55. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 8. Juli 2010
Beginn: 9.00 Uhr
* * * * * * * * V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G * * * * * * * *
* * * * * DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG * * * * *
* * * * * * * * VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG * * * * * * * *
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Das Leben geht weiter, auch wenn gelegentlich die Hoffnungen größer sind als die Möglichkeiten. Aber dass nicht immer alles so gelingt, wie man sich das vorgenommen hat, wissen wir aus eigenen Erfahrungen.
Trotz des Ergebnisses des gestrigen Abends haben wir allen Anlass, der deutschen Mannschaft für ein famoses Turnier zu danken. Im Übrigen können wir uns ein bisschen darüber freuen, dass der Weltmeistertitel wieder mal in Europa bleibt.
Es gibt im Übrigen eine Reihe weiterer freudiger Ereignisse. Der Kollege Dr. Peter Danckert feiert heute seinen 70. Geburtstag.
Ich gratuliere ihm herzlich im Namen des ganzen Hauses. Ebenso herzlich gratuliere ich der Kollegin Beatrix Philipp zu ihrem gestrigen 65. Geburtstag und der Kollegin Gerda Hasselfeldt zu ihrem 60. Geburtstag. Die Kollegin Petra Crone feierte diesen runden Geburtstag bereits am vergangenen Samstag.
Ihnen allen unsere geballten guten Wünsche für die nächsten Jahre und Jahrzehnte.
Auf Vorschlag der FDP-Fraktion soll der Kollege Jimmy Schulz anstelle des ausgeschiedenen Kollegen Hellmut Königshaus neues stellvertretendes Mitglied im Kuratorium der Stiftung ?Erinnerung, Verantwortung und Zukunft? werden. Eine Aussprache ist dazu nicht vorgesehen. Sind Sie auch ohne Aussprache damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist der Kollege Schulz gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD:
Steigende Beiträge als Ergebnis der Gesundheitsreform - Weniger Netto vom Brutto
(siehe 54. Sitzung)
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Ergänzung zu TOP 38
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Marieluise Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem EFSF-Rahmenvertrag vom 7. Juni 2010
- Drucksache 17/2412 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Peter Altmaier, Michael Brand, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Elke Hoff, Rainer Erdel, Burkhardt Müller-Sönksen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbesserung der Regelungen zur Einsatzversorgung
- Drucksache 17/2433 -
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
ZP 3 Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache
Ergänzung zu TOP 39
a) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss) zu dem ... Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes
- Drucksachen 17/1147, 17/1604, 17/1950, 17/2402 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Jörg van Essen
(noch ZP 3) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Priska Hinz (Herborn), Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
EU-Forschungsetat auf Innovation und Nachhaltigkeit für 2020 fokussieren - Ratsentscheidung ITER-Projekt nicht zustimmen
- Drucksache 17/2440 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 117 zu Petitionen
- Drucksache 17/2442 -
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 118 zu Petitionen
- Drucksache 17/2443 -
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 119 zu Petitionen
- Drucksache 17/2444 -
f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 120 zu Petitionen
- Drucksache 17/2445 -
g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 121 zu Petitionen
- Drucksache 17/2446 -
h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 122 zu Petitionen
- Drucksache 17/2447 -
(noch ZP 3) i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 123 zu Petitionen
- Drucksache 17/2448 -
j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 124 zu Petitionen
- Drucksache 17/2449 -
k) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 125 zu Petitionen
- Drucksache 17/2450 -
l) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 126 zu Petitionen
- Drucksache 17/2451 -
m) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 127 zu Petitionen
- Drucksache 17/2452 -
n) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses (2. Ausschuss)
Sammelübersicht 128 zu Petitionen
- Drucksache 17/2453 -
ZP 4 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE:
Gesundheitspolitik ohne Perspektive
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
EU-Fördermittel aus dem Emissionshandel für erneuerbare Energien und zur Verringerung prozessbedingter Emissionen
- Drucksache 17/2430 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Günter Krings, Dr. Hans-Peter Uhl, Reinhard Grindel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Gisela Piltz, Manuel Höferlin, Dr. Stefan Ruppert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Datenschutz bei der transatlantischen Zusammenarbeit zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus
- Drucksache 17/2431 -
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu einem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsverkehrsdaten und deren Übermittlung aus der Europäischen Union an die Vereinigten Staaten für die Zwecke des Programms zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (Ratsdokument 11172/10)
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 9 EUZBBG
Finanzdaten der Bürgerinnen und Bürger Europas schützen - SWIFT ablehnen
- Drucksache 17/2429 -
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Der Tagesordnungspunkt 10 wird abgesetzt. Die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen rücken jeweils einen Platz vor.
Schließlich sollen der Tagesordnungspunkt 11 a abgesetzt und der Tagesordnungspunkt 11 b ohne Debatte überwiesen werden. Hierdurch rücken dann die nachfolgenden Tagesordnungspunkte der SPD-Fraktion entsprechend vor. - Auch hierzu kann ich eine größere Unruhe nicht erkennen, sodass ich davon ausgehe, dass wir das einvernehmlich so vereinbaren können.
Ich muss Sie darauf hinweisen, dass wir heute Morgen einen partiellen Stromausfall hatten.
- Mir wäre die umgekehrte Reihenfolge lieber gewesen, also dass die Uhren funktionieren würden und Sie für eine Weile nicht telefonieren könnten. Jetzt scheint es eher umgekehrt zu sein.
Jetzt sehe ich, dass es anscheinend eine positive Rückkopplung zwischen den Telefonapparaten und den Uhren gibt, was der Bundestagsverwaltung bis heute Morgen nicht bewusst war. Wenn es nicht so funktioniert, wie wir uns das vorstellen, stellen wir ein ambulantes Gerät zur Verfügung.
An den vereinbarten Redezeiten ändert sich dadurch jedenfalls nichts.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Kauder, Ute Granold, Erika Steinbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Marina Schuster, Pascal Kober, Serkan Tören, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Religionsfreiheit weltweit schützen
- Drucksache 17/2334 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
(f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss für Kultur und Medien
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Josef Philip Winkler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das Menschenrecht auf Religions- und Glaubensfreiheit stärken
- Drucksache 17/2424 -
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
(f)
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Das ist offensichtlich einvernehmlich.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Kollegen Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion.
Volker Kauder (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Schutzlos ausgeliefert - Im ostindischen Bundesstaat Orissa werden Christen verfolgt und getötet. Die Täter sind Hindus. Und die Behörden schauen zu.
In einem ganzseitigen Beitrag hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am letzten Wochenende ausführlich über das Thema berichtet, das heute Gegenstand dieser Debatte ist und das uns in der Bundestagsfraktion von CDU/CSU und auch in der FDP immer wieder beschäftigt: Verfolgung von Christen, Bedrängung von Christen, Missachtung eines der zentralen Menschenrechte, nämlich das Recht, seinen Glauben frei zu leben und ausüben zu können.
Orissa ist nur ein aktuelles Beispiel für das, was weltweit geschieht. Deshalb haben wir heute Morgen Schwester Justine Senapati und Vater Dr. Augustine Singh aus Orissa eingeladen. Sie sitzen auf der Tribüne,
begleitet von den Vertretern der christlichen Kirchen hier am Sitz von Bundestag und Bundesregierung in Berlin. Die beiden waren beim Menschenrechtsrat in Genf. Heute sind sie in Deutschland und werben dafür, das Los, das Schicksal bedrängter und verfolgter Christen nicht zu vergessen.
Am Beispiel Orissa können wir sehen, wo die Probleme liegen. Indien ist der Verfassung nach eine moderne Demokratie. Die Bundesregierung Indiens schützt die Religionsausübung und die Religionsfreiheit und bekennt sich immer wieder dazu, dass alle Menschen - in Indien geht es vor allem um Christen, Hindus und Muslime - ihre Religion frei ausüben können. Aber in den einzelnen Bundesstaaten kann die Zentralregierung vieles von dem nicht umsetzen. So kommt es zu brutalen Übergriffen. Christen werden verfolgt, bedrängt und vertrieben. Allein in der Region Orissa wurden in der letzten Zeit 60, 70 Kirchen und 4 000 Häuser angezündet. Es werden Christen getötet, vergewaltigt, und noch immer sind Zehntausende in Flüchtlingslagern untergebracht. Das ist keine Christenverfolgung durch den Staat. Aber wir erwarten schon, dass nicht das eintritt, was die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung geschrieben hat, nämlich dass die Behörden zuschauen. Wir erwarten, dass die Behörden die Christen schützen und alles dafür tun, dass sich so etwas nicht wiederholt.
Christen werden weltweit verfolgt. In über 60 Staaten gibt es Verfolgung oder Bedrängung. Zwei Drittel der verfolgten Christen leben in diesen 60 Staaten. 200 Millionen Christen sind von Bedrängung und Verfolgung betroffen.
Ich will kurz einige Beispiele ansprechen. Wir haben vor wenigen Wochen einen Besuch in die Türkei unternommen, um dort vor allem das bedrängte Kloster Mor Gabriel zu besuchen. Um es klar zu sagen: Es gibt in der Türkei keine Christenverfolgung durch den Staat. Aber es gibt Bedrängungen, die dazu führen, dass Christen ihren Glauben nicht leben können. Wir haben in der letzten Legislaturperiode hier im Deutschen Bundestag in einem Antrag die türkische Regierung aufgefordert, die Repressalien, das Drucksystem gegen das Kloster Mor Gabriel aufzuheben. Bis zum heutigen Tag ist nichts geschehen, und dies ist nicht hinzunehmen.
Wir eröffnen in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei Kapitel um Kapitel. Aber ein Land, das näher zu Europa will, muss den elementaren Menschenrechtsgrundsatz, dass Religionsfreiheit gelebt werden kann, erfüllen. Da gibt es kein Wenn und kein Aber.
Wir bzw. die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes haben im Grundgesetz die Konsequenzen aus unserer dramatischen jüngeren Geschichte gezogen. Christen wurden auch in unserem Land während der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus verfolgt. Deshalb ist die Religionsfreiheit in unserem Grundgesetz ein zentraler Artikel. Er ist unmittelbar verbunden mit dem Kernsatz, der die Menschenrechte betrifft: ?Die Würde des Menschen ist unantastbar.? Und zur Würde des Menschen gehört auch sein religiöses Bekenntnis.
Wir, die christlichen Demokraten, und die FDP setzen uns dafür ein, dass in diesem Land Religionsfreiheit gelebt werden darf. Ich kenne die Diskussionen in vielen Kommunen. Ich sage ausdrücklich: Ich bin dafür - wer für Religionsfreiheit ist, der ist dafür -, dass Muslime in diesem Land Moscheen bauen können und dass sie in diesen Moscheen beten können.
Aber ich erwarte genau das Gleiche von allen anderen Ländern in der Welt. Ich erwarte, dass die Christen in der Türkei ihre Kirchen so bauen können wie die Muslime in Deutschland ihre Moscheen.
In vielen Ländern dieser Welt erleben wir eine subtile Bedrängung von Christen. Die Christen sind im Übrigen die am meisten verfolgte Gruppe in der ganzen Welt. Übertritte von einer anderen Religion zum Christentum werden unter Strafe gestellt. Christen wird es untersagt, für ihre Religion einzutreten, weil dies als unerlaubte Werbung gilt. Es wird verboten, dass Christen in diesen Ländern die Ausbildung ihrer Pfarrer und Priester durchführen, und Christen wird ein besonderer Stempel in den Ausweis gedrückt, damit sie möglichst viele Probleme im täglichen Leben haben. Ich weiß, dass die Verfolgung von Christen viele Ursachen hat. Auf der einen Seite geht es darum, die eigene Religionsmehrheit zu schützen. Auf der anderen Seite sind nationale Themen ursächlich. In einigen Fällen sind die Radikalität der Verfolgung und die emotionale Auseinandersetzung auch ein Ergebnis der wirtschaftlichen Situation, der Armut in diesen Ländern.
Ich bin dankbar, dass die Bundesregierung das Thema Christenverfolgung/Christenbedrängung in den Katalog ihrer Arbeit aufgenommen hat. Wir fordern, dass die Religionsfreiheit im Bereich der Entwicklungshilfe als Teil der Menschenrechtsdiskussion ein zentrales Thema ist. Ich bin Bundesaußenminister Guido Westerwelle dankbar, dass er das Thema Christenverfolgung nicht nur in seinen Katalog einer wertegeleiteten Außenpolitik aufgenommen hat, sondern das Thema auch in Genf angesprochen hat und dies heute vor dem Deutschen Bundestag erläutern will.
Ich weiß, dass die Bundeskanzlerin auf ihren vielen Reisen nach China und in andere Länder der Welt dieses Thema ebenfalls angesprochen hat. Ich finde, wir müssen dieses wichtige Menschenrechtsthema mit aller Kraft ansprechen und dürfen nicht zurückweichen, wenn es heißt: Wenn ihr dieses Thema ansprecht, könnte es unangenehme Konsequenzen haben. - Meine Erfahrung ist: Wenn wir darauf hinweisen, in welchen Ländern Bedrängungen und Verfolgungen von Christen stattfinden, dann hat dies auch Wirkung. Denn dauerhaft will keines dieser Länder am Pranger der Öffentlichkeit stehen. Sie wollen nicht, dass man erkennt, wie man mit Menschen umgeht, die anderen Glaubens als die Mehrheit in dem entsprechenden Land sind.
Deswegen macht es Sinn, dies anzusprechen.
Wir verstehen diese Debatte nicht als eine Anklage, sondern als Aufforderung, dieses elementare Menschenrecht auch umzusetzen. Wir wollen, dass am Beispiel Europa auch andere Länder erkennen können, welche beglückende Erfahrung im Zusammenleben der Menschen es ist, wenn jeder seine Religion friedlich leben und nach ihr friedlich sein Leben ausrichten kann. Religion, der Glaube an etwas nach diesem Leben, die Überzeugung, dass es da etwas anderes gibt, dass es etwas Transzendentales, dass es Gott gibt, diese glückliche Erfahrung muss jeder in der Welt machen können. Solange dies nicht erreicht ist, werden wir nicht lockerlassen und dies regelmäßig zum Thema unserer politischen Diskussion hier in Deutschland und in der ganzen Welt machen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion.
Christoph Strässer (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Kauder, vieles von dem, was Sie gesagt haben, unterstreiche ich eins zu eins. Es ist nicht ganz das Thema, über das wir uns streiten sollten. Denn in der Überschrift Ihres Antrags geht es nicht um Christenverfolgung, sondern um Religionsfreiheit weltweit. Das ist ein weiter gefasstes Thema als das, was Sie angesprochen haben. Gleichwohl ist es wichtig.
Zu einer Stelle - die mich ein klein wenig betroffen gemacht hat - möchte ich eine Bemerkung machen. Sie haben hier vorgetragen, dass sich die CDU/CSU und die FDP in diesem Hause für Religionsfreiheit und gegen Christenverfolgung aussprechen. Ich bitte Sie ganz ernsthaft, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich nicht nur die Fraktionen auf der rechten Seite des Hauses dafür aussprechen, sondern dass sich der gesamte Deutsche Bundestag - auch SPD, Grüne und die Linkspartei - dafür einsetzt. Das ist völlig klar.
- Die Zeiten sind nun Gott sei dank vorbei; die wollen wir auch nicht wiederhaben. Aber ist es schon gut, dass ich Gelegenheit habe, darauf zu reagieren. Es ist wichtig, festzustellen, dass wir jedenfalls an dieser Stelle keinen weitgehenden Dissens haben.
Ich darf darauf hinweisen, dass wir im Deutschen Bundestag am 24. Mai 2007 gemeinsam - SPD und CDU/CSU - mit großer Mehrheit einen Antrag mit der Überschrift ?Solidarität mit verfolgten Christen und anderen verfolgten religiösen Minderheiten? beschlossen haben. Wir haben noch vor wenigen Wochen in diesem Haus über Anträge, die dieses Thema betreffen, diskutiert. Darüber bin ich sehr froh. Ich teile nicht die Meinung des Kollegen Heinrich, der, als wir über Oppositionsanträge zum Thema ?Folter und Todesstrafe? nicht zum ersten, sondern zum zweiten und dritten Mal diskutierten, gesagt hat, dass dies eine Art von Polemik sei und die Arbeit behindere. Ich glaube, das genaue Gegenteil ist der Fall. Gerade die Beispiele, die Sie, Herr Kauder, genannt haben, zeigen, dass es wichtig ist, sich immer und immer wieder mit diesem Thema auseinanderzusetzen, solange es in der Welt zu Verfolgungen aufgrund der religiösen Zugehörigkeit kommt. Ich glaube, das sind ein wichtiger Beitrag und ein wichtiges Signal für die Debatte, die wir hier heute beginnen.
Ich möchte einige Punkte ansprechen, über die wir, wie ich glaube, dringend diskutieren müssen. Der Antrag, den Sie gestellt haben, enthält viele Punkte, die eins zu eins dem entsprechen, was wir in der Großen Koalition beschlossen haben, und die in der Gesellschaft konsensfähig sind. Aber unter bestimmten Voraussetzungen springt dieser Antrag an einigen Stellen zu kurz. Deshalb möchte ich zwei Probleme ansprechen, die mir ganz wichtig sind; diese haben nichts mit einer Relativierung von Christenverfolgung zu tun. Wir haben mit großer Aufmerksamkeit die Berichte von Frau Granold und Herrn Kober über ihre Reise nach Orissa verfolgt. Es ist bedrückend und beschämend, dass es nicht gelingt, die Menschen dort zu schützen.
Wenn wir über Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Religionsfreiheit reden - das sage ich mit aller Klarheit -, dann darf und kann das jedoch nicht unter dem Aspekt der Quantität geschehen. Ja, es ist so: Die Christen sind in diesen Gesellschaften, um die es geht, wahrscheinlich die religiöse Minderheit, die am meisten verfolgt wird. Aber - darauf möchte ich ganz massiv hinweisen - wenn wir uns in unserer Politik auf diese Gruppe konzentrieren und andere am Rande lassen, sie allenfalls marginal erwähnen, dann ist das kein Beitrag zur Glaubwürdigkeit deutscher Menschenrechtspolitik.
Sie haben zwei andere betroffene Gruppen am Rande angesprochen: die Bahai und verfolgte Muslime in bestimmten Regionen dieser Welt. Da würde ich mir ein bisschen mehr Deutlichkeit wünschen. Wenn wir wissen, dass in diesen Zeiten fünf Führer der Bahai-Religion - sie hat nicht viele Anhänger und gehört zu den am meisten gefährdeten Religionen der Welt - aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit im Iran von der Todesstrafe bedroht sind, dass es dort Verfahren gibt, dass aber in diesen Anträgen dazu nichts steht, dann können wir diesen nicht zustimmen; denn das gehört in das Zentrum unserer Auseinandersetzung. Darüber müssen wir bei diesem Thema reden.
Es geht nicht darum, einen Katalog von Qualitäten und Quantitäten von verfolgten Minderheiten in der Welt aufzustellen.
Wir haben in den letzten Jahren immer wieder ein Thema angesprochen. Es gibt eine große verfolgte Minderheit in China: die Buddhisten in Tibet. Sie sind ständig in der Gefahr, von diesem Regime verfolgt zu werden, nicht nur aufgrund der Diskussionen über die Eigenständigkeit Tibets, sondern auch aufgrund ihrer kulturellen und religiösen Zugehörigkeit. Auch dieses Thema gehört in die Anträge. Darüber müssen wir reden. Wenn wir das nicht tun, dann ist dieser Antrag an dieser Stelle unvollständig. Wir können ihm in dieser Form nicht zustimmen.
Ein weiterer Punkt, der mir wichtig ist, ist der weltweite Schutz der Religionsfreiheit. ?Weltweit? umfasst - das findet man leider nicht in Ihrem Antrag - natürlich auch unseren eigenen Kontinent. An der einen oder anderen Stelle muss man darüber nachdenken, wie der Zustand der Religionsfreiheit in Europa ist. Dies muss man unter einem anderen Aspekt sehen; ich will das gar nicht gleichstellen. In Europa gibt es in der Auseinandersetzung um Religionsfreiheit keine Verfolgung und Gefahr für Leib und Leben mehr. Aber wir haben natürlich auch Diskussionen, und die Religionsfreiheit ist vielfältig. Ich wünsche mir, dass wir über Fragen wie die des Baus von Minaretten ganz offene Diskussionen führen. Dies betrifft auch die Frage: Wie ist es eigentlich um die Religionsfreiheit bestellt, wenn wir - zu Recht - die Islamische Charta und die Beschlüsse des Menschenrechtsrates in Genf zur Islamophobie kritisieren und es in Deutschland noch immer einen § 166 des Strafgesetzbuches gibt?
Das sind Punkte, die wir nicht ignorieren dürfen. Wir müssen über diese Themen reden. Ich denke, es wird uns in diesem Hohen Hause guttun, da ein Stück Selbstkritik zu üben.
