Datenmissbrauch
Der Bundestag debattiert über den Schutz von Arbeitnehmern
Lidl spähte seine Mitarbeiter per Videokamera aus, kurz darauf rauschte die Deutsche Bahn in einen Schnüffel-Skandal, weil Daten und E-Mails von mehr als 170.000 Mitarbeitern kontrolliert wurden. Und jetzt steht die Supermarktkette Edeka am Pranger. Die spektakulären Missbräuche von Arbeitnehmerdaten aus den vergangenen Monaten haben die Politiker aller Couleur aufs Neue alarmiert. Über die Parteigrenzen hinweg herrscht Einigkeit, dass Beschäftigte besser vor Bespitzelung geschützt werden müssen.
Die SPD-Fraktion ist nun mit einem Gesetzentwurf ( 17/69) vorgeprescht, der am 3. Dezember im Bundestag erstmals beraten und in die zuständigen Ausschuss überwiesen wurde. "Skandal um Skandal haben uns in den letzten Jahren gelehrt, wir brauchen ein Gesetz für den Arbeitnehmerdatenschutz", sagte Olaf Scholz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, zum Auftakt der lebhaften Debatte.
In ihrem Entwurf stellen die Sozialdemokraten strenge Regeln im Umgang mit persönlichen Daten von Beschäftigten auf. "Der Missbrauch von Gesundheitsdaten ist eindeutig", sagte Scholz, "die allgemeine Fitness abzutesten darf nicht zulässig sein." Auch die Fernüberwachung bei Telearbeit dürfte nicht zu einer allgemeinen Kontrolle führen. Und "Videoüberwachung darf es nur bei ganz konkreten Vorwürfen gegen den einzelnen geben", sagte Scholz.
Ganz neu ist die Datenskandal-Debatte nicht. Seit den spektakulären Fällen der vergangenen Jahre, in denen Unternehmen mit fragwürdigen Mitteln ihre Mitarbeiter durchleuchtet und observiert haben, haben Öffentlichkeit und Politik längst erkannt, dass etwas passieren muss. Warum dennoch bisher nicht genug unternommen wurde, darüber entstand in der Debatte ein Geplänkel zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien, die sich gegenseitig vorwarfen, dass wichtige Thema seit Jahren verschleppt zu haben.
Nun ist schwarz-gelb am Zuge: Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat für das nächste Jahr einen Gesetzentwurf angekündigt. "Dass wir eine Regelung finden müssen, ist die einheitliche Haltung dieses Hauses", sagte Michael Frieser von der CDU/CSU: "Es ist klar, dass es keine Bespitzelung am Arbeitsplatz geben darf."
Das Thema ist ein heißes Eisen. Big Brother am Arbeitsplatz will niemand dulden, darüber herrscht Konsens, doch umgekehrt müssen Firmenleitungen auch die Möglichkeit haben, Fehlentwicklungen oder strafbaren Handlungen im Betrieb wie Korruption auf die Spur zu kommen. Hier gebe es einen "Zielkonflikt", sagt Gitta Connemann (CDU): Auf der einen Seite die "legitimen Interessen von Arbeitnehmern, dass private Daten geschützt werden", auf der anderen Seite "die berechtigten Interessen der Arbeitgeber".
Kern des SPD-Entwurfs sind mehr Mitbestimmung, wenn es um Mitarbeiter-Daten geht und klare Regeln, "welche Daten eines Bewerbers im Einstellungsverfahren erhoben und verwendet werden dürfen." Arbeitgeber sollen in ihre Grenzen verwiesen werden, etwa bei Fragen nach der Religion, der sexuellen Identität oder der politischen Einstellung. Nutzen Beschäftigte Telefon, E-Mails und Internet am Arbeitsplatz privat, "darf der Inhalt der Nutzung nicht erhoben werden", heißt es in der Vorlage. "Und wir brauchen umbedingt einen Schadensersatzanspruch für Arbeitnehmer", sagte Scholz. Zudem solle in Betrieben mit fünf oder mehr Mitarbeitern ein extra Datenschutzbeauftragter für die Beschäftigten bestellt werden.
Die Union stößt sich nicht nur am "Duktus der Sprache" (Michael Frieser) des SPD-Entwurfs, der Unternehmer unter Generalverdacht stelle. "Ich warne davor, der Wirtschaft grundsätzlich mit Argwohn und Misstrauen zu begegnen", sagte Stephan Mayer (CSU), "die überwiegende Mehrheit der Unternehmer verhält sich gesetzestreu und rechtstreu." Er warte vor "vollkommen überzogenen, höchst bürokratischen und kostspieligen Regelungen, wie es der SPD-Entwurf vorsieht." Dass Beschäftigte grundsätzlich ihr Telefon privat nutzen dürfen sollen, "dies als Generalklausel der Wirtschaft vorzuschreiben", so Mayer, "das halte ich für verfehlt." Ziel der Union sei es, "effiziente, praxistaugliche Regelungen zu schaffen", dazu müsse es kein neues Gesetz geben, es genüge, "das Datenschutzgesetz um ein Kapitel zu erweitern."
Wenig praxistauglich ist in den Augen der FDP der SPD-Vorschlag, neben dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten noch einen sogenannten Beschäftigtendatenschutzbeauftragten zu installieren. "Das ist nicht sinnvoll", sagte Gisela Piltz. Besser wäre es, "den Datenschutzbeauftragten zu stärken". Sonst müsse ja "jeder Bäcker, jeder Tischler und jeder Kfz-Mechaniker" diese Funktion besetzen, "das ist vollkomen absurd", ergänzte Connemann. Die FDP kritisierte, in dem SPD-Entwurf fänden sich "sachfremde" Punkte, etwa dass Bewerbern ihre Auslagen erstattet werden müssen. "Ich warne davor, durch die Hintertür Regelungen zu schaffen, die mit dem Arbeitnehmerdatenschutz nichts zu tun haben", sagte auch der CSU-Abgeordnete Mayer. Der FDP-Politiker Sebastian Blumenthal bemerkte, dass der Entwurf nicht zu Regelungen des Telekommunikationsgesetzes passe. Die Vorschriften, wie lange Daten gespeichert werden können, würden sich widersprechen. "Egal, wie es der Arbeitgeber macht, er macht es falsch", sagte der gelernte IT-Berater.
Den Grünen gehen die Vorschläge der SPD nicht weit genug. In einem eigenen Antrag zum Datenschutz für Beschäftigte ( 17/121) fordern sie ein Verbandsklagerecht, etwa für Gewerkschaften. Nur so sei gewährleistet, dass die Interessen einzelner Beschäftiger gewahrt werden könnten. Arbeitnehmer seien gegenüber einem großen Konzern oft "macht- und hilflos", argumentierte Konstantin von Notz. Die Grünen fordern zudem höhere Bußgelder bei Verstößen. Zudem sollten nach den Datenskandalen bei den Arbeitsagenturen auch "die Arbeitslosen einbezogen werden", sagte Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen). Klaus Ernst (Die Linke) zitierte aus Berichten der von Lidl angeheuerten Detektiven, geißelte Bluttests bei Einstellungen als "modernen Vampirismus" und warf der SPD vor, elf Jahre in der Regierung nichts gemacht zu haben. Datenmissbrauch in Unternehmen "das ist die Regel offensichtlich, und nicht die Ausnahme", vermutet sein Fraktionskollege Jan Korte, der Arbeitnehmer dürfe nicht länger "Freiwild" sein.