In Khartum ist sie unerwünscht. Als die Parlamentariergruppe Östliches Afrika im Frühjahr vergangenen Jahres in den Sudan reisen wollte, erhielten alle Abgeordneten von der sudanesischen Botschaft ein Visum. Nur Kerstin Müller ging leer aus. Die außenpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen war nicht überrascht, schließlich war es nicht das erste Mal. Und auf den Grund für diese Ablehnung ist sie heute noch stolz. Als erste Regierungsvertreterin eines Mitglieds des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen berichtete sie im Jahr 2004 im Sicherheitsrat über den sich anbahnenden Völkermord in Darfur, einer Provinz im Westen Sudans. Das Ergebnis: Ein Jahr und viele Verhandlungen später überwies der Sicherheitsrat den Fall Darfur an den Internationalen Strafgerichtshof - er sollte die Verantwortlichen für die Morde verfolgen.
In Müllers Stimme schwingt Stolz mit, wenn sie von diesen Erlebnissen erzählt. Damals war sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Vor der Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York hatte sie ein Flüchtlingslager an der Grenze von Tschad zum Sudan besucht. "Da herrschte das totale Chaos. Tausende Flüchtlinge kamen täglich. Wenn man das sah, war klar, da entwickelt sich eine Katastrophe", sagt Müller. Auch die Uno waren im Bilde - doch wurde zu dem Zeitpunkt noch auf den Abschluss eines Friedensvertrages zwischen der Regierung in Khartoum und der ehemaligen Guerillaarmee im Südsudan gewartet und einige Sicherheitsratsmitglieder lehnten es zunächst ab, gegen beide Konflikte gleichzeitig vorzugehen.
Müllers politische Karriere ist von Anfang an mit Flüchtlings- und Asylfragen verbunden. 1963 in Siegen geboren, studiert sie später Jura in Köln. "Ich wollte immer Anwältin werden, mich für die gerechte Sache einsetzen." 1986 tritt sie den Grünen unter anderem wegen deren Haltung in Flüchtlingsfragen bei. "Ich habe es als große Ungerechtigkeit empfunden, dass Menschen wegen Krieg und Verfolgung fliehen müssen und dann im scheinbar sicheren Hafen Deutschland nicht einmal angemessen behandelt werden", begründet Müller ihr Engagement.
1994 wird sie in den Bundestag gewählt, bis 2002 ist sie Fraktionsvorsitzende, von 2002 bis 2005 Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Ursprünglich wollte sie in den Rechtsausschuss, sagt sie. Doch auch als Fraktionsvorsitzende findet sie Wege, sich für Minderheiten zu engagieren. Sei es mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz, mit dem homosexuellen Paaren die eingetragene Lebenspartnerschaft ermöglicht wird, oder dem Zuwanderungsgesetz.
Afrika liegt ihr am Herzen, während der Zeit als Staatsministerin spezialisiert sie sich darauf. Und ruft manchmal erstaunte Blicke hervor, wenn sie zu Gesprächen ins Ausland fährt. "In Skandinavien ist eine Frau in der Außenpolitik durchaus normal, aber in anderen Teilen der Welt hat dies in meiner ersten Zeit als Staatsministerin manchmal erstaunte Blicke hervorgerufen", erzählt sie und lacht. "Aber die akzeptierten das alle schnell."
Müller setzt sich ein für ein internationales Rechtssystem, das die politisch Verantwortlichen für Kriege zur Rechenschaft zieht. "Frieden bedeutet auch Gerechtigkeit für die Opfer." Noch lieber wäre es ihr, wenn die internationale Gemeinschaft eingreifen würde, bevor Konflikte ausbrechen. Dass es dazu nicht ausreicht, wenn Krisen früh erkannt werden, sondern auch rasch und effizient eingegriffen werden muss, weiß sie noch aus Darfur. "Das Drama ist, dass wir die Katastrophe früh erkannt haben und trotzdem kam alles zu spät. Mehr als 300.000 Menschen sind tot. Frieden gibt es immer noch nicht", sagt Müller.
Natürlich beschäftigt die 46-Jährige sich nicht ausschließlich mit internationalen Krisen. Die gebürtige Rheinländerin ist begeisterte Anhängerin der "fünften Jahreszeit". "Ich bin ein fröhlicher Mensch", sagt sie über sich. Vor fast vier Jahren ist noch ein Grund zum Fröhlichsein dazu gekommen: Töchterchen Franka-Marie. Sie ist ein zusätzlicher Punkt, warum es sich für sie lohnt, gegen Kriege anzukämpfen: "Sie sensibilisiert mich noch mal mehr für Kinderrechte. Und Kinder sind von Kriegen ja besonders betroffen."