Auf der Landzunge von Oberwinter steht ein Turm. Auf den ersten Blick meint man, ein hässliches, verlassenes Silo zu erkennen. Das Stahl- und Betongerippe wird allerdings in zwölf Metern Höhe von einem eingelassenen Trichter geöffnet, der sich ins Turminnere zu einem kurzen Stahlrohr verengt. Plötzlich scheint das Versprechen augenscheinlich: Wer die Hemmung überwindet und sich bei entsprechendem Niederschlag in den "Regenfänger" stellt, kann öffentlich duschen.
Das vom Künstler Eberhard Bosslet 2001 für den Skulpturenpark Remagen errichtete Werk - nach seinen Angaben tatsächlich eine "öffentliche Dusche" - steht an einem höchst exponierten Punkt: Von weither ist es sichtbar, sowohl Petersberg, Drachenfels als auch der Rheinfluss fluchten sich in diesem Bau. Er gibt die Blickachse vor, zentralisiert und richtet damit alles Umliegende aus. Die "öffentliche Dusche" stieg auf zum ästhetischen Wahrzeichen des Landkreises Ahrweiler.
Wer sich heute mit den Bildwelten der Badezimmer- und Bademöbel-Werbung beschäftigt, sich deren Kataloge, Homepages und Prospekte näher betrachtet, erkennt in ihnen eine ähnliche Hinwendung zur Bedeutungszentralisierung. Die neuesten Badewannenmodelle, Handtuchhalter oder Bidets scheinen mittlerweile in Räume integriert, deren Bedeutsamkeit die restliche Wohnung überstrahlen soll. Längst ist das Badezimmer mit seinen vielen Accessoires wie Reinigungsprodukten und Kosmetika nicht mehr der Rückzugsort ins ganz Private, schon gar nicht mehr ein Refugium des Intimen. Die Nasszelle wandelte sich vom Funktions- zum Fiktionsraum, dem die Repräsentation ebenso wie die Realisierung eines ganz besonderen Erlebnisses ein nachdrückliches Anliegen ist. Heute können im Badezimmer Träume gelebt, Sehnsüchte verwirklicht, ja die Überhöhung des Alltäglichen erfahren und die Ausstattung als ein Gewinnvorsprung jedem Besucher vorgeführt werden.
Wenn Bosslet seine Skulptur als eine "öffentliche Dusche" paraphrasiert, bringt er damit zur Geltung, was in vielen Produktkatalogen zur Badezimmerkultur eine bildästhetische Selbstverständlichkeit wurde. In die Weite ausblicken - und gleichsam von allen gesehen werden können: das ist der königliche Traum, den vor allem die visuell werbende Duschkabinenkultur durchzieht. So inszeniert etwa die Firma HSK Duschkabinenbau KG - nach eigener Auskunft "Die Badexperten" - das Duschkabinenmodell "exklusiv" als eine Art glasgerundete Bühne und damit in einer zu Bosslets Skulptur vergleichbaren dramaturgischen Doppelnatur (Dokument 1): Das raumstärkste Element lässt alles Umstehende, womöglich selbst die restliche Wohnung zum Beiwerk verblassen und offeriert dem Duschenden den großen Auftritt. Die Kabine wird vom auratischen Glanz durchschimmert, ihre sterile Makellosigkeit, in der kein Tröpfchen Wasser die Strahlkraft trübt, verfließt in breiten Lichtreflexionen ins Immaterielle. Im Sfumato - dem bildnerischen Einsatz konturaufweichender Verunklarungen - suggeriert das Produkt seinen Mehrwert. Selbst die Bodenfläche scheint in Auflösung begriffen, nur spärlichste Requisiten - wie etwa zwei lieblose Grüngestecke - wurden zugelassen, die allerdings in ihrer offensichtlichen Künstlichkeit der Inszenierungsidee widersprechen.
