Die überwältigende Mehrheit der modernen Kriege findet bekanntlich nicht länger zwischen Staaten statt, sondern innerhalb der betroffenen Gesellschaften. Sie trägt deshalb auch einen grundlegend anderen Charakter als klassische, zwischenstaatliche Kriege. 1 Die beiden politisch wichtigsten und häufigsten Formen von Krieg oder größeren Gewaltkonflikten sind heute: • Aufstandskriege (Aufstände und Aufstandsbekämpfung/Counterinsurgency), bei denen - auch, aber nicht nur gewaltsam - um die Machtverteilung in einem Land gerungen wird. Dabei stehen sich in der Regel eine oder mehrere Aufstandsbewegungen und eine Regierung gegenüber. Nicht selten werden eine oder beide Seiten von auswärtigen Regierungen oder nichtstaatlichen Akteuren unterstützt. Die Kriege in El Salvador und Nicaragua der 1980er Jahre sind klassische Beispiele. Sonderfälle bestehen bei Aufständen/Aufstandsbekämpfung gegen - reale oder als solche wahrgenommene - Besatzungstruppen (wie etwa in Afghanistan oder dem Irak, unter anderen Bedingungen in Palästina). • Daneben gibt es kriegerische Auseinandersetzungen oder größere Gewaltkonflikte im Kontext von failed states, bei denen ein funktionierender Staatsapparat entweder nicht (mehr) existiert, irrelevant geworden oder auf das Niveau von Warlords oder Milizen abgesunken ist und verschiedene Gruppierungen (Warlords, ethnische oder ethno-religiöse Gruppen, "Gewaltunternehmer", etc.) um Macht oder Ressourcen kämpfen. Somalia oder Afghanistan in den 1990er Jahren stellen Beispiele dar.
Die Unterschiede zwischen diesen Kriegstypen sind zwar bedeutsam, werden aber oft überschätzt. Beide werden kaum jemals konventionell geführt, auch wenn häufig konventionell bewaffnete militärische Einheiten beteiligt sind. In beiden Fällen sind Kriegsbeendigungen durch militärische "Siege" ausgesprochen selten und oft unmöglich, zumindest bevor nicht eine Seite politisch bereits verloren hat. Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, dass beide Typen keine Gegensätze darstellen müssen, sondern miteinander verbunden sein können: Aufstandskriege können zur Schwächung oder Fragmentierung von bereits fragiler Staatlichkeit führen und das Tor zu einem failing state öffnen. Oder ein Aufstandskrieg kann - falls eine solche Kriegsform bereits im Kontext eines failing state stattfindet - zum endgültigen Auseinanderbrechen oder Scheitern eines Staatsapparates führen, wenn zum Beispiel Aufständische den Staat massiv schwächen, selbst aber nicht die Macht erringen, sondern sich die (auch bewaffneten) Fragmente des Staatsapparates verselbständigen und zu eigenständigen Akteuren werden. Die Grenzen beider Kriegstypen sind also durchaus fließend.
Bei den Fällen von Aufstandskriegen und Kriegen in failed states fällt auf, dass der Gewinn oder Verlust von Territorium und die Größe und Feuerkraft der Streitkräfte von weitaus geringerer Bedeutung, dass sogar die Gewalt und Zerstörungskraft des Krieges von nachgeordneter Relevanz bei der Kriegsentscheidung sind als in klassischen Kriegen. An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass die Begriffe "Sieg" oder "Kriegsentscheidung" eine andere Bedeutung tragen als bei konventionellen Kriegen. Da es "Entscheidungsschlachten" oder direkte militärische Siege bei diesen Kriegsformen kaum gibt, muss hier Erfolg anders definiert werden. Als Kriterium für Erfolg oder "Sieg" kann nur gelten, ob es einer Konfliktpartei gelingt, die politischen Absichten durchzusetzen, die dem Krieg oder Gewaltkonflikt zugrunde lagen. Hierbei kann es sich um die Gewinnung staatlicher Macht, die Bereicherung einer Führungsgruppe oder die Ausbeutung natürlicher Ressourcen handeln, oder auch um die Durchsetzung einer Veto-Position über zentrale Entscheidungen, die Vernichtung einer politischen oder ethnischen Gruppe, die Selbstbestimmung, Autonomie oder Unabhängigkeit. Solche Ziele können durch Kombination politischer und militärischer Mittel auch dann erreicht werden, wenn ein Krieg nicht militärisch "entschieden" wird - in bestimmten Fällen kann sogar die Verewigung des Krieges eine Strategie sein, um ein Ziel zu erreichen. Viele Aufständische haben Kriege dadurch politisch "gewonnen", dass sie ihn gegen überwältigende militärische Übermacht nicht verloren.
