DEMOKRATISIERUNG
Die Hoffnung auf sozialen Ausgleich, wirtschaftliche Entwicklung und größere politische Teilhabe hat sich in der Region nur selten erfüllt
Die globale Wende von 1989 erreichte das südliche Afrika nur mit kurzer zeitlicher Verzögerung - und leitete in der gesamten Region eine Welle der Demokratisierung und die Abkehr vom Ein-Parteien-Staat ein. Doch keine Entwicklung jener Zeit war von größerer Bedeutung als das Ende der weißen Vorherrschaft in Südafrika und der Amtsantritt des African National Congress (ANC) nach dem ersten freien Urnengang 1994. Viele Menschen erhofften sich durch repräsentativere Machtstrukturen eine Verbesserung ihrer eigenen sozialen Lage, denn extreme Einkommensunterschiede und weit verbreitete Armut prägten die gesellschaftliche Landschaft der Region auch Jahrzehnte nach dem Ende des Kolonialismus.
Heute, zwei Dekaden nach dem erwartungsvollen Aufbruch, fällt die Bilanz bezüglich der Hoffnungen auf sozialen Ausgleich, wirtschaftliche Entwicklung sowie größere politische Teilhabe ernüchternd aus. In den meisten Ländern des südlichen Afrika sind die offiziellen Institutionen durchdrungen von der Logik des ungleichen Tausches zwischen Patronen und ihren Klienten. Korruptionsskandale, Machtmissbrauch, die Manipulation der Verfassungen und die Verfolgung von Oppositionellen sind Ausdruck dieser politischen Kultur. Bereits vor sechs Jahren konstatierten einige renommierte Wissenschaftler in einem gleichnamigen Buch die "Grenzen der Befreiung im südlichen Afrika" und erklärten, dass die demokratische Konsolidierung längst nicht abgeschlossen sei. Herausgeber Henning Melber, Kenner der Region und Direktor der schwedischen "Dag Hammarskjöld Foundation", hält die damaligen Einschätzungen nach wie vor für korrekt. "Unter den Befreiungsbewegungen an der Macht verhärtet sich die ‚Solidargemeinschaft' gegen alles, was ihre fortgesetzte Dominanz in Frage stellt oder zu gefährden scheint", kommentiert Melber.
Besonders die Langmütigkeit der Regierenden in Südafrika, Angola oder Namibia gegenüber den autoritären Entwicklungen in Simbabwe gilt Melber als Beleg für eine "deprimierende Tendenz" in der Region. Auf ihren Legitimationsverlust und das Entstehen einer Opposition Ende der 1990er Jahre, die vor allem von der urbanen Mittelschicht und verarmten Städtern getragen wurde, reagierte die Regierung von Simbabwes Präsident Robert Mugabe mit scharfer Repression. Die ANC-Regierung unter Thabo Mbeki in Südafrika hätte als einzige über die notwendigen Mittel verfügt, um auf das Mugabe-Regime mäßigend einzuwirken.
Vor allem aufgrund alter Loyalitäten aus der Zeit des Befreiungskampfes verzichtete sie darauf. MDC, die langjährige Oppositionspartei in Simbabwe, die derzeit gemeinsam mit der Staatspartei Zanu-PF regiert, knüpft an den Amtsantritt Jacob Zumas im Mai 2009 in Südafrika allerdings einige Hoffnungen. Der neue Präsident wird unter anderem von den Gewerkschaften und der South African Communist Party (SACP) unterstützt, die zu den stärksten Kritikern Mugabes gehören. Ökonomisch dominiert Südafrika die Region. Diese Vorherrschaft wird in den ärmeren Nachbarstaaten mit Skepsis und Misstrauen zur Kenntnis genommen. Die sozio-ökonomische Integration, die mit Hilfe der Entwicklungsgemeinschaft Südliches Afrika (SADC) vorangetrieben werden soll, ist bisher weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
Das SADC-Hauptquartier in Gaborone, der Hauptstadt Botsuanas, sei ein "zahnloser Tiger", meint Melber. Seiner Einschätzung zufolge ist das derzeit praktizierte Modell von Entwicklung in der Region insgesamt "elitenorientiert und deshalb ungeeignet, den Interessen der Bevölkerungsmehrheit Rechnung zu tragen". Auch die unter anderem von Mbeki initiierte Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung (Nepad) wird in einigen Jahren vermutlich nur als eine politische Absichtserklärung unter vielen ohne tatsächliche Substanz erinnert werden. Trotz des "Peer Review"-Mechanismus, mit dem sich die Länder gegenseitig auf die Finger schauen sollen, werden autokratische Oligarchen wie Mugabe oder die regierende MPLA in Angola nicht geächtet.
