Der Wandel von familialen und nichtfamilialen Lebensformen in den vergangenen Jahrzehnten lässt sich für nahezu alle Industrienationen feststellen, wenn auch unterschiedlich in den Anfängen und in ihren qualitativen und quantitativen Ausprägungen. 1 Als Vergleich dient oftmals der Familientypus der modernen bürgerlichen Kleinfamilie, die ihre stärkste Verbreitung in den 1950er/1960er Jahren hatte und die gekennzeichnet ist durch die legale, lebenslange, monogame Ehe zwischen einem Mann und einer Frau, die mit ihren gemeinsamen Kindern in einem Haushalt leben, mit traditioneller, geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Vor diesem Hintergrund wird der Anstieg der nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit und ohne Kinder, der kinderlosen Ehen, der Alleinlebenden und die Zunahme von Ein-Eltern- und Stief-Familien oftmals als "Pluralisierung der Lebensformen" zusammengefasst. Insgesamt weisen verschiedene empirische Analysen leichte Anstiege der Pluralität familialer und nichtfamilialer Lebensformen nach.
Als Ursachen für die Diversifikation von Lebensformen werden die Wohlstandssteigerung, die Bildungsexpansion, die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes, der Wertewandel mit einer stärkeren Betonung von Selbstverwirklichungs- statt Pflicht- und Akzeptanzwerten sowie die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates angeführt. Kritische postmoderne Stimmen verwenden angesichts dieser Zunahme an Wahlfreiheit und Optionsspielräumen die Metapher eines "Supermarktes" mit einem breiten Sortiment von Alternativen und Akteuren, die eine Auswahl treffen. 2 Unstrittige Kriterien für die Klassifizierung von Lebensformen sind der Partnerschafts- und Elternschaftsstatus, der Familienstand und die Haushaltsformen. Strittig ist hingegen, ob nicht Zweitwohnsitze, die sozialen Netzwerkbeziehungen sowie insbesondere die räumliche Mobilität stärker berücksichtigt werden sollten, da sie nachhaltig die alltägliche Organisation des partnerschaftlichen und familialen Zusammenlebens beeinflussen. Die Aufnahme zusätzlicher Kriterien zur Beschreibung und Analyse von Lebensformen wird mit der zunehmenden gesellschaftlichen Komplexität begründet. So haben insbesondere beruflich bedingte Mobilitätserfordernisse im Zuge der Umstrukturierung des Arbeitsmarktes in den vergangenen Jahren zugenommen. Ebenso dürfte die gestiegene Erwerbstätigkeit von Frauen zu einer Erhöhung der Mobilitätsanforderungen insbesondere von Partnerschaften beitragen.
Empirisch stößt die Erforschung von Lebensformen in vielerlei Hinsicht an Grenzen. Zwar haben verschiedene Studien und die amtliche Statistik die Datenlage erheblich verbessert, dennoch lassen sich systematische Defizite ausmachen: Es wird zu stark auf strukturelle Faktoren (wie Bildung, Alter, Beziehungsdauer, Erwerbsstatus) fokussiert, während partnerschaftsspezifische Beziehungs- und Persönlichkeitsmerkmale vernachlässigt werden. Zudem mangelt es an Längsschnittstudien, die es erlauben, individuelle Entscheidungs- und Verarbeitungsprozesse adäquat abzubilden. Im Folgenden werden erste empirische Ergebnisse der neu erhobenen pairfam-Daten kurz dargestellt, die insgesamt das Potenzial haben, lebensformbezogene Analysen erheblich zu erweitern. pairfam ist eine repräsentative Panelstudie zur Beziehungs- und Familienentwicklung in Deutschland und umfasst 12 402 Befragungspersonen, verteilt auf die Altersstufen der 15 - 17-Jährigen (= 4334 Befragte), der 25 - 27-Jährigen (= 4016) sowie der 35 - 37-Jährigen (= 4052).