Der Kern der meisten aktuellen Gewaltkonflikte und "Kriege" liegt deshalb nicht länger in der Zerschlagung oder Vernichtung der gegnerischen Streitkräfte. Dieses Ziel wird zwar oft weiter verfolgt, ist aber häufig entweder unmöglich zu erreichen oder nur von niederer Priorität - da Aufständische sich selten in größeren Formationen zur Schlacht stellen, sondern in kleinen Einheiten Überraschungsangriffe aus dem Hinterhalt unternehmen. "Entscheidungsschlachten" sind so kaum möglich. Solange sie dabei von relevanten Sektoren der Bevölkerung unterstützt werden und von dieser ohnehin oft nicht zu unterscheiden sind, kann ein "militärischer Sieg" über sie meist nur durch ethnische Säuberung oder Völkermord gelingen.
Deshalb hat sich der im Kern immer "politische" Krieg noch weiter politisiert und wird zunehmend um die Loyalität oder die stillschweigende Tolerierung der Kriegsparteien durch die Bevölkerung geführt. Diese wird zugleich zum Mittel und Ziel der Kriegführung, das hierarchisch organisierte Militär verliert in beider Hinsicht an Bedeutung. Dafür gibt es strategische und taktische Ursachen: Solche gewaltsamen Konflikte werden primär um die politische Macht in einem Land geführt, und nicht, nur indirekt oder in zweiter Linie, um einer fremden Regierung den eigenen Willen aufzuzwingen (etwa eine Provinz abzutreten) oder eine Neuordnung der zwischenstaatlichen Beziehungen durchzusetzen. Innergesellschaftliche "Macht" mag zwar eine wichtige gewaltsame bzw. militärische Dimension beinhalten, ist aber weit komplexer als der Sieg über eine fremde Armee. (Wobei innerstaatliche Machtkämpfe durchaus eine zwischenstaatliche Dimension in sich tragen können, und dies am stärksten, wenn sie unter Beteiligung von Drittstaaten geführt werden. Bezogen auf den Irak und Afghanistan liegt dies auf der Hand.)
Früher wie heute gilt es im Krieg, den Willen und die Fähigkeit (beides hängt offensichtlich eng zusammen) des Gegners zur Fortsetzung des Konflikts zu brechen. Aber während früher beides vor allem von der Funktionsfähigkeit und Stärke der eigenen Streitkräfte abhing, ist dies bei vielen der neuen Kriegsformen nur noch sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr der Fall. Bei den beiden oben genannten Kriegstypen wird dies in der Regel vor allem dadurch erreicht, dass dem Gegner die politische, gesellschaftliche und ökonomische Basis für die Führung des Krieges entzogen wird. Das aktuelle Handbuch der US Army und des US Marine Corps zur Aufstandsbekämpfung bringt dies so auf den Punkt: "It is easier to separate an insurgency from its resources and let it die than to kill every insurgent." 2 Eine solche Trennung mag physisch oder politisch-psychologisch erfolgen - in beiden Fällen geht es darum, den Gegner von seinen materiellen und politischen Hilfsquellen abzuschneiden. Erst danach kann militärisches Vorgehen gegen einen solchen Gegner Erfolg zeitigen. Militärische Gewalt ist damit nicht bedeutungslos, aber sie wird häufig von einer strategischen zu einer - wenn auch wichtigen - taktischen Variablen.