Das Scheitern der SADC kommt am deutlichsten bei der bisher misslungenen Bekämpfung der Armut, einem Hauptanliegen der Organisation, zum Ausdruck. Schätzungen zufolge leben heute ungefähr 40 Prozent der Einwohner der Region von weniger als einem US-Dollar pro Tag. Das stete Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre in Ländern wie Mosambik, Südafrika oder Angola änderte an der Einkommensarmut der meisten Menschen wenig. Zudem wird ein effektives, gemeinsames Vorgehen gegen die soziale Misere durch die im südlichen Afrika existierenden Parallelorganisationen erschwert - zum Beispiel in der Zollunion des Südlichen Afrika.
Das Verhältnis zwischen den beiden größten Volkswirtschaften, Südafrika und Angola, war lange Zeit durch Konkurrenz geprägt. Eine wirtschaftliche Annäherung zeichnete sich nach dem Besuch Zumas in Angolas Hauptstadt Luanda ab. Zuma nahm verschiedene Absichtserklärungen über die wirtschaftliche Kooperation, Zusagen über Bauaufträge sowie ein Abkommen über ein Joint Venture der beiden staatlichen Ölfirmen mit nach Hause. Ob diese verstärkte ökonomische Zusammenarbeit auch eine bessere Abstimmung der beiden Hegemonialmächte in Diplomatie und Sicherheitsfragen nach sich ziehen wird, bleibt abzuwarten.
Angola ist aufgrund seines Ölreichtums relativ immun gegen Einflussnahmen von außen und hat sich sowohl in der Demokratischen Republik Kongo als auch in der Simbabwe-Frage nicht gerade durch eine intensive Suche nach diplomatischen Lösungen ausgezeichnet. Das Land wird nur dann von seinem "Exzeptionalismus" abkehren, so Paula Roque, Forscherin am Institut für Sicherheitsstudien in Pretoria, wenn es "eine führende Rolle spielen kann und nicht im Schatten Südafrikas steht". Im Mai des vergangenen Jahres erschütterten in Südafrika fremdenfeindliche Pogrome die Townships des Landes, die sich vor allem gegen arme Einwanderer aus Nachbarstaaten wie Simbabwe, Malawi oder Mosambik richteten. Mindestens 62 Menschen wurden bei den Hetzjagden getötet. Die scharfe Konkurrenz im informellen Handel der Slums sowie beim Zugang zu staatlichen Ressourcen kam in den Ausschreitungen äußerst gewalttätig zum Ausdruck. Sie erzählen ebenso viel über die ungelösten sozialen Spannungen in der Regenbogennation selbst wie davon, wie prekär das Projekt der regionalen Integration im südlichen Afrika auch im Alltag der Menschen noch ist.
Die zunehmende Vernetzung von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und vom Staat unabhängigen Medien kann allerdings Anlass für leisen Optimismus sein. Sie ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine tatsächliche und nachhaltige Wende hin zu Armutsreduzierung sowie erheblichen Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitssektor. Denn für die Umsetzung dieser Ziele braucht es regional verbundene Kräfte von unten, die sie erkämpfen.
Der Autor ist freier Journalist mit Schwerpunkt Afrika in Berlin.