volksrepublik
Für die kommunistische Führung ist die Sicherung von Rohstoffen eine strategische Grundsatzfrage
Herrlich, wenn in Zeiten der Krise die Preise sinken. So freut sich Chinas Regierung und schickt derzeit ihre Emissäre in alle Welt, um kräftig einzukaufen. Auf dem Einkaufszettel stehen Kupferminen, Ölfelder und Beteiligungen an Rohstoffkonzernen. Kein Kontinent ist zu weit weg, kein Bergwerk zu versteckt, als dass sie dieser Tage nicht Besuch von chinesischen Einkäufern mit prall gefüllten Geldkoffern bekämen.
Die Liste ist lang, wächst immer schneller, und kann nicht vollständig wiedergegeben werden. Nur einige Beispiele. Die chinesische Minmetals Nonferrous Metals Co. hat 1,79 Milliarden Dollar für die australische OZ Minerals auf den Tisch gelegt. Das ist der drittgrößte diversifizierte Rohstoffkonzern in Australien. Die australische Regierung will in den kommenden Monaten entscheiden, ob sie das zulässt.
Auch Rio Tinto, einen weiteren australischen Bergwerkriesen, wollen die Chinesen gerne nach und nach aufkaufen. Sie haben bereits Anteile, und wollen die nun für 12,3 Milliarden Dollar auf 14,9 Prozent aufstocken. Der chinesische Bieter heißt offiziell Chinalco, der größte Aluminiumkonzern in der Volksrepublik. Doch wie bei allen Staatsfirmen in China steht hinter der strategischen Entscheidung die chinesische Regierung. Sie stellt die Gelder bereit und ermutigt ihre von der Kommunistischen Partei direkt kontrollierten Hersteller, sich systematisch und ohne zu viel Sorgen um den Preis den Zugang zu Rohstoffen zu sichern.
Der globale Einkaufsbummel hat nicht erst mit Beginn der jüngsten Wirtschaftskrise begonnen. Aber er gewinnt nun an Tempo. "Im Jahr 2008, als die Rohstoffpreise hoch waren, haben viele chinesische Firmen mit dem Aufkaufen von Firmen in Übersee begonnen", zitierte das Wirtschaftsmagazin Caijing kürzlich den Analysten Zhou Tao von Guojin Securities. "Jetzt, wo die Preise sinken, gibt es keinen Grund zum Zögern mehr" - und keine geografischen Grenzen. In den abgelegenen peruanischen Anden pumpen chinesische Investoren zwei Milliarden Dollar in den Ausbau einer Kupfermine. Im Tagebau soll dort bald vor allem für den chinesischen Bedarf geschürft werden, im Auftrag der Chinalco Mining Peru. Die Chinesen hätten "zur Zeit mehr Cash in der Tasche als irgendwer sonst", zitierte eine amerikanische Zeitung Gerry Wolfe, der zwar Kanadier ist, aber für eine chinesische Bergwerksfirma arbeitet. Künftig werden dort eine viertel Millionen Tonnen Kupfer pro Jahr abgebaut werden. Und doch ist dies nur eines von fünf großen chinesischen Bergwerksprojekten in Peru.
Allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres haben chinesische Firmen 22 Übernahmen oder Beteiligungen an ausländischen Rohstofffirmen in die Wege geleitet. "Die Regierung hat unterstützende Maßnahmen beschlossen, mit denen mehr Finanzierungskanäle erschlossen werden, und hat einen Investmentfonds gegründet, um Aquisitionen in Übersee zu ermutigen", schreibt Caijing.
Momentan sind im Zuge der globalen Wirtschaftskrise zwar auch in China viele Fabrikschlote erkaltet. Doch Chinas Regierung denkt und handelt langfristig. Früher oder später werden nicht nur die Rohstoffpreise auf den Weltmärkten wieder anziehen. Sollte Chinas Wachstum weiter mit zweistelligen Zuwachsraten einhergehen, werden künftig auch die Verteilungskämpfe um strategische Ressourcen zunehmen. Wer da an möglichst vielen Bergwerken in verschiedenen Ländern direkt beteiligt ist, sitzt am längeren Hebel.
Für Chinas wirtschaftliche Aufholjagd ist die Sicherung von Rohstoffen eine strategische Grundsatzfrage, die von dem ehrgeizigen Regime wie eine militärische Großoperation gehandhabt wird. Ein Beispiel ist Stahl. Er wird für den Bau all der Bürohochhäuser und Wohnblocks gebraucht, die Chinas rapide Urbanisierung symbolisieren.
So entstehen Riesenstädte wie Chongqing in der Provinz Sichuan. Diese neue "Mega-City" habe 32 Millionen Einwohner, war schon im vergangenen Jahr überall zu lesen, als ein Tross deutscher Politiker zu Besuch war. Chongqing galt als die am schnellsten wuchernde Metropole des Planeten. 140.000 Quadratmeter neue Betonfundamente wurden lange Zeit gegossen - an jedem Tag.
