VERSORGUNG
Auch nach dem Ende der aktuellen Preisrallye bleiben Wirtschaft und Politik gefordert
In den vergangenen Jahren haben insbesondere der wirtschaftliche Aufstieg Chinas sowie die zusätzliche Nachfrage aus Indien den weltweiten Rohstoffbedarf deutlich erhöht. Dies ging einher mit steigenden Preisen sowie einer schlechteren Verfügbarkeit bestimmter Stoffe. Gleichzeitig ist das Angebot nicht unbeschränkt auszuweiten, schließlich sind natürliche Rohstoffe prinzipiell endlich.
Besondere Sorgen machten sich viele Unternehmen wegen der dramatischen Preisanstiege. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Preisrallye auf den Weltmärkten der Rohstoffe im Sommer vergangenen Jahres. Im Juli 2008 lagen die Weltmarktpreise für Rohstoffe gerechnet in US-Dollar bei mehr als dem Vierfachen des Wertes aus dem Jahr 2000. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise kam es auch an den Rohstoffmärkten zu starken Einbrüchen. Zum Jahreswechsel lagen die Preise nur noch 60 Prozent über jenen von 2000. Das entspricht einem Rückgang von über 60 Prozent in weniger als einem halben Jahr.
Die akute Preiskrise ist damit ausgestanden. Aber sie hat die Sicherung der Rohstoffversorgung auf die Agenda gerückt. Und dies wird auch für die nächsten Monate und Jahre aktuell bleiben. Abbau und Transport von Bodenschätzen geschehen nicht von alleine. Fehlende Investitionen, Handelshemmnisse und Transportfragen können den Rohstoffstrom nach Deutschland behindern. Das Beispiel des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine zeigt, wie wichtig eine sichere Rohstoffversorgung ist.
Die deutsche Industrie ist vom Import von Rohstoffen abhängig. Bei Metallrohstoffen liegt die deutsche Importquote heute bei 100 Prozent, eine nennenswerte inländische Förderung gibt es nicht mehr. Stammte zum Beispiel Eisenerz Anfang der sechziger Jahre noch zu gut einem Drittel aus heimischer Förderung, kommen die heute jährlich benötigten rund 45 Millionen Tonnen vollständig aus ausländischen Abbaugebieten.
Traditionell groß ist der Importanteil auch bei Energierohstoffen. Während Braunkohle praktisch vollständig aus heimischer Förderung stammt und nah an den Tagebauen zur Stromgewinnung verfeuert wird, steigt der Importanteil der Steinkohle. Vor allem aber Öl und Gas sorgen für eine hohe Importabhängigkeit, wobei Erdgas immerhin zu knapp 20 Prozent im Inland gefördert wird - mit leicht abnehmender Tendenz. Insgesamt ist der Importanteil aller Energierohstoffe seit Anfang der neunziger Jahre von 58,3 Prozent des Primärenergieverbrauchs auf zuletzt 71,5 Prozent deutlich angestiegen.
Zwar machen Energierohstoffe damit rund 70 Prozent des Importwertes aus. Für die industrielle Produktion in Deutschland sind jedoch die knapp 30 Prozent, die auf Metalle fallen, von ebenso großer Bedeutung. Die vollständige Importabhängigkeit Deutschlands bei Metallen und vielen Mineralien besteht schon seit längerem und wurde selten als Problem wahrgenommen. Tatsächlich ist sie ja auch das Ergebnis einer naturbedingten internationalen Arbeitsteilung, in der sich einige Länder auf die Rohstoffproduktion und andere auf die Verarbeitung zu Industrieprodukten konzentrieren.
Gleichwohl gibt es zwei problematische Wirkungen der Importabhängigkeit: Zum einen führen Preissteigerungen auf den Rohstoffmärkten zu höheren Importrechnungen. Zum anderen können einem Importland Nachteile entstehen, wenn der Wettbewerb auf den Märkten nicht funktioniert. Angesichts der hohen Unternehmenskonzentration sowie verschiedener Handelsbeschränkungen stellt sich tatsächlich die Frage, inwieweit auf den Rohstoffmärkten ein fairer Wettbewerb gegeben ist.