Ich möchte mit einem Glückwunsch an einen Kollegen schließen, der nicht im Deutschen Bundestag sitzt, aber vielen von uns aufgrund seiner der Arbeit im Deutschen Institut für Menschenrechte bekannt ist: Heiner Bielefeldt. Ich glaube, es ist ein gutes Signal, dass jemand wie Heiner Bielefeldt als Sonderberichterstattet der Vereinten Nationen für die Fragen der Religionsfreiheit benannt worden ist. Ich finde, wir sollten uns darum kümmern, dass er hier im Deutschen Bundestag - wir haben eine Anhörung im Menschenrechtsausschuss, zu der wir ihn eingeladen haben - zu diesen Fragen Stellung nimmt. Wir müssen über diese Anträge diskutieren. Wir werden uns auch positiv in diese Diskussion einmischen. Ich hoffe, dass wir an dieser Stelle gute Beratungen hinbekommen und dass der Deutsche Bundestag bei der Geltung der Menschenrechte und insbesondere der Religionsfreiheit in der ganzen Welt - in Deutschland, Europa und darüber hinaus - klare Signale setzt.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Für die Bundesregierung erhält nun das Wort der Herr Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Eine aktive Menschenrechtspolitik ist Markenzeichen deutscher Außenpolitik. Der Einsatz für Religionsfreiheit ist Teil unserer aktiven Menschenrechtspolitik. Ich habe um das Wort gebeten, weil ich nachdrücklich unterstreichen möchte, dass das Engagement der Antragsteller und, wie ich denke, des gesamten Hohen Hauses für Religionsfreiheit, für Pluralität und gegen Verfolgung und Unterdrückung aus religiösen Gründen nicht nur das Anliegen des Parlamentes ist, sondern ausdrücklich auch ein zentrales Anliegen der Bundesregierung.
Wenn Millionen Christen in der Welt ihren Glauben nicht frei leben können, dann wollen wir nicht schweigen. Es ist richtig, dass dies ein Anliegen ist, das uns über die Parteigrenzen hinweg verbindet. In vielen Ländern darf die Bibel weder gekauft noch gelesen werden; Gottesdienste werden behindert; Christen werden ins Gefängnis geworfen oder kommen ins Arbeitslager. Auch vor Angriffen auf Leib und Leben sind sie nicht gefeit. Viele Staaten unterdrücken die freie Religionsausübung mit Verboten, Polizei und Strafen. Andererseits lassen sie ihre Bürger oft genug frei gewähren, wenn sie Jagd auf Andersgläubige machen. Beides sind Formen der Unterdrückung von Religionsausübung: die staatliche Pression und Verfolgung, aber auch das Zulassen von Verfolgung durch Mob und durch Kräfte, die die Toleranz nicht akzeptieren wollen.
Wir müssen zur Kenntnis nehmen - hier müssen wir uns auf Schätzungen verlassen -, dass Nichtregierungsorganisationen weltweit von mindestens 100 Millionen verfolgten Christen ausgehen. Uns geht es aber nicht nur um ein Engagement für den christlichen Glauben, die christlichen Religionen. Vielmehr geht es hier um eine grundsätzliche Frage. Wir sind der Überzeugung: Jeder Mensch muss den Glauben leben dürfen, den er für sich als wahr erkannt hat. Religionsfreiheit ist immer auch die Freiheit, seine Religion ungehindert auszuüben oder zu wechseln. Auch gar keiner Religion anzugehören, ist ein Ausdruck von Religionsfreiheit. Das ist das plurale Verständnis von Religionsfreiheit, das uns nicht nur über das Grundgesetz, sondern auch in unserer täglichen Politik hier verbindet.
Religionsfreiheit muss also für Angehörige christlicher Minderheiten wie für Anhänger anderer Religionen gelten. Wenn wir die Freiheit für Christen auf der ganzen Welt glaubhaft einfordern, dann heißt das natürlich auch, dass der Staat in Deutschland zuerst die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse bei uns zu Hause schützt. Ich unterstreiche nachdrücklich, was der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Volker Kauder, hier dazu gesagt hat: Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit - nicht nur weil wir von Verfassungs wegen dazu verpflichtet sind, sondern weil wir es in uns selbst fühlen und es anstreben -, dass wir, so wie wir in anderen Ländern auf Religionsfreiheit setzen, immer und immer wieder alles dafür tun werden - mit der gesamten staatlichen Gewalt und dem gesamten zivilen Engagement, das es bei uns gibt -, dass auch bei uns in vollem Umfang Religionsfreiheit gewährt wird. Das ist mehr als nur eine Frage von Gebäuden. In Wahrheit ist es auch eine Frage des gesellschaftlichen Klimas. Auch darum wollen wir uns gemeinsam bemühen.
Wenn sich Christen nur um die Freiheit von Christen kümmern, Hindus nur um die Freiheit von Hindus, Muslime nur um die Freiheit von Muslimen, dann ist das nicht das Miteinander von Religionen, das wir meinen. Das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen gelingt nur mit Respekt und Dialog. Wir wollen uns dabei nicht selber etwas vormachen. Es hat auch bei uns Jahrhunderte gedauert - ich rede nicht vom Mittelalter -, bis sich in Europa ein Wertekanon entwickelt hat, in dessen Mittelpunkt der Mensch steht, einschließlich der freien Ausübung der Religion.
Wir sollten uns als Deutsche auch daran erinnern, dass Religionsausübung in Deutschland noch im letzten Jahrhundert alles andere als selbstverständlich war. Millionenfacher Mord, auch auf religiöser Zugehörigkeit begründet, hat auf deutschem Boden stattgefunden. Deswegen ist es nicht belehrend, gegenüber anderen Ländern auf Religionsfreiheit zu drängen; es ist vielmehr die Lehre aus unserer eigenen Geschichte, dass wir uns für religiöse Pluralität überall in der Welt einsetzen.
Die Würde des Menschen, die Freiheit, die Eigenverantwortung, das ist unser Fundament; das ist auch ein Erfolg der europäischen Aufklärung. Für dieses Staatsverständnis stehen wir, und für dieses Staatsverständnis setzen wir uns weltweit ein.
Wir müssen aber allen Versuchen entgegentreten, die Achtung der Menschenrechte unter den Vorbehalt kultureller Eigenheiten zu stellen. Sehr oft hört man: Dieses oder jenes müsse man verstehen; denn es sei gewissermaßen das Ergebnis kultureller Herkunft und kultureller Eigenheit. Das ist eine Form der Relativierung von Werten, die wir nicht akzeptieren können. Religionsunterdrückung ist nicht Ausdruck von Kultur, es ist Ausdruck von Unkultur.
Das vertreten wir auch in unserer Politik, und dafür engagieren wir uns auch gemeinsam.
Oft genug wird aus Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit ein Gegensatz konstruiert. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, immer und immer wieder darauf aufmerksam zu machen: Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit sind gewissermaßen zwei Früchte vom selben Baum, nämlich vom großen, wunderschönen Baum der Freiheit. Darum geht es. Auch wenn man als jemand, der religiös denkt, lebt, erzogen worden ist, das Gefühl hat, dass der eigene Glaube, vielleicht durch Karikaturen oder Meinungsäußerungen, beeinträchtigt wird, gibt es dennoch keine Rechtfertigung, gegen irgendjemanden gewalttätig zu werden. Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit sind keine Gegensätze. Sie sind in Wahrheit ein wunderbares Paar, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ich möchte für die Bundesregierung mit einem klaren Bekenntnis schließen. Wer Hass zwischen den Religionen schürt, verfolgt vor allem politische Ziele, keine religiösen. Religion darf nie Vorwand für Hass, nie Entschuldigung für Gewalt und Krieg sein. Deswegen wird sich die Bundesregierung im, wie ich denke, Namen des ganzen Hohen Hauses auch international dafür einsetzen, indem ein Kernbestandteil unserer Menschenrechtspolitik das Bekenntnis zur Religionsfreiheit ist. Ich selbst habe beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf ziemlich am Anfang meiner Amtszeit die Religionsfreiheit, ausdrücklich auch die Freiheit der Christen im Hinblick auf ihre Religion und ihr religiöses Bekenntnis, in den Mittelpunkt meiner Ausführungen gestellt, weil ich den Eindruck habe, dass wir nicht zulassen dürfen, dass dies ignoriert wird.
Mit Professor Bielefeldt ist vor wenigen Wochen ein Deutscher zum UNO-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit ernannt worden. Wir wünschen ihm für seine Arbeit eine glückliche Hand und viel Erfolg. Sein Anliegen ist das Anliegen der Bundesregierung, und ich bin sicher, es ist das Anliegen des ganzen Hohen Hauses.
Wenn die Öffentlichkeit sieht, dass wir bei diesen fundamentalen Wertefragen übereinstimmen, dann, so denke ich, ist das ein gutes Zeichen. Man kann das - wenn Sie mir erlauben, dies als Abgeordneter am Schluss meiner Rede zu sagen - auch durch gemeinsame Beschlussfassungen dokumentieren.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Raju Sharma für die Fraktion Die Linke.
Raju Sharma (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In ihrem Antrag fordern die Koalitionsfraktionen, Religionsfreiheit weltweit zu schützen. Wir als Linke können das nur unterstützen. Denn natürlich schätzen und achten wir die Freiheit jedes Menschen, seinen Glauben frei von Unterdrückung und Verfolgung zu leben,
genauso wie wir die Freiheit grundsätzlich achten; denn tatsächlich ist die Linke die Partei der Freiheit.
- Hören Sie ruhig zu! Das mag einige von Ihnen überraschen,
weil wir die Rechtsnachfolgerin der SED sind, die bekanntermaßen die Freiheit nicht geschätzt und geachtet hat, anders als wir Linke heute. Wir stehen zu dieser Vergangenheit, wir stellen uns ihr, und wir haben aus ihr gelernt.
Heute ist die Linke diejenige unter allen demokratischen Parteien, die im innerparteilichen Diskurs die Meinungsvielfalt nicht nur toleriert, sondern als Reichtum begreift und deshalb unterstützt und fördert.
- Warten Sie es ab, Herr Kauder. - Auch in unserer Programmdebatte wird der Begriff der Freiheit einen wichtigen Platz einnehmen; denn anders als die FDP haben wir die Freiheit nicht als Statue, sondern als Statut.
Auch das hat in der Linken Tradition: Freiheit und Gleichheit begreifen wir nicht als Gegensatz, sondern als sich ergänzende und sich bedingende Elemente der Demokratie, ohne dass eines von beiden größer geschrieben würde.
Deshalb nimmt es auch nicht wunder, dass das bekannteste Zitat zur Freiheit von einer Sozialistin stammt. Das gilt ganz besonders für den Bereich, der den Menschen tief berührt und sein Selbstverständnis betrifft; somit ist auch ganz klar: Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersgläubigen.
Wir verurteilen es natürlich, wenn in vielen Ländern dieser Welt Religionsfreiheit noch keine Selbstverständlichkeit ist. Ein Beispiel ist Tibet, das im Antrag von CDU/CSU und FDP leider gar nicht erwähnt wird. Völlig zu Recht hat der Dalai Lama den Friedensnobelpreis erhalten. In seinen Bemühungen um die Tibeter verdient er aus meiner Sicht unsere volle Unterstützung,
genauso wie alle anderen Menschen, die sich weltweit für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit starkmachen und dafür eintreten, dass sich Rechtslage und Rechtspraxis in ihrem Land so entwickeln, dass das öffentliche Bekennen der eigenen Religion gewährleistet ist.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen findet insofern ebenso grundsätzlich meine Zustimmung wie der von den Grünen. Allerdings bin ich der Meinung, dass sich CDU/CSU und FDP um etwas mehr Ausgewogenheit hätten bemühen können. Ihr Antrag konzentriert sich vorwiegend - das ist schon gesagt worden - auf die christlichen Minderheiten, was das im Antrag enthaltene Islam-Bashing noch verstärkt und die verschiedenen Religionen unnötig gegeneinander in Stellung bringt.
Zudem erweist sich die Haltung der Koalition nicht wirklich als konsequent; denn wer die UN-Resolution gegen die Diffamierung von Religionen - sicher richtigerweise - ablehnt und darin einen Beweis für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit im Islam sieht, der sollte auch einen Blick in das deutsche Strafgesetzbuch werfen - auch das ist schon gesagt worden -: Zumindest in der praktischen Handhabung ist das in § 166 des Strafgesetzbuches enthaltene Verbot einer Beschimpfung von Religionsgesellschaften nicht allzu weit von der gescholtenen Resolution entfernt.
Ich meine, wir sollten alle Religionen mit demselben Respekt behandeln.
Außerdem stünde es der Regierung nicht schlecht an, ein urbi et orbi auch für sich zu beherzigen. In Sachen Religionsfreiheit lohnt sich nämlich nicht nur der Blick in die Welt, sondern auch ins eigene Land. Eine staatliche Unterdrückung oder Verfolgung einzelner Religionsgemeinschaften ist hier zwar nicht zu beklagen, aber bedingungslose Religionsfreiheit ohne jede Einschränkung findet man auch bei uns nicht, jedenfalls dann nicht, wenn man auch die konsequente Gleichbehandlung aller Glaubensgemeinschaften darunter versteht.
Wenn nämlich ein Muslim zu häufig sein Gotteshaus besucht, dann kann es schon passieren, dass er als potenziell Verdächtiger in der Antiterrordatei landet.
Ein eifriger Kirchgänger muss das nicht befürchten.
Wenn deutsche Behörden Fluggastdaten an die USA übermitteln, die nicht nur Angaben über die Mitgliedschaft in Gewerkschaften enthalten, sondern auch solche über Essgewohnheiten oder die Religionszugehörigkeit, dann geschieht das bekanntermaßen nicht, um den Bordservice für die Passagiere zu optimieren.
Auch in manch anderer Hinsicht findet staatliche Ungleichbehandlung statt. Noch immer werden die evangelische und die katholische Kirche gegenüber anderen Religionsgemeinschaften bevorzugt. Eine konsequente Trennung von Staat und Religion ist in Deutschland noch längst nicht Wirklichkeit. Ich sage nur: Staatsleistungen, Kirchensteuer, Religionsunterricht. Hier könnten wir von unseren Nachbarn lernen: In Frankreich ist der Laizismus als Grundsatz in der Verfassung festgeschrieben - wir haben Gott in der Präambel des Grundgesetzes.
Immerhin bekennt sich die Koalition in ihrem Antrag auch zur Freiheit der Nichtgläubigen, die anerkannt und geschützt werden soll. Es besteht also ein breiter Konsens darüber, dass die Zeit des Missionierens endgültig vorbei ist. Wenn Menschen zum Glauben finden, dann sollten sie das in Freiheit tun: hier und im Rest der Welt.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, ich will Ihr Angebot ausdrücklich aufgreifen, in den Ausschussberatungen zu gemeinsamen Beschlussfassungen zu kommen, weil ich denke, das Thema der Religions- und Glaubensfreiheit ist so wichtig, dass der Deutsche Bundestag das über die Grenzen von Koalition und Opposition hinweg tun sollte, weil er so seine Position stärker zum Ausdruck bringen kann.
Herr Sharma, Sie haben hier das Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland kritisiert. Das Entscheidende ist, dass wir alle Glaubensgemeinschaften und weltanschaulichen Haltungen gleich behandeln. Es gibt unterschiedliche Rechtstraditionen: Frankreich und die Türkei haben einen eher laizistischen Ansatz, und in der Türkei existiert außerdem die Besonderheit der Privilegierung des sunnitischen Islam. In Deutschland besteht die ?hinkende? Trennung von Staat und Kirche. Das Entscheidende, das wir hier in Deutschland tun müssen, ist, dass wir alle Religionen gleich behandeln. Das heißt aber nicht zwingend, dass wir die Grundsätze unseres Religionsverfassungsrechtes deshalb aufgeben müssten.
Meine Damen und Herren, ich nehme wohl wahr, dass diese Debatte heute hier anders verläuft als in der Vergangenheit. Trotzdem erfolgte in Ihrem Beitrag, Herr Kauder, und auch in Ihrem Antrag eine zu einseitige Zentrierung auf die Verfolgung der Christen. Ich denke, wir erweisen den Christen, die in anderen Ländern verfolgt werden, einen Bärendienst, wenn wir nicht um das Recht der Religionsfreiheit streiten, sondern uns einseitig auf ?unsere? Leute fokussieren, die woanders verfolgt werden. Das ist die falsche Perspektive. Es muss um das Prinzip der individuellen, der kollektiven und auch der negativen Glaubensfreiheit gehen. Wenn wir um das Prinzip streiten, dann können wir weltweit auch viel für die verfolgten Christen tun.
Nicht nur Christen aus Orissa haben auf der Bühne Platz genommen, sondern auch ein Vertreter des Nationalen Geistigen Rats der Bahai, einer kleinen Weltreligion mit 300 000 Gläubigen im Iran. Was wird aber dadurch ausgesagt, dass zahlenmäßig weniger Bahai als Christen verfolgt werden, weil es nun einmal weniger Bahai als Christen gibt? Gerade für diese religiöse Minderheit ist die Situation im Iran dramatisch, weil die iranischen Muslime nicht akzeptieren, dass es nach Mohammed einen neuen Offenbarer gab, der für sich in Anspruch genommen hat, eine neue Religion zu begründen. Das ist aber kein Argument, mit dem man Glaubensfreiheit ausschalten kann, sondern wir müssen die Verfolgung der Bahai im Iran massiv kritisieren.
Seit 2004 wurden 313 Bahai festgenommen. Am 22. Juni 2010, also vor wenigen Wochen, wurden 50 Häuser von Bahai im Iran zerstört. Der Prozess gegen die zwei Frauen und fünf Männer des Nationalen Geistigen Rats der Bahai läuft. Sie sitzen ein, und zwar nur dafür, dass sie einer Religionsgemeinschaft angehören, die dem iranischen Regime nicht passt, weil sie nach ihrer Ansicht mit dem Islam nicht konform zu bringen ist. Vieles aus der Liste der Diskriminierungen und der Verfolgung der Bahai im Iran erinnert daran, wie in den ersten Jahren des Dritten Reiches gegen die Juden vorgegangen wurde. Kein bürgerliches Recht auf Erbe, auf Besitz, auf Schulbesuch, auf Freiheit und auf den Schutz von Leib und Leben ist für die Bahai im Iran garantiert.
Deshalb sollten wir hier keinen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Verfolgtengruppen in diesem Bereich anfangen, sondern massiv da einschreiten, wo eine Gruppe von Menschen oder Einzelne verfolgt werden, weil sie einen anderen Glauben haben als die Mehrheit oder das Regime eines Landes. Darum geht es, wenn wir über die Religionsfreiheit streiten, und es geht auch darum, dass wir das, was wir von anderen Ländern verlangen, auch im eigenen Land konsequent umsetzen, obwohl es bei uns natürlich keine religiöse Verfolgung gibt. Deshalb verlangen wir in unserem Antrag, auch darüber zu reden, ob der § 166 Strafgesetzbuch zur Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen mit der von uns hier gemeinsam geübten Kritik an der Resolution des UN-Menschenrechtsrats gegen die Diffamierung von Religionen noch zusammenpasst, also ob wir uns hier nicht auch an die eigene Nase fassen müssen.
Gleichstellung der Religionen und diskriminierungsfreie Garantie der Glaubensfreiheit - Herr Bielefeldt hat in einer Schrift der Kommission Justitia et Pax ausgeführt, dass es darum geht, für das Recht der Religionsfreiheit universell und diskriminierungsfrei einzutreten - bringt für uns als Bundestag gemeinsam mit den Ländern die große Aufgabe mit sich, endlich die Weltreligion des Islam in Form von anerkannten islamischen Religionsgemeinschaften innerhalb des deutschen Religionsverfassungsrechtes gleichzustellen. So können wir diesen die Rechte geben, die unser Religionsverfassungsrecht beim Religionsunterricht und bei der Ausbildung von Geistlichen gewährt, und diese Religionsgemeinschaft auch mit Blick auf andere rechtliche Konsequenzen, die sich aus der Anerkennung ergeben gleichstellen. Denn nach dem Christentum ist der Islam in Deutschland die zweitgrößte religiöse Gruppe. Es kann nicht sein, dass eine so große Zahl von Menschen bei der Inanspruchnahme ihrer Grund- und Menschenrechte letztendlich nicht gleichgestellt ist.
Ich hoffe, dass es bei den Beratungen dazu kommt, dass unser Antrag und der Antrag der Koalition zu einem gemeinsamen Beschluss zusammengeführt werden. Denn ich glaube, nur dann, wenn der Bundestag bei dem Thema Menschenrechte mit einer Stimme spricht, wird seine Stimme auch weltweit wirklich gehört werden. Ich meine, die Glaubensfreiheit ist es wert, dass wir uns dieser Mühe unterziehen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nun erhält Johannes Singhammer das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Johannes Singhammer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir in Deutschland wissen vom Wert der Freiheit des Glaubens. Ohne Religionsfreiheit gibt es keinen dauerhaften inneren Frieden. Im kollektiven Gedächtnis vieler Menschen bei uns, aber auch in Europa, sind die Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges, dieses schrecklichen Krieges, fest eingebrannt. Drei Jahrzehnte Krieg, Morde und Verwüstung haben - neben dynastischen und hegemonialen Gründen - vor allem auch die Auseinandersetzung um Religionsfreiheit zum Kern gehabt. Während dieses bitteren Dreißigjährigen Krieges erkannte man, dass kein Fürst, kein Staat, keine Obrigkeit, kein Mob dem einzelnen Menschen sein persönliches Verhältnis zu Gott vorschreiben kann. Als eine geschichtliche Erfahrung stellt unser Grundgesetz in Art. 4 Abs. 1 und 2 unmissverständlich fest:
Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Das gilt für alle. Das gilt auch für Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind und nicht einem der christlichen Bekenntnisse angehören. Deshalb ist der Bau von Gebetshäusern und Moscheen durch unsere Verfassung garantiert.
Wir sagen allerdings auch denjenigen Staaten, die sich für in Deutschland lebende Landsleute einsetzen, damit diese ihre Religion zu Recht ungestört ausüben können, dass sie dabei die christlichen Minderheiten im eigenen Land nicht aus dem Blick verlieren sollen.
Dabei genügt nicht die formale Gleichstellung auf dem Papier, sondern sie muss in der wirklichen Praxis erfolgen.