Abgesehen vom nackten Zwang bis zu systematischem Staatsterror und ethnischen Säuberungen bleibt als Strategie zur erfolgreichen Beendigung von Aufstands- und unkonventionellen Bürgerkriegssituationen sowohl für Aufständische als auch Regierungen nur das zähe Ringen um die Unterstützung und Loyalität der zentralen gesellschaftlichen Sektoren des betroffenen Landes. In failed states tritt diese Notwendigkeit zum Teil erst deutlich verzögert ein, wenn es darum geht, die substaatlichen Machtbereiche auf Dauer zu sichern und zu quasi-staatlichen Einheiten zu transformieren. Die Herrschaft Ismail Khans im afghanischen Herat stellte ein Beispiel dafür dar, dass auch Warlords dieses Erfordernis erkennen. Dabei geht es allerdings nicht um oberflächliche Phänomene wie - prinzipiell schnell wandelbare - Zustimmungswerte bei Umfragen, sondern um die gesellschaftliche Verfestigung und das Organisieren der Akzeptanz der politischen Kräfte. Deshalb wird der Kampf um Governance-Strukturen (also um gesellschaftliche Regelungsstrukturen staatlicher, halbstaatlicher oder nichtstaatlicher Art) zum strategischen Hebel solcher unkonventionellen, gesellschaftlichen Kriege. Letztlich ringen die Kriegsparteien um gesellschaftlich organisierte Legitimität - und jede militärische Gewaltanwendung, die diesem Ziel nicht dient oder ihm gar schadet, wirkt kontraproduktiv, selbst wenn sie im konventionellen Sinn "erfolgreich" sein mag.
Das Counterinsurgency-Handbuch von US Army und US Marine Corps formuliert diese Punkte in großer Klarheit: "Political power is the central issue in insurgencies and counterinsurgencies; each side aims to get the people to accept its governance or authority as legitimate. (...) The prime objective of any COIN (counterinsurgency; JH) operation is to foster development of effective governance by a legitimate government. Counterinsurgents achieve this objective by the balanced application of both military and non-military means. (... ) (T)he decisive battle is for the people's minds." 3
In Bürgerkriegs- und Aufstandssituationen wird es praktisch immer ein breites Spektrum an Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung geben: Politisch oder ideologisch von der Sache der Aufständischen vollkommen Überzeugte, sie eher opportunis tisch oder halbherzig Bevorzugende, Gleichgültige oder Neutrale, opportunistische oder halbherzige Regierungssympathisanten, überzeugte Regierungsanhänger, darüber hinaus Sektoren, die von einer oder beiden Seiten entweder eingeschüchtert, bedroht oder durch materielle oder andere Vorteile begünstigt werden. Ähnliches gilt weitgehend in Kriegen in failed states. Keiner Konfliktpartei wird es in der Regel gelingen, die gesamte Bevölkerung oder den überwältigenden Teil zu überzeugten Parteigängern zu machen, aber dies ist für einen Erfolg auch nicht erforderlich. Um einen solchen Krieg erfolgreich zu beenden reicht es meist, über einen überzeugten und organisierten Stamm eigener Unterstützer zu verfügen, die allerdings auch aktiv und mobilisierbar sein müssen (z.B. Informationen, Nahrungsmittel und andere Unterstützungsleistungen oder Rekruten bereitstellen). Gleichzeitig müssen die soziale Basis der Gegenseite demotiviert, geschwächt oder politisch gelähmt und den größten Teil der Bevölkerung zumindest zu wohlwollender Neutralität bewegt werden.