Dennoch scheint eindeutig: Wer die Schwelle ins Innere der Duschkabine übertritt, gelangt in einen anderen Raum, in dem die Kategorien des Gewöhnlichen außer Kraft gesetzt werden. Die Inszenierung verspricht ein Stück Erhabenheit, in jedem Fall die Herauslösung aus dem profanen Tagesablauf. Nach der Brausekur kann sich der Gereinigte vor die Fensterfront begeben: Ähnlich dem öffentlichen Duscher in Remagen wird dann sein Blick ins weite Land hinausschweifen und in der Tiefe des Raums das gerade erfahrene Sinneserlebnis widergespiegelt finden.
Vor allem konsum- und produktästhetische Bildinszenierungen gelangen oftmals durch eine Reduktion der dargestellten Elemente zu erhöhter Wirkungskraft. Indem der Bildraum von möglicherweise ablenkenden Nebensächlichkeiten freigeräumt wird und somit kein visueller Ballast eine allzu drückende Sinnschwere erzeugt, kann die Wahrnehmung fokussiert und damit die Bedeutung des Gezeigten zusätzlich gesteigert werden. In der Beschränkung auf das Wesentliche wird dieses als das Eigentliche behauptet und kann mit vielen, durchaus einander widersprechenden Assoziationen verknüpft werden. Ein Raum etwa, in dem es neben einer freigestellten Glaswand und einer spärlichen Armatur nichts Weiteres zu geben scheint, weist damit eine nochmals verstärkte Bildaffinität auf (Dokument 2). In der Lichtdurchflutung entmaterialisiert sich der Kontext nahezu vollständig. Er wirkt reiner als rein und damit entdinglicht, wodurch die Bühnenfläche des Duschens ungleich konturgeschärfter herausgekehrt und in ihrer Präsenzkraft nochmals aufgewertet wird. Gleichsam finden hier wohl alle denkbaren Projektionen ihren Platz: Wer sich die abendliche Entspannung vom Arbeitstag ersehnt, wird seinen Wunsch als ebenso einlösbar wiederentdecken wie derjenige, dem es um einen kräftigen Energieschub am frühen Morgen geht; ebenso wird sich der Frischverliebte im amourösen Taumel, aber auch die Beziehungsgestresste, um Abstand zu gewinnen, in Gedanken schon mal hinter die Glaswand begeben können. Die Unbestimmtheit des Raums und folglich seine Sinnoffenheit vermitteln das Gefühl, das zentrale Element mit mannigfachen Vorstellungen, Ideen, Idealen, Entwürfen und Neigungen aufladen zu können.
Die Duschkabine scheint für die Inszenierung einer Bedeutungsoffenheit die entsprechenden Voraussetzungen bereitzustellen. Immerhin ist sie der Ort, an dem man sich etwas Gutes tut, sich Zeit lässt, Muße hat, um das geleerte Reservoir wieder zu füllen: um entweder ganz zu sich kommen oder aber, um sich startklar zu machen. Jedenfalls ist sie ein Platz, der ritualisiert aufgesucht wird und dennoch nicht immer zur gleichen Fiktionsreise einlädt: Während eine Kücheneinrichtung stark funktionalisiert erscheint und mitunter allein ihr Gebrauchswert die Kaufentscheidung lenkt, während die Wohnzimmereinrichtung vorwiegend eine Repräsentationsaufgabe erfüllen muss und die Ausstattung des Kinderzimmers durch Fürsorge der Eltern bestimmt ist, kann das Badezimmer von dergleichen Determinationen entlastet werden. Hier hat das Sowohl-als-auch seinen Platz, eine Mehr- und Vieldeutigkeit erhält Einzug und verspricht - gerade beim Duschen - den Eintritt in sonst verborgene Welten.