Vor wenigen Tagen habe ich gemeinsam mit einem Kollegen und mit führenden Repräsentanten der katholischen und der evangelischen Kirche und der Evangelischen Allianz Christen in der Türkei besucht. Was man gesehen hat, muss man auch ansprechen. Unser Eindruck war: Viele christliche Minderheiten spüren einen Mangel an Religionsfreiheit und Toleranz, weshalb gerade viele jüngere Christen für sich keine Perspektive mehr sehen und das Land verlassen. Den christlichen Kirchen droht dort die Gefahr der Marginalisierung. Es leben zum Teil nur noch ein paar Familien in Dörfern, die früher mehrheitlich von Christen bewohnt waren.
Kirchen und Klöster in Anatolien sind aber nicht nur uralte, ehrwürdige Bauwerke, die es aus touristischen Gründen zu erhalten gilt, sondern es muss Kirchen und Klöstern auch gestattet sein, christliches Leben zu entfalten. Deshalb erfüllt es mich mit Sorge, wenn beispielsweise jetzt in Deutschland mehr Mitglieder der syrisch-orthodoxen Kirche leben als in ihrer angestammten Heimat, der Provinz Mardin.
Die seit 1971 unterbundene Priesterausbildung muss, gerade für die orthodoxe Kirche, wieder möglich sein, und die theologische Ausbildung, die eigenverantwortlich zu organisieren ist, ist notwendig, um eine schleichende Austrocknung des kirchlichen Lebens zu verhindern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Religionsfreiheit wird nicht durch klare und eindeutige Rechtssätze gewährleistet. Darin sind wir uns einig. Religionsfreiheit wird vor allem auch durch den tagtäglichen Umgang von Verwaltung, Administration und Gerichten mit christlichen Minderheiten oder auch anderen religiösen Minderheiten gewährleistet oder auch verhindert.
Festzustellen ist aber auch: Religionsfreiheit heißt nicht Wertneutralität. Wir in Deutschland haben in einem langen und schmerzhaften Prozess über Jahrhunderte hinweg eine religiöse bzw. weltanschauliche Neutralität des Staates verwirklicht, die aber keineswegs eine vollständige Wertneutralität der staatlichen Ordnung bedeutet. Die Zwei-Schwerter-Lehre und der Investiturstreit im Mittelalter haben letztlich zu Art. 140 unseres Grundgesetzes geführt, in dem unter anderem geregelt ist:
Es besteht keine Staatskirche.
Bei den Gründervätern der Bundesrepublik Deutschland herrschte die Überzeugung vor, dass erst der Abfall von Gott den Weg freigemacht hatte für das schrankenlose Machtsystem tiefster menschlicher Erniedrigung des Nationalsozialismus. Auf dieser Grundlage unserer Verfassung haben wir die Religionsfreiheit definiert und garantiert. Wir wollen diese Erfahrungen nicht besserwisserisch anderen aufdrängen, aber es ist uns von der Union wie auch, glaube ich, allen Mitgliedern dieses Hauses wichtig, dass die Religionsfreiheit als Menschenrecht über nationale Grenzen hinweg verwirklicht wird. Deshalb werden wir darauf achten, dass die Freiheit des Gewissens und Glaubens bei unseren Partnern und den Mitgliedern der internationalen Völkergemeinschaft gewährleistet wird, und wir werden diese auch einfordern.
Ein wichtiger Schutzschirm für verfolgte und bedrohte Minderheiten, insbesondere Christen, ist die Herstellung der Öffentlichkeit bei uns und weltweit. Deshalb hilft diese Debatte hier und heute vielen verfolgten Menschen in unterschiedlichsten Ländern vor allem dann, wenn wir uns mit einer einigen und gemeinsamen Botschaft an die Weltöffentlichkeit wenden.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun die Kollegin Angelika Graf für die SPD-Fraktion.
Angelika Graf (Rosenheim) (SPD):
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine ganze Reihe Kollegen, darunter der Herr Außenminister und auch Sie, Herr Singhammer, hat auf die Geschichte der Religionsfreiheit hingewiesen. Ich möchte noch ein Puzzlestück hinzufügen. Der Augsburger Religionsfriede vom September 1555, in dem der Grundsatz ?cuius regio, eius religio? festgelegt wurde, gilt als weltpolitisches Ereignis und läutete nach den Reformationskriegen quasi die offiziell festgeschriebene Koexistenz beider christlichen Konfessionen und damit die Neuzeit in den Kirchen ein. Den Dreißigjährigen Krieg hat er allerdings nicht verhindern können. Religionsfreiheit im heutigen Sinne war das damals nur ansatzweise, ging es doch bei dieser Regelung darum, dass die Untertanen der Herrscher der jeweiligen Fürsten- und Königshäuser der Konfession ihres Landesfürsten folgen mussten, was bedeutete, dass sie bei einem Wechsel des Herrscherhauses auch immer ihre Konfession wechseln mussten.
Tatsächliche Religionsfreiheit ist ganz eindeutig ein Zeichen der Moderne, auch weil sie in der heutigen Zeit individuelle Freiheit ausdrückt. Der von mir sehr geschätzte und schon mehrfach angesprochene UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfragen, Heiner Bielefeldt, sagte neulich in einem Interview - ich zitiere -:
Die Religionsfreiheit ist ein individuelles Freiheitsrecht, wie die Meinungsfreiheit auch. Es geht um die Freiheit, sich zu einem Glauben zu bekennen oder auch nicht.
Das heißt, man darf nicht dazu gezwungen werden, seinen Glauben zu verbergen, aber auch nicht, ihn zu offenbaren. Ein gutes Beispiel dafür ist die Möglichkeit, im Deutschen Bundestag zum Beispiel bei der Eidesformel den letzten Satz wegzulassen.
Religionsfreiheit bedeutet auch die Freiheit, den Glauben ohne Druck und Zwang, aber auch ohne Konsequenz für Leib und Leben oder die berufliche Existenz zu wechseln oder zu behalten. Dies ist in einer Vielzahl von Ländern - das ist schon mehrfach angesprochen worden - nicht möglich. Beispiele dafür sind der Iran oder Saudi-Arabien. Dort steht auf Apostasie, also den Abfall vom Islam, die Todesstrafe ebenso wie in Pakistan auf die Beleidigung des Propheten Mohammed. Dort wie in vielen anderen Ländern darf nicht für einen Religionswechsel, zum Beispiel hin zum Christentum, geworben werden.
Volker Beck hat schon sehr eindrucksvoll die Lage der Bahai im Iran geschildert. Christen und Angehörige anderer Religionen, zum Beispiel die Jesiden, die Juden, die Hindus, erleben in vielen Ländern und Regionen Verfolgung. Nicht zu vergessen - Herr Singhammer hat das angesprochen - ist die Situation der syrisch-orthodoxen Christen in Mor Gabriel im Südosten der Türkei. Ich selbst war in diesem Kloster und konnte mich von der schlimmen Lebenssituation der Menschen dort überzeugen.
Die Menschenrechtspolitiker dieses Hauses haben über alle Fraktionsgrenzen hinweg schon in der Vergangenheit bei Besuchen in den jeweiligen Ländern gegenüber den politisch Verantwortlichen immer deutlich gemacht, dass die Religionsfreiheit und damit auch der Wechsel der Religion zu den Grundfreiheiten des Menschen gehört, wobei ich allerdings nicht verschweigen möchte, dass manche Gruppierung absolut inakzeptable Werbemaßnahmen einsetzt. So bietet zum Beispiel eine koreanische Organisation Opfern von Unwetter und Überschwemmung - das habe ich in Kambodscha selbst erlebt - nur dann ein festes Dach über dem Kopf oder Bildung für die Kinder an, wenn der Übertritt zum christlichen Glauben erfolgt. Ich denke, das tut der Sache des Christentums keinen guten Dienst.
Religionswechsel geschehen bei uns aus sehr unterschiedlichen Beweggründen. Viele Menschen haben aufgrund bestimmter Lebensumstände aus eigenem Willen in einem anderen Glauben oder in einer anderen Konfession eine neue Heimat gefunden. Aber wir sollten auch nicht vergessen: Es ist noch nicht so lange her, dass Menschen in Deutschland wegen einer sogenannten Mischehe, also der Ehe zwischen einem evangelischen und einem katholischen Christen, aus der Kirche ausgeschlossen wurden. Erst die Ökumene hat hier einen guten Weg geebnet.
Religionsfreiheit ist ausgesprochen modern und zeitgemäß. Ich frage mich oft: Gilt das auch für das Gottesbild, welches Christen wie Muslime haben? Welchen Sinn, so wurde vor wenigen Tagen in einem Artikel in der Zeit gefragt, hat es, wenn wir zu Gott flehen, um unserem Fußballverein zum Sieg zu verhelfen? Besteht nicht auch der gegnerische Verein aus Kindern Gottes?
Erschreckt hat mich das Minarettverbot in der Schweiz, womit die Errichtung des Wahrzeichens einer anderen Religion in einer mitteleuropäischen Stadt unmöglich gemacht werden sollte. Ich danke Ihnen, Herr Kauder, ganz ausdrücklich, dass Sie deutlich gemacht haben, dass das in Deutschland nicht infrage kommt.
Ich begrüße deshalb sehr, dass der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke unmissverständlich klargemacht hat, dass ein Minarett zur Moschee gehört wie der Turm zur Kirche, und dass er davor gewarnt hat, Muslime und andere Andersgläubige, die in unserer Gesellschaft ihren Platz haben, durch diese oder ähnliche Aktionen auszugrenzen; denn wir können nur dann weltweit wirkungsvoll für die Religionsfreiheit kämpfen, wenn wir selbst sie hochhalten. Dazu gehört zum Beispiel auch, dass wir uns mehr darum kümmern, dass Imame in Deutschland ausgebildet werden. Das würde uns deutlich weiterbringen.
Ich komme zurück zu Heiner Bielefeldt. Die Religionsfreiheit dürfe, so sagt er, nicht dazu missbraucht werden, Religionen gegen jede Kritik oder gesellschaftliche Auseinandersetzung zu immunisieren. - Bielefeldt hat recht. Religionen müssen als Teil unserer gesellschaftlichen Prozesse heute mehr denn je miteinander kommunizieren und sich und ihr Auftreten immer wieder neu selbstkritisch unter die Lupe nehmen. Das machen die Vielzahl der Kirchenaustritte rund um die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und der Skandal um Bischof Mixa überdeutlich. Dort hat die Kirche deutliche Versäumnisse gezeigt.
Ich weiß, dass die ganz große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime fundamentalistische Gruppierungen ablehnt. Ich sehe aber auch, dass unsere offene Gesellschaft sich verändert, weil sie sich von diesen fundamentalistischen Strömungen bedroht fühlt. Das Minarettverbot in der Schweiz macht deutlich, dass in letzter Konsequenz auf Dauer die Religionsfreiheit gefährdet sein könnte.
Sorgen mache ich mir auch um die jungen Musliminnen und Muslime, die die Tendenzen in der Mehrheitsgesellschaft natürlich spüren. Wir müssen daran arbeiten, sie vor fundamentalistischen Gegenströmungen zu schützen. Wir müssen ihnen die Werte unserer offenen Gesellschaft besser vermitteln. Deswegen plädiere ich sehr für einen staatlichen Islamunterricht in jedem Bundesland. Wir müssen auf die Länder einwirken, damit so etwas endlich realisiert werden kann; denn dies wäre eine Möglichkeit, die Fragen und Bedürfnisse der jungen Musliminnen und Muslime aufzunehmen, und ein wichtiger Teil des Weges, den junge Menschen in unserem Staat finden müssen.
Religionsfreiheit bedeutet den Schutz und die Freiheit aller Glaubensrichtungen - auch in Deutschland. Das werden wir in unserem Antrag, den wir Ihnen in Kürze vorlegen werden, auch deutlich machen.
Vielen herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Pascal Kober erhält nun das Wort für die FDP-Fraktion.
Pascal Kober (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sehnsucht nach Freiheit, die Sehnsucht nach Freiheit der innersten Bindungen und der innersten Grundüberzeugungen von äußerem Zwang - wir würden heute sagen: die Sehnsucht nach der Freiheit des Gewissens, die Glaubens- und Religionsfreiheit - ist geradezu der Ausgangsimpuls für die gesellschaftliche Freiheitsbewegung, in deren Folge sich die freiheitlichen Demokratien auf dem Boden unveräußerlicher Grundrechte ausgebildet haben.
Es ist kein Widerspruch, dass wiederum der Grundwert der Glaubens- und Gewissensfreiheit in unserer Geistesgeschichte seinen Ausgangspunkt in der jüdisch-christlichen Tradition hat, nach Jahrhunderten der Verdunklung durch theologische Missinterpretation wiederentdeckt und aufgedeckt in der Reformation und säkular-politisch durchdacht, ausformuliert und erkämpft in der Freiheitsbewegung der Aufklärung.
Jüdisch-christliche Tradition, Reformation und Aufklärung - wir wären uns selbst nicht treu, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern geradezu selbstvergessen, würden nicht gerade wir als christlich-liberale Koalition für das unveräußerliche Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, auf Religionsfreiheit weltweit entschieden eintreten.
Was die Religionsfreiheit, für die die christlich-liberale Koalition weltweit im Rahmen ihrer kohärenten und wertegeleiteten Außenpolitik eintritt, aber nicht meint und was die Toleranz unter den Religionen und Weltanschauungen, die wir einfordern, nicht meint, ist eine relativistische Toleranz oder Religionsfreiheit, die der Frage nach der Gültigkeit von Werten, die, wenn man so will, der Wahrheitsfrage ausweicht.
Denn wem alles gleich gültig ist, dem ist auch alles gleichgültig. Das ist das genaue Gegenteil einer wertegebundenen und wertegeleiteten Außenpolitik
und das genaue Gegenteil der Idee universell gültiger unveräußerlicher Menschenrechte.
Das Konzept der Religionsfreiheit, für das wir als christlich-liberale Koalition weltweit eintreten, ist das Konzept einer Toleranz, die nicht alles für richtig hält und auch nicht jedem recht gibt. Wer beispielsweise unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit anderen andere Grundrechte vorenthalten möchte, hat mit unserem entschiedenen Widerspruch zu rechnen.
Religionsfreiheit gibt es für uns nur innerhalb des Rahmens der für alle gültigen universellen und unteilbaren Menschenrechte.
Was wir mit unserer wertegeleiteten Außenpolitik von allen Religionen und Weltanschauungen einfordern, ist gegenseitige Toleranz, aber keine Toleranz, die dem Dialog um Wertefragen ausweicht, sondern eine Toleranz, die den Dialog um die Wahrheit und Gültigkeit von Werten, die den Dialog um die Weise eines friedlichen Zusammenlebens aller innerhalb der Friedensordnung, die die unveräußerlichen Menschenrechte jedem gewähren, sucht. Deshalb sind die Mittel und Wege, mit denen die christlich-liberale Regierungskoalition weltweit für Menschenrechte eintritt, vor allen Dingen der entschiedene Menschenrechtsdialog auf allen Ebenen, die Menschenrechtsbildung, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aufgrund der Einsicht, dass gesellschaftliche Freiheit und Rechtsstaatlichkeit einerseits und ökonomische Unabhängigkeit andererseits einander positiv bedingen.
Als christlich-liberale Koalitionsfraktionen fordern wir mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, in ihren Anstrengungen für Religionsfreiheit und Menschenrechte nicht nachzulassen, und sichern zugleich unsere Unterstützung zu.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette Groth für die Fraktion Die Linke.
Annette Groth (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als linke, ökumenisch geprägte Protestantin begrüße ich die heutige Debatte über die Glaubens- und Gewissensfreiheit als ein elementares Menschenrecht. Religion ist für viele Menschen von zentraler Bedeutung. Deshalb müssen sich Staaten gegenüber Religionen und Weltanschauungen neutral verhalten und eine freie Religionsausübung gewährleisten.
Wie einige Vorrednerinnen und Vorredner unterstütze ich ausdrücklich die deutliche Kritik am Minarettverbot in der Schweiz.
Aber auch in Deutschland versuchen Bürgerinitiativen häufig, den Bau von Moscheen zu verhindern. So wird die Religionsfreiheit behindert.
Seit einiger Zeit beobachte ich mit großer Sorge, dass in Deutschland, aber auch in anderen EU-Staaten mit Begriffen wie ?islamistisch? eine ganze Religion diskreditiert wird. Eine solche Kategorisierung trägt dazu bei, dass bei der Mehrheitsgesellschaft Ressentiments gegen Muslime geschürt werden. Als Reaktion auf diese Diskriminierung und Stigmatisierung könnten Muslime in die Arme von Extremisten getrieben werden. Deshalb hat sich die US-Regierung kürzlich von Begriffen wie ?radikaler Islam? und ?islamistischer Terror? ganz verabschiedet.
Verehrte Damen und Herren, zu einer fortschrittlichen Menschenrechtspolitik gehört die Analyse der tieferen Ursachen von religiösen Konflikten. Oft zeigt sich, dass Diskriminierungen oder Gewaltakte gegen eine bestimmte Religion der Katalysator für soziale und ökonomische Konflikte sind. Wenn Angehörige einer Religion von der Politik bevorzugt werden, werden bei anderen Religionsgemeinschaften Ressentiments geschürt. Dann wird Religion als Machtinstrument missbraucht.
Herr Kauder sowie andere Rednerinnen und Redner haben den Fall Orissa bereits erwähnt. An den Überfällen waren Mitglieder der Lokalregierung und der indischen Volkspartei BJP, deren Mitglieder nationalistische Hindus sind, beteiligt. Ein Grund für diese gewaltigen Ausschreitungen sind die große Armut und der seit Jahren geschürte Hass auf Andersgläubige. Viele der 35 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Orissas leben in großer Armut. Diese sozialen Verhältnisse machen es religiösen Hasspredigern leicht, die Frustration über die sozialen Ungerechtigkeiten auf andere zu lenken.
Im Bundesstaat Karnataka hat die regierende BJP kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das den Religionswechsel weg vom Hinduismus verhindern soll. Dieses Gesetz stellt ?unredliche Bekehrung? unter Strafe und legt fest, dass jeder Übertritt zum Christentum den Behörden gemeldet werden muss. Mit der toleranten indischen Verfassung ist dieses Gesetz eigentlich nicht vereinbar. Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie solche Diskriminierungen, ganz gleich, ob sie Muslime, Christen oder andere Religionsgemeinschaften betreffen, in ihren Gesprächen mit Indien deutlich verurteilt.
Verehrte Damen und Herren, die Regierung in Orissa hat auf die Armut mit einer zerstörerischen Industrialisierung reagiert. Durch die Ansiedlung eines Stahlwerks mit 4 Milliarden Euro Umsatz wurde eine fundamentale Veränderung der betroffenen Region eingeleitet. Das Stahlwerk verbraucht riesige Wassermengen und zerstört die Lebensgrundlage von vielen Bäuerinnen und Bauern. Dadurch wird die Wut vieler Betroffener noch mehr gesteigert.
Es gibt in vielen Ländern ähnliche Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Religionen. Ich habe Orissa als Beispiel gewählt, weil hier exemplarisch der Zusammenhang zwischen Armut und religiösem Fanatismus aufgezeigt wird. Wenn durch das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Indien viele Millionen armer Bäuerinnen und Bauern ihre Existenzgrundlage verlieren, weil billige subventionierte Lebensmittel aus der EU den indischen Markt zerstören, befürchte ich, dass die Hassprediger noch mehr Zulauf und Gehör finden könnten als bisher. Deswegen müssen wir auch durch eine gerechte Handelspolitik dazu beitragen, dass Armut sich nicht weiter verschärft.
Die Linke fordert von der Bundesregierung eine Menschenrechtspolitik, die sich für alle Verfolgten und Bedrohten, egal welcher Religionsgemeinschaft sie angehören, einsetzt.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nächster Redner ist der Kollege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Regierungsfraktionen behandelt vor allem die Verletzung der Religionsfreiheit in fernen Ländern. Das ist aber nicht genug. Wer die Religionsfreiheit beschneidet oder missachtet, der missachtet auch Europa; denn Europa ist ein politisches Projekt der bürgerlichen Freiheiten einschließlich der Religionsfreiheit und gerade der Religionsfreiheit. Diese grundlegenden Freiheitsrechte sind im Grad ihrer Durchsetzung und in der Entwicklung ihres Instrumentariums ein Markenzeichen Europas und nicht nur, Herr Bundesaußenminister, Deutschlands.
Wenn ich mich in Europa umsehe, dann sehe ich aber Debatten, die an diesem Fundament des europäischen Selbstverständnisses rütteln. Die Mehrheit der Schweizer ist gegen Minarette. Italienische und spanische Kommunen stellen die Vollverschleierung der Frau unter Strafe. In Belgien und Frankreich strebt man ein Verbot von Burka und Niqab an. Über ein Verbot der Burka wurde erst vorgestern wieder in der französischen Nationalversammlung beraten. Immer haben diese Debatten eine deutlich fremden- und freiheitsfeindliche, eine nationalistische und vor allem antieuropäische Konnotation.
Darauf müssen wir achten; denn das sind Diskussionen, die auch zu uns nach Deutschland kommen werden, und dabei geht es um den Kern unserer Freiheitsrechte, der Freiheitsrechte von Deutschland und von Europa.
Den freiheitsfeindlichen und reaktionären Tendenzen müssen wir eine sachliche Erwägung dessen entgegensetzen, was Menschenrechte und Freiheiten sind und wo sie durch Menschenrechte und Freiheiten anderer begrenzt werden. Sie dürfen nur dann begrenzt werden, wenn sie Freiheiten und Menschenrechten anderer entgegenstehen.
Europa steht dafür, dass das einzelne, schwache Individuum vor Begehrlichkeiten von starken, überindividuellen Institutionen geschützt wird, auch vor Staaten oder Schulen, selbst vor Religionsgemeinschaften, egal wie hoheitlich, traditionsreich oder hochwürdig sie daherkommen mögen. Wenn wir Abstriche am Schutz dieser Menschenrechte zulassen, dann gefährden wir das politische Projekt Europa.