Um diesem strategischen Ziel nahezukommen, müssen die Bürgerkriegsparteien • den entsprechenden Teilen der Bevölkerung etwas zu bieten haben, das die andere Seite nicht bereitstellen kann oder will (z.B. eine Landreform, politische Partizipation, Befreiung von ausländischer Besatzung, Wirtschaftswachstum, Stabilität, Rechtssicherheit, Überleben); • legitimer erscheinen als die Gegenseite, gleich auf welche Weise; • die politische Unterstützung aus Teilen der Bevölkerung organisatorisch verfestigen und verstetigen und für den politischen und militärischen Kampf nutzbar machen; und • soweit möglich die sympathisierenden Bevölkerungsteile vor Repression und Verfolgung der Gegenseite schützen, zugleich die antagonistischen Gesellschaftssegmente verunsichern.
Darüber hinaus bietet es sich oft an, • diese politischen Kernelemente programmatisch und ideologisch auf eine für die Bevölkerung plausible Art zusammenzufassen, welche die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft fördert.
Im Rahmen von failed states spielt darüber hinaus die ökonomische oder infrastrukturelle Abhängigkeit der Bevölkerung im Rahmen einer Kriegsökonomie eine besondere Rolle, um die Bevölkerung einer Region zum Wohlverhalten zu bewegen, etwa durch Beschäftigungsmöglichkeiten in Milizen oder Schmuggel.
Das Ziel all dieser Anstrengungen besteht darin, Bedingungen zu schaffen, damit die Aufständischen - in den bekannten Worten Mao Tse Tungs - sich wie "Fische im Wasser" der Bevölkerung bewegen können, oder, aus der Perspektive der Regierung, die "hearts and minds" der Bevölkerung für sich gewinnen. Genau darin liegt der strategische Schwerpunkt jedes unkonventionellen Bürgerkriegs und jedes Aufstands, der über Sieg oder Niederlage entscheidet. Militärische Mittel sind für die Kriegsbeendigung hierbei nur relevant, wenn sie diesem Ziel dienen oder den Gegner dabei behindern. Es ist offensichtlich, dass die Feuerkraft und Größe der Streitkräfte oder das Erobern oder Halten von Territorium weniger relevant sind als eine feste und dauerhafte politische Verankerung.
Dabei verfügen existierende staatliche Strukturen prinzipiell über einen politischen Vorsprung. Real existierende gesellschaftliche und politische Strukturen erscheinen der Bevölkerung zuerst einmal legitimer und "realistischer" als nur gedachte Alternativen. Das Gegebene empfindet man leicht als "normal" und selbstverständlich, bestehende gesellschaftliche Strukturen laden dazu ein, sich zu arrangieren und darin einzurichten. Dagegen haben Aufständische zuerst einmal wenig mehr anzubieten, als möglicherweise ungedeckte Wechsel auf die Zukunft. Daraus resultiert viererlei, nämlich: (1) dass bei funktionierenden und erträglichen oder gar akzeptablen staatlichen (oder substaatlichen) Strukturen Aufstandsbewegungen kaum eine Chance haben; (2) dass bei einer entstehenden oder bestehenden Aufstandssituation die theoretisch beste staatliche Strategie darin besteht, durch Reform zu einem funktionierenden und legitimen Staatsapparat zu werden - wobei manche illegitimen Regierungen diesen Weg kaum beschreiten können, ohne selbst die Macht zu verlieren; (3) dass die Aufständischen häufig darauf zielen werden, einen bereits illegitimen, nur teillegitimen und/oder kaum funktionierenden Staatsapparat genau daran zu hindern und ihn weiter zu schwächen, indem sie seine funktionierenden Elemente zum Ziel politischer und militärischer Angriffe machen; und (4) dass die Aufständischen selbst sich stark darum bemühen werden, Elemente von Gegenstaatlichkeit aufzubauen, sei es in "befreiten Gebieten" oder parallel zu offiziellen Staatsorganen. Dabei geht es insbesondere um die Schaffung eines eigenen Rechtswesens (mit entsprechend hohem Legitimationspotential für die Aufständischen) oder Steuerwesens (mit offensichtlich hoher Bedeutung für die Kriegsfinanzierung).
