ZENTRALE STELLE
NS-Verbrechern auf der Spur
Vor einem Jahr stand er noch auf der Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums mit den zehn meistgesuchten Kriegsverbrechern des Nationalsozialismus. Nun wird in drei Wochen, am 30. November, vor dem Amtsgericht München der Prozess gegen ihn beginnen: John Demjanjuk. Dass der 89-Jährige sich mehr als 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vor Gericht für die Ermordung von mehr als 29.000 Menschen im Vernichtungslager Sobibor verantworten muss, ist einem Zufall zu verdanken. Als die USA Demjanjuk 2002 die Staatsbürgerschaft entziehen wollten, wurde die "Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" in Ludwigsburg hellhörig. "Es war ein Zufall, dass wir das mitbekommen haben", sagt Kurt Schrimm, Oberstaatsanwalt und Leiter der Zentralen Stelle. Einer der insgesamt sieben Ermittler der Zentralen Stelle fragte beim amerikanischen Office of Special Investigation (OSI) nach, einer Behörde, deren Aufgabe es ist, amerikanische Staatsbürger aufzuspüren, die beim Erhalt der amerikanischen Staatsbürgerschaft bewusst verschwiegen haben, dass sie an Kriegsverbrechen der Nationalsozialisten beteiligt waren.
Die Zentrale Stelle erhielt Einblick in die Akten und kam zu dem Ergebnis, "dass dieses Material wohl ausreichen könnte, um in Deutschland einen Tatverdacht gegen Demjanjuk zu begründen", erklärt Schrimm.
Ein Anhaltspunkt ist alles, was Schrimm und seine Mitarbeiter benötigen, um mit den Ermittlungen zu beginnen: Material über das Vernichtungslager zusammentragen, sich mit den Hintergründen vertraut machen. "Im Fall Demjanjuk ist ein Punkt entscheidend: Ein Kollege, der mit dem Fall befasst war, hat Transportlisten gefunden, mit denen man nachweisen kann, wer nach Sobibor deportiert und umgebracht wurde, als Demjanjuk dort war." Es sei also nicht so wie in den meisten Fällen, dass man es mit einer anonymen Zahl zu tun habe, sagt Schrimm. Aufgrund der Listen sind mehr als 29.000 Opfer namentlich bekannt.
Die Arbeit der Zentralen Stelle ist aber nicht nur von Zufällen abhängig. "Wir suchen auch heute noch zum Beispiel in den Archiven der ehemaligen Sowjetunion nach Hinweisen auf Täter", sagt Schrimm.
Für ihn geht es dabei auch nach so langer Zeit um etwas Grundsätzliches: "Solange wir nicht ausschließen können, dass es noch Täter gibt, die belangt werden können, machen wir weiter." Allerdings räumt er ein: "Wenn wir heute noch Namen finden, müssen wir immer damit rechnen, dass wir zu spät kommen."