Welche enorme Bedeutung das Fiktionspotenzial mittlerweile für die Bildwerbung hat, wie stark es sie ausrichtet und dem Konsumenten einen schier unerschöpflichen Tiefenraum offeriert, beweist nachdrücklich ein Blick in die Kataloge der Schweizer Firma Duscholux: "Collection Pure" heißt etwa eines der beworbenen Produkte, eine Duschkabine, die in ihrer Unscheinbarkeit und Einfachheit durchaus fad und wenig inspirierend wirken könnte. Doch integriert in einen blaugetränkten, sterilen Raum, den nur ein paar Schattenwürfe durchkreuzen und den man auf das absolut Notwendige beschränkte, dürfen nun "Transparenz, Leichtigkeit und Eleganz" - die "präsent ist, ohne sich aufzudrängen" - erfahren werden. Was sich als bloße Unbestimmtheit oder als vage belächeln ließe, wird gerade aus diesen Gründen zielgenau und reflektiert eingesetzt: Die Stilmerkmale der Bildgestaltung spiegeln sich in der Begriffswahl wider. Die Sprache zertifiziert das Bildversprechen, bewahrheitet die visuelle Suggestion einer Überhöhungskraft und setzt semantische Fluchtlinien, die zu inneren Bildern und individuellen Vorstellungen anregen sollen. Damit greifen Formen der Inszenierung, die für jeden klassischen Theaterschaffenden eine Binsenweisheit sind: Das eigentliche Theaterspiel wird im Kopf des Zuschauers aufgeführt. Für Momente soll er den So-tun-als-ob-Charakter ausblenden, die Inszenierung vom Inszenierten entkleiden und eintreten in die veränderte Welt, sich für Augenblicke verzaubern lassen. Die Duschbühnen offerieren ähnliche Möglichkeiten der Illusion - doch nicht etwa, um vorzugaukeln, zu täuschen oder zu manipulieren, sondern im Gegenteil: Ziel ist es, die Bedürfnisse der Käufer und Sehnsüchte der Konsumenten in das Produkt hineinzuverlängern, die Duschwand, -kabine oder -fläche als konkrete Möglichkeit zu verstehen, das Erhoffte ausleben zu können. An den Adressaten ihrer Werbung lässt sich belegen, dass es der Warenästhetik schon qua Zielstellung nicht um das Auftischen einer Lüge gehen kann, liegt ihr Wesensmerkmal doch gerade darin, bestehende Wünsche aufzugreifen und zu verwirklichen.
Tatsächlich wird im letztjährigen Duravit-Produktkatalog von einer "Poesie der Reduktion" gesprochen. Vorwiegend die Badgestaltung des französischen Designers Philippe Starck sollen damit angemessen umschrieben werden. Demnach "können und wollen" WC und Bidet "ihr Gestaltungsvorbild nicht verleugnen": Man müsse schlicht von einer "Metamorphose des Eimers" sprechen, man stoße bei ihnen auf "Grundsätzliches. Auf Bedürfnisse. Frische. Sauberkeit. Körperlichkeit". Starck, so der Katalogtext weiter, habe "den Blick fürs Essentielle. Er kennt die Seele der Dinge. Erzählt Geschichten über sie, füllt sie mit Leben. Und schafft dadurch Räume, in denen die Seele Platz zum Baumeln findet."
Solche Wendungen können ihre Wirksamkeit nur dann entfalten, solange sich die nebengestellten Produktbilder jeglicher Einschränkungshinweise enthalten (Dokument 3). Der Text wurde unter zwei Kloschüsseln und zwei Bidets gesetzt - durchaus ein Wagnis, mag deren Reinheitspostulat zwar unmittelbar einleuchten, lässt sich aber vor dem Hintergrund der Intimhygiene wohl nicht gerade in erster Linie zum Seelenbaumeln überhöhen. Dass Bidet und Kloschüssel dennoch zur Sinnsuche einladen, verraten die Bilder: Nichts stört mehr den umliegenden Bildraum, zentral gesetzt und vom seitlichen Lichteinfall umschmeichelt laden die veredelten Eimer zum Ankommen, Verweilen und Überdauern ein: Wer sich auf einem von ihnen niederlässt, ist ganz und nur bei sich. Die Entzweiung, womöglich die Entfremdung infolge der tagtäglichen Hektik lässt sich abbremsen, die Benutzer dieser Objekte wieder auf das Wesentliche und Eigentliche "eintakten": Wer vom Toilettengang zurückkehrt, ist endlich eins mit sich selbst.