Hierin liegt die politische Bedeutung einer Einführung der Scharia in Regionen des Irak, Afghanistans oder Pakistans, die dem Staat das Rechtswesen entwinden soll. Auch die Etablierung von Schulen und Krankenhäusern bietet sich an, da sie die Kooperationsnotwendigkeit der Bevölkerung mit den staatlichen Instanzen vermindert, ihre direkten Bedürfnisse befriedigen hilft und propagandistisch und legitimatorisch attraktiv ist. In modifizierter Form gilt dies auch für Warlords, die ihre Herrschaft über ein bestimmtes Gebiet so leichter absichern und stabilisieren können. Bei ihnen - aber auch in den meisten anderen Bürgerkriegsformen - hat allerdings die Zerstörung der Governance-Stukturen der Gegenseite Vorrang vor dem Aufbau eigener.
Insgesamt hat sich der Trend zum politisch-sozialen - statt primär militärischen - Krieg fortgesetzt. Diese Aussage darf allerdings nicht missverstanden werden: Selbstverständlich waren Kriege auch früher immer "politisch", da sie der Durchsetzung politischer Ziele dienten und auch unbeabsichtigte politische Wirkungen hatten; und ebenso selbstverständlich sind Kriege heute weiterhin gewaltsam und "militärisch" - sonst würde es sich ja nicht um Kriege handeln. Der Unterschied besteht vielmehr darin, dass die innergesellschaftlichen Kriege nicht nur wie ihre "klassischen" Verwandten in letzter Instanz politischen Zielen dienen, während sie selbst vor allem ein militärisches Kräftemessen darstellten, sondern dass sie in der Regel bereits auf der taktischen Ebene und direkt auf politische Ergebnisse orientiert sind, nämlich auf die Beeinflussung des Verhaltens und der Einstellung der Bevölkerung.
Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass in unkonventionellen Bürgerkriegen, bei Aufständen und Guerillakriegen in aller Regel die strategische Entscheidung auf der politischen Ebene fällt, nicht nur, wie erwähnt, durch die Gewinnung der Loyalität der Bevölkerung, sondern auch durch die Überzeugung der Öffentlichkeit eines intervenierenden Drittlandes von der Legitimität, der Sinnhaftigkeit und dem Erfolg eines Krieges, beziehungsweise von dessen Sinnlosigkeit oder seiner Ungewinnbarkeit.
Militärische Mittel und Gewalt haben auf diesen Ebenen vor allem taktische Bedeutung. Beispielsweise sind Verluste von Regierungstruppen oder intervenierenden Streitkräften dritter Länder potenziell relevant, um deren Regierung die Aussichtslosigkeit des Krieges zu demonstrieren - aber nicht, weil solche die militärische Niederlage der Regierung einleiten würden. In diesem Sinne spielt militärische Macht eine flankierende, absichernde und wichtige taktische Rolle, wird aber kaum jemals eine strategische Entscheidung herbeiführen.
