Bundeswehr
Der Journalist Eric Chauvistré analysiert die Auslandseinsätze und zieht eine nüchterne Bilanz
Mit der Halbwertszeit politischer Bücher ist es meist nicht zum Besten bestellt. Viel zu schnelllebig ist das politische Tagesgeschäft geworden, als dass sich die mal klugen und mal weniger klugen Einlassungen politischer Publizisten nachhaltig beim Leser verfestigen könnten. Eine Ausnahme macht da ohne Zweifel der Titel "Wir Gutkrieger" aus der Feder des Berliner Journalisten Eric Chauvistré. Das liegt einerseits natürlich am Thema: Die Auslandseinsätze der Bundeswehr stehen seit annähernd 20 Jahren ganz oben auf der politischen Agenda - und daran wird sich aller Voraussicht in den nächsten Jahren nichts ändern. Zum anderen liegt es aber an der klugen und kritischen Analyse, die Chauvistré zu Papier gebracht hat. Doch Vorsicht: Wer hinter dem Untertitel "Warum die Bundeswehr im Ausland scheitern wird" lediglich eine weitere moralisierende Abrechnung mit dem militärischen Engagement Deutschlands rund um den Globus vermutet, wird - je nach eigenem politischen Standpunkt - eine angenehme oder unangenehme Überraschung erleben.
Eric Chauvistré nähert sich dem Thema von einer Warte, um die Journalisten und Politiker in Deutschland lange Zeit einen großen Bogen gemacht haben. Für ihn stehen nicht die großen außenpolitischen Fragen nach Bündnistreue und Menschenrechten oder philosophische und juristische Betrachtungen zur Legitimität von Krieg - wie sie in den deutschen Feuilletons jahrelang hoch und runter dekliniert wurden - im Vordergrund. Chauvistré scheut sich nicht, in die "Niederungen von Waffentechnik, Einsatzplänen und Bombenzielkarten" hinabzusteigen, um sich eine Meinung über die Einsätze der Bundeswehr zwischen Hindukusch und dem Horn von Afrika zu bilden und vor allem, nach deren Effektivität zu fragen. Zu Recht macht er eine in Deutschland "verbreitete intellektuelle Überheblichkeit gegenüber jeder ernsthaften Beschäftigung mit dem Militär" aus. Und bissig fügt er hinzu: "Wer wissen zu müssen glaubt, was der eigene Staat sich da für Gewaltmittel zugelegt hat, wer nachfragt, wie welche Waffen wirken - der läuft Gefahr, zum Waffennarr abgestempelt oder auf das intellektuelle Niveau eines technikbegeisterten Halbwüchsigen heruntergestuft zu werden."
Chauvistré benennt hier einen Teilaspekt des Gesamtproblems. Denn ungeachtet der Tatsache, dass seit Jahren bis zu 6.500 deutsche Soldaten auf drei Kontinenten und zwei Weltmeeren in Auslandseinsätzen stehen, hat eine nüchterne Auseinandersetzung über Sinn und Unsinn dieses Engagements, die sich an den harten Fakten orientiert, nie stattgefunden. "Es kann", so bemängelt der Autor, "eben nicht nur um vermeintlich rein juristisch zu klärende Probleme und um große moralische Fragen gehen, nicht nur um Legitimität und Moral, nicht nur um Gut und Böse." Chauvistré fordert statt dessen klare Antworten auf einfache Fragen: "Kann die Bundeswehr die politisch gesetzten Ziele überhaupt erreichen und, wenn ja, zu welchen Kosten." Für eine solch nüchterne Betrachtungsweise handelt man sich schnell den Vorwurf des Zynismus ein. Chauvistré weiß das - um so verdienstvoller ist es, dass er sich um diese Fragen nicht drückt.