Die ästhetische Reduktion der Bilder bedingt also geradezu die retardierte Sprachform. Fast meint man, ein Verstummen gewahr zu werden, jedenfalls können nur noch einzelne Abstrakta die Potenzialität des Produkts erfassen und seinen vielgliedrigen Offerten gerecht werden. So wenig die Bilder eine konkrete Stimmung, eine spezielle Atmosphäre oder eine lebensreale Situation signifikant charakterisieren, sondern dem Betrachter lediglich einzelne Hinweise auf mögliche Zugewinne anbieten, so wenig setzen auch die textsprachlichen Begleitungen Ankerpunkte, die kaum Definitives, dafür aber einen erweiterten Möglichkeitshorizont in Aussicht stellen. Auch hier ist die Poesie der Reduktion ein Generator zur Fiktionsstimulanz.
Damit zeigt sich ein Grundbaustein warenästhetischer Inszenierungsmodi. Um den Gebrauchs- um einen Erzählwert erweitern zu können, das Produkt also nicht in seiner Verwendbarkeit erschöpfen zu lassen, gilt es, die Bedürfnislage des Käufers wachzurufen. Bedeutungspluralität und Sinnoffenheit sind demnach brauchbare Mittel, um möglichst breiten Konsumentenschichten die Zugänglichkeit zu bahnen. Gerade Produkte, deren Einsatz stark ritualisierten, tradierten Mustern unterliegt und die seit jeher gänzlich in ihrem Gebrauchswert aufzugehen scheinen - wie das etwa bei einer Kloschüssel der Fall ist -, sind dafür prädestiniert, neue Qualitäten zuzusichern; und möglichst jedem die Widerspiegelung und Realisierbarkeit seiner Wünsche nahe zu legen.
Marketingstrategen, Imageberater und Werbeexperten haben selbstredend ein genuines Interesse daran, zu erfahren, inwieweit die bildinszenierten Fiktionswerte, mit denen sie die jeweiligen Produkte aufgeladen haben, ihre Wirksamkeit entfalten können. Schließlich beweist sich ein Produkt nicht nur durch seine erreichte Verkaufszahl, sondern auch durch seine erzielte Nachhaltigkeit - die womöglich eine damit verbundene Produktpalette allgemein zu stärken oder sogar wesentlich zu prägen vermag: ihr ein Gesicht verleihen soll. Was gewöhnlich über Konsumentenbefragungen und statistische Erhebungen in Erfahrung gebracht werden will, kann durch einen Blick in die Web 2.0-Formate des Internets ergänzt werden. Etwa auf bildzentrierten Plattformen wie dem Videoportal YouTube oder der Fotoseite flickr finden sich ganze Gruppen und Gemeinschaften - im Gesamten wohl hunderttausende Nutzer -, die ihre Konsumbedürfnisse öffentlich zugänglich machen. Gerade die Badwelten erfahren dabei einen besonderen Fokus, lassen sich auf den social network sites doch vor allem Bereiche der eigenen Identität in selbst gestaltete Bildpräsentationen hineinverlängern und damit zur allgemeinen Anschauung bringen. Wer sich also beim Duschen, Zähneputzen oder Schminken filmen oder fotografieren lässt und die dabei verwendeten Produkte bewusst thematisiert, vielleicht sogar deren Anwendung kommentiert, die Wirksamkeit überprüft und die begleitenden Assoziationen spielen lässt, gibt Auskunft über seine gelebte Fiktionskraft, die er in Duschgels, Zahnpasta oder Eyeliner aufgegriffen sieht.