Konventionell ausgebildete Militärs und viele zivile Politiker neigen trotzdem dazu, sich auf eine konventionelle militärische Übermacht zu verlassen und diese für den wichtigsten Indikator des kriegerischen Erfolgs zu halten. Die Zahl getöteter Feinde wird so zu einem zentralen Maß des militärischen Fortschritts - unabhängig davon, ob durch sie die politische Unterstützung des Feindes in der Bevölkerung ansteigt. Der Charakter solcher Kriege wird dabei grundlegend verkannt. In den Worten des britischen Ex-Generals Rupert Smith: "Capturing the will of the people is a very clear and basic concept, yet one that is either misunderstood or ignored by political and military establishments around the world. The politician keeps applying force to attain a condition, assuming the military will both create and maintain it. And whilst for many years the military has understood the need to win the 'hearts and minds' of the local population, this is still seen as a supporting activity to the defeat of the insurgents rather than the overall objective, and it is often under-resourced and restricted to low-level acts to ameliorate local conditions and the lot of the people." 4
Die in diesem Beitrag behandelten Kriegstypen können prinzipiell wie konventionelle Kriege durch Verhandlungen und Kompromisse beendet werden - wenn auf allen relevanten Seiten der politische Wille dazu vorhanden ist. Dies impliziert, dass sich während des Krieges die Kosten-Nutzen-Einschätzungen im Unterschied zum Kriegsbeginn verändert haben müssen, was durch sehr unterschiedliche Faktoren bewirkt werden kann: Etwa durch Erschöpfung oder Kriegsmüdigkeit, die wachsende Einsicht in die Nichterreichbarkeit der ursprünglichen Kriegsziele, veränderte gesellschaftliche oder internationale Rahmenbedingungen, materielle Anreize oder die Vermeidung materieller Nachteile, einen Wechsel des Führungspersonals oder eine Neudefinition der eigenen Interessen. Dabei sind politisch-psychologische Faktoren als fördernd oder hemmend zu berücksichtigen, beispielsweise die emotionale Aufladung ethnischer oder ethno-religiöser Identitäten, Prestigedenken und Bedürfnisse der Gesichtswahrung, Traumatisierung aufgrund exzessiver Gewalt, und ähnliche, die in der Regel eng mit den zuvor erwähnten Faktoren verknüpft sind und in Mischformen auftreten.
Solche Lösungen durch Kompromiss und Verhandlungen sind allerdings nicht zu jedem Zeitpunkt möglich, sondern erst wenn der politische Wille dazu entstanden ist - und dieser kann nicht einfach vorausgesetzt oder unterstellt werden. Außerdem gelingen sie am ehesten bei einer möglichst geringen Zahl an Konfliktparteien, die darüber hinaus die reale Kontrolle über ihre bewaffneten Kräfte ausüben. Bei einer zunehmenden Zahl an Kriegsparteien vermindern sich die Chancen auf eine diplomatische Lösung - alle anderen Voraussetzungen gleichgesetzt - da die Wahrscheinlichkeit steigt, dass einige relevante Gruppen zu "Störenfrieden" (spoilern) werden und sich einer politischen Lösung verweigern. Die Chance auf eine Verhandlungslösung sinkt ebenfalls, wenn politische Führer unfähig sind, wirksame Kontrolle über ihre Streitkräfte und Anhänger auszuüben. Dann mag zwar ein politischer Kompromiss zwischen den Führern möglich sein, wird aber innerhalb der verfeindeten Lager nicht akzeptiert werden.
Diese Erschwernis eines Friedensschlusses hängt offensichtlich damit zusammen, dass die oft heterogenen Bevölkerungen im Krieg nicht länger abseits stehen, nicht länger auch bloße Opfer der Kriege sind, sondern selbst zu Subjekten und teils auch zu Tätern werden. Wenn aber unterschiedliche Teile einer Gesellschaft, teilweise Nachbarn, aneinander Massaker, Vergewaltigungen und Vertreibungen begehen, hinterlässt dies tiefere emotionale Wunden als die Gewalt zweier staatlicher Armeen gegeneinander. Damit stellt sich die schwierige Aufgabe, zumindest einen Teil des Friedensprozesses von der diplomatischen Ebene auch in die Gesellschaft hineinzuverlegen, wofür es bisher nur wenige und überwiegend unzureichende Erfahrungen gibt.
