DEMOKRATIsierung
Paul Collier plädiert für Interventionen zur Stabilisierung von afrikanischen Ländern
Der Titel ist missverständlich: "Gefährliche Wahl" heißt das jüngste Buch von Paul Collier, das in diesen Tagen auf den deutschen Markt kommt. Ein Titel, der mit dem Original - "Wars, Guns and Votes. Democracy in dangerous places" - wenig gemein hat. Denn der Oxford-Professor hält Wahlen in den ärmsten Ländern der Erde nicht per se für gefährlich, sondern kommt zu der Erkenntnis, dass es nicht ausreicht, mit der Durchführung von Wahlen nur demokratische Fassaden aufzubauen. Denn dann bestehe die Gefahr, dass sich politische Gewalt in den kleinen armen Ländern am unteren Ende der Weltwirtschaft ausbreitet, in denen etwa eine Milliarde Menschen leben. Paul Collier nennt sie die "Länder der untersten Milliarde", und so hieß auch sein im Vorjahr erschienenes Buch, das international für große Aufmerksamkeit sorgte.
Als vorrangiges Politikziel nach dem Ende des Kalten Krieges werden die Prinzipien der Demokratie nicht nur als allgemeingültig angesehen, sondern bis zur umstrittenen Erzwingung eines Regimewechsels - siehe Irak - aktiv gefördert. So hat sich die Demokratie in der relativ kurzen Zeitspanne von zwei Jahrzehnten in der gesamten einkommensschwachen Welt verbreitet. Collier interessieren vor diesem positiv klingenden Hintergrund die Folgen für den Frieden.
Vor allem gibt die Tatsache Anlass zur Sorge, dass eine große Gruppe kleiner Länder strukturell gefährlich bleibt. Die Kriege dort, in der untersten Milliarde, sind lang, schmutzig und brutal. Zumeist sind es Bürgerkriege, deren Opfer überwiegend Zivilisten sind und die zehnmal länger dauern als internationale Kriege. Collier arbeitet heraus, dass trotz demokratischer Wahlen in den armen Ländern die Ursachen für neue Konflikte auch weiterhin bestehen.
Nach Ansicht Colliers hat der Westen offenbar die Schwierigkeit bei der Verbreitung der Demokratie unterschätzt und falsche Merkmale in den Vordergrund gestellt: Die Fassade anstelle der grundlegenden Infrastruktur. Dadurch werde die Entwicklung politischer Verantwortung nicht etwa beschleunigt, sondern sogar untergraben. In der Konsequenz können gewaltsame Machtkämpfe die bisherige positive Entwicklung dieser Staaten umkehren. Collier hält politische Gewalt nicht nur für einen Fluch für die Gesellschaft, in der sie ausgeübt wird, sondern sie schädige in vielen Fällen die unmittelbare Nachbarschaft, was tiefgreifende Folgen für die staatliche Souveränität habe.
Der Autor kommt schnell zur Sache: Da die politische Gewalt gesellschaftliche und auch ethnische Gräben vertiefe, redet er einer Strategie das Wort, bei der durch eine kleine Intervention der internationalen Gemeinschaft die politische Gewalt im Inneren der Gesellschaften der untersten Milliarde im Zaum gehalten wird. Collier versichert, dem Imperialismus keine Hintertür öffnen zu wollen, im Gegenteil, auch die ärmsten Länder vorwiegend auf dem afrikanischen Kontinent hätten den legitimen Anspruch auf eine nationale Identität. Die Souveränität aber für unantastbar zu erklären, habe nur zur Folge, dass "vorgetäuschte" Demokratien geschützt würden.
Am Beispiel Sierra Leone verdeutlicht Collier, dass ausländische Truppen - in diesem Fall britische - nach fünf Jahren abgezogen werden und durch eine Schutzgarantie ersetzt werden können. Eine Garantie, die, falls nötig, durch den Einsatz einer schnellen Eingreiftruppe untermauert werden sollte. So habe die bis in die späten 1990er Jahre bestehende französische Garantie für das frankophone Afrika in den dortigen Ländern das Risiko eines Bürgerkriegs durchschnittlich von rund zehn auf drei Prozent gesenkt.
Collier kommt zu dem Schluss, dass Friedensmissionen, die nach und nach einer langfristigen Schutzgarantie Platz machen, das wirksamste Instrument für die Sicherung des Friedens nach dem Ende eines Konflikts sind. Er lässt allerdings konkrete Fragen, wie die nach der personellen Stärke der Einsätze, ihrer Dauer und der Befehlsgewalt offen.
Auch wenn die meisten der 58 Länder der "untersten Milliarde" in Afrika liegen, ist es ein Manko des Buches, die restlichen Nationen überhaupt nicht zu erwähnen. Wenn es in Asien auch weniger Beispiele für labile Demokratien gibt, so wären die Demokratische Volksrepublik Laos oder das nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg eher autokratisch regierte Kambodscha zumindest einen Hinweis wert gewesen.
Der Autor überzeugt immer dann, wenn er seine originellen Thesen mit ausführlichen Untersuchungen und umfangreichem Zahlenmaterial belegen kann. Beispiel Entwicklungshilfe: Die Länder der untersten Milliarde, die insgesamt 34 Milliarden US-Dollar an Entwicklungshilfe erhalten, zweigen 3,7 Milliarden für Militärausgaben ab. Ein erschreckend hoher Betrag als Ergebnis einer Philosophie, den Empfängerländern mehr Verantwortung zu übertragen - was dazu führt, dass die Entwicklungshilfe ungewollt das Wettrüsten im Kleinformat finanziert.
Entwicklungshilfe in ehemaligen Konfliktgebieten hilft also einerseits der Wirtschaft, andererseits fließt sie in staatliche Ausgaben, mit denen neue kriegerische Konflikte bezahlt werden. Der internationalen Gemeinschaft bleiben zwei Möglichkeiten: die Begrenzung des Waffenhandels und zum anderen die Entwicklungshilfe als Instrument zu benutzen, um die Militärausgaben zu steuern.
Gefährliche Wahl. Wie Demokratisie-rung in den ärmsten Länder der Erde gelingen kann.
Siedler Verlag, München 2009; 255 S., 19,95 ¤