Deshalb sollten wir uns davor hüten, nicht Stellung zu beziehen oder wegzuschauen, wenn wir dergleichen sehen können.
Leute wie Sarkozy oder Wilders sagen es nicht so deutlich, aber im Hintergrund der Debatten um Burka und Minarette steht immer noch die Vorstellung von einem christlichen Abendland. Sie sagen in etwa: Europa ist da, wo die Burka nicht ist, und dass manche Religionen mit unseren Werten weniger zusammenpassen als andere. Europa ist aber mehr als das christliche Abendland. Europa ist nicht das Projekt einer Religion, sondern das von vielen Gläubigen und Ungläubigen, Religionen und Religionsgemeinschaften sowie Areligiösen.
Noch ist die Religionsfreiheit in Europa besser umgesetzt als in vielen anderen Teilen der Welt - und zwar nicht nur in den Gesetzestexten, sondern auch im gesellschaftlichen Miteinander. Religionsfreiheit weltweit zu schützen, heißt aber auch, weltweit und in Europa einen Fundamentalismus zu bekämpfen, der nicht nur unter Muslimen, sondern auch unter Christen, Juden, Orthodoxen und Ungläubigen zurzeit immer stärker wird.
Religionsfreiheit und Liberalität sind Identitätszeichen Europas. Für viele in der Welt ist Europa gerade wegen dieser Freiheit so attraktiv. Wenn wir auf Europa stolz sein wollen, dann sollten wir das gerade deswegen sein. Die Idee Europa braucht Religionsfreiheit. Wir sollten sie mit allem Nachdruck vor jeder Relativierung schützen.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält jetzt die Kollegin Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion.
Erika Steinbach (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn weltweit so viel Religionsfreiheit herrschen würde wie in der Europäischen Union, dann müssten wir uns heute manche Gedanken nicht machen. Das muss ich einmal deutlich feststellen.
Die Situation in Deutschland und in Europa, die geprägt ist von Debatten über Detailfragen, wie hier Religionsfreiheit ausgestaltet werden kann, lässt sich überhaupt nicht mit der Situation von vielen religiösen Minderheiten - dazu zählen in vielen Staaten auch die Christen -, die unter Existenzsorgen leiden, vergleichen. Mit Blick auf die Umsetzung der Menschenrechte und des Rechts auf Religionsfreiheit kann man sagen, dass dazwischen wirklich Welten liegen.
Wir in Europa und insbesondere in Deutschland sind geprägt - das hat der Kollege Singhammer vorhin zu Recht angesprochen - von den Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges. Durch diese religiöse Auseinandersetzung von Christen gegen Christen wurde die deutsche Bevölkerung um 20 bis 40 Prozent dezimiert. Diese Erfahrung, die uns geprägt hat, hat uns zu der Überzeugung gebracht, dass es Religionsfreiheit geben muss. Aber durch die Jahrhunderte waren Religionskämpfe auch immer machtpolitische Instrumente, und es waren auch neidgesteuerte Elemente dabei. Auch das ist deutlich erkennbar.
Angesichts der historischen Entwicklung unseres Landes durch die Jahrhunderte freuen wir uns natürlich, dass Religionsfreiheit inzwischen ein elementares Menschenrecht ist; wir müssen dieses Recht wirklich engagiert vertreten. Dieses Recht wird nicht nur im Grundgesetz garantiert, sondern auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte.
Aber seit vielen Jahren müssen wir mit großer Sorge beobachten, dass Religionsfreiheit zwar in vielen Ländern auf dem Papier steht - Papier ist geduldig -, dass aber diese Religionsfreiheit nicht umgesetzt wird. Grundsätzlich wird sie zugesichert, aber zum Beispiel in den muslimischen Ländern wird sie sehr häufig nur unter dem Diktum der Scharia angewandt. In mindestens 64 Ländern der Erde - mindestens -, in denen fast 70 Prozent der Weltbevölkerung leben, ist die Religionsfreiheit sehr stark eingeschränkt oder sie existiert überhaupt nicht.
Die kleine Religionsgemeinschaft der Bahai - Herr Beck, Sie brauchen uns nicht zu überzeugen - lebt unter großer Bedrängnis und in existenzieller Not. Wir führen ständig Gespräche mit ihren Vertretern in Deutschland. Natürlich stehen wir auch an der Seite der Bahai, aber das heißt doch nicht, dass wir nur dort den Blick hinwenden dürfen. Wir dürfen nicht verkennen, dass weltweit vor allem Christen die am häufigsten verfolgte und unter Druck stehende religiöse Minderheit sind. Sie sind die größte Religionsgemeinschaft weltweit, aber in den Ländern, in denen sie verfolgt werden, sind sie in einer Minderheitensituation.
Keine andere Religionsgemeinschaft wird intensiver verfolgt als die christliche. Ich will nur wenige Beispiele nennen, man könnte eine seitenlange Liste aufführen. In Indonesien wurden in den Jahren 2000 bis 2001 rund 100 000 Christen von den Molukken vertrieben. Im indischen Bundesstaat Orissa wurden zwischen 2007 und 2009 rund 50 000 Christen vertrieben, ermordet oder vergewaltigt. Ich freue mich sehr, dass heute Vertreter der christlichen Minderheit hier sind. Bitte nehmen Sie folgende Botschaft mit zu Ihren Glaubensgeschwistern: Wir stehen an Ihrer Seite. Wir haben Sie nicht vergessen. Wir unterstützen Sie.
Lassen Sie mich weitere Beispiele nennen: Im Irak leiden rund 385 000 Christen unter Verfolgung. Wir müssen feststellen: 80 Prozent aller aus religiösen Gründen verfolgten Menschen sind Christen. Man geht weltweit von mindestens 200 Millionen verfolgten Christen aus. Das größte Ausmaß nimmt die Diskriminierung und Unterdrückung leider in mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern an.
Selbst in der Türkei - das halte ich für besonders bedenklich -, die ihren Blick bekanntermaßen in Richtung Europa gelenkt hat, leben Christen nicht ungefährdet. Die Religionsfreiheit steht im Grunde genommen nur auf dem Papier. Der Bau von Kirchen ist nicht möglich, theoretisch wohl, aber in der Praxis lässt es sich fast nicht umsetzen. Christliche Geistliche schweben in Lebensgefahr, etliche sind schon umgebracht worden. Mission, ein Teil der christlichen Religion, ist unmöglich. Predigten dürfen nur an bestimmten Tagen abgehalten werden. Eine Zahl spricht Bände: Vor 60 Jahren betrug der Anteil der Christen in der Türkei 20 Prozent. Derzeit beträgt der Anteil an Christen in der Türkei nur noch 0,15 Prozent. Diese wenigen werden trotz der Beitrittsverhandlungen gezielt unterschwellig unterdrückt. In Ankara hören Sie nur Stimmen der Unterstützung und des Verständnisses, aber vor Ort sieht die Welt völlig anders aus.
Erst kürzlich hat mir ein Pastor aus Izmir, dessen Namen ich nicht nennen will, von seinen Ängsten und von seiner Drangsal berichtet. Diese ungute Entwicklung muss uns alle hier im Hause zutiefst beunruhigen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit brauchen wir ein friedliches Miteinander der Religionen. Herr Kollege Koenigs, Sie haben ausgeführt, dass es eigentlich kein christliches Abendland gibt. Ich sage Ihnen: Wir leben auf dem Fundament eines christlich geprägten Abendlandes, und das lasse ich mir auch nicht ausreden.
Als Christin füge ich auch hinzu: Selbstverständlich stehe ich solidarisch an der Seite anderer Christen. Herr Beck, Sie wissen doch selber, wo Sie solidarisch stehen. Ich als Christin stehe solidarisch an der Seite verfolgter Christen auf dieser Welt.
- Nein, nicht nur, das habe ich eben deutlich gemacht.
Missverstehen Sie die Dinge doch nicht so, wie Sie es wollen.
Ich glaube, es war gut und richtig, dass Deutschland seinerzeit verfolgte christliche Iraker aus Syrien und Jordanien aufgenommen hat. Es ist gut, dass wir uns im Deutschen Bundestag in einer Kernzeitdebatte dafür aussprechen, dass kein Mensch auf diesem Erdball wegen der Ausübung seiner Religion und seiner Religionszugehörigkeit verfolgt wird.
Herr Außenminister, ich bedanke mich bei der Bundesregierung dafür, dass Sie bei Ihren Gesprächen mit Ihren Auslandskontakten immer wieder darauf hinweisen, dass die Religionsfreiheit für uns ein hohes Gut ist und dass wir von unseren Gesprächspartnern durchaus erwarten, dass sie das auch ernst nehmen.
Ich bedanke mich.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Volker Beck das Wort.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich will es ganz kurz machen. Das ist keine persönliche Bemerkung, Herr Kauder, sondern eine Kurzintervention. Eigentlich wollte ich eine Zwischenfrage an Frau Steinbach stellen.
Von Christ zu Christin: Sehen wir uns nur an der Seite anderer Christen, oder sehen wir uns an der Seite von Verfolgten? Das halte ich für die christliche Haltung.
Können wir uns gemeinsam darauf verständigen, dass wir das Aggiornamento des II. Vatikanums zugrunde legen, obwohl Sie keine Katholikin sind? Wir können Gott, den Vater aller Menschen, nicht anrufen, wenn wir irgendwelchen Menschen, die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die brüderliche Haltung verwehren. Das ist vielleicht eine gute gemeinsame Grundlage. Da geht es nicht um Christen oder Nichtchristen, sondern um Menschen.
Erika Steinbach (CDU/CSU):
Herr Kollege Beck, wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Siegmund Ehrmann ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Siegmund Ehrmann (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach angesprochen worden: Europa und Deutschland sind durch fürchterliche Epochen gegangen. Das, was wir als unteilbare Menschenrechte verstehen, ist auch in unserem Land nicht vom Himmel gefallen.
Die Freiheit des Glaubens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind Rechte des Einzelnen. Wir messen ihnen in unserer Verfassung den höchsten Rang zu. Ob Christ, Jude, Muslim, Buddhist, Hindu oder Mitglied einer anderen Glaubensgemeinschaft, alle haben das Recht, ihren Glauben zu leben, zu predigen, nach außen zu tragen. Das zeigt sich zum Beispiel an den Moscheen und Gotteshäusern, im Tragen des Kreuzes oder im Verzehr koscheren Essens.
Doch nicht nur Art. 4 des Grundgesetzes schützt die Mitglieder von Glaubens- und Religionsgemeinschaften. Das Grundgesetz gibt uns außerdem auf, dafür Sorge zu tragen, dass keiner aufgrund seines Glaubens benachteiligt wird. Gläubige, die offen zu ihrer Religion stehen, müssen nicht fürchten, deswegen diskriminiert zu werden. Religionsfreiheit schließt allerdings auch ein, sich nicht religiös zu bekennen.
Das ist der Verfassungsrahmen in unserem Land. Die Realität zeigt jedoch, dass es auch hier immer wieder zu Konflikten kommt, bei denen die Religionsfreiheit auf dem Prüfstand steht. Ich erinnere an die Debatten über die Ladenschlusszeiten, die Kopftücher oder die Moscheebauten. Die Bedeutung der werteprägenden Kraft von Religion und Glauben für das soziale Miteinander hebt Böckenförde in der oftmals zitierten Aussage hervor:
Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist.
Diese Voraussetzungen liegen eben auch in einer Werteorientierung, die von Religion und Glauben geprägt sind. Unser demokratisches Gemeinwesen nimmt Religions- und Glaubensgemeinschaften nicht etwa billigend in Kauf. Sie sind vielmehr eine Voraussetzung für das Zusammenleben. So weit der Blick auf unser Land.
Die Topografie der Verfolgung religiöser Minderheiten ist hier an vielen Beispielen aus der Welt konkretisiert worden. Ich möchte zwei Beispiele anfügen:
Kürzlich bin ich darauf aufmerksam gemacht worden, dass insbesondere in Belarus aufgrund der Sonderstellung der russisch-orthodoxen Kirchen andere Religionsgemeinschaften durch eine repressive Politik und entsprechende Maßnahmen kriminalisiert und in die Defensive getrieben werden.
Ein weiteres Beispiel bietet auf dem afrikanischen Kontinent Eritrea. Hier sind lediglich vier Konfessionen erlaubt. Alle anderen Religionen werden automatisch kriminalisiert. Das belegen die Zahlen der Inhaftierungen, welche die Sicherheitsdienste von Gläubigen anderer Religionsgemeinschaften vornehmen.
Die Nichteinhaltung der Glaubens- und Religionsfreiheit ist - ich habe es eingangs deutlich gemacht - nicht nur ein außereuropäisches Problem. Das Minarettverbot in der Schweiz ist angesprochen worden. Ich beobachte das auch in unserer Region: Wenn es um den Bau von Moscheen und Minaretts geht, ist das nicht ganz so stressfrei, wie es hier in der Debatte angedeutet wird.
Da werden - das ist rechtsstaatlich nicht zu beanstanden - die Instrumente des Bau- und Planungsrechts benutzt. Gleichwohl gibt es tiefe Nachbarschaftskonflikte, hinter denen sich auch andere Motive verbergen. Auch das, denke ich, muss benannt werden, wenn wir uns mit diesen grundlegenden Fragen auseinandersetzen.
Noch etwas möchte ich ausdrücklich ansprechen: Natürlich ist die Religionsfreiheit im positiven Sinne ein kostbares Gut. Aber dazu gehört auch die Freiheit, die Religion zu wechseln sowie keiner anzugehören. Es ist damit aber auch die Freiheit verbunden, sich kritisch zu besonderen religiösen Auffassungen zu äußern; denn nicht nur Gläubige werden in manchen Ländern erpresst, belästigt und bedroht. Gleiches gilt für Atheisten und Kritiker. Es gibt Länder, in denen nicht nur Andersgläubige, sondern eben auch Kritiker und Atheisten bedroht sind. Da wird das Spannungsverhältnis zwischen positiver Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit deutlich.
Wir werden uns - das sage ich abschließend - in den Ausschüssen mit den Anträgen auseinandersetzen. Meine Fraktion wird sich mit einem eigenen Antrag an dieser Debatte beteiligen. Ich möchte an einen Gedanken erinnern, den Hans Küng in seinen Ausdeutungen des Weltethos formuliert hat: Was sind die Bedingungen für den Frieden? Kurz zusammengefasst stellt er fest: Die Bedingungen für den Frieden setzen einen Dialog der Kulturen voraus. Ein Dialog der Kulturen ist nur möglich, wenn es auch zu einem Dialog der Religionen kommt. Dieser Dialog - wie auch der Dialog der Religionen - setzt den Respekt vor den Überzeugungen der anderen voraus.
Herzlichen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Stefan Ruppert erhält das Wort für die FDP-Fraktion.
Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir an so prominenter Stelle ein so wichtiges Thema wie die Religionsfreiheit, die wir weltweit schützen wollen, behandeln. Ich glaube, der Erfolg deutscher Außenpolitik wird davon abhängen, dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen. Die Geschichte von der linearen Säkularisierung in Deutschland und weltweit - dabei geht es um den Bedeutungsverlust der Religionen -, die bisweilen erzählt wird, ist meiner Meinung nach so nicht richtig.
Immer noch - als protestantischer Christ sage ich: zum Glück - bewegt Religion viele Menschen. Religion ist in der Lage, Emotionalität und Verhalten entscheidend zu beeinflussen. Deswegen ist die Globalisierung kein rein ökonomischer Prozess, sondern der Erfolg der Globalisierung wird auch davon abhängen, welchen Respekt wir Religionen bzw. religiösen Überzeugungen und dem religiösen Miteinander weltweit zollen.
Meine Oma, die ich sehr schätze, sagt häufig - - Vielleicht sieht sie mich an dieser Stelle.
Ich will sie jetzt nicht grüßen. Aber sie sagt häufig - -
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Aber Sie hätten doch sicher keine Einwände, wenn ich im Namen des Deutschen Bundestages herzliche Grüße übermitteln würde.
Dr. Stefan Ruppert (FDP):
Ich danke dem Präsidenten. - Meine Großmutter - sie ist eine tolerante und weltoffene Frau, deshalb meint sie es eigentlich nicht so, wie sie es sagt - sagt als überzeugte Lutheranerin aus Frankfurt: Der guckt schon so katholisch. An diesem Sprachgebrauch sieht man, dass das Gegeneinander von Konfessionen bisweilen bis weit in das letzte Jahrhundert hinein sehr wirksam war. Wir müssen den religiösen Dialog, den Respekt und die Toleranz in Deutschland und weltweit pflegen. Das ist eine Arbeit, die jeden Tag geleistet werden muss.
Ich glaube auch nicht, dass es das Gegeneinander, das hier bisweilen im Raum stand, gibt. Es ist kein Gegensatz, auf der einen Seite auf die Situation von verfolgten Christen weltweit aufmerksam zu machen und auf der anderen Seite religiöse Toleranz gegenüber allen Religionen und religiöse Toleranz, auch nichts zu glauben, zu fordern. Dieser Gegensatz wurde hier bisweilen konstruiert. Wir weisen auf die Verfolgung der Christen hin und sagen, dass viele Hundert Millionen Menschen weltweit bedroht sind. Wir kämpfen aber auch für Weltoffenheit und Toleranz gegenüber allen Religionen.
Ich glaube, das ist das Fundament einer guten Außenpolitik, wie diese Koalition sie prägt. Insofern sollten wir da keinen Gegensatz konstruieren. Ich bin sehr froh über diese Debatte am heutigen Vormittag.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Die letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Ute Granold für die CDU/CSU-Fraktion.
Ute Granold (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte brauche ich vieles von dem, das ich hier sagen wollte, gar nicht mehr zu erwähnen, da es bereits besprochen wurde. Lassen Sie mich ganz kurz auf einige Punkte eingehen. In einer Presseerklärung steht, dass der Menschenrechtsbeauftragte von missio Deutschland, Dr. Oehring - er ist heute auch anwesend -, gesagt hat, er finde es sehr gut, dass zu prominenter Zeit eine Debatte über die Religionsfreiheit weltweit stattfindet, bei der wahrscheinlich wortgewaltige Reden gehalten werden. Aber was kommt danach? Den Worten müssen Taten folgen.
Ich denke, als ein Land, in dem Religionsfreiheit besteht, haben wir den Auftrag, den Menschen in Not, und zwar unabhängig davon, welcher Religion sie angehören, zu helfen. Diesem Auftrag sind wir auch bislang nachgekommen. Wir haben - Kollege Strässer und auch andere haben es vorhin angedeutet - im Jahr 1999 über eine Große Anfrage der Union zur Religionsfreiheit, zu den christlichen Minderheiten, zur Christenverfolgung debattiert. Wir haben dann in der Großen Koalition einen gemeinsamen Antrag auf den Weg gebracht. Nun liegt der Antrag der christlich-liberalen Koalition vor. Mittlerweile haben wir schon einiges umgesetzt.
Wenn Sie, Herr Kollege Koenigs und Herr Beck, immer wieder auf Deutschland und Europa zurückkommen und da die großen Probleme sehen - zum Beispiel christliche Fundamentalisten? - dann haben Sie ein etwas verwischtes Bild. Ich finde das sehr bedauerlich.
Wir leben hier auf der Basis der Werte des christlichen Abendlandes. Ich nehme mir sehr wohl das Recht heraus, als Katholikin - gerade wurden die Protestanten genannt - dort in der Welt, wo die Christen unterdrückt werden, den Finger in die Wunde zu legen. Eine Religion wie zum Beispiel der Islam muss sich auch daran messen lassen, wie sie sich da verhält, wo sie eine Minderheit ist, beispielsweise in Europa, in Deutschland, und wie sie sich da verhält, wo sie in der Mehrheit ist; ich denke hier zum Beispiel an die Türkei oder den Iran.
Wir haben in unserem Antrag natürlich die Bahai und die Muslime angesprochen. Ich würde Sie bitten, dass Sie den Antrag noch einmal lesen.
Es geht auch nicht darum, dass wir irgendeine Religion bevorzugt herausheben oder überhaupt nicht erwähnen,
sondern es geht darum, dass wir jedem seine Religion individuell lassen, dass jeder die Möglichkeit hat, seine Religion in der Gemeinschaft zu leben. Die Freiheit, keine Religion zu haben, oder auch die Möglichkeit, eine Religion zu wechseln, sind vielerorts nicht gegeben. Denken wir an Ägypten, den Iran und viele andere mehr.
Selbstverständlich kümmern wir uns auch um all dies. Dieses Kümmern möchte ich ansprechen. Welche Möglichkeiten haben wir, unseren bedrängten christlichen Glaubensbrüdern und -schwestern, aber auch anderen in vielen Regionen dieser Welt zu helfen? Orissa in Indien wurde angesprochen. Wir haben Gäste aus Orissa, und der Kollege Kober und ich waren vor Ort. Dort sind die Christen massiv verfolgt worden; auch heute noch besteht eine ganz furchtbare Situation. Der Bundesstaat kommt nicht in die Gänge, um die schlimmen Verbrechen aufzuarbeiten, die 2008 geschehen sind. Heute sind noch viele unter prekären Verhältnissen auf der Flucht. Wir haben mit den Christen dort gesprochen. Sie waren so froh, dass es eine Solidarität im Glauben gibt, dass wir aus dem fernen Europa gekommen sind, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern und Solidarität zu zeigen. Es ist den Menschen sehr viel wert, Öffentlichkeit zu schaffen. Wir haben es versprochen und dann im Ausschuss beraten. Wir haben mit den Botschaftern gesprochen.
Ich möchte aber auch erwähnen, dass wir in Gujarat waren. Das liegt in Westindien und ist einer der reichsten Bundesstaaten Indiens. Dort wurden 2 000 Muslime umgebracht. Die dortige Regierung war in dieses Massaker involviert. Auch das muss aufgearbeitet werden.