Eine Beendigung innergesellschaftlicher unkonventioneller Kriege durch den "Sieg" einer Seite - das idealtypische Ende klassischer Kriege - trägt einen völlig anderen Charakter als bei primär militärischen Auseinandersetzungen. Er ist notwendigerweise graduell und oft zuerst kaum erkennbar: Da solche Kriege gerade nicht durch Entscheidungsschlachten gewonnen werden, sondern durch die Stärkung und Festigung staatlicher oder Governance-Strukturen und die mühsame Überzeugung der Bevölkerung davon, dass es sich um "ihren" Staat handelt (bzw. durch die schrittweise Delegitimierung eines Staates und seine phasenweise Ersetzung durch eine Gegenstaatlichkeit der Aufständischen), lässt sich häufig erst in der Rückschau angeben, wann genau ein solcher "Sieg" eintritt. Ein bloßes Nachlassen des Gewaltniveaus beispielsweise ist nicht sofort als Indiz für ein bevorstehendes Kriegsende zu betrachten, da das Gewaltniveau häufig schwankt oder zyklisch verläuft.
Der entscheidende Hebel zu einer dauerhaften Beendigung solcher Kriege - im Gegensatz zu einer möglicherweise auch mehrjährigen Kampfpause aus Erschöpfung - liegt in der Schaffung zugleich legitimer und grundlegend funktionsfähiger Governance-Strukturen, die in der Gesellschaft akzeptiert werden, diese zumindest stärker integrieren als frühere Modelle, ein grundlegendes Rechts- und Sicherheitswesen bereitstellen und Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen. Solche Governance-Strukturen dürfen allerdings nicht nur symbolisch - etwa auf die Hauptstadt beschränkt - bleiben, sondern müssen bürgernah möglichst im ganzen Land verankert sein und persönliche und Rechtssicherheit zum Kern haben. Staatliche oder parastaatliche Strukturen, die Willkür, "Ungerechtigkeit" oder Fremdherrschaft verkörpern, können ihr Ziel der Stabilisierung und Beendigung von Gewaltkonflikten nicht erreichen, sondern erscheinen als illegitim und sind in der Regel konfliktfördernd. Die Verlässlichkeit und Fairness dieser Institutionen sind in erster Linie von Bedeutung, in zweiter ihre Wirksamkeit und Effizienz, erst danach folgen Partizipationsmöglichkeiten oder demokratische Elemente. In einem solchen Rahmen von Governance kann auch die Schaffung sozialer Infrastruktur (etwa Schulen, Krankenhäuser, etc.) einen Beitrag leisten, während sie ohne diese Voraussetzung keine nachhaltige Wirkung erreicht.
Innergesellschaftliche Kriege werden also insgesamt durch eine Reintegration fragmentierter gesellschaftlicher Strukturen zu erreichen sein, die ihrerseits bestimmte Formen von staatlicher oder substaatlicher Governance voraussetzt. Erst auf dieser Basis gewinnt die Anwendung militärischer Gewalt in Kontexten von Aufstandskriegen oder failed states eine mögliche Relevanz zur Kriegsbeendigung, sonst wird sie den Krieg eher in die Länge ziehen und die Opferzahl erhöhen. Deshalb sollte nicht vergessen werden, dass sowohl militärisch gestützte "Sicherheit" als auch Entwicklungspolitik dieses Ziel nicht aus sich selbst erreichen können, sondern nur, wenn sie beide in den Dienst der Schaffung eines Systems legitimer und wirksamer Governance-Strukturen gestellt werden.
1 Dieser Beitrag
basiert auf einer gekürzten und überarbeiteten Fassung
von: Jochen Hippler, "The Decisive Battle is for the People's
Minds" - Der Wandel des Krieges: Folgerungen für die
Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik, in: Jochen
Hippler/Christiane Fröhlich/Margret Johannsen/Bruno
Schoch/Andreas Heinemann-Grüder (Hrsg.), Friedensgutachten
2009, Münster 2009, S. 32 - 47.
2 US Army/US Marine Corps,
Counterinsurgency, Field Manual No. 3 - 24, Chicago 2007, S.
40.
3 Ebd., S. 2, 37, 49; Hervorhebung durch
den Autor.
4 Rupert Smith, The Utility of Force -
The Art of War in the Modern World, London 2006, S. 277 -
278.