Annähernd 1.000 Menschen wurden an der Westgrenze des SED-Staates erschossen. Nur rund vierhundertfünfzig Angeklagte standen deswegen nach dem Mauerfall vor Gericht. Fast zwei Drittel von ihnen kamen mit Bewährungsstrafen davon, etwa ein Drittel sprach man frei.
Diese Privilegierung von Staatskriminellen war keine zwangsläufige Folge des deutsch-deutschen Einigungsvertrages, und sie war auch vom Strafgesetzbuch so nicht vorgegeben, wie oft und gern behauptet wird. Wenn das wahr wäre, hätte man nicht sieben Todesschützen und zwei Dutzend Befehlsgeber zu unbedingten Haftstrafen verurteilen können.
Die erneute Bevorzugung von deutschen Diktaturverbrechern hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zuerst mit seinen Grundsatzurteilen ausdrücklich gewollt beziehungsweise widerspruchslos hingenommen.
Als "Strafzumessungskorsett" bezeichnete diese BGH-Rechtsprechung 1998 der Richter am Berliner Landgericht Friedrich-Karl Föhrig - er hatte Urteile gegen Grenztruppen-Angehörige aller Hierarchiestufen ausgesprochen. Alle einschlägigen Verurteilungen, sagt Föhrig, stünden "im groben Missverhältnis zum objektiven Tatunrecht", sie seien "bloß symbolische Bestrafungen".
Doch die meisten Richter in Prozessen wegen Gewalttaten an der DDR-Grenze sind schließlich dem BGH gefolgt, widerspruchslos. Der legitime Sühneanspruch der Opfer und ihrer Hinterbliebenen wurde übergangen - wieder einmal.