Zudem gestatten die Bildwelten der social network sites Einblicke in ganze Produktgeschichten. Oftmals zeigen die Nutzer Relikte früherer Tage, die sie mit heutigen Erzeugnissen konfrontieren, um damit die erfahrenen Unterschiede zu konturieren. Badezimmer etwa, die den nostalgischen Charme des Gestrigen tragen, erfreuen sich hoher Beliebtheit und werden mit Bildgruppen zeitgenössischer Raumkonzepte verglichen. So gestattete beispielsweise "TomK32" auf flickr einen Blick in das "Badezimmer Onkel Tonis Wohnung" und verlinkte es in die Gruppen "Bathroom Photography" und "Bathroom (only for cool bored people)". Was beim Onkel noch bieder, verstaubt und durch dominante Farbeinsätze streng und unpersönlich, beinahe abweisend wirkt und damit über eine typische Badezimmer-Mentalität der frühen 1990er Jahre informiert, offenbart sich bei "Ives Janse" als einladender, warmer Raum, der trotz seiner Oberflächenglätte zahlreiche individuelle Merkmale verrät - und damit geradezu repräsentativ eine zeitgenössische Auffassung des einladenden Badezimmers visualisiert, in dem sich die jeweilige Persönlichkeit nachdrücklich einschreiben will.
Eine umfassende Auswertung der social network sites unter dem Gesichtspunkt konsumästhetischer Inszenierungsformen kann damit helfen, ein durchaus differenziertes Bild der Konsumbedürfnisse zu zeichnen, die sich in den jeweiligen Produkten zu realisieren scheinen. Nicht zuletzt wird eine Analyse der jeweiligen Beziehungsgestaltung des Nutzers zu seinem Produkt Hinweise auf die Wirksamkeit erhoffter Fiktionswerte geben können. Reinigungs- und Kosmetikaccessoires, mit denen man das Badezimmer detailreich ausstaffieren und damit die erwünschte Inszenierung bis hinein in kleinste Tuben, Döschen und Fläschchen weiterführen kann, werden oftmals als die Garanten des eigenen ästhetischen Gefühls vorgeführt. Insbesondere Duschgels markieren dabei eine Produktkategorie, die mit besonders hohen, die bloße Reinigung weit übersteigenden Mehrwerten ausgestattet werden.
Geradezu symptomatisch liest sich da ein Versprechen, das Hugo Boss auf seiner Homepage für eines seiner Duschgels in Aussicht stellt: "Lassen Sie sich in faszinierende Erlebnis-Welten' entführen!". Wer also gezielt nach Duschgel-Inszenierungen etwa auf YouTube sucht, wird einen immensen Bilderkorpus antreffen: Gleich tausendfach wird über Minuten die jeweils eigene Kollektion vorgeführt. Es hat sich eine Gemeinschaft herausgebildet, die über ihre Erlebnisse und Stimmungen Auskunft gibt, in denen die gezeigten Gels zur Anwendung kommen, welche Wirkungen sie freisetzen und wie sich das Danach im Vergleich zum Davor anfühlt. Das Duschgel verstehen sie als Eintrittskarte zur Überhöhung, ähnlich eines Theatertickets, das ein Erleben anderer, fiktiver Welten bereitstellt. So inszeniert beispielsweise eine kanadische Konsumentin den zum Kult gewordenen Mordanschlag aus dem Spielfilm "Psycho" beim entspannten Duschen auf flickr nach: Ganzkörperlich schmierte sie sich mit Lux' Wine & Roses ein und ließ das blutrote Gel in den Abfluss weiterströmen: Von oben fotografiert beweist das Bild ein geradezu dramatisches Fiktionserlebnis, das sich neben dem eigentlich intendierten Mehrwert von Wein und Rose ansiedelt und einen neuen, spielerischen Möglichkeitshorizont des Produkts andeutet.
