort, dessen Name zum Symbol der Vernichtungspolitik geworden ist", schreibt Irmtrud Wojak.
Nach 182 Verhandlungstagen wurde das Urteil verkündet. Fritz Bauer resümierte im Jahr der Urteilsverkündung: "Die Naziprozesse zeigen uns, wie dünn die Haut der Zivilisation war und ist. Sie wollen zeigen, was Menschsein in Wahrheit bedeuten sollte und was wir zu lernen haben, wie schwer es auch fällt, den Angeklagten und vielen anderen." Die NS-Verbrecherprozesse hatten für Fritz Bauer über die Selbstaufklärung der Gesellschaft hinaus einen demokratischen Sinn: Ihre entscheidende Lehre bestand in der Bereitschaft zu einem eindeutigen Nein gegenüber staatlichem Unrecht.
Der Autorin Irmtrud Wojak, der Empathie mit den NS-Opfern nicht fremd ist, gelingt mit ihrer Darstellung eine längst überfällige und zugleich eindrucksvolle Würdigung eines "der geistigen Mitbegründer eines neuen deutschen Rechtsstaates" - wie es einmal Micha Brumlik formulierte.
Fritz Bauer - so schrieb der ehemalige Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel - war "ein Jurist, der seiner Verantwortung gerecht wurde und handelte, als die meisten seiner Kollegen beiseite standen". Wohl wahr.
Fritz Bauer. 1903-1968. Eine Biographie.
C.H.Beck Verlag, München 2009; 638 S., 34 ¤