Für all diese Bauten in Chongqing oder den anderen Städten wird Stahl benötigt. Im Jahr 1997 bereits löste China mit damals 101 Millionen Tonnen Japan als größten Stahlerzeuger ab. Um die Jahrtausendwende produzierte das Land noch 152 Millionen Tonnen Stahl, im vergangenen Jahr waren es schon mehr als 500 Millionen. Weniger als die Hälfte des jährlichen Bedarfes des dafür benötigten Eisenerzes kann China aus eigenen Bergwerken decken.
Bislang habe man sich im Ausland erst den Zugang zu 40 der 400 Millionen jährlich benötigten Tonnen Eisenerz sichern können, klagen chinesische Medien. Nun aber, mit der Wirtschaftskrise, habe sich eine "goldene Gelegenheit" eröffnet. Nicht überall gehen diese Einkäufe reibungslos über die Bühne. In Australien beispielsweise mehren sich kritische Stimmen, die vor zu viel chinesischer Kontrolle eines wichtigen Teils der heimischen Industrie warnen. Chinas Chinalco wäre, sollte der angestrebte Riesendeal mit Rio Tinto genehmigt werden, nicht nur ein großer Teilhaber der australischen Bergwerke. Chinalco in China wäre gleichzeitig einer der größten Käufer der australischen Produkte.
Der daraus erwachsende Interessenkonflikt liegt auf der Hand. Der Käufer bekommt nicht nur Einfluss auf den Kaufpreis, sondern nimmt bei Sitzungen des Verwaltungsrats gleich mit Platz am Tisch und kennt jedes einzelne Firmengeheimnis.
Nun ist die Globalisierung der Rohstoffindustrie ein Trend, der nicht nur von Chinas Käufen getrieben wird. Viele der Bergwerke in vielen Ländern haben eine Reihe internationaler Anteilseigner. Doch im chinesischen Fall sind es keine Marktkräfte und ihren Teilhabern oder Aktionären verantwortliche Privatunternehmen, die auf eigenes Risiko agieren. Hinter den meisten strategischen Investitionen steht die kommunistische Führung. Und die hat in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie ihr nationales Interesse sehr eng definiert. So hat zum Beispiel die chinesische Regierung immer wieder die Verhandlungen der Doha-Runde zur Liberalisierung des Welthandels scheitern lassen, um sich eigene Vorteile zu sichern.
Nun kauft also dieses international eindeutig in Freund-Feind-Kategorien operierende System im großen Stil die Rohstoffreserven der Erde auf. Und wird meist auch mit offenen Armen empfangen. Denn aufgrund eigenen Missmanagements und der einbrechenden Konjunktur bleibt vielen der Unternehmen keine andere Wahl. "Wenn es China nicht gäbe, weiß ich nicht, was aus uns würde... wo ist die Alternative?", vertraute etwa der Chef von OZ Minerals einem Reporter des "Weekend Australian" an. Es ist nicht gerade so, dass die Chinesen hausieren gehen. Ihre Unterhändler werden im Gegenteil meist von verzweifelten ausländischen Minenbossen auf eigene Kosten eingeflogen und anschließend hofiert.
Teilweise erklärt sich das chinesische Vorgehen, was etwa die "Brookings Institution" in Washington als die "aggressive" globale Expansion Chinas nennt, aus schierer Notwendigkeit. Jahrzehntelang hatten sich die Industrieländer beispielsweise die internationalen Ölmärkte unter sich aufgeteilt. Selbst für alles Geld der Erde kam China nicht an das schwarze Gold für seine Raffinerien.
Folglich gehen chinesische Ölkonzerne nun in sogenannten "Schurkenstaaten" wie dem Sudan ein und aus, wo sie nicht nur Kredite für Präsidentenpaläste bereitstellen, sondern auch mit ihrem Veto im UN-Sicherheitsrat eine schützende Hand über international geächtete Diktatoren halten. Die derzeit modische Empörung über Chinas Strategie in Afrika und Lateinamerika erscheint vor allem aus dieser historischen Perspektive scheinheilig.
Die Verlierer dieser Entwicklungen sind vielerorts trotzdem die heimischen Arbeiter und Anwohner. Ein Beispiel ist das Engagement der China Metallurgical Construction (MCC) in Pakistan. Obwohl die Chinesen große Mengen an Kupfer aus einer Mine in Sandaik abtransportiert hätten, habe die Investition "bislang so gut wie keinen positiven Spillover-Effekt auf die örtliche Wirtschaft" gehabt, schreibt "Integrity Watch Afghanistan" in einem Bericht aus dem vergangenen Jahr.
Nun kaufen sich die Chinesen gerade in eine Kupfermine fünfzig Kilometer südlich von Kabul ein, wo derzeit sonst kaum jemand zu investieren wagt. Umweltschützer warnen vor einer "ökologischen und sozialen Katastrophe", sollte das Projekt nicht anständig überwacht werden.
Henrik Bork ist China-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung".