menschenrechte
In Berlin haben Parlamentarier über den Umgang mit Verstößen diskutiert
Es waren starke Worte zu hören an diesem 23. März im Bundestag: Menschenrechtsverstöße dürften nicht mehr straffrei bleiben, mahnte Herta Däubler-Gmelin (SPD) und beschwor die "Verheißungen" der Straßburger Menschenrechtskonvention. Europa habe eine weltweite "Vorbildfunktion". Luis Moreno-Ocampo wies in die Zukunft: Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) werde ein "neues System des internationalen Strafrechts" schaffen, sagte dessen Chefankläger. Man werde das "Versprechen" des Rom-Statuts einlösen, nämlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen international zu ahnden. Juan Mendez, Präsident des in New York ansässigen Zentrums für Transitionale Gerechtigkeit, sah schon eine "universelle Rechtssprechung" heraufziehen.
Herta Däubler-Gmelin ist Vorsitzende der Menschenrechtsausschüsse der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und des Bundestages und beide zusammen veranstalteten in Berlin eine große Konferenz zum Thema "Der Zustand der Menschenrechte in Europa: Die Notwendigkeit, Straflosigkeit zu beenden". Politiker und Fachleute haben einen ganzen Tag lang diskutiert, wie Grundrechte besser verwirklicht und Verbrechen wie Folter oder Verschleppung künftig wirksamer verfolgt werden können. Die Debatten offenbarten: Es gibt noch mancherlei Defizite, Hindernisse, Widerstände und Widersprüche.
Praktischen Anschauungsunterricht lieferte etwa Tanya Lokshina. Die Vizedirektorin des Moskauer Büros der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verwies darauf, dass der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof Russland schon mehr als 80 Mal wegen Vertreibungen, Entführungen, Misshandlungen und Folterungen während der Tschetschenienkriege verurteilt habe. Doch obwohl Moskau die angeordneten Entschädigungen an Betroffene zahle, seien weiterhin Missstände zu beklagen. Was Lokshina besonders erzürnt: Im Nordkaukasus seien mehr als 5.000 Leute verschwunden, dennoch habe die russische Justiz nur einmal einen Militärangehörigen belangt.
Die begrenzte Reichweite der Justiz ist auch dem Schweizer Dick Marty ein Dorn im Auge. Er befasst sich als Sonderermittler des Europarats mit den "Renditions", also von der CIA zu verantwortenden Verschleppungen Terrorverdächtiger mit getarnten Flügen zu Geheimgefängnissen in diversen Ländern. Betroffen war auch der Deutsch-Libanese Khaled El-Masri, mutmaßlich Opfer einer Verwechslung. Endgültig aufgeklärt ist dessen Entführung nach Afghanistan bis heute nicht. Eine Klage El-Masris in den USA scheiterte, weil die Justiz wie die US-Regierung diesen Fall zum Staatsgeheimnis erklärt hatten. Marty kritisierte in Berlin, dass sich sowohl Washington als auch europäische Partnerregierungen der Verantwortung für rechtswidrige "Renditions" unter Verweis auf das Staatsgeheimnis entzögen: "Was soll man da machen?", fragte er ratlos in die Runde. Eine Antwort steht aus.
Vincent Berger, Fachmann beim Straßburger Gerichtshof, erläuterte, dass auch die Straßburger Rechtsprechung trotz gewachsenen Einflusses die Umsetzung der Menschenrechtskonvention nicht umfassend garantieren kann. So seien etwa in Russland manche Kläger massiv unter Druck gesetzt worden, ihre Beschwerden in Straßburg zurückzuziehen. In einigen Ländern seien Gesetzgebung, Polizei und Justiz immer noch nicht vollständig an die Standards des Europarats angepasst. Eine Folge sei etwa, dass bei Misshandlungen durch Sicherheitskräfte der jeweilige Staat nicht immer konsequent ermittele.
Ebenfalls viel politischen Zündstoff barg die Frage, ob es nicht im Einzelfall sogar geboten sein kann, von der juristischen Verfolgung von Menschenrechtsverstößen abzusehen. Francoise Hampson, Professorin im britischen Essex, stellte dazu eine bemerkenswerte These auf: In Simbabwe sei Robert Mugabe nur noch deshalb an der Macht, weil er Amnestieversprechen nicht glaube. Ein Abtritt des Diktators wäre aber ohne Zweifel eine Befreiung für Land und Leute. Hampson erinnert daran, dass auch bei der Ablösung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet der Verzicht auf Strafverfolgung im Spiel gewesen sei. "Man muss ein solches Versprechen auch halten", sagte die Professorin und verwies darauf, dass schon mancher Krieg in Afrika durch einen politischen Deal befriedet worden sei, in dessen Folge niemand vor Gericht musste. Hampson sagte: "Eine Amnestie ist keine ideale Lösung, aber zuweilen ein notwendiges Übel." Juan Mendez betonte, im Prinzip dürfe bei der Beendigung von Konflikten das Völkerrecht keinen Schaden nehmen. Aber auch er will Amnestien nicht generell verbieten. Däubler-Gmelin fragte daraufhin: "Wo ist die Grenze zwischen sinnvoller Amnestie und unerwünschter Straflosigkeit?" Antworten dürften jeweils politisch ausfallen.
Später am Abend wurde auch die politische Dimension des Internationalen Strafgerichtshof deutlich, der sich im Grunde strikt dem Recht verpflichtet sehen will. Chefankläger Moreno-Ocampo, der Anfang März Haftbefehl gegen den sudanesischen Staatschef Omar al-Baschir wegen Menschenrechtsverstößen in Darfur erlassen hatte, rief die Regierungen der Welt dazu auf, Baschir international zu isolieren und diplomatische Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Herta Däubler-Gmelin will generell mit dem IStGH als einem "politischen Pfund" wuchern.
Ins politische Wespennest stach Hakki Keskin: Der Abgeordnete der Linkspartei forderte, George W. Busch wegen des Irak-Kriegs und des Gefangenenlagers Guantánamo vor Gericht zu stellen. Hampson und Mendez vermieden eine eindeutige Positionierung dazu. Wichtig sei erst einmal, in den USA den Anti-Terror-Kampf aufzuarbeiten, betonten sie. Vielleicht werde es zu einer Strafverfolgung kommen, meinte Hampson. Was passieren werde, wisse man nicht. Beide Referenten erwiderten Keskin, dass das Völkerrecht Angriffskriege nicht eindeutig definiere. Offenbar ist es schwierig, Antworten zu finden, wenn es konkret wird.