Neben solch ausdrucksstarken und ideenreichen Formen verstehen es die Nutzer oftmals, differenziert die Bedürfnislagen zu umreißen, das Erhoffte mit dem tatsächlich Gezeitigten abzugleichen und die gewonnenen Einsichten mit Bildwerken zu vermitteln. Ähnlich den Testberichten auf Seiten wie ciao.de oder doyoo.de entwickeln sich damit stabile Kommunikationsstrukturen, die ihre eigenen (Bild-)Sprachen ausformen und damit erstaunliche Hinweise zu möglichen Erlebnissen mit diesen Produkten liefern. Indem man sich und das Erworbene ins Bild setzt, Für und Wider, Gewinn und Verlust, Überraschung und Enttäuschung preisgibt, ja das Duschgel in hohem Maße als darstellungs- und rezensionswürdig postuliert, bezeugt man eine erhöhte Konsumkompetenz. Wo jedoch gerade linksintellektuelle Strömungen bloße Täuschung, Verführung, Manipulation, Indoktrination und Vereinheitlichung der etwas blöden Masse erkennen wollen, beweisen die amateurästhetischen Produktinszenierungen auf bildgestützten social network sites über weite Strecken den erhöhten Reflexionsgrad ihrer Nutzer. Keinesfalls, so wäre etwa Wolfgang Fritz Haug und seiner kürzlich überarbeiteten "Kritik der Warenästhetik" zu widersprechen, befördert die "Computerisierung" der Gesellschaft "die Digitalisierung des Scheins".
Insbesondere die in den neuen Netzwerken aufkeimenden Produktinszenierungen der Video- und Fotoamateure beweisen die Nachdrücklichkeit einer ausgeprägten Differenzierungsfähigkeit. Sämtliche Eigenschaften - die im Übrigen gemeinhin jeder täuschungsresistente Mensch für sich verbuchen würde - finden sich in ihren Auftritten wieder: Unterscheidung statt Pauschalisierung, Beobachtung statt Vereinnahmung und Bewertungen an Stelle von Schwärmereien; zudem - man könnte es beinahe als wissenschaftliches Verfahren bezeichnen - klammern die Amateurästheten ihre eigene Position nicht aus, im Gegenteil: Gerade sie ist oftmals das zentrale Element der Urteilsbildung, wird problematisiert und offenbart damit die Distanzierungs- und Verobjektivierungsfähigkeit ihrer Erkenntnismitteilung.
Doch jenseits produktästhetischer Postulate, Verlautbarungen und Identitätsbekundungen auf Seiten wie YouTube und flickr scheint vor allem für die werbenden Bildwelten der Badkultur eines konstitutiv zu sein: Ihre Erzeugnisse erfüllen Kriterien des Jenseitigen, Immateriellen und bieten damit Augenblicke der Transzendenz. Die offerierten Potenziale von Duschgels, Bademöbeln und Sanitäreinrichtungen keimen auf dem rauminszenierten Nährboden einer Überhöhung des Profanen. Wie angedeutet, stellen Momente der Reduktion und Überbelichtung, Elemente des Glanzes und der konturverwischenden Weichzeichnung die bildnerischen Parameter, mit denen die Herauslösung aus dem Alltäglichen offeriert wird. Wo vom Billig- bis zum Mittelpreissegment die Bedeutungssteigerung des Badezimmers auf darin abgelichtete Körperschönheiten verzichten muss, bieten sich vor allem im exklusiven und hochpreisigen Bereich dem Auge Grazien der Reinheit und Unschuld dar: Meist in sanftem Blond, hin und wieder umschmeichelt von umhüllenden, mehr versprechenden als verdeckenden Schäumen oder Tüchern und versinnlicht durch weggeträumte Blicke, gehen sie ganz im Fühlen, Empfinden und Kuscheln, im Sinnsuchen und Transzendieren auf. Abermals scheint dafür ein Duravit-Katalog maßgebend (Dokument 4): Hier räkelt sich das Model natürlich nicht plakativ in seiner Badewanne - es sinkt vielmehr in sie hinein und tritt damit eine Reise in die Ferne an. Kerzen umschimmern die Wanne mit der Kraft des Heiligen, integrierte Wand- und Bodenbeleuchtungen - "die Streicheleinheit für die Seele" - entheben den Körper weltlichen Gebundenheiten und verleihen ihm die Aura der Leichtigkeit. Schon zaubert sich ein Lächeln aufs Gesicht, es berichtet dem still hinzugetretenen Blick der Kamera von einer ihm entzogenen, weit abgelegenen, anderen Wirklichkeit.