Das Grundproblem in der Diskussion über den Einsatz deutscher Soldaten beginnt für den Buchautoren bereits bei der konkreten Benennung. Beispiel Kosovo: Obwohl sich Deutschland 1999 mit vier Tornado-Kampfjets über Wochen an der Bombardierung serbischer Militäreinheiten und der zivilen Infrastruktur durch die Nato beteiligte, scheute die Bundesregierung aus SPD und Grünen ebenso wie die Opposition aus CDU/CSU und FDP das Wort "Krieg" wie der Teufel das Weihwasser. Statt dessen wurde von "Luftschlägen zur Verhinderung einer humanitären Katastrophe" gesprochen. Nicht viel anders stellt sich das in Chauvistrés Betrachtungsweise beim Isaf-Einsatz in Afghanistan dar. Hier wird vom Stabilisierungs- und Aufbaueinsatz gesprochen. Über Jahre hinweg präsentierte die Bundesregierung deutsche Soldaten als eine Art militärische Entwicklungshelfer-Truppe, die Schulen baut, Brunnen gräbt und der Demokratie am Hindukusch auf die Füße hilft - der deutsche Soldat als "Gutkrieger". Das Wort Krieg sei ein Tabu. Allenfalls werde von "Kampfeinsätzen", noch lieber aber vom "robusten Mandat" gesprochen. Für Chauvistré ist dies eine Art der verbalen Realitätsverweigerung und -verschleierung
"Wir Gutkrieger" erschien Anfang des Jahres 2009. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Autor allenfalls ahnen, dass im Verlauf des Jahres die von ihm angeprangerte politische Rhetorik Stück für Stück ins Wanken geraten sollte. Auch dass ein deutscher Isaf-Kommandeur die Bombardierung zweier von Taliban-Kämpfern entführten Tanklastwagen befehlen und dass dieser Luftangriff bis zu 142 Menschen - darunter nicht nur Taliban sondern auch Zivilisten - töten würde, war auch nicht vorhersehbar. Ebenso wenig wie der Umstand, dass wegen dieser Ereignisse und einer fehlerhaften Informationspolitik mit Franz Josef Jung (CDU) ein deutscher Minister seinen Rücktritt würde einreichen müssen, mit Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ein weiterer Minister politisch unter massiven Druck geraten und ein Untersuchungsausschuss des Bundestages eingerichtet werden würde. Insofern werden Chauvistrés Ausführungen von den Ereignissen überholt. Falsch sind sie deswegen aber nicht - im Gegenteil. Sein Buch liest sich über weite Strecken wie ein nachträgliches Erklärstück. Etwa wenn er moniert, dass selbst Bundestagsabgeordnete unter dem Eindruck der eigenen Rhetorik offensichtlich vergessen hätten, mit welchem Mandat die Bundeswehr in Afghanistan ausgestattet ist. Die deutschen Soldaten dürften eben nicht nur zum Zweck der Selbstverteidigung von der Waffe Gebrauch machen, sondern auch, um die Resolutionen der Vereinten Nationen notfalls gewaltsam durchzusetzen.
Insgesamt zieht Eric Chauvistré eine sehr negative Bilanz über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Diese hätten in den meisten Fällen das ursprünglich vorgegebene Ziel nicht erreicht. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei beispielsweise nach acht Jahren so schlecht wie nie seit Beginn des Einsatzes. Von einer Situation, in der die afghanische Regierung allein für Ordnung und Stabilität im Land sorgen könnte, sei man noch weit entfernt. Selbst im Norden des Landes, der früher als vergleichsweise ruhig galt, werde die Bundeswehr immer öfter in Gefechte mit den Taliban verwickelt oder werde mit Bombenattentaten attackiert. Dies sieht der Journalist jedoch nicht zwangsläufig als ein Versagen der Bundeswehr an. Schuld seien vielmehr die überzogenen Erwartungen von politischer Seite an die Einsätze. Diese Erkenntnis wird inzwischen ja auch in der politischen Führung gesehen. Das Eingeständnis von Verteidigungsminister Guttenberg und anderen führenden Politikern, man werde Afghanistan nicht allein mit militärischen Mitteln befrieden können, zeigt dies.
Auch die ursprünglichen Ziele des Kosovo-Einsatzes sind nach Chauvistré trotz einer massiven Truppenpräsenz in der Krisenregion nicht realisiert worden. Das lässt aufhorchen, wird die Kfor-Mission offziell doch gerne als Erfolg verkauft. Für Chauvistré stellt sich die Situation jedoch so dar: Mit der Kfor-Truppe habe die Zukunft eines multiethnischen, friedlichen und einheitlichen Kosovo garantiert werden sollen. Nach zehn Jahren sei das Ergebnis jedoch ernüchternd: "In dem von der Bundeswehr überwachten Gebiet im Süden des Kosovo gibt es kaum noch Angehörige ethnischer Minderheiten zu schützen, weil zumindest die Serben diesen Teil des Kosovo längst verlassen haben." Im Rest des Landes sehe dies nicht besser aus: "Die Bundeswehr und ihre Verbündeten konnten nicht verhindern, dass viele Serben und Roma vertrieben wurden und das Kosovo bis heute faktisch zweigeteilt ist."
Trotz seiner negativen Bilanz warnt Eric Chauvistré umgekehrt vor voreiligen Schlüssen. Ein Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan beispielsweise sei ebenso wenig eine Antwort auf die Probleme des Landes. "Ohne die Bundeswehr im Ausland wird die Welt nicht zwangsläufig besser. Aber mit ihr eben auch nicht." In der Debatte über die Auslandseinsätze der Bundeswehr, so fügt der Autor mit Blick auf die Zukunft an, wäre schon einiges gewonnen, wenn man sich auf diese zwei Sätze einigen könnte.
Wir Gutkrieger. Warum die Bundeswehr im Ausland scheitern wird.
Campus Verlag, Frankfurt/M. 2009; 188 S., 19,95 ¤