IRAK
Ein neues Gesetz macht den Weg frei für Parlamentswahlen im Januar. Doch das Land bleibt gespalten
Das irakische Abgeordnetenhaus hat ein neues Wahlgesetz verabschiedet. Die Iraker können demnach am 21. Januar 2010 an die Urnen gehen und ein neues Parlament wählen. Als US-Präsident Barack Obama diese Nachricht erreichte, gab er sofort eine begeistert klingende Stellungnahme ab: "Das ist ein wichtiger Meilenstein für das irakische Volk!" Er hätte auch sagen können: "Das ist ein Meilenstein für meine Strategie." Denn Obama möchte seine Soldaten aus dem Irak so schnell wie möglich abziehen, um sich ganz und gar auf Afghanistan zu konzentrieren. Mit anderen Worten: Er will den "falschen" Krieg im Irak beenden, um den "richtigen" Krieg in Afghanistan zu gewinnen. Aber der beschleunigte Abzug der US-Truppen soll nicht den Eindruck erwecken, man hinterlasse ein Chaos. Ein frisch legitimiertes irakisches Parlament, eine Regierung und einen Premierminister sind da mehr als nützlich.
So gut die Nachricht aus Bagdad aber auch war, so sehr hat die Debatte um das Wahlgesetz gezeigt, wie tief der Irak gespalten ist. Der Riss verläuft zwischen der arabisch dominierten Regierung in Bagdad und den kurdischen Parteien. Die Kurden setzten im Parlament durch, dass die Wahlregistrierungskarten ihrer Regionalwahlen aus dem Jahr 2009 als Grundlage für die Parlamentswahlen im kommenden dienen werden. Das ist für sie ein großer Erfolg. Dazu muss man wissen, dass die kurdische Regionalregierung drei der insgesamt 18 Provinzen Iraks verwaltet, allerdings eine vierte Provinz mit einschließen möchte: Kirkuk. In dieser Provinz liegen die größten Erdölfelder des erdölreichen Irak. 16 Milliarden Barrell sollen es sein. Gelänge es den Kurden, Kirkuk in ihre autonomes Verwaltungsgebiet einzugliedern, bräuchten sie den Irak wohl nicht mehr. Ohnehin unterstellen die Araber den Kurden, dass sie früher oder später einen unabhängigen Staat errichten wollten. Das dementieren die kurdischen Parteien zwar, doch ihr Gebiet funktioniert heute schon fast wie ein souveräner Staat. Er hat eine eigene Währung, eine Zentralbank, ein Heer, eine Flagge, eine Hymne. Kirkuk wäre die Krone eines Staates Kurdistan. Masud Barzani, Präsident der autonomen Region Kurdistan, hat schon eine entsprechende Vision entwickelt. Er möchte aus seinem Land ein zweites Dubai machen.
Das Problem dabei ist: In Kirkuk leben nicht nur Kurden, sondern auch sehr viele Araber und Turkmenen. Und die wollen sich nicht in Kurdistan eingliedern lassen. Sie wollen Teil des Irak bleiben. Die Aussichten dafür aber sind ungewiss.
Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 ist es nämlich zu einer massiven kurdischen Zuwanderung nach Kirkuk gekommen. Diese Kurden sind als Wähler in den Regionalwahlen 2009 registriert worden. Die Araber und Turkmenen behaupten, dass die kurdischen Parteien die Zuwanderung bewusst förderten, um sie zu majorisieren und Kirkuk auf diese Weise in ihr Gebiet inkorporieren zu können. Die Kurden ihrerseits sagen, es handle sich bei den Zugewanderten um jene Menschen, die der Diktator Saddam Hussein in den achtziger Jahren vertrieben hat. Sie nähmen nur ihr Heimatrecht in Anspruch. Tatsächlich versuchte Saddam Kirkuk zu "arabisieren", um die Kontrolle über das Erdöl zu haben. Doch es gibt viele Hinweise, dass die Kurden in der Tat ihrerseits Kirkuk in einem umgekehrten Prozess "kurdisieren". Dagegen regt sich Widerstand auf der arabischen Seite. Der Konflikt entlädt sich immer wieder in gewalttätigen Eruptionen. Kirkuk gehört heute zu den gefährlicheren Regionen Iraks.
Es ist nicht klar, ob die Wahl die Lage beruhigen wird. Es ist eher das Gegenteil zu erwarten, denn mit dem Wahlkampf beginnt auch der Kampf um Kirkuk. Und die Positionen sind unvereinbar. Die Kurden erheben ihren Anspruch auf die Provinz und sind nicht bereit davon abzurücken. Wie entschlossen sie sind, bewies am 10. November der kurdische Präsident Massud Barzani bei einem Besuch im Europaparlament. Er weigerte sich, die Gewinne der Erdöleinnahmen, die in Kurdistan erzielt werden, nach Bagdad abzuführen. Damit verstößt Barzani bewusst gegen die Verfassung. Dort ist nämlich festgelegt, dass die verschiedenen Regionen ihre Erdöleinnahmen nach Bagdad überweisen müssen. Bagdad verteilt dann die erzielte Profite nach einem festgelegten Schlüssel neu. Kurdistan stehen laut diesem Schlüssel 17 Prozent der Einnahmen zu.
Barzani aber sagte: "Bis die Streitigkeiten um Regionen wie Kirkuk gelöst sind, bleiben wir dabei, dass die der Region Kurdistan zustehenden 17 Prozent auf das Konto von Kurdistan selbst gehen und nicht an das Finanzministerium in Bagdad verteilt werden sollten, weil sie diese Gewinne oft genug als Waffe gegen uns verwenden. Das ist unser gutes Recht." Der Streit überschattet die Parlamentswahl. Auch der kurdische Präsident Barzani glaubt nicht daran, dass der Konflikt um das Öl noch vor der Abstimmung am 21. Januar gelöst wird. Und es gibt inzwischen verschiedentlich die Forderung, sie zu verschieben. Dann aber müsste Obama sein Soldaten länger im Irak behalten. Die USA würden weiter im nahöstlichen Gewirr verheddert bleiben.