Im Gesicht der Hinweggesunkenen spiegelt sich zudem eine Funktion, die zum Grundrepertoire konsumästhetischer Bildwelten gehört: Ebenso bedeutungsoffen und vieldeutigkeitsaffin wie die gezeigten Möbel, Einrichtungen und Räume ins Bild gesetzt werden, erscheinen die eingesetzten Models. Sie determinieren nichts Konkretes, vielmehr können auf ihre glatte und nur mögliche Mentalitäten suggerierende Oberfläche nahezu sämtliche Wünsche projiziert werden. Die Bedürfnislage des Konsumenten kann also das Model in die eigenen Wunschbilder transformieren und ihm die Rolle zukommen lassen, die es dort spielen soll. Die semantische Ungebundenheit und eine ins Versprechen vertiefte Körperdarstellung unterstreicht damit die externe Aufladbarkeit des Beworbenen.
Und wenn die Schöne nicht gerade in der Wanne schwebt, erscheint sie im Schreiten begriffen. Tatsächlich ist das augenscheinlichste Merkmal nahezu aller Models in den Badezimmerinszenierungen der exklusiven Firmen in ihrer Schrittstellung zu finden. Kaum einmal stehen sie statisch, fast immer werden sie beim Übertreten, Übersteigen einer gedachten Barriere, beim Vorankommen abgelichtet. Was wohl allen Models in zeitgenössischen Werbeprojekten eine körperdynamische Selbstverständlichkeit ist, gewinnt in den Bäderwelten der Konsumkultur eine erweiterte Relevanz: Denn ganz offenbar lassen sie etwas hinter sich, womöglich die Gewöhnlichkeit des Alltags, und übergeben sich dem Kommenden. So wie das Badezimmer in all seinen Elementen und Ausstattungen, mit seinen Requisiten und Kulissen als Bühne des bedeutungsstarken und damit repräsentativen Zwischenschnitts inszeniert wird, vermitteln sich die auftretenden Figuren im kurzen Augenblick zwischen einem Davor und einem Danach. Ihre Schrittstellung markiert den Übergang, den jeder mitgehen kann: von der realen in die erträumte Wirklichkeit, vom Gebrauchs- zum Fiktionswert, vom Alltag zur Transzendenz.
Bedeutungsoffenheit, Determinationslosigkeit und Sinnvielfältigkeit konnten als die wesentlichen ästhetischen Inszenierungsmodi der visuell vermittelten Badkultur bestimmt werden. Gleichsam, so darf ausblickend die Vermutung geäußert werden, kommt damit ein hohes - vielleicht zu optimistisches - Konsumentenverständnis zur Anwendung. Denn wer die Deutung nicht bereits in seine Bilder einschreibt, sondern sie als eine äußere Zutat versteht, glaubt an die erweiterten Fiktionskräfte des Bildbetrachters, an dessen Möglichkeiten, auf Grundlage spärlichster Hinweise großformatige Deutungsangebote in das Bild zu legen. Zwar beweisen zahlreiche amateurästhetische Inszenierungen auf den bildgestützten sozialen Netzwerken wie YouTube und flickr die Reflexionsfähigkeit vieler Konsumenten. Und dennoch raunen gerade zahlreiche Badinszenierungen in einer beinahe übersteigerten polysemantischen Darstellungsform, die mitunter nur noch wildes Spekulieren zulässt. Damit büßen sie die erhofften Mehrwerte ein, verleiten zu Kaufentscheidungen, die sich doch wieder "nur" den Gebrauchskategorien widmen und den bloßen Funktionen zuwenden. Folglich wird der gewünschte Exponierungsvorteil gegenüber der Konkurrenz hinfällig, sah man doch gerade im versprochenen Mehrwert den Vorsprung realisiert. Und so gilt für die Bildwelten der Badkultur eine simple Formel: Wer die Transzendenz nicht hinreichend zu belegen weiß, muss sich nicht wundern, wenn sie ihm auch nicht abgekauft wird.