Wir kümmern uns im Besonderen um die Christen - das stimmt. Ich denke an die Aktion damals, als wir den Flüchtlingen aus dem Irak helfen wollten, die zum größten Teil nach Syrien oder Jordanien geflüchtet waren und meist keine Möglichkeit hatten, in den Irak zurückzukehren. Diese Flüchtlinge sagten: Wir rennen um unser Leben. Davon hat uns etwa eine junge Mutter berichtet, die sagte: Wir möchten irgendwohin, nur nicht zurück in den Irak, weil wir nicht wissen, ob wir da am Leben bleiben werden.
Wir richten hier einen Fokus auf die Christen, weil Angehörige anderer Religionen, die verfolgt werden - auch Muslime -, Rückzugsmöglichkeiten im arabischen Raum haben, die Christen aber nicht. Deshalb galt unser Augenmerk auch im Zusammenhang mit dem Irak den christlichen Religionsgemeinschaften. Bis zum heutigen Tage konnten 1 569 Angehörige religiöser Minderheiten von den 2 500 irakischen Flüchtlingen nach Deutschland kommen. Ich denke, das ist eine gute Sache; hier war Deutschland Vorbild für Europa, das insgesamt 10 000 Flüchtlinge aufnehmen wird. Diesen Weg haben wir gemeinsam beschritten; wir sollten ihn weitergehen.
Es gibt viele Bereiche, in denen wir weiter tätig werden können, über die wir mit den Regierungen sprechen müssen. Unser Außenminister hat beim Menschenrechtsrat in Genf eine Rede gehalten. Wir waren kurz danach auch beim Menschenrechtsrat und wurden auf seine Rede angesprochen: Die wertegeleitete Außenpolitik und das Achten auf die Religionsfreiheit waren in den Gesprächen ein wichtiger Baustein. Deutschland hat eine führende Stellung in der Welt. Wenn es darum geht, den Finger in die Wunde zu legen, wenn Menschenrechte, insbesondere die Religionsfreiheit, verletzt werden, stellen wir die Bedingungen, die erfüllt werden müssen.
Als Letztes möchte ich sagen, dass auch wir von der Union konkret handeln: Wir haben in Erinnerung an den ersten christlichen Märtyrer den Stephanus-Kreis gegründet und treffen uns, um anhand verschiedener Länder wie Indien und die Türkei über die Religionsfreiheit weltweit zu sprechen. Dabei wollen wir - auch finanziell - helfen und speziell die Menschen unterstützen, die in Not sind, die in Haft sind oder einem anderen Drangsal ausgesetzt sind. Wir haben für die Menschen in Orissa Geld von Misereor beschafft, damit sie aus ihren alten Zelten herauskommen. Über 5 000 ihrer Häuser wurden zerstört. Wir haben dafür gesorgt, dass Zelte gekauft werden, bevor der Monsun kommt. Danke an Misereor! Das ist ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein; aber viele kleine Tropfen helfen sicherlich auch.
Ich möchte Sie alle bitten, weiter zu helfen. Wenn Probleme bestehen, müssen wir sie ansprechen und Öffentlichkeit schaffen. Viele wissen gar nicht, wie schlimm die Situation in Indien ist. Wir müssen das ansprechen, damit zum Beispiel Indien beim Thema Menschenrechte, insbesondere bei der Religionsfreiheit, einen besseren Weg beschreitet.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/2334 und 17/2424 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 4 a und 4 b:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Kelber, Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Brennelementesteuer - Windfall Profits der Atomwirtschaft abschöpfen
- Drucksache 17/2410 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Lisa Paus, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Atomkosten anlasten - Brennelementesteuer jetzt einführen
- Drucksache 17/2425 -
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 90 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer für die SPD-Fraktion.
Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! 2009 hat der damalige Bundesumweltminister Gabriel das erste Mal von einer Brennelementesteuer gesprochen, in dem Ansinnen, auch die Energieversorger, die Atommeiler betreiben, an den Kosten, die die Atomenergie verursacht, zu beteiligen. Gestern ist das Wort Brennelementesteuer im schwarz-gelben Kabinett angekommen.
Die Steuer ist im Rahmen des Sparpaketes als Erbringer von 2,3 Milliarden Euro pro Jahr angelegt. Leider gibt es wenig Inhaltliches zu vermelden. Ich habe das Gefühl, dass kein Konzept hinterlegt ist. Deswegen möchten wir mit unserem Antrag das Wort ein wenig mit Inhalt füllen. Wir wären froh und dankbar, wenn Sie zu unser aller Nutzen die Inhalte übernehmen würden.
Im Jahre 2000 wurde der Atomausstieg vereinbart, der im Jahr 2021 abgeschlossen sein wird. Seit 2000 hat sich die Energieversorgung in unserem Land allerdings gravierend geändert. Die Kosten für die sichere Lagerung radioaktiver Abfälle und die Sanierungskosten haben sich seither vervielfacht. Wir alle wissen nicht, ob die Rückstellungen, die von den Atomkraftwerksbetreibern gebildet werden, ausreichen werden. Kosten, die nicht von den Verursachern getragen werden, muss der Steuerzahler tragen. Das Bundesumweltministerium rechnet alleine für die Sanierung von Asse II und Morsleben mit Kosten in Höhe von 7,7 Milliarden Euro.
Die Atomenergiewirtschaft ist begünstigt, da sie keine CO2-Zertifikate kaufen muss. Da sie keine CO2-Schadstoffe ausstößt - in der Wertschöpfungskette schon, aber nicht bei der Energieerzeugung -, ist die Atomenergie gegenüber fossilen Energieträgern begünstigt. Die Emissionszertifikate, die kostenlos ausgegeben wurden, wurden eingepreist. Die Risiken der Atomenergie sind nirgendwo eingepreist worden. Sie entstehen erst, wenn das Risiko entstanden ist.
Die daraus entstehenden Mitnahmegewinne der Atomenergie betragen laut Öko-Institut 3,4 Milliarden Euro. Jeder abgeschriebene Meiler produziert, wenn er läuft, 1 Million Euro Gewinn am Tag.
- Ja, mindestens.
Nach einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft beliefen sich die Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für die Atomenergie im Zeitraum von 1950 bis 2008 auf 125 Milliarden Euro. Eine Steuer, um diese Gewinne abzuschöpfen, ist mehr als berechtigt.
Eine derartige Steuer wird keine Auswirkungen auf den Strompreis haben. Denn er entsteht an der Strombörse und richtet sich nach den Grenzkosten des letzten fossilen Kraftwerkes. Die Atomenergie ist für den Grundlaststrom zuständig. Das heißt, sie ist davon nicht betroffen.
Wir haben im Hinblick auf die Höhe der von uns geplanten Steuer aus den Zertifikatspreisen eine Preisspanne errechnet. Sie soll 2,5 Cent pro Kilowattstunde betragen. Wir brauchen allerdings noch 0,6 Cent pro Kilowattstunde für die Altlasten, die wir auch finanzieren müssen.
Die Brennelementesteuer ist eine Steuer auf den Verbrauch von Brennelementen. Sie ist europarechtskonform.
In Schweden gibt es sie in ähnlicher Form seit den 80er-Jahren. Daran hat sich nie jemand gestört. Es hat auch nie jemand ihre Abschaffung verlangt.
Die Brennelementesteuer ist unabhängig von einer Laufzeitverlängerung - im Gegenteil. Sie wurde im Hinblick auf Laufzeiten bis 2021 berechnet. Ich denke, länger müssen die Laufzeiten der Atomkraftwerke in diesem Land auch nicht sein. Wir dürfen diesem Land durch alte Reaktoren nicht noch mehr Risiken zumuten.
Das würde in der Konsequenz übrigens eine beträchtliche Erhöhung der Steuer nach sich ziehen.
Wir fordern die Bundesregierung zu Folgendem auf:
Erstens. An den Laufzeiten, die im Jahr 2000 vereinbart wurden, muss festgehalten werden.
Zweitens. Eine Verbrauchsteuer auf die Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, also eine Brennelementesteuer, muss eingeführt werden.
Drittens. Der Tarif der Brennelementesteuer wird anfänglich, umgerechnet auf die erzeugte Elektrizitätsmenge, 3,1 Cent je Kilowattstunde betragen.
Viertens. Alle zwei Jahre fordern wir von der Bundesregierung einen Bericht über die Entwicklung der Kosten der Kernenergie bzw. über die Auswirkungen, die die Erhebung der Brennelementesteuer auf die Ertragsteuereinnahmen der Gebietskörperschaften hat. Es muss natürlich einen fairen Bund-Länder-Ausgleich geben. Es kann nicht sein, dass die Gewinne der Atommeiler durch diese Steuer verringert werden, wodurch in den Ländern weniger Steuereinnahmen anfallen würden. Hier muss es, wie gesagt, einen Ausgleich geben. Das ist allerdings zu machen.
Fünftens bitten wir die Bundesregierung, auf europäischer Ebene einen Anstoß zu geben und auch die Betreiber von Atomkraftwerken im restlichen Europa zur Finanzierung der Kosten der Atomenergienutzung heranzuziehen, damit wir bei der Energiebesteuerung in Europa eine Harmonisierung hinbekommen.
Ich möchte Sie ausdrücklich bitten, dieses Vorhaben zu unterstützen, diese Steuer einzuführen und im Sinne der zukünftigen Generationen eine verantwortungsvolle Politik zu machen. Sie sprechen ja immer von nachhaltigem Wachstum. Ich sage Ihnen: Wachsende Nachhaltigkeit sollte die Maxime sein. Dazu möchte ich Sie auffordern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Frank Steffel ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Frank Steffel (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Arndt-Brauer, Sie haben völlig recht: Die Bundesregierung hat gestern beschlossen, dass ab dem 1. Januar 2011 für die Betreiber von Kernkraftwerken in Deutschland eine Steuer auf den Verbrauch von Brennstäben eingeführt wird. Diese Brennelementesteuer bringt dem Bund jährlich 2,3 Milliarden Euro Steuereinnahmen und wird für den Schuldenabbau im Rahmen des Sparpakets genutzt. Wir halten diese Steuer aus ökologischen und ökonomischen Gründen für richtig und zielführend.
- Ich glaube, Sie sollten sich mit Ihren Zwischenrufen sehr zurückhalten, denn Folgendes ist schon sehr befremdlich: Nachdem gestern die Bundesregierung diesen wirklich wichtigen Beschluss getroffen hat, diskutieren wir heute Ihre Anträge dazu im Parlament, obwohl Sie dafür elf Jahre Zeit hatten.
- Ihnen steckt die Niederlage beim Fußball noch in den Knochen. Bleiben Sie gelassen! Lassen Sie uns das Thema sehr präzise diskutieren.
Sie hatten unter Rot-Grün sieben Jahre dazu Zeit. Bundesumweltminister Trittin hatte erst mit Herrn Lafontaine und dann mit Herrn Eichel als Finanzminister Zeit, das Thema anzustoßen, möglicherweise sogar im Rahmen der Laufzeitverkürzung festzulegen, die Sie 2000 beschlossen haben. Dann hatten Sie in der Großen Koalition beide Ressorts. Herr Gabriel, Ihr Parteivorsitzender, der jetzt schlaue Vorschläge macht, hatte mit Finanzminister Steinbrück vier Jahre Zeit, das Thema zu diskutieren und voranzubringen. Sie haben es nicht getan. Heute machen Sie schlaue Vorschläge. Das geht frei nach Goethe: Man spürt die Absicht. Man ist verstimmt.
Wir halten es für richtig, diese Brennelementesteuer einzuführen, denn die Kernenergie ist eben nicht vom CO2-Emissionshandel betroffen und somit gegenüber anderen Energieträgern bevorzugt. Wir halten das auch für richtig, weil gerade die Kosten für Endlagerung und für den Rückbau der Kernkraftwerke im Wesentlichen vom Steuerzahler in Deutschland getragen werden. Wir halten das für richtig, weil der Strommarkt mehr Chancengleichheit braucht und gerade die großen vier nationalen Stromversorger hier einen Wettbewerbsvorteil gegenüber vielen kleinen und mittelständischen Stromanbietern haben. Auch hier wollen wir Chancengerechtigkeit und mehr Wettbewerb.
Wir halten es für richtig, weil der Begriff ?Steuer? irreführend ist. Es handelt sich im Wesentlichen nämlich nicht um eine Steuer, sondern um einen Subventionsabbau. Auch das ist Teil des Sparpakets. Deshalb sagen wir: Es werden die wirtschaftlichen Vorteile der Kernenergie reduziert und zusätzliche Anreize für regenerative Energien geschaffen. Das ist in den kommenden Jahren der richtige Weg.
Die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke hängt natürlich politisch mit diesem Thema zusammen; das wissen wir alle. Aber formal sagen wir sehr klar, dass die Einführung der Brennelementesteuer im Rahmen des Sparpakets damit nicht direkt im Zusammenhang steht. Die Bundesregierung wird zu dem Gesamtthema im Herbst ein Energiekonzept vorlegen. Dabei geht es im Wesentlichen um das Ziel, unseren Energiebedarf aus regenerativen Energien zu decken, und um die Frage, wie lange wir die Kernkraft als Brückentechnologie noch benötigen, nicht mehr und nicht weniger.
Das Ziel ist es, den Energiebedarf der Deutschen so schnell wie möglich aus regenerativen Energien zu akzeptablen Preisen zu decken. Wir werden mit einem geschlossenen Energiekonzept das Zeitalter der regenerativen Energien vorbereiten. Deshalb freut es uns, dass uns die Opposition, sowohl die Grünen als auch die Sozialdemokraten, in ihren Anträgen grundsätzlich zustimmt und wir die Details in den Beratungen im Herbst sicherlich gemeinsam erarbeiten werden.
Die heutige Debatte zeigt aber auch etwas anderes. Die heutige Debatte zeigt, dass die bürgerlich-liberale Bundesregierung mit dem Sparpaket die richtigen Schwerpunkte setzt. Wir werden innerhalb von nur zwei Jahren die Ausgaben von 319 Milliarden Euro auf 301 Milliarden Euro senken und die Vorgaben der Schuldenbremse des Grundgesetzes einhalten. Das ist wirklich eine große politische Leistung in schwierigen Zeiten.
Wir werden - auch dazu bekennen wir uns - Subventionen abbauen. So wie wir das beim heutigen Thema tun, werden wir das auch in anderen Bereichen tun. Gleichzeitig werden wir den Staat durch Stellenabbau dauerhaft effizienter und schlanker machen. Auch das ist die erklärte Politik und richtige Prioritätensetzung dieser bürgerlich-liberalen Bundesregierung.
Wir werden keine Steuern erhöhen, während sich einige jeden Tag mit immer wieder neuen Vorschlägen selbst übertreffen. Wir sind der Auffassung, dass sich Arbeit und Leistungsbereitschaft gerade für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen in Deutschland weiterhin lohnen muss.
Wir werden das alles tun und die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einhalten, und trotzdem werden wir in den kommenden Jahren 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung ausgeben. Auch das ist eine richtige Schwerpunktsetzung für die Zukunft unseres Landes und insbesondere für die Zukunft unserer Kinder.
Insofern zeigen die heutige Debatte und die Debatten der letzten Wochen, dass wir mit dem Sparpaket der Bundesregierung zum einen verantwortungsvoll mit der Zukunft unserer Kinder und zum anderen verantwortungsvoll mit unseren Ressourcen umgehen.
Mein Eindruck ist, dass wir uns in der heutigen Debatte in sehr vielen Punkten einig sind. Einigen Details in Ihren Anträgen können wir nicht zustimmen, weil wir sie auch für übereilt halten, beispielsweise die Fixierung auf einen konkreten Centbetrag zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da die Ausarbeitung in den zuständigen Ministerien noch vor uns liegt.
- Es ist ja gut, dass Sie immer dazwischenrufen, aber lassen Sie mich meine Gedanken vortragen. Sie haben heute viel Redezeit beantragt: Nutzen Sie sie!
Wir sind uns darin einig, dass die direkte Bevorzugung der Kernenergiewirtschaft beendet werden sollte und die beantragte Brennelementesteuer ein richtiger und wichtiger Weg dafür ist.
Wir sind uns einig, dass die Brennelementesteuer zielgerichtet und ein wirksames Instrument ist, und wir sind uns einig, dass wir bei den Beratungen im Herbst alle Details in Ruhe besprechen sollten. Denn es geht um einen wichtigen Wirtschaftsbereich in Deutschland und übrigens auch um die Frage, wie sich die Strom- und Energiepreise in Deutschland aufgrund des internationalen Wettbewerbs in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln werden.
Insofern freuen wir uns, dass Sie uns heute mit Ihren Anträgen die Gelegenheit geben, noch einmal auf diesen Gesamtzusammenhang hinzuweisen. Für uns ist es wichtig, dass die Menschen in Deutschland wissen: Mit dem Sparpaket setzen wir die richtigen Schwerpunkte für die Zukunft. In der Energiepolitik wollen wir in ein Zeitalter regenerativer Energien eintreten. - Wir wissen allerdings, dass die Kernenergie als Brückentechnologie in den kommenden Jahren unverzichtbar dafür ist. Auch das zu sagen gehört zur Wahrheit, gehört zum Wirtschaftsstandort Deutschland, und vor allen Dingen gehört es zur Ehrlichkeit in der Politik, die ich uns allen in diesen Tagen empfehle.
Vielen Dank.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Ulrich Kelber das Wort.
Ulrich Kelber (SPD):
Ich freue mich auf die Zwischenrufe, die ich zu hören bekommen werde, Herr Kollege.
Herr Steffel, der Versuch der Geschichtsklitterung, den Sie gemacht haben, kann nicht eine Stunde lang unkommentiert bleiben.
Sie haben uns als Sozialdemokraten gefragt, warum es noch keine Brennelementesteuer gibt. Sie sind ja erst seit Oktober letzten Jahres Kollege in diesem Haus. Wahrscheinlich ist Ihnen deswegen entgangen, dass die SPD in der Koalition von CDU/CSU und SPD in der letzten Legislaturperiode den Vorschlag einer Brennelementesteuer gemacht hat, den die Mitglieder Ihrer Fraktion in der Bundesregierung abgelehnt haben.
Das war der erste Teil der Antwort.
Der zweite Teil. Sie haben mich gefragt, warum in der Zeit von Rot-Grün keine Brennelementesteuer eingeführt wurde. Die Antwort haben Sie sich eigentlich selber gegeben, ohne es zu bemerken. Sie haben gesagt, Sie wollen, wie wir, die Zusatzgewinne der Atomwirtschaft aus dem Emissionshandel mit einer Brennelementesteuer abschöpfen. Die rot-grüne Koalition hat bis 2005 regiert. Erst seit diesem Jahr gibt es den Emissionshandel.
Bitte lassen Sie die Geschichtsklitterung und informieren Sie sich vorher.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Eva Bulling-Schröter von der Fraktion Die Linke ist die nächste Rednerin.
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch eine leere Haushaltskasse werden manchmal Wunder bewirkt. Es wurde anscheinend nämlich das erreicht, was die Bundesregierung und auch die vorherigen Regierungen stets abgewiesen haben: die Einführung einer Brennelementesteuer zur Abschöpfung der Extragewinne der Atomwirtschaft aus dem Emissionshandel. Wir, die Linke, haben das in jeder Haushaltsberatung gefordert. Das wurde aber immer abgewiesen. Jetzt liegen entsprechende Anträge von SPD und Grünen vor, und auch die Bundesregierung wünscht sich das. Aber lieber jetzt als nie. Schließlich wird mit einer Brennelementesteuer ein unhaltbarer Zustand beendet, nämlich der, dass die Atomindustrie zusätzlich subventioniert wird, und zwar seit 2005 irrwitzigerweise durch ein vermeintlich umweltpolitisches Instrument, den Emissionshandel.
Wie funktioniert das? Wir wissen, Unternehmen erhalten CO2-Zertifikate zum großen Teil kostenlos, ein Teil wird gehandelt. Durch den Emissionshandel steigt der Großhandelspreis an der Strombörse; denn die Betreiber von Kohlekraftwerken schlagen den Handelspreis der CO2-Zertifikate auf den Strompreis auf. Dass sie die Zertifikate bislang geschenkt bekommen haben und so Milliarden an Extraprofiten einfahren, halte ich für einen großen Skandal.
Wenigstens ab 2013 müssen die Kohlekraftwerke die Emissionsrechte ersteigern. Dann endlich könnte der Emissionshandel von einer Gelddruckmaschine zu einem Klimaschutzinstrument werden.
Der zweite Skandal ist der, um den es sich hier heute dreht: Der höhere Handelspreis für Strom nützt auch der Atomindustrie, die mit dem ganzen CO2-Emissionshandel eigentlich nichts zu tun hat. Denn der Handelspreis bildet sich an der Strombörse nach den Grenzkosten des jeweils teuersten Kraftwerks, das noch zur Versorgung benötigt wird, und dies ist meist ein Kohlekraftwerk, das auch den CO2-Preis kalkulieren muss. AKWs liegen mit ihren laufenden Kosten stets darunter, verkaufen aber zum Kohlekraftwerkspreis. Die AKW-Betreiber streichen also zusätzliche Profite ein. Diese Windfall-Profits werden die Atomkonzerne auch noch nach 2012 kassieren - darauf haben wir immer wieder hingewiesen, das ist aber immer abgewiegelt worden -, wenn die Kohlekraftwerke längst ihre Zertifikate ersteigern müssen. Bisher wurde das von der Politik als verschmerzbarer Kollateralschaden behandelt. Ich halte das für absurd; denn es handelt sich um riesige Summen, die die Stromkonzerne starkmachen und für die die Verbraucherinnen und Verbraucher blechen müssen.