Wie verteilen sich nun die verschiedenen Lebensformen? In der Gruppe der 15 - 17-Jährigen leben 26 % in einer Partnerschaft, bei den beiden älteren Gruppen beträgt der Anteil bereits 76 %, wobei etwas mehr als 10 % vorher schon einmal mit ihrem jetzigen Partner zusammen waren und Partnerschaftsentwicklungen keineswegs immer gradlinig verlaufen. Nahezu 82 % der Befragungspersonen der älteren Gruppen leben mit ihrer Partnerin bzw. ihrem Partner zusammen. Eine Betrachtung der Lebensformen im Haushalt ergibt folgende Verteilung: Mehr als 90 % der jüngsten Gruppe wohnen mit ihren Eltern und Geschwistern zusammen; der Anteil der Drei-Generationen-Familien liegt hier bei etwa 4 %. Bei den älteren Gruppen zeigt sich ein differenzierteres Bild: Hier ergeben sich höhere Anteile für die Alleinlebenden (15,3 %), für diejenigen, die nur mit ihrem Partner zusammenleben (knapp 18 %), und vor allem für diejenigen, die mit ihrem Partner und ihren Kindern alleine in einem Haushalt leben (41,8 %). Insgesamt zeigt die Verteilung, dass sich der Grad an Ausdifferenzierung von Lebensformen bei diesen Kriterien in Grenzen hält. Wie wirkt sich der Einbezug weiterer Kriterien, wie der zweite Wohnsitz und die verschiedenen partnerschaftlichen Mobilitätstypen aus? Die Analysen ergeben, dass der Anteil derer, die angeben, dass sie noch einen zweiten oder mehr Haushalte haben, in den beiden älteren Kohorten bei lediglich 5 % liegt. Bei der Frage, wie mobil diese Alterskohorten sind, beziehen wir uns auf die von Norbert Schneider (et al.) eingeführten Mobilitätstypen: 3 a) Shuttles (Wochenendpendler, die sich arbeitsbedingt für einen Zweithaushalt am Arbeitsort eines Partners entscheiden) treten in den beiden älteren Gruppen nur bei knapp 1 % der Stichprobe auf. b) Fernbeziehungen, definiert als Partnerschaften mit zwei getrennten, eigenständigen Haushalten, kommen in 18,5 % der bestehenden Partnerschaften der älteren Gruppen vor. Fragt man jedoch zum Beispiel rein deskriptiv, wie "fern" denn diese Fernbeziehungen sind und zieht als Angabe die Information nach der Häufigkeit gemeinsam verbrachter Nächte im vergangenen Monat heran, zeigt sich, dass 37,8 % zwei bis drei Nächte pro Woche, 11,8 % vier bis fünf Nächte und 15 % fast jede Nacht angeben. c) Fernpendler (täglicher einfacher Arbeitsweg von mehr als einer Stunde) sind in 6 % der Partnerschaften zu finden. Dieser Anteil wird jedoch zu gering eingeschätzt, da uns dazu die entsprechenden Angaben der Partnerinnen bzw. Partner fehlen. d) Varimobile (Personen mit variierenden Mobilitätserfordernissen und längeren Abwesenheiten). Bildet man eine Gruppe aus denjenigen, die in den vergangenen drei Monaten mehr als 30 Tage "auswärts" übernachteten, so sind 3 % der Partnerschaften von dieser Situation betroffen. Auch hier wird der Anteil eher noch unterschätzt, da eine entsprechende Angabe der Partner nicht verfügbar ist.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich bei einer ersten groben Übersicht keine starken Differenzierungen hinsichtlich der Lebensformen ergeben. Werden jedoch weitere Kriterien mit einbezogen, welche die alltägliche Haushaltsorganisation, die Partnerschafts- und Familienzeit in zentraler Hinsicht beeinflussen, wie die Angaben zur Mobilität, ergibt sich ein etwas anderes Bild. Zwar findet sich die vielfach beschriebene hoch mobile Gesellschaft in den pairfam-Daten nicht wieder, aber ihr Anteil ist dennoch nicht zu unterschätzen. Diese Ergebnisse geben aber nur einen kurzen Einblick. Die pairfam-Daten enthalten eine Vielzahl von weiteren Informationen, mit denen nunmehr genauer untersucht werden kann, wie sich die unterschiedlichen Faktoren auf die Partnerschaftsqualität und -stabilität, auf die Zeit mit Kindern und andere Aspekte des Familienlebens auswirken. Vor allem ergibt sich durch das Paneldesign der Studie die bisher einmalige Möglichkeit, den Wechsel von Lebensformen vorausschauend zu betrachten und nach ihren Wechselwirkungen mit anderen Lebensbereichen zu fragen. Erst danach kann die Frage beantwortet werden, ob es gerechtfertigt ist, heute von einem "Supermarkt" der Lebensformen zu sprechen.
1 Als
Überblick vgl. Michael Wagner, Entwicklung und Vielfalt der
Lebensformen, in: Norbert F. Schneider (Hrsg.), Lehrbuch Moderne
Familiensoziologie, Opladen 2008, S. 99 - 120.
2 Vgl. Hans-Peter Blossfeld/Marina Rupp,
Familiale Übergänge, in: ebd., S. 139 - 166.
3 Vgl. Norbert F. Schneider et al.,
Mobil, flexibel, gebunden, Frankfurt-New York 2002.