Nach der Wahl
Die Zusammensetzung des Bundestages verspricht spannende Debatten
Dieses Mal haben die Möbelpacker besonders viel zu tun. Nicht nur wegen der Überhangmandate, die den Kreis der ursprünglich 598 Abgeordneten um 24 erweitern. Nein, auch unabhängig davon hat die Bundestagswahl vom 27. September das Erscheinungsbild der fünf Bundestagsfraktionen erheblich verändert. Zum einen zahlenmäßig: Die Union erweitert im Vergleich zur 16. Wahlperiode ihren Kreis um 13 auf nun 239 Abgeordnete, unter ihnen sind 70 Neuzugänge. Die FDP verbucht ein Plus von 32 Parlamentariern und besteht nun aus 93 Abgeordneten, davon gehören 39 zum ersten Mal dem Bundestag an. Die Linke vergrößert sich um 22 und zählt nun 76 Abgeordnete, von diesen feiern 35 ihre Premiere im Parlament. Der Grünen-Fraktion gehören 17 Abgeordnete mehr an, von den nun 68 Abgeordneten beziehen 26 Politiker zum ersten Mal ein Büro in den Bundestagsgebäuden. Gegenüber all diesen Zuwächsen muten die Verluste der SPD besonders dramatisch an: 76 Sitze müssen die Sozialdemokraten räumen, von ihren 146 Vertretern sind 26 Neuzugänge. Angesichts dieser Verluste mag es manchem marginal erscheinen, dass auch die CSU nicht in alter Stärke im Parlament vertreten ist, auch wenn sie nur ein Mandat einbüßte.
Kein Wunder also, dass sich in der ersten Woche nach der Wahl die analytischen Blicke vor allem auf die SPD richteten. Der gescheiterte Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier wird als Nachfolger des Urgesteins Peter Struck an der Fraktionsspitze erst noch beweisen müssen, ob die Fraktion tatsächlich das "Kraftzentrum der Partei" ist, das er in ihr sieht. Leicht wird es nicht, denn immerhin muss sich Steinmeier nicht nur in der Fraktion behaupten. Auch das Zusammenspiel mit einem neuen Parteivorsitzenden muss er erst erproben: Am 1. Oktober bestimmte die SPD-Spitze Noch-Umweltminister Sigmar Gabriel zum neuen Vorsitzenden. Mit Andrea Nahles soll außerdem die meinungsstarke Arbeitsmarktexpertin Generalsekretärin der Partei werden - vorausgesetzt, der Parteitag im November segnet diese Personalpläne ab.
Es spricht einiges dafür, dass die Bundestagsdebatten der 17. Wahlperiode spannender sein werden als zur Zeit der großen Koalition. Erstens deutet sich im künftigen schwarz-gelben Regierungslager schon im Vorfeld der am 5. Oktober beginnenden Koalitionsgespräche genügend Konfliktstoff an. Ob Kündigungsschutz, innere Sicherheit oder Gesundheitspolitik - harmonisch aufeinander abgestimmt wirken die Positionen von Union und FDP in diesen Punkten bisher nicht. Nach der FDP-Präsidiumssitzung am 1. Oktober verkündete Parteichef Guido Westerwelle: "Alles wird verhandelt." Dabei sehen sich die Liberalen in einer starken Position: Um wieder zur Kanzlerin gewählt zu werden, brauche CDU-Chefin Angela Merkel die Stimmen der FDP, betonte schon einmal deren Finanzexperte Hermann Otto Solms und sah seine Partei bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen "auf Augenhöhe" mit der Union. Auch die vom Wähler gebeutelte CSU dürfte kein leichter Verhandlungspartner sein. Ihr Vorsitzender Horst Seehofer will die Koalitionsgespräche durch die starken Töne aus der FDP zwar nicht von vornherein belastet sehen, aber selbst "außerordentlich stark" und "verhandlungsfreudig" in die Gespräche gehen.
Zweitens sieht sich die Regierungskoalition einer zahlenmäßig starken und - außer in der SPD - selbstbewussteren Opposition gegenüber. Und drittens werden die Flügelkämpfe in den jeweiligen Oppositionsfraktionen zunehmen.
In der SPD ist zwar der Streit um eine Neuorientierung in Bezug auf Die Linke schon am Wahlabend entbrannt. Doch auch Die Linke wird Schwierigkeiten haben, im Kampf um das Image als Partei der sozialen Gerechtigkeit ihren Kurs zur SPD zu bestimmen. Bundestagsneuling Sahra Wagenknecht, bekanntestes Gesicht des fundamentalen Parteiflügels, erteilte einem rot-rot-grünen Bündnis schon mal eine Absage. Die ideologischen Kontroversen werden mit Sahra Wagenknecht und Ulla Jelpke auf der einen und den Neuzugängen bei den Realos wie Stefan Liebich auf der anderen Seite wohl eher zunehmen.
Linke und Grüne treffen sich erst in dieser Woche zur Wahl ihrer Fraktionsvorstände. Personelle Veränderungen an der Spitze wird es bei den Linken voraussichtlich nicht geben. Oskar Lafontaine und Gregor Gysi werden die Linkspartei wieder führen. Neben Renate Künast wird sich am 6. Oktober Jürgen Trittin um den Fraktionsvorsitz der Grünen bewerben.
Vor allem inhaltlich werden sich sowohl bei Union und FDP in dieser Woche erste Konturen ihrer künftigen Regierungsarbeit abzeichnen. Aber auch bei Grünen und Linken wird es neben der Besetzung von Posten auch um die inhaltliche Gestaltung ihrer Oppositionsrolle gehen. Die Grünen haben schon angekündigt, das Thema Atomkraft zu einem Schwerpunkt machen zu wollen. An einem Schulterschluss mit der Partei Die Linke haben die Grünen, obwohl in deren neuer Fraktion der linke Flügel gestärkt ist, dagegen bisher kein großes Interesse bekundet.
Vor der konstituierenden Sitzung des Bundestages, die spätestens dreißig Tage nach der Wahl, voraussichtlich am 27. Oktober stattfinden wird, könnte sich das Personalkarussell noch eine Weile drehen. Klarheit gibt es bisher neben dem Kanzlerposten lediglich über das Amt des Bundestagspräsidenten: Die Union hat sich klar für eine zweite Amtszeit von Norbert Lammert (CDU) ausgesprochen.