Das Öko-Institut schätzt die leistungslosen Extraprofite pro Jahr für die Atomsparten von RWE, Eon, Vattenfall und EnBW auf insgesamt rund 3,4 Milliarden Euro. Diese Summe kommt noch obendrauf auf jene 125 Milliarden Euro Finanzhilfen und Steuervergünstigungen für die Atomabenteuer, die insgesamt von 1950 bis 2008 geflossen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke steht für einen unverzüglichen Atomausstieg.
Bis dieser vollzogen ist, muss jedoch eine Brennelementesteuer die Extragewinne der Atomkonzerne aus dem Emissionshandel abschöpfen. Es geht also ausdrücklich nicht um einen Handel ?Laufzeitverlängerung gegen Brennelementesteuer?, wie es zum Beispiel Herr Kauder gestern im Morgenmagazin zusammenbastelte.
Nein, es geht nicht um eine solche Verbindung.
Allerdings müssten auch schnellstens jene Extragewinne kassiert werden, die die Kohlekraftwerksbetreiber bis 2012 aus dem Emissionshandel ziehen. Ansonsten könnten Böswillige tatsächlich von einer Bevorteilung der Kohle gegenüber der Atomkraft sprechen. Unbeachtet bleibt ja weiterhin, dass bis 2012 auch die Kohlekraftwerksbetreiber Windfall-Profits haben; denn sie bekommen bis dahin ihre Zertifikate geschenkt. Das spült ihnen - je nach Zertifikatspreis - 2 bis 3 Milliarden Euro pro Jahr in die Kassen. Diesen gewaltigen Brocken könnte der Bundesfinanzminister auch gerne einsammeln. Dann bräuchte er nicht an die Sozialleistungen heranzugehen. Aber dafür fehlt offensichtlich der politische Wille.
Zurück zur Brennelementesteuer. Was die Höhe angeht, so sollten zusätzlich zu den Emissionshandelsgewinnen auch jene Kosten berücksichtigt werden, die für die Altlastensanierung auflaufen. Die Bruchbuden Asse und Morsleben sind zu einem gehörigen Teil durch westdeutsche AKWs bestückt worden.
Dafür haben sie nur Peanuts bezahlt. Darum ist jetzt ein Nachschlag fällig.
Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, FÖS, hat zur Höhe der Steuer Vorschläge gemacht. Ich denke, ein Steuersatz, der am Ende rund 3,5 Cent je Kilowattstunde Atomstrom entspricht, wäre durchaus angemessen. Das ergäbe zusätzliche Haushaltseinnahmen von knapp 5 Milliarden Euro jährlich,
also mehr als das Doppelte dessen, was dem Finanzminister vorschwebt.
Atomkonzerne saftig besteuern statt Sozialleistungen kürzen - über den tollen Sparhaushalt wurde bereits diskutiert -: Stattdessen geht es immer nur um eine Umverteilung von unten nach oben. Es werden die Ärmsten sein, die durch diesen Sparhaushalt bluten müssen, statt diejenigen, die die Profite einfahren.
Atomkonzerne saftig besteuern statt Sozialleistungen kürzen - das wäre zukunftsfähige Finanzpolitik.
Es wird immer gesagt, das gehe nicht, das sei nicht EU-kompatibel. Finnland und Schweden machen uns aber vor, dass eine vergleichbare Steuer möglich ist.
Die Argumente, das alles sei nach EU-Recht nicht möglich, sind also vorgeschoben. Ich meine, Herr Schäuble sollte jetzt handeln.
Ich komme zum Schluss. Wir haben gestern im Umweltausschuss sehr intensiv darüber diskutiert. An der Sitzung hat auch ein Vorstandsmitglied von RWE teilgenommen. Nach dem, was er sagt, könnte man meinen, sie wären sehr arm: Wenn sie eine Brennelementesteuer zahlen müssten, dann seien sie nicht mehr börsenfähig. Dabei werden enorme Gewinne erzielt, wie wir in den Börsenblättern lesen können.
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, reden immer davon, dass der Verbraucher mehr bezahlen muss. Wir wollen an die Gewinne dieser großen Konzerne heran. Das ist sozial, und es ist ökologisch.
Wir wollen mehr regenerative Energien. Mit der von Ihnen beabsichtigten Laufzeitverlängerung werden Sie den Ausbau regenerativer Energien verhindern. Sie wollen die Konzernmacht weiter stärken. Das wollen wir nicht. Aus diesem Grunde brauchen wir diese Steuer und eine Gewinnabschöpfung der großen Konzerne.
Danke.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Birgit Reinemund von der FDP-Fraktion.
Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was Frau Bulling-Schröter am Ende ihrer Rede gesagt hat, wollen wir alle: Wir wollen an die Gewinne der Atomwirtschaft heran und einen Teil davon dem Haushalt zuführen.
Wenn die Opposition ein laufendes Gesetzesvorhaben der Bundesregierung begrüßt und sogar noch beschleunigen will, dann frage ich mich, was dahintersteckt. Wenn SPD und Grüne die Chance auf eine zusätzliche Einnahme wittern, dann löst das sofort den Reflex aus, festzulegen, wofür diese zusätzlichen Mittel konkret ausgeben werden sollen. Sie wissen aber genauso gut wie ich, dass Steuereinnahmen nicht per se zweckgebunden sind, sondern in den allgemeinen Haushalt fließen.
So werden der Soli nicht für den Aufbau Ost, die Ökosteuer nicht für die Umwelt und die Brennelementesteuer nicht automatisch zur Finanzierung der Folgekosten der Atomwirtschaft verwendet, sondern sie dienen primär der Haushaltskonsolidierung.
Seit 1999 sind unter der Verantwortung von SPD-Finanzministern über 300 Milliarden Euro zusätzliche Schulden aufgenommen worden. Die Euro-Krise hat gezeigt, welche verheerenden Auswirkungen Staatsdefizite auf die Stabilität der Währung und auf die Stabilität ganzer Staaten haben.
Das von der Bundesregierung vorgelegte Gesamtpaket zur Haushaltskonsolidierung inklusive der Brennelementesteuer in Höhe von beachtlichen 82 Milliarden Euro bis 2014 ist das größte Sparpaket in der Geschichte Deutschlands und bezieht alle mit ein:
den Finanzsektor, die Wirtschaft, die öffentliche Verwaltung und den Sozialbereich, und zwar ausgewogen und maßvoll. Erstmals werden jetzt die Staatsausgaben real gesenkt: von 320 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 301 Milliarden innerhalb der nächsten zwei Jahre.
Unser erklärtes Ziel ist es, die Neuverschuldung zurückzuführen, die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einzuhalten, die Maastricht-Kriterien wieder einzuhalten sowie dem G-20-Beschluss Rechnung zu tragen und das Staatsdefizit zu halbieren. Dazu muss gerade auch die Atomwirtschaft ihren Beitrag leisten, besonders vor dem Hintergrund, dass sie in der Vergangenheit enorme Kosten für den Bundeshaushalt verursacht hat
und auch in Zukunft verursachen wird, zum Beispiel für die Sanierung von Asse, wie es im Koalitionsvertrag festgelegt ist.
In Verbindung mit der geplanten Laufzeitverlängerung kann die Abschöpfung von Zusatzgewinnen, die Sie alle wollen, deutlich höher ausfallen als die jetzt eingeplanten 2,3 Milliarden Euro pro Jahr.
Ohne Zweifel wollen wir schnellstmöglich den Übergang zu regenerativen Energien schaffen. Trotzdem ist es - auf der Zeitschiene gesehen - notwendig, im Rahmen des kommenden Energiekonzepts Kernkraftwerke als Brückentechnologie länger am Netz zu lassen. Warum jetzt plötzlich die Eile? Sie hatten elf Jahre Zeit, das Thema anzugehen.
Das Vorhaben ist bereits auf den Weg gebracht. Statt Ihrer Schnellschüsse und Vorfestlegungen, meine Damen und Herren von der SPD und den Grünen, gilt für die christlich-liberale Koalition: Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Das gesamte Sparpaket inklusive Einführung einer Brennelementesteuer hat das Kabinett gestern beschlossen. Wir diskutieren derzeit über eine Steuer, deren konkrete Ausgestaltung mitten in der Prüfung ist. Viele Fragen sind dabei noch offen: Wie soll die Brennelementesteuer konkret ausgestaltet werden? Wird sie brutto oder netto erhoben? Gilt sie als Betriebsausgabe? Wie gehen wir mit den enormen Auswirkungen auf die Gewerbesteuer und damit auf die Einnahmen der Standortkommunen um?
Kann eine zusätzliche Energiesteuer EU-konform gestaltet werden? - Das ist bei weitem nicht so klar, wie die Damen der Opposition uns suggerieren wollen.
Hier erwarten wir kurzfristig eine Klärung des Finanzministeriums. Seit gestern gehen Überlegungen von Finanzminister Schäuble auch in Richtung Fonds oder Abgabe. Das hätte den Charme, dass das Geld dann zweckbezogen verwendet werden könnte. Nutzen wir die Zeit, die besten Lösungen zu finden.
Heute tagt die Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzen. Ob die Gewerbesteuer in der Form weiter bestehen wird, um auf den Zwischenruf einzugehen, und ob diese Auswirkungen einberechnet werden müssen, bleibt zu klären. Am 27. August wird es einen Kabinettsbeschluss über das Energiekonzept für Deutschland geben. Es wäre schon geschickt, diese beiden Beratungsergebnisse in die Überlegungen einzubeziehen. Beschlossen ist, dass die Atomwirtschaft ihren Beitrag leisten muss. Beschlossen ist, dass dieser mindestens 2,3 Milliarden Euro betragen wird. In welcher Form? In der optimalen. Lassen Sie uns nach der Sommerpause über rechtlich geprüfte Gesetzentwürfe diskutieren. Ihre Anträge hier und heute sind eher Selbstbeschäftigung.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grünen.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Aussage aus dem Kabinett ist richtig, nämlich die Aussage von Herrn Finanzminister Schäuble, von der er sich leider inzwischen schon wieder distanziert hat: Laufzeitverlängerung und Brennelementesteuer stehen in keinem Zusammenhang. - Sie dürfen auch in keinem Zusammenhang stehen. So ein Deal ist Mafiagebaren, das ist kein demokratisches Regierungshandeln.
Es ist auch nicht in Ordnung, der Bevölkerung die beabsichtigte und nicht besonders geliebte Laufzeitverlängerung - wir wissen: längere Laufzeiten verlängern das Risiko, vermehren den Müll und stehen dem Ausbau der erneuerbaren Energien im Weg - dadurch schmackhaft zu machen, dass man sagt: Dafür gibt es Geld von den Konzernen,
und das geben wir für euch aus. - All das ist unseriös. Seriös ist, die Brennelementesteuer mit einer Begründung zu erheben, wie wir sie in unserem Antrag geben. Wir sagen: An die gesellschaftlichen Schulden, die die Atomwirtschaft aufgehäuft hat, seit sie besteht - wir reden von 150 Milliarden Euro -, wollen wir rückwirkend gar nicht heran. Aber die 30 Milliarden Euro, die nach Schätzung der jetzigen Bundesregierung in den nächsten Jahrzehnten durch Rückbau und Sanierung der Endlager und der atomaren Forschungseinrichtungen auf uns zukommen, wollen wir nicht auch noch den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern aufbürden. Die soll die Atomwirtschaft selbst bezahlen. Dafür wollen wir die Brennelementesteuer.
- Hätten Sie in Bezug auf Atomkraft in Ihrer Regierungszeit auch nur halb so viel vor, wie wir damals gemacht haben, dann könnten wir mit Ihnen zufrieden sein.
- Die Verhältnisse haben sich geändert. Sie hätten vorhin Herrn Kelber zuhören sollen. Stellen Sie eine Zwischenfrage!
Herr Dr. Steffel, der Bundestag führt eine Brennelementesteuer ein, nicht das Kabinett, wenn ich Sie daran erinnern darf.
Was Sie gestern beschlossen haben, ist offensichtlich sowieso irrelevant; denn bereits gestern haben wir völlig andere Verlautbarungen gehört. Die Bundesregierung hat doch überhaupt nicht den Mut gegenüber der Atomwirtschaft, diese Brennelementesteuer ohne das Gegengeschenk der Laufzeitverlängerung einzuführen.
Die Atomwirtschaft verhandelt doch schon selber wieder mit, ob überhaupt und unter welchen Bedingungen sie eine Steuer oder eine Abgabe zahlt.
Erzählen Sie doch nicht, was Sie beschlossen haben. Uns liegen heute zwei Anträge vor, einer der SPD und einer der Grünen. Stimmen Sie den Anträgen zu! Dann haben Sie eine anständige Begründung für die Brennelementesteuer und begeben sich nicht in ein vages, diffuses Feld irgendwelcher Deals, was mit seriöser Politik nichts mehr zu tun hat.
Wir fordern die Brennelementesteuer ohne Verbindung mit einer Laufzeitverlängerung.
Zur Laufzeitverlängerung, die eines der großen Streitthemen der Regierung ist, will ich Ihnen noch etwas sagen. Sie sollten nicht so viele Ressourcen auf den Streit verschwenden, ob es 8 Jahre, 15 Jahre oder 28 Jahre sein sollen - mal mit Zustimmung des Bundesrates, mal ohne Zustimmung des Bundesrates. Dann legen die Bundesländer auch noch eigene Vorschläge vor. Was Sie da aufführen, ist doch ein Kasperletheater. Hören Sie auf damit! Hören Sie auf Ihren Sachverständigenrat! Hören Sie auf Ihr Umweltbundesamt! Sie alle rechnen Ihnen vor, dass Laufzeitverlängerungen nicht nur unnötig, sondern auch kontraproduktiv für das gemeinsame Ziel des Klimaschutzes sind. Sie müssen ja gar nicht auf die Opposition hören;
wir wissen ja, dass Sie da beratungsresistent sind. Hören Sie aber auf Ihre eigenen Berater! Machen Sie, was die Ihnen empfehlen!
Hören Sie mit diesem internen Regierungsstreit auf, der Ihre wenigen Ressourcen, die Sie ohnehin schon dauernd mit Streitereien vergeuden, auch an dieser Stelle noch bindet. Konzentrieren Sie sich auf das, was ansteht, nämlich den Umstieg in der Energieversorgung, um nach 2020 so schnell wie möglich auf einen Anteil von 100 Prozent erneuerbare Energien zu kommen. Dazu brauchen wir eine Flexibilisierung des Kraftwerksparks, die Bereitstellung von Speichern und den Ausbau der Netze. Das haben wir gestern in der Anhörung alle gemeinsam gehört. Hören Sie auf Ihre eigenen Berater!
Wenn Sie darüber hinaus noch ein bisschen mehr tun und einen Schritt der Vernunft gehen wollen, dann stimmen Sie heute einem der vorliegenden Anträge zu. Sie haben die Wahl zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Unsere Anträge unterscheiden sich nur marginal. Im Ziel - Brennelementesteuer ohne Verbindung mit einer Laufzeitverlängerung - unterscheiden sie sich nicht. Stimmen Sie einem dieser Anträge zu. Das wäre einer der ersten vernünftigen Schritte dieser Koalition.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß von der CDU/CSU-Fraktion.
Thomas Bareiß (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Liebe Frau Kotting-Uhl, zunächst sage ich ein herzliches Dankeschön für Ihren Antrag - auch für den Antrag der SPD -, der uns wieder einmal die Gelegenheit gibt, uns über die Energiepolitik und auch über das wichtige Thema der Kernenergie zu unterhalten.
Lassen Sie mich vorweg auf einen der Punkte eingehen, der Ihnen ganz besonders wichtig ist und auch im Antrag der SPD eine herausragende Stellung einnimmt, nämlich auf die Frage: Brauchen wir eine Laufzeitverlängerung?
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir die Laufzeitverlängerung brauchen und dass dies auch nicht im Widerspruch zum Ausbau der erneuerbaren Energien steht,
sondern dass die erneuerbaren Energien in der Zukunft dadurch ergänzt werden.
Wir haben eine ambitionierte Ausbaustrategie. Bis 2020 wollen wir einen Anteil von 30 Prozent erneuerbaren Energien erreichen. Mit diesem Ziel haben wir das, was Sie in den letzten Jahren gefordert haben, noch getoppt.
Bis 2050 wollen wir den Hauptanteil der Energie aus erneuerbaren Energieträgern generieren.
Auf dieser Wegstrecke haben wir aber enorme Herausforderungen zu meistern. Dies müssen wir gemeinsam angehen.
Ich nenne nur das Thema Netzausbau. Wie wollen Sie gewährleisten, dass, wenn wir im Norden in Offshorewindparks 20 Gigawatt Leistung aufbauen und im Süden 12 Gigawatt vom Netz nehmen, diese Strommenge über die Riesendistanz von Norden nach Süden transferiert wird? Dazu müssen wir die Netze ausbauen. Das ist dringend notwendig.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Bareiß, ich muss Sie unterbrechen. Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?
Thomas Bareiß (CDU/CSU):
Ja, sehr gerne.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Herr Fell.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Bareiß, Sie haben gerade das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 30 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energieträgern zu erzeugen, als ambitioniert bezeichnet. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass es eine Unmenge von Studien und Angeboten gibt, nach denen weit darüber hinausgegangen werden kann, wenn man die heutige Wachstumsgeschwindigkeit der erneuerbaren Energien fortsetzt?
Schon vor Jahren hat der Bundesverband Erneuerbare Energie der Bundesregierung angeboten, bis 2020 fast 50 Prozent Strom aus erneuerbaren Energieträgern zu erzeugen und gleichzeitig auch noch 200 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. - Ich kann mir übrigens gar nicht vorstellen, wie in diesem Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, falls es zu einer Laufzeitverlängerung kommt. - Der Vertreter des Sachverständigenrats für Umweltfragen hat erklärt - so Herr Hohmeyer im Umweltausschuss -, bis 2030 könne man im Prinzip auf 100 Prozent erneuerbare Energien umstellen. Das Umweltbundesamt hat dieser Tage ebenfalls eine neue Studie vorgestellt, wonach in kurzer Zeit eine Vollversorgung möglich ist.
Warum ignorieren Sie all diese Möglichkeiten und behaupten einfach fest überzeugt, man brauche die Laufzeitverlängerung, wenn die Möglichkeiten der Nutzung der erneuerbaren Energien ausgebaut werden sollten? In Wirklichkeit wirkt die Laufzeitverlängerung doch wie eine Bremse, weil nicht mehr genügend Volumen für die erneuerbaren Energien unter Beibehaltung der heutigen Wachstumsgeschwindigkeit vorhanden ist.
Thomas Bareiß (CDU/CSU):
Herr Fell, die Botschaft hör? ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Ich sage Ihnen ganz offen: Um die Träger erneuerbarer Energien ans Netz zu bringen und in den Markt zu integrieren, brauchen wir zwei Dinge: einerseits eine bessere Netzinfrastruktur, sowohl im Übertragungs- als auch im Verteilungsnetzbereich, andererseits Speichertechnologie.
Überall, wo man Netze ausbauen oder Speicher aufbauen will - beispielsweise den Schluchseespeicher im Schwarzwald; man versucht dort, ein 1 000-Megawatt-Pumpspeicherkraftwerk zu errichten -, gibt es vor Ort grüne Gruppen, die gegen diese Projekte demonstrieren.
Sie behaupten, dass diese Projekte den Kernkraftausbau begünstigen. Das, was Sie hier sagen, passt nicht zu dem, was Ihre Parteifreunde vor Ort machen. Diesen Widerspruch müssen Sie einmal auflösen.
Es gibt die Probleme mit dem Netzausbau, die ich gerade beschrieben habe. Ein weiterer wichtiger Bereich sind die Speichertechnologien. Außerdem müssen wir die Frage beantworten, wie wir die erneuerbaren Energien in den Wettbewerb bringen. Auch damit wird in den nächsten Jahren eine ganz große Herausforderung verbunden sein. Wenn ich mir das Ganze ernsthaft anschaue, dann komme ich zu der Überzeugung, dass wir den von Rot-Grün beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie im Jahre 2022 leider nicht schaffen können.
Ich bin davon überzeugt, dass wir ihn auch 2025 nicht schaffen werden.
Auch 2030 werden wir ihn wahrscheinlich nicht schaffen, wenn wir so weitermachen wie bisher. Deshalb brauchen wir die Laufzeitverlängerung. Ich sage Ihnen: Die Menschen wissen, dass wir die Laufzeitverlängerung brauchen,
weil wir diese Herausforderung nicht so bewältigen können, wie wir es wollten. Wenn Sie ganz ehrlich sind, dann stimmen Sie uns doch zu. Eigentlich sind Sie dankbar, dass wir dieses Thema in den nächsten Monaten endlich anpacken.
Meine Damen und Herren, ich warne davor, dass wir auch in dieser Debatte irgendwelche Zahlenspielchen machen. Die einen sagen: Wir brauchen vier bis acht Jahre. Die anderen sagen: Wir brauchen 28 Jahre. Die besonders Schlauen sagen: Richtig ist die goldene Mitte; wir brauchen 15 Jahre. Ich glaube, so vorzugehen, ist keine seriöse Energiepolitik.
Wir brauchen in den nächsten Monaten eine solide Datenbasis. Eine solche Basis werden wir Ende August bekommen: Am 27. August erhalten wir die Szenarienberechnungen der Institute. Dann muss aufgeschlüsselt sein, was in den nächsten Jahren technisch machbar ist
und an welchen Stellschrauben wir ansetzen müssen. Wenn wir wissen, was das kostet, müssen wir überlegen, wie wir diese Kosten decken können und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen notwendig sind. Unsere Überlegungen werden wir dann in ein Energiekonzept gießen. Das ist für mich eine verlässliche Politik in Sachen Energie. Ich glaube, es lohnt sich, sich im Herbst ganz viel Zeit zu nehmen.
