KRANKENVERSICHERUNG
Welchem Finanzierungssystem die Zukunft gehört, bleibt umstritten
Es ist ja nicht so, dass es beim Streit um die Finanzierung der Gesundheitskosten keine Gemeinsamkeiten gibt. In zwei Punkten stimmen Opposition und Regierungskoalition überein: Das derzeitige defizitäre System muss verändert werden und dabei solle es bitteschön solidarisch zugehen. Womit auch schon auf die Unterschiede hingewiesen ist: Beide Lager haben ein anderes Modell im Blick - beide interpretieren das Wort Solidarität unterschiedlich.
Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) plädiert für ein "System mit einkommensunabhängigen Beiträgen, die sozial ausgeglichen werden", wie er bei seinem Antrittsbesuch im Gesundheitsausschuss am 16. Dezember erneut deutlich machte. Der Arbeitnehmeranteil an den Kosten solle dabei festgeschrieben werden.
Damit würden Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, die sich als Folge der demografischen Entwicklung wie auch des technischen Fortschritts ergeben, von den Lohnzusatzkosten gelöst. "Bisher geht das immer auf Kosten des Faktors Arbeit", sagte Rösler. Der soziale Ausgleich solle über das Steuersystem erfolgen. "Dort ist er am besten aufgehoben."
Das wiederum macht den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach neugierig. Über welche Steuererhöhungen der milliardenschwere Sozialausgleich aufgefangen werden solle, fragte er in der Bundestagsdebatte am 17. Dezember und äußerte die Vermutung: "Es werden sicherlich nicht die Steuern der Einkommensstarken sein."
Lauterbach sieht zudem ein Akzeptanzproblem für die geplante Neuregelung: "Die deutsche Bevölkerung will keine einkommensunabhängige Prämie, sie wünscht keine Zweiklassenmedizin", sagte er.
Auch die Union sei sich dessen bewusst, dass die Bürger keine Zweiklassenmedizin wollten, sagte Stefanie Vogelsang (CDU). "Mit uns werden sie sicherlich auch keine bekommen", beruhigte sie. Dennoch müsse die "starke Abhängigkeit der finanziellen Leistungsfähigkeit unserer Krankenkassen von den konjunkturellen Entwicklungen" beendet werden. "Deshalb haben wir beschlossen, eine Regierungskommission einzusetzen, die den Auftrag hat, nicht nur Lösungsvorschläge, sondern auch Lösungswege detailliert zu erarbeiten."
Der Umbau solle nicht von "Heute auf Morgen" erfolgen, bestätigte auch Christine Aschenberg-Dugnus (FDP). Die Kommission werde erarbeiten, wie und in welcher Geschwindigkeit ein neues Finanzierungssystem eingeführt werden kann, sagte sie und erinnerte daran, dass die "bisherige Gesundheitspolitik am 27. September abgewählt wurde".
Dass sich Union und FDP mit der Umsetzung ihrer Pläne Zeit lassen, verwundert die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, nicht sonderlich. Erst, so ihre Vermutung, wolle die Koalition die Wahl in Nordrhein-Westfalen abwarten (siehe Interview). Benders Fraktionskollegin Maria Klein-Schmeink kündigte im Plenum daher schon an: "Wir werden es Ihnen nicht durchgehen lassen, wenn Sie sich mit irgendwelchen Vorschlägen, die Finanzierungslücken aufweisen, über die bevorstehende Landtagswahl hinwegretten wollen."
Solidarität als Leitprinzip bedeute, "dass die Starken für die Schwachen einstehen", sagte Harald Weinberg von der Linksfraktion. Damit dieses Leitprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aufgegeben werde, habe seine Fraktion einen Antrag gegen die Einführung einer "Kopfpauschale" gestellt ( 17/240). Ein weiterer Antrag der Fraktion fordert die Abschaffung der Praxisgebühr ( 17/241). Weinberg wollte sogar eine Mehrheit im Bundestag gegen die Kopfpauschalen-Pläne der FDP erkannt haben. SPD und Grüne würden dem ohnehin zustimmen. "Wenn die Aussagen von Herrn Seehofer in seiner Partei etwas gelten, dann müssten eigentlich auch die CSU-Abgeordneten zustimmen", sagte Weinberg, der sich auf jüngste Aussagen des CSU-Chefs bezog, in denen dieser "vehementen Widerstand" gegen die Regierungspläne angekündigt hatte. Weinberg sprach sich für die Schaffung einer Bürgerversicherung aus und hat damit in der Tat ein zumindest gleich benanntes Projekt wie SPD und Grüne im Auge. Die Grünen legten dazu schon konkrete Vorschläge vor ( 17/258); SPD-Mann Lauterbach kündigte diese zumindest an.
Ob die Zukunft nun eine Kopfpauschale oder ein Bürgergeld bringt - in der Gegenwart fehlt es jedenfalls mal wieder an Geld. Auf 7,9 Milliarden beläuft sich das erwartete Defizit der gesetzlichen Krankenkassen im kommenden Jahr. 3,9 Milliarden davon übernimmt der Bund - den Rest könnten die Kassen per Zusatzprämie von den Versicherten verlangen. Das, so Gesundheitsminister Philipp Rösler, sei eine soziale Schieflage, die nichts mit Solidarität zu tun habe und von der alten Bundesregierung zu verantworten sei.