Noch heute setzen viele Länder auf Maßnahmen, mit denen sie die eigene Industrie schützen und Rohstoffexporte verhindern. Die Protektionspalette reicht von spezifischen Ausfuhrsteuerungen und finanziellen Förderungen heimischer Weiterverarbeiter über die Vergabe von Exportlizenzen und die Verhängung von Exportverboten bis hin zur Einführung von Exportmonopolen und der Verweigerung der Mehrwertsteuererstattung beim Export von Rohstoffen. Diese Maßnahmen stellen erhebliche Verzerrungen der internationalen Rohstoffmärkte dar, die letztendlich nur zu überhöhten Preisen führen.
Problematisch sind bei vielen Metallrohstoffen zudem die hohe Konzentration auf der Angebotsseite und das damit zusammenhängende Potenzial für Marktmacht. Konzentrationstendenzen sind sowohl auf der Ebene der Förderländer als auch auf der Ebene der Erzeugungsunternehmen zu beobachten. So ist es keine Seltenheit, dass drei Viertel der jährlich produzierten Menge nur aus drei Ländern kommen oder 50 Prozent und mehr lediglich von drei Unternehmen stammen. Fusionen im Rohstoffsektor verschärfen den Konzentrationsgrad weiter.
Mit Hilfe des Rohstoffversorgungs-Risiko-Ratings des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln lassen sich unter Versorgungsgesichtspunkten kritische Rohstoffe identifizieren und klassifizieren. Als "besonders kritisch" sind die Stoffe Chrom, Molybdän, Niob, Zirkon und Tantal sowie die Platinmetalle einzustufen. Ihnen ist gemein, dass sowohl auf Länder- als auch auf Unternehmensebene eine hohe oder sehr hohe Konzentration zu finden ist, und dass die Stoffe nicht oder nur schwer durch Alternativen ersetzt werden können. Chrom, Molybdän und Niob werden in erster Linie als Stahlveredler verwendet, Tantal für Kondensatoren und die Medizintechnik und die Metalle der Platingruppe in der Chemieindustrie und der Medizintechnik.
Als "kritisch" wird die Versorgung mit Baryt, Flourit und Lithium bewertet. Davon sind verschiedene Branchen betroffen - angefangen bei der Papierherstellung über die Gusseisen- und Aluminiumproduktion bis hin zur Chemie und der Keramikindustrie. Als "weniger kritisch" beurteilt das IW-Risiko-Rating Blei, Titan, Wolfram und Zinn.
Auffallend ist, dass die Energierohstoffe in diesem Rating nicht als kritisch eingeordnet werden. Dies liegt an der relativ niedrigen Konzentration sowohl auf Länder- als auf Unternehmensebene sowie an den vergleichsweise hohen statischen Reichweiten. Damit wird angegeben, wie lange die heute wirtschaftlichen Reserven bei konstantem Verbrauch rechnerisch ausreichen würden. Kritisch wäre bei Erdöl, Erdgas, Kohle und Kernbrennstoffen allenfalls die fehlende oder schwierige Substituierbarkeit. Dies bedeutet, dass Versorgungsschwierigkeiten eher bei den hier als kritisch eingeordneten Metallrohstoffen auftreten können als bei den vielfach genannten Energierohstoffen. Auch wenn die Höchstpreise inzwischen nicht mehr gezahlt werden müssen, ist die Rohstofffrage weiter auf der Agenda.
Zur Sicherung der Rohstoffversorgung müssen erhebliche Anstrengungen unternommen werden. Hier sind zunächst die Branchen betroffen, die Rohstoffe verarbeiten. In unserer industriell geprägten Wirtschaft, die auf die Nutzung von natürlichen Rohstoffen angewiesen ist, müssen verschiedene Anpassungsreaktionen ergriffen werden. Auf Unternehmensebene gehören dazu vor allem die Steigerung der Material- und Energieeffizienz, die Nutzung alternativer Rohstoffe sowie der Einsatz von Sekundärrohstoffen. Einige Unternehmen sichern sich zudem über langfristige Lieferverträge oder die Beteiligung an Rohstoffunternehmen ab. Zwar kann es nicht Aufgabe der Politik sein, zur Sicherung der Rohstoffversorgung billige Importe zu garantieren. Dennoch muss auch hier ein Beitrag geleistet werden, damit es nicht zu einer veritablen Rohstoffkrise kommt. So muss die Politik den freien Zugang zu den Rohstoffquellen und den Unternehmen der Rohstoffwirtschaft sichern, protektionistischen Tendenzen entgegentreten und auf einen Abbau von Exportsteuern pochen. Auch kann sie zu einer Vertrauenskultur beitragen, auf deren Basis Rohstoffe frei gehandelt werden können.
Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.