Ich sehe jetzt die große Chance, die Laufzeitverlängerung, die ich für notwendig halte, zu gestalten. Damit sind viele Themen verbunden. In vielen Punkten kommen wir sicherlich zueinander; manchmal werden wir vermutlich gegeneinander arbeiten.
Ein Thema ist die Brennelementesteuer. Sie wird in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielen. Eine Laufzeitverlängerung wird es nicht zum Nulltarif geben. Wir haben immer gesagt: Die Laufzeitverlängerung wird es nur in Verbindung mit der Abschöpfung von Zusatzgewinnen geben, und die so eingenommenen Mittel werden in Zukunftsprojekte investiert.
Ein ganz wichtiges Projekt ist für mich hierbei die Energieeffizienz. Wir sind uns einig, dass wir in diesem Bereich viel mehr machen müssen. Wir dürfen an diese Aufgabe nicht nur ordnungspolitisch und durch die Stärkung des Wettbewerbs, was ich ebenfalls für wichtig und sinnvoll erachte, herangehen, sondern wir müssen auch Geld investieren, gerade im Gebäudesanierungsbereich.
- Auch ich bin damit nicht einverstanden, lieber Herr Kelber. - Wir müssen schauen, wie wir diese Mittel verstetigen. Ich sehe eine gute Chance, durch die Abschöpfung von Zusatzgewinnen den Übergang in das regenerative Zeitalter sinnvoll zu gestalten.
Wir müssen in diesem Zusammenhang auch die Endlagerfrage klären. Ich bin dankbar, dass wir in der jetzigen Koalition dieses Problem der Endlagerung endlich angehen. Sie haben das über Jahre verhindert,
haben dieses Thema aufs Abstellgleis geschoben.
Wir packen es an.
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung: die Probleme lösen und nicht ständig nur Hindernisse sehen.
Ein weiterer Punkt ist das Sicherheitskonzept. Auch das wird bei der Laufzeitverlängerung eine Rolle spielen. Wenn wir die Kernreaktoren hier - sie gehören schon heute zu den sichersten der Welt - länger laufen lassen wollen, dann müssen wir den Anspruch, den wir eh schon haben, noch einmal erhöhen und schauen: Wo gibt es Stellschrauben, mit deren Hilfe wir die Bedenken der Bevölkerung aufnehmen können? Wie können wir Sicherheit noch einmal neu und besser definieren? Dazu wird es bis Ende Juli Vorschläge der Bundesregierung geben.
Wir werden dann schauen, wie wir die konkret umsetzen. Das muss im Gesamtpaket eine wichtige Rolle spielen.
Der letzte Punkt, liebe Frau Höhn, ist der Wettbewerb, und er ist wichtig. Das nehmen wir gern von Ihnen auf. Auch ich mache mir Sorgen über die Oligopolstruktur im Strombereich. 60 Prozent des Strommarkts werden über die vier großen Energieversorgungsunternehmen gehandelt.
Wir wollen schauen, wie eine Laufzeitverlängerung da hineinspielt. Das müssen wir einmal untersuchen.
Darüber müssen wir sprechen.
Wir müssen schauen, welche Instrumente wir finden, um die Oligopolstruktur für die Zukunft aufzuheben; denn ein ganz großes Thema ist, den Wettbewerb im Strommarkt in den nächsten Jahren zu stärken, um stabile Preise für die Zukunft zu gewährleisten.
Unsere Energiepolitik - ich glaube, das kann man nicht oft genug sagen - beruht auf drei Säulen. Wir wollen sichere und verlässliche Energie für die Zukunft. Wir wollen vor allen Dingen saubere und klimafreundliche Energie für die Zukunft. Dabei spielt auch die Kernenergie - das nur als Nebensatz - wegen der CO2-Freiheit eine ganz besondere Rolle. Wir wollen letztendlich eine bezahlbare und - das sage ich ganz offen - günstige Energie, nicht nur für Großfamilien mit vielen Kindern, die auch einen entsprechend hohen Energieverbrauch haben, sondern auch für die Industrie, weil sie für die Arbeitsplätze in Deutschland ganz wichtig ist. Auch das ist Kernbestandteil unserer Energiepolitik.
- Warten Sie es einmal ab!
Uns wird im September von der Bundesregierung ein Energiekonzept vorgelegt. Das werden wir diskutieren. Dazu wird der Bundestag viele Entscheidungen treffen müssen. Das werden wir also viel diskutieren. Wir machen ein Energiekonzept aus einem Guss - ich glaube, das ist dringend notwendig -,
bei dem die Kernenergie eine Rolle spielt, bei dem aber der Ausbau der erneuerbaren Energien im Vordergrund steht. Ich glaube, das ist der richtige Ansatz für die nächsten Jahre.
Herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Oliver Kaczmarek von der SPD-Fraktion.
Oliver Kaczmarek (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir heute im Deutschen Bundestag über die Brennelementesteuer debattieren, dann müssen wir zunächst einmal festhalten, dass die Vorzeichen erfreulicher sind als in der vergangenen Zeit; denn als Sigmar Gabriel noch als Bundesumweltminister diese Idee vorgebracht hat,
wurde ihm insbesondere aus den Reihen des damaligen Koalitionspartners, aus den Reihen der Union, ?reine Ideologie? vorgeworfen: so etwa von Herrn Oettinger. Herr Dobrindt hat ihn sogar einen Ökostalinisten genannt. Dass die derzeitige Regierungskoalition sich nun im Grundsatz dieser Forderung angeschlossen hat, ist als Erfolg zu werten. Sie hätten es aber schon während der Großen Koalition haben können. Das gehört zur Wahrheit dazu.
Mir scheint die Debatte in der Koalition aber immer noch ideologisch aufgeladen zu sein. Seit dem Gespräch, das der Bundesfinanzminister mit den Spitzen der Atomkonzerne geführt hat, ist auch wieder weniger deutlich, was eigentlich konkret umgesetzt werden soll.
Dabei geht es in dieser Frage im Prinzip um einen simplen Sachverhalt. Derzeit muss der Steuerzahler für viele Kosten aufkommen. Es entstehen nämlich Kosten für den Rückbau kerntechnischer Anlagen, für die Sanierung der Endlager, teilweise zumindest, für die kerntechnische Forschung oder für die Sicherung der Castor-Transporte. Das sind Kosten, die der Steuerzahler nicht verursacht hat, aber von der Atomindustrie, wenn man so will, externalisiert werden. Die Beträge fließen bei den Atomkraftwerksbetreibern direkt in die Gewinne.
Deshalb führen wir keine ideologische Diskussion, sondern eine sachliche Diskussion über die Lastenverteilung bei den ökologischen und gesellschaftlichen Kosten der Atomenergie und über Wettbewerbsgleichheit. Deswegen - das will ich noch einmal sagen - ist es kein ideologischer Ballast, sondern vor allem eine ökonomische Notwendigkeit, über die wir heute Morgen diskutieren.
Allerdings - bei aller Freude, dass die Koalition auf diese Linie eingeschwenkt ist - fehlt ihr offenbar die Einsicht in die Notwendigkeit dieser Steuer; denn zu deutlich ist der Zusammenhang, der hier im Kontext von Sparpaket und Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke hergestellt wird. Die Bundesregierung will offensichtlich angesichts der dramatischen und von nahezu allen Kommentatoren festgestellten sozialen Schieflage ihres Sparpaketes den Anschein erwecken, auch die Großen zu schröpfen und ihnen etwas abzunehmen für die Sanierung des Staatshaushaltes. In Wahrheit geht es jedoch vor allem um die Akzeptanz für die Laufzeitverlängerung; denn die Atomenergie hat in Deutschland keinen guten Ruf. Sie wird von den Menschen einfach nicht akzeptiert. Das ist, wie der Umweltminister jüngst richtig festgestellt hat, auch nach 40 Jahren noch so. Es stellt sich langsam die Frage, warum wir über das Thema Laufzeitverlängerung jetzt diskutieren, wenn doch in den letzten 40 Jahren keine Akzeptanz bei den Menschen erreicht werden konnte.
Dennoch hat sich die derzeitige Regierungskoalition vorgenommen, gegen den gesellschaftlichen Widerstand die Laufzeiten für die 17 in Deutschland noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke zu verlängern. Diesen Widerstand dagegen reden wir nicht herbei. Ihn kann man sehen. Jüngst konnte man ihn - ich glaube, es war Ende April - bei einer Menschenkette mit mehr als 100 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen den Kernkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel beobachten.
Die sachlichen Erwägungen gegen eine Laufzeitverlängerung sind gestern im Umweltausschuss breit debattiert und von den Experten ausführlich dargestellt worden. Es ist noch einmal deutlich gemacht worden, dass wir hier nicht über eine absolut sichere und risikofreie Technologie reden, sondern dass es Sicherheitsrisiken gibt. Dies wird insbesondere bei den ältesten Atomkraftwerken, deren Laufzeiten Sie verlängern wollen, deutlich: Das Atomkraftwerk Krümmel, 1983 in Betrieb genommen, hat seit 1994 82 sicherheitsrelevante Ereignisse gemeldet, Brunsbüttel, 1976 in Betrieb genommen, hat 80 und Biblis A, das älteste noch in Betrieb befindliche Atomkraftwerk Deutschlands, hat 66 solcher Ereignisse gemeldet.
Auch wenn die Anzahl der im Jahresdurchschnitt gemeldeten Ereignisse gering erscheint - ich stelle mir die Frage, ob es bei einer solchen Hochrisikotechnologie tatsächlich eine Toleranzschwelle bei der Anzahl von Sicherheitsereignissen geben kann -, so ist doch Fakt: Die Stillstandszeiten sind in keinem anderen industriellen Bereich so hoch wie in Atomkraftwerken. Fakt ist auch, dass sie mit längerer Lebensdauer eben nicht weniger stör- und verschleißanfällig werden. Deswegen stellt eine Laufzeitverlängerung natürlich ein Sicherheitsrisiko dar. Zumindest verstößt sie gegen das Sicherheitsempfinden der Menschen. Das sollten wir im Deutschen Bundestag akzeptieren.
Die Brennelementesteuer darf deshalb aus unserer Sicht nicht zum Alibi für eine Laufzeitverlängerung werden. Offensichtlich geht es der Bundesregierung auch darum, sich nachlassende Sicherheit in den älteren Atomkraftwerken mit dem Geld aus der Brennelementesteuer teuer bezahlen zu lassen. Aber ich sage auch ganz deutlich: Diese Art von Ablasshandel für Biblis A und andere alte Reaktoren werden wir und vor allem die Menschen im Land nicht mitmachen. Dagegen wird es Widerstand geben. Ich bin da sehr sicher.
Es ist deshalb mehr als nur Symbolik - es sei mir als Nordrhein-Westfale erlaubt, das hier anzusprechen -, es ist eine fundamentale energiepolitische und gesellschaftspolitische Entscheidung, wenn die neue Landesregierung von Nordrhein-Westfalen - ich bin sicher, sie wird dafür nicht nur im nordrhein-westfälischen Landtag die Mehrheit bekommen, sondern auch die Unterstützung der Menschen in Nordrhein-Westfalen - zusammen mit anderen Bundesländern im Bundesrat dafür sorgen wird, dass es keine Laufzeitverlängerung geben wird. Das ist ein Akt der politischen Vernunft und der Verantwortung und verdient Unterstützung.
Es ist dagegen unvernünftig, wenn die Koalition nun nach Wegen sucht, den Bundesrat auf der Grundlage zweifelhafter Gutachten zu umgehen. Es ist klar, dass sie damit einen neuen politischen und gesellschaftlichen Großkonflikt in dieser Republik mit allen Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen in Kauf nimmt. Diesen Konflikt und die damit verbundene Unruhe und Unsicherheit bei den Menschen zu riskieren, ist falsch in der Sache und stellt überdies eine Fehlkalkulation dar. Denn selbst wenn sie es wollte - so können wir nach den Erfahrungen der letzten Wochen und Monate sagen -, fehlte der jetzigen Regierungskoalition die Mehrheit im Volk, im Bundesrat und vor allem die politische Klarheit und Kraft, einen solchen Konflikt durchzustehen. Deswegen sollten Sie im eigenen Interesse davon Abstand nehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie erhalten die Unterstützung auch unserer Fraktion, wenn Sie eine ernst gemeinte Brennelementesteuer einführen wollen. Aber Sie werden den Widerstand nicht nur der Opposition hier im Haus, im Bundesrat oder vor dem Bundesverfassungsgericht, sondern vor allem in der gesamten Republik, in Gorleben, in Lüchow-Dannenberg, in Ahaus, Brunsbüttel und anderswo erleben, wenn Sie dieses Vorhaben an eine Laufzeitverlängerung koppeln wollen. Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kaczmarek, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Kauch von der FDP-Fraktion.
Michael Kauch (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kaczmarek hat angesprochen, welche Großtaten die neue nordrhein-westfälische Koalition in rot-grüner Färbung vollbringen will. Ich habe mir gestern die Mühe gemacht, in diesen Koalitionsvertrag hineinzuschauen. Da wird die ganze Aberwitzigkeit Ihrer Klimapolitik deutlich; denn wegen Ihres grünen Koalitionspartners verzichten Sie auf das Kraftwerkserneuerungsprogramm. Die Grünen werden jetzt sagen: Prima.
Heimlich, still und leise steht im rot-grünen Koalitionsvertrag - zuerst dachte ich, es ist ein Druckfehler -, dass Sie die CO2-Emissionen um 25 Prozent bis 2020 im Vergleich zu 1990 verringern wollen. Man denkt: Tolle Tat! Aber die alte Regierung wollte 33 Prozent, und im Bund haben wir 40 Prozent vorgesehen. Das heißt, Rot-Grün bedeutet weniger Klimaschutz in Nordrhein-Westfalen, das ist doch absurd.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kauch, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?
Michael Kauch (FDP):
Ja.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte, Frau Höhn.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Kauch, können Sie bestätigen, dass sich Schwarz-Gelb in der letzten Legislaturperiode in Nordrhein-Westfalen gegen jede Windkraftanlage gestellt hat und dass sich dadurch die CO2-Reduktion in Nordrhein-Westfalen nicht gemindert hat? Sie sind massiv gegen erneuerbare Energien vorgegangen. Können Sie bestätigen, dass unter Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen die Kapazität der Kraftwerke enorm gestiegen ist? Damit stand zwar die Zahl - eine Reduktion von 33 Prozent bis 2020 - auf dem Papier, aber in der Politik ist das Gegenteil gemacht worden. Zu Ihrer Regierungszeit sind die CO2-Emissionen in Nordrhein-Westfalen gestiegen und nicht gefallen. Wir haben Ihre Altlasten jetzt abzutragen. Das ist die Wahrheit.
Michael Kauch (FDP):
Liebe Frau Höhn, Sie kennen ebenso wie ich die Energieversorgungsstruktur in Nordrhein-Westfalen. Wir haben keine Kernkraftwerke, sondern wir haben vor allem Kohlekraftwerke. In Nordrhein-Westfalen stehen die größten CO2-Schleudern Europas. Die Politik von Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen war immer: Diese Dreckschleudern müssen durch moderne Kraftwerke ersetzt werden.
Genau das verhindern Sie. Deshalb sind Sie diejenigen, die in Ihrem Koalitionsvertrag offenbaren, dass man mit Ihrer Politik weniger CO2 einsparen kann als mit unserer Politik.
Im Übrigen, wenn man in Ihrem Koalitionsvertrag weiterliest, dann erfährt man, dass Sie keinen eigenen müden Euro aus Ihrem Landeshaushalt dafür aufwenden wollen, dass Klimaschutzprojekte auf den Weg gebracht werden.
Zur Finanzierung Ihrer Klimaschutzprojekte heißt es im Koalitionsvertrag: Der Bund muss quotiert 44 Prozent der Emissionshandelserlöse an Nordrhein-Westfalen abgeben. Sie wollen nur Klimaschutz betreiben, wenn es der Bund bezahlt. Das ist Ihr Versagen in Nordrhein-Westfalen. Davon können Sie nicht ablenken.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kauch, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Kelber?
Michael Kauch (FDP):
Gerne. Das verlängert die Redezeit.
Ulrich Kelber (SPD):
Das stimmt, das verlängert Ihre Redezeit.
Trotzdem ist die Frage wichtig. - Können Sie erstens bestätigen, dass unter der jetzigen Landesregierung die frühere Vereinbarung von Rot-Grün mit der Kraftwerkswirtschaft, in der vorgesehen ist, alte Kraftwerke sofort abzuschalten, wenn das neue am Netz ist, beispielsweise im rheinischen Braunkohlerevier, aufgehoben wurde und deswegen die alten Kraftwerke weiterlaufen? Das ist Realität, nicht Ziel.
Können Sie zweitens bestätigen, dass Sie den Klimaschutz als Ziel aus den Landesgesetzen herausgestrichen haben?
Michael Kauch (FDP):
Lieber Herr Kelber, wenn Sie auf Datteln anspielen - darum geht es ja offensichtlich -,
dann kann ich nur sagen, dass dies das effizienteste Kohlekraftwerk ist, das wir momentan in Deutschland bauen.
Das genau ist der Unterschied. Wir machen Klimaschutz mit dem Emissionshandel und versuchen nicht, den Bau solcher Anlagen durch Gerichtsurteile zu torpedieren.
Wir wollen, dass diese modernen Kraftwerke die Dreckschleudern ersetzen,
deren Betrieb die rot-grüne Regierung, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Tagebau Garzweiler, ermöglicht hat, Herr Kelber.
Jetzt kommen wir zurück zum Thema, zu dem, was wir auf Bundesebene tun, zur Brennelementesteuer. Für die Brennelementesteuer werden im Kabinettsbeschluss sehr klug zwei Gründe genannt:
Erstens geht es um die Kosten der Asse. Die FDP hat diesen Punkt in den Koalitionsverhandlungen sehr nachdrücklich unterstützt. Wir sagen: Wenn es Altlasten gibt, die dadurch entstanden sind, dass in der Vergangenheit viele Menschen Fehler gemacht haben, dann kann man das hinterher nicht einfach dem Stromkunden oder dem Steuerzahler vor die Füße werfen, sondern dann müssen sich auch diejenigen, die von diesem Bergwerk profitiert haben, beteiligen; das ist neben staatlichen Forschungseinrichtungen die Kraftwerkswirtschaft. Ganz klar ist: Die Asse wird maximal etwa 4 Milliarden Euro kosten.
Das entspricht den Einnahmen von zwei Jahren aus der Brennelementesteuer. Dadurch ist diese Steuer sehr klar legitimiert.
Das Zweite ist die Ungleichbehandlung, die es ab 2013 geben würde, wenn wir keine Abschöpfung der Gewinne vornehmen würden. Momentan haben wir in der Tat eine Steigerung bei den Strompreisen; Frau Bulling-Schröter, ich war erstaunt, dass von einer Linken eine sachliche volkswirtschaftliche Darstellung kam. Dadurch, dass die Zertifikate, die man kostenlos bekommen hat, eingepreist wurden, haben die Unternehmen mehrere Milliarden Euro Zusatzgewinne gemacht. Jetzt haben wir fraktionsübergreifend durchgesetzt, dass die Zertifikate für die Kohlewirtschaft ab 2013 voll versteigert werden. Es wäre eine Wettbewerbsungleichheit, wenn wir es bei den mit Kernkraft produzierenden Unternehmen weiterhin so belassen würden.
Deshalb ist die Zielsetzung der Brennelementesteuer, die das Kabinett beschlossen hat, richtig. Dennoch sage ich: Natürlich gibt es einen politischen Zusammenhang zur Laufzeitverlängerung. Für uns ist das durchaus ein Paket. Ich sage aber auch: Für die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke ist das, was die Regierung hier vorlegt, nicht das Ende der Fahnenstange. Das ist nicht die Abschöpfung der Gewinne aus der Laufzeitverlängerung. Ich sage auch sehr deutlich: In den Wahlprogrammen von Union und FDP finden wir die Aussage, dass ein Teil der Erlöse, die aus der Laufzeitverlängerung resultieren, im Bereich erneuerbare Energien zu verwenden ist. Genau das lässt der Kabinettsbeschluss weiterhin zu.
Wir haben 2,3 Milliarden Euro für den Haushalt. Ich glaube, der Finanzminister hat damit das, was er bekommen muss. Wenn wir für die Laufzeitverlängerung noch eine Schippe drauflegen, dann muss auch deutlich werden, dass der Bereich der erneuerbaren Energien davon profitiert.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll von der Fraktion Die Linke.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Dezember 2009 postulierte die Bundesregierung in Fortsetzung ihrer Politik, sie plane keine Einführung der Brennelementesteuer. Im Juni 2010 kommt Ihnen die Erkenntnis dann doch, weil die Atomindustrie von dem Handel mit den CO2-Zertifikaten über höhere Strompreise profitiert. Das sind jährlich immerhin 3,4 Milliarden Euro. Allerdings sagen Sie - ich zitiere aus Ihrem Programm ?Die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken? -: Es wird ?im Rahmen eines Gesamtenergie-Konzepts notwendig sein, die Laufzeiten von Kernkraftwerken zu verlängern.?
Zukunft stärken und Laufzeitverlängerung sind ein Widerspruch in sich, sagt die Linke.
Im Klartext: Die ganze Aktion der Brennelementebesteuerung ist ein ausgeklügelter Deal zwischen Ihnen und der Atomlobby; denn durch diesen billigen Trick wollen Sie den hart erkämpften Atomkompromiss aufweichen und damit ein späteres Abschalten aller Atomkraftwerke in Deutschland erreichen.
Nun komme ich zu Ihrem tollen Plan. Sie wollen mit der Brennelementesteuer 2,3 Milliarden Euro jährlich einnehmen, unter anderem zum Zwecke der Sanierung - wie Sie selbst sagen; ich zitiere noch einmal -:
Allein durch die Stilllegung und den Rückbau von kerntechnischen Anlagen - einschließlich voraussichtlicher Kosten für die Endlager von Atommüll - wird der Bund erheblich belastet.
Selbst die Zwischenlager sind derzeit in einem skandalösen Zustand. Es gibt noch gar kein Endlager. Die Kosten für Lagerung und Sanierung der Lagerstätten haben sich vervielfacht; es wurde schon vorhin die Zahl von über 7 Milliarden Euro genannt.
Nun planen Sie frisch und fröhlich eine Laufzeitverlängerung. In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Wieso soll denn der Bund, das heißt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die Folgekosten für die Endlagerung tragen? Wieso sollen das nicht die Verursacher, die Atomwirtschaft, tun, und zwar selbstverständlich in voller Höhe?
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat Ihnen ausdrücklich aufgeschrieben, dass es möglich ist, dass Deutschland als Industriestandort bei Weiterentwicklung der bisherigen erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050 allen Strom aus diesen erneuerbaren Energien bezieht. Hierfür brauchen wir natürlich einen konsequenten Umbau hin zu den erneuerbaren Energien. Dazu braucht man eben - das wurde bereits erwähnt - umfangreiche Mittel für die Netzerneuerung und für das Erschließen neuer Speicherkapazitäten.
Selbst der Bundesumweltminister, Herr Röttgen, bestätigte, dass der Anteil der erneuerbaren Energien 2022, konservativ gerechnet, auf knapp 40 Prozent gestiegen sein wird, sodass dann tatsächlich alle AKWs in Deutschland abgeschaltet werden könnten. Sie erinnern sich: Hierzu liegt eine Studie aus dem Jahre 2009 vor; inzwischen wird das oft verschwiegen. Das heißt, eine Verlängerung der Laufzeiten ist völlig irrational und falsch. Wir fordern deshalb einen schnellstmöglichen Atomausstieg und nicht erst 2022.
Wir fordern das auch deshalb, um die Folgekosten aus der Nutzung der Atomkraft zu reduzieren. Wir wollen, dass die Atomwirtschaft die von ihr verursachten Kosten in vollem Umfang trägt. Führen Sie deshalb als ersten Schritt die Brennelementesteuer so ein, dass mindestens 5 Milliarden Euro jährlich an Einnahmen erzielt werden. Diese Einnahmen sollten dann für einen Energiesparfonds verwendet werden, um die Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien voranzutreiben.
Nun möchte ich noch eine kurze Bemerkung zu Herrn Fuchs machen, der nachher noch spricht.
Sie haben in der vergangenen Woche das Erneuerbare-Energien-Gesetz als Begründung vorgeschoben, um Atomenergie weiterhin zu legitimieren. Ich sage Ihnen: Das ist schlicht eine Frechheit und ein Schlag ins Gesicht all der Menschen, die heute im Bereich der Erzeugung erneuerbarer Energien arbeiten.
Sie sagten letzten Donnerstag, dass die Energiekosten für einen Vier-Personen-Haushalt im Rahmen des EEG ab dem nächsten Jahr um circa 200 Euro steigen würden. Deshalb brauchten wir auch weiterhin den ach so billigen Atomstrom.
Ich staune immer wieder über Ihre Kurzsichtigkeit. Sie sind es doch, die vernünftige Rahmenbedingungen schaffen könnten. Sie könnten erneuerbare Energien über eine vernünftige Steuergesetzgebung billiger machen. Wenn Sie beim Preis für den Atomstrom alle Folgekosten mit einfließen lassen würden, wäre Atomstrom eben nicht billig. Er ist schon heute viel teurer als der Strom aus erneuerbaren Energien.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Höll, kommen Sie bitte zum Schluss.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Schieben Sie den Schwarzen Peter nicht auf andere. Handeln Sie endlich selbst einmal weitsichtig; das ist notwendig.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich finde es bemerkenswert, dass wir die Diskussion offenbar so reflexhaft miteinander führen können, dass man, Frau Höll, bereits im Vorhinein auf einen nachfolgenden Redner eingehen kann; das ist schon etwas Besonderes.
Ich bin jetzt nicht enttäuscht - das sage ich Ihnen ganz offen -, dass es keine Loblieder auf das gibt, was wir hier als Koalition planen, nämlich eine Brennelementesteuer, obwohl ich zugebe, dass ich schon das eine oder andere wohlwollende Wort erwarte, wenn man Dinge umsetzt, die andere vorher angeblich so gefördert haben.
Meine Damen und Herren von den Grünen, ich habe Ihren Antrag gelesen. Sie versuchen ja jetzt - husch, husch -, mit einem Anträglein nörgelnd auf dieses Trittbrett aufzuspringen und so zu tun, als sei man bei dem Thema dabei. Sie verwechseln bei dieser Gelegenheit Rücklagen und Rückstellungen, weil es aus Ihrer Sicht offenbar ökonomisch keine Rolle spielt. Damit zeigen Sie, welcher ökonomische Sachverstand hinter dem steht, was Sie beantragen.
Ich sage auch ganz offen an die Adresse der SPD: Der SPD-Antrag ist ein verkrampfter Versuch, einen Zusammenhang mit Sigmar Gabriel herzustellen. Darin steht: ?Anknüpfend an die Bestrebungen von Sigmar Gabriel ??. Die Brennelementesteuer, die wir beschließen, hat mit vielen Dingen zu tun, aber garantiert nichts mit Gabriel.
Ich möchte das herausarbeiten, was die Kollegin Reinemund von der FDP unterstrichen hat. Es gibt keine Zweckbindung von Steuern. Es ist ganz wichtig, dass wir uns das hinter die Ohren schreiben. Wenn man bestimmte Dinge politisch durchsetzen will, wird oft anderes behauptet; aber diese Zweckbindung gibt es nicht. Deshalb sage ich an dieser Stelle ein bisschen nachdenklich, dass ich mir persönlich mit dem Geld durchaus eine Fondslösung zugunsten der Erforschung alternativer Energien hätte vorstellen können; das hätte den Haushalt auch entlastet. Aber sei es drum.
Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit nutzen, um ein paar Fakten klarzustellen.
Die Mär von der nichtverursachergerechten Kostentragung muss man abräumen. Entsprechend dem Atomgesetz werden bei Konrad die Versorger einen Anteil von 64,4 Prozent der Kosten zu tragen haben; das ist verursachergerecht. In Gorleben müssen die Versorger 96,5 Prozent der Kosten tragen. Das muss man doch einmal sagen. Man darf nicht immer einen anderen Eindruck erwecken.
Die Themen Asse, ein ehemaliges Forschungsendlager des Bundes, und Morsleben, eine Altlast aus der ehemaligen DDR - deshalb würde ich den Linken empfehlen, an dieser Stelle ein bisschen leiser zu treten -,
bleiben offen und werden den Haushalt belasten. Man braucht Einnahmen, mit denen man die Kosten ausgleichen kann.
Nun haben Frau Kotting-Uhl, Frau Höll und etliche andere von einem Handel mit den Versorgern gesprochen, einem Deal mit Brennelementesteuer auf der einen Seite und Laufzeitverlängerungen auf der anderen Seite. Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, wer einen Deal gemacht hat: Sie im Jahr 2000.
Sie haben einen Deal gemacht. Die Verknüpfung zwischen der Brennelementesteuer und der Laufzeitverlängerung haben Sie damals verursacht, weil in diesem Deal ausdrücklich steht, dass es keine zusätzliche steuerliche Belastung der Kernenergie geben darf.
Deshalb kann man, wenn man aus dem Thema Ausstieg aussteigt, eine Brennelementesteuer erheben. Wenn man aber bei dem bleibt, was zwischen Ihnen und den Versorgern damals vereinbart wurde, sieht es schlecht aus. Diese Verknüpfung haben Sie vollständig zu verantworten. Das möchte ich an dieser Stelle eindeutig sagen.
Thema Windfall-Profits. Ja, da gibt es ungerechtfertigte Profite, die ökonomisch begründbar, politisch aber problematisch sind. Dass man dafür Sorge tragen muss, dieses Geld wiederzubekommen, ist unstrittig. Aber aus meiner Sicht muss das über den Emissionshandel, nämlich die vollständige Versteigerung, die bisher europapolitisch verwehrt war, erfolgen. Es ist doch völlig falsch, gerade dort anzuknüpfen, wo wir kein CO2-Problem haben, nämlich bei der Kernenergie. Das wäre doch widersinnig. Man muss einmal in aller Deutlichkeit sagen, dass diese Verknüpfung problematisch ist. Ich sage das ganz offen und offensiv.
- Liebe Frau Höhn, deshalb ist es gut, wenn neben den Finanzpolitikern der eine oder andere Fachpolitiker etwas sagt.
Ich sage ganz klipp und klar: Um die Windfall-Profits aus dem Emissionshandel abzuschöpfen, sollte man aus meiner Sicht nicht da anknüpfen, wo der Emissionshandel konterkariert wird. Das wäre falsch. Sie haben aber richtig argumentiert, dass die Einnahmen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro jährlich auch für andere Dinge notwendig sind. Ich sage dazu nur eines: Ihr Argument fällt aus meiner Sicht weg; es spricht nicht gegen die Brennelementesteuer. Auch das muss man einmal deutlich herausstellen.
Abschließend möchte ich sagen: Nachdem ich vorhin den vollzogenen Handel so lang und breit erläutert habe, ist es mir ein Anliegen, die Doppelzüngigkeit dieser Debatte herauszuarbeiten. Es ist aus meiner Sicht doppelzüngig, jemandem einen Handel vorzuwerfen, wenn man selbst einen Handel gemacht hat. Ich möchte deutlich herausstellen, wie Sie sich, insbesondere die Grünen, bei diesem Deal im Jahr 2000 verbogen haben.
Sie haben damals in den Wahlkämpfen immer von unverantwortbaren Risiken gesprochen, von der Notwendigkeit eines sofortigen Ausstiegs aus der Kernkraft, weil diese mit Risiken verbunden sei, die nicht hinzunehmen seien. Dann haben Sie bzw. der Staatssekretär Barke, damals die rechte Hand von Trittin, am 14. Juni 2000 eine Vereinbarung unterschrieben - ich habe sie hier -, wonach die Kernkraftwerke einen hohen Sicherheitsstandard haben.
Das haben Sie paraphiert. Sie haben also gesagt: Es ist unverantwortlich; aber obwohl es unverantwortlich ist, können wir das Ganze für weitere 20, 25 Jahre vertreten.
Sie müssen uns erklären, woher die Motivation dazu kam, warum Sie das getan haben. Ich befürchte, es ging um etliche Dienstwagen.
Wenn es zumindest Dienstfahrräder gewesen wären, hätte ich das bei den Grünen noch verstanden. Sie sollten einmal über Ihre Politik nachdenken: Sie gehen für Dienstwagen solche Risiken ein - zumindest behaupten Sie, es sei riskant; im Hintergrund sehen Sie es vielleicht auch so, dass die Kernkraft sehr wohl kalkulierbar und beherrschbar ist -, schüren im Wahlkampf Angst und vereinbaren in der politischen Realität, wenn Sie auf dem Boden der Tatsachen zurück sind, mit den Versorgern etwas anderes. Vielleicht kann Frau Höhn, die nach mir spricht, ein bisschen Licht in diese Sache bringen und sagen, warum Sie das getan haben.
Vielen herzlichen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die Grünen.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Nüßlein hat uns jetzt demonstriert, dass er offensichtlich heimliche Wünsche hat, einmal in einem Dienstwagen zu sitzen. Sie sollten das aber nicht anderen unterstellen.
Wir machen Politik für die Menschen, nicht für die Dienstwagen. Belassen Sie es also bei Ihren eigenen heimlichen Wünschen.
Wenn wir heute über die Brennelementesteuer reden, dann tun wir das, weil wir über ein Sparpaket reden. Es ist gut, über die Brennelementesteuer zu reden; denn es handelt sich vom Grundsatz her um eine alte grüne Forderung, es ist ein richtiges Instrument. Das begrüßen wir.
Ich finde, dass Finanzminister Schäuble bei diesem Thema bisher eigentlich ziemlich gerade gestanden hat. Man muss allerdings sagen: Seit gestern hat er seine Taktik vollkommen verändert; er ist vollkommen von dem abgerückt, was er bisher behauptet hat.
Spannend ist, dass er wochenlang seitens des Finanzministeriums gefordert hat, dass diese Brennelementesteuer kommt, er sie aber gestern infrage gestellt hat. Warum? Was ist in der Zwischenzeit passiert? Vertreter der vier großen Energiekonzerne haben dem Finanzministerium einen kurzen Besuch abgestattet. Da muss man sagen: Das ist ein dreckiger Deal. Wir wollen ihn nicht unterstützen.
Das ist ein Einknicken vor der Atomlobby auf eine Art und Weise, die wir bisher noch nicht erlebt haben. Das ist wirklich ungeheuerlich.
Stellen Sie sich einmal vor, es würde jeder, bei dem eine Steuer anfällt, ins Finanzministerium eingeladen und man dürfte verhandeln. Das wäre interessant. Warum lädt eigentlich das Finanzministerium nicht die Hartz-IV-Empfänger ein, bei denen Sie gerade das Elterngeld streichen? Das wäre vielleicht ein fairer Ausgleich. Sie tun das aber nicht; denn Ihre Lobbyinteressen liegen eindeutig bei der Atomwirtschaft, nicht bei den Hartz-IV-Empfängern. Das ist der Unterschied.
Der erste Punkt ist, dass der Finanzminister gesagt hat: Von der Brennelementesteuer rücken wir eher ab; wir suchen nach Alternativen. Die Kollegin Reinemund hat eben bestätigt, dass jetzt andere Punkte in der Debatte sind.
Der zweite Punkt ist genauso gefährlich. Bisher hat der Finanzminister immer gesagt, dass die Brennelementesteuer unabhängig von den Laufzeiten kommen soll. Ich wiederhole: unabhängig von Laufzeiten.
Noch am 11. Juni dieses Jahres hat er gesagt. Die Brennelementesteuer ist unabhängig vom Beschluss über längere Laufzeiten der Atomkraftwerke. Anders als Sie, Herr Fuchs, hat Herr Schäuble bisher eine kluge Meinung vertreten. Denn es ist ganz entscheidend, dass die Brennelementesteuer unabhängig von der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in diesem Land ist. Ich sage Ihnen: Das ist absolut wichtig. Auch die Kanzlerin hat das bestätigt und damit Leuten wie Ihnen, Herr Fuchs, einen Riegel vorgeschoben.
Gestern sagte der Finanzminister: Dass die Brennelementesteuer in einem politischen Zusammenhang mit der Frage der Restlaufzeiten stehe, sei völlig unbestritten. Das ist nichts anderes, als dass Sie sagen: Sicherheit gegen Geld. Sie wollen die Laufzeiten der alten Atomkraftwerke verlängern, um bei den Atomkonzernen Geld einsammeln zu können. Das ist ein Deal, den man nicht zulassen darf.
Wenn es um die Sicherheit von Atomkraftwerken geht, dann dürfen finanzielle Erwägungen keine Rolle spielen; das ist ganz entscheidend. Vor allen Dingen kommen Sie in eine große Bredouille. Wenn Sie Ihr Vorhaben nämlich, wie Sie es planen, am Bundesrat vorbei durchsetzen wollen, dann werden wir klagen. Wir von Grünen und SPD werden eine Normenkontrollklage auf den Weg bringen. Angesichts der Ergebnisse all der Gutachten, die uns vorliegen, bin ich sicher, dass wir recht bekommen werden. Sie werden den Ausstieg aus der Atomkraftnutzung nicht rückgängig machen können, indem Sie den Bundesrat umgehen. Dem werden wir einen Riegel vorschieben, und wir werden gewinnen. Sie kommen damit nicht einfach durch.
- Sie kommen damit nicht einfach durch.
Dass vier Energiekonzerne einfach zum Finanzministerium gehen und dort Politik machen, ist ein unglaublicher Vorgang. Das müssen wir uns einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn ich höre, wie zum Beispiel der Fraktionsvorsitzende Kauder und die Fraktionsvorsitzende Homburger - ich sage es einmal so - den bösen Schein erwecken, als seien sie nichts anderes als die Sprecher von EnBW, sage ich Ihnen: Das wirft ein ganz schlechtes Licht auf Ihre Politik und Ihre Regierungskoalition. Das ist der Punkt: Diese Koalition vertritt die Interessen der großen Stromkonzerne und der Atomkonzerne, nicht mehr und nicht weniger. Das ist Ihr Fehler.
Das, was Herr Kauch zum Thema Wettbewerb gesagt hat, fand ich spannend. Denn der Chef des Kartellamts, ein FDP-Mann, hat gesagt, man darf der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke nicht zustimmen, weil es auf dem Strommarkt dann keinen Wettbewerb mehr gibt, weil die großen Energiekonzerne die Preise in die Höhe treiben können und weil am Ende, egal wie hoch die Brennelementesteuer ist, die Verbraucherinnen und Verbraucher aufgrund dann höherer Strompreise große Gewinne in die Kassen der Energiekonzerne spülen werden. Das ist der Punkt. Ihr Mann an der Spitze des Kartellamts, ein FDP-Mann, sagt: keine Laufzeitverlängerung, damit die Preise für die Verbraucher nicht explodieren.
Das ist die Wahrheit über das Vorhaben, das Sie momentan auf den Weg bringen.
Gleichzeitig muss man sehen, dass die Stadtwerke sagen: Wir können diese Laufzeitverlängerung nicht mit uns machen lassen, weil es dann keinen Wettbewerb mehr gibt. Dann können wir nicht mehr mithalten. Durch die Laufzeitverlängerung zerstören Sie den Wettbewerb auf dem Strommarkt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Höhn, kommen Sie bitte zum Schluss.
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss. - 150 000 Menschen haben Ende April dieses Jahres gegen Ihren Ausstieg aus dem Atomausstieg demonstriert. 150 000 Menschen!
All diese Menschen haben Sie nicht berücksichtigt. Ihre eigenen Leute in den Stadtwerken haben Sie nicht berücksichtigt. Umweltverbände und das Bundeskartellamt haben Sie nicht berücksichtigt. Wenn Sie nur die Interessen der Atomkonzerne vertreten, dürfen Sie sich nicht wundern, dass Sie dann letzten Endes nicht die Interessen des Volkes vertreten. Dafür sind Sie allerdings gewählt worden. Machen Sie sich nichts vor: Ihre schlechten Umfragewerte liegen an der Politik, die Sie machen.
Ändern Sie endlich Ihre Politik!
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Klaus Breil von der FDP-Fraktion.
Klaus Breil (FDP):
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir über die Einführung einer Brennelementesteuer. Darüber scheinen wir uns fast alle einig zu sein, doch die Gemeinsamkeiten verlieren sich leider im Detail. Sie nutzen nämlich diese Kostenerhebung als Generalangriff auf die Kernkraftindustrie. So sollen die Kernkraftbetreiber zum Beispiel die Entsorgung aller kerntechnischer Forschungsanlagen des Bundes gleich mitbezahlen.
Wir hingegen schaffen einen angemessenen Ausgleich für die Kosten der Asse. Wir garantieren die Gleichbehandlung von Kohle und Kernkraft beim Emissionshandel. Für uns stehen zwei Ziele im Vordergrund: die Sanierung des Haushaltes und die regenerative Erneuerung unseres Energiewesens. Sie sehen also, dass wir in der Wirtschafts- und Umweltpolitik an einem Strang ziehen.
Sie aber operieren mit Zahlen und Forderungen, die aus der Luft gegriffen sind. Sie gaukeln uns etwas vor, was es nicht gibt. Sie führen die Bürger hinters Licht. Ihren Behauptungen nach wurden Kernkraftwerke vom Staat mit Finanzhilfen und Steuervergünstigungen von insgesamt 125 Milliarden Euro finanziert, eine Mär, die unters Volk zu bringen Sie nicht müde werden.
Für Sie scheint die Kernenergieindustrie so etwas wie ein großer Geldspeicher zu sein - wissen Sie, so einer wie bei Dagobert Duck -, und Sie sind die Panzerknacker:
Man muss das Ding nur anbohren, und schon sprudelt unablässig das Geld. So funktioniert das aber nicht.
Die Betreiber von Kernkraftwerken erhielten keinerlei Steuersubventionen. Das wurde auch zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung immer wieder bestätigt.
Lediglich im Bereich der Entwicklung und Forschung wurden staatliche Mittel eingesetzt. Der Rückbau stillgelegter Kernkraftwerke und die Entsorgung der Abfälle werden durch die Betreiber finanziert. Die Mittel dafür sind durch Rückstellungen der Energieversorger
von annähernd 30 Milliarden Euro angesammelt worden.
Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, Gewinne aus einer Laufzeitverlängerung nutzbringend einzusetzen. Dies erfolgt nicht willkürlich, sondern wettbewerbskonform. Wie das konkret aussehen wird, ergibt sich aus unserem Energiekonzept. Bei uns herrscht schließlich das Ordnungsprinzip: erst der Rahmen, dann die Details.
Nach der Sommerpause im September wird die Bundesregierung dieses Konzept vorlegen. Es wird sich auf nüchterne Analysen gründen, nicht auf Hoffnungen oder Wunschdenken. Es wird die Kernenergie in den künftigen Energiemix einbeziehen, und zwar so weit, wie es sinnvoll ist.
Die Fakten hierzu kennen wir alle: Immer noch stellt die Kernenergie 23 Prozent der Stromproduktion
und nahezu 50 Prozent des Grundlastanteils. So kann die Leistung der Kernenergieanlagen fast bis zur Hälfte flexibel gefahren werden. Produktionsschwankungen der Wind- und Sonnenenergie können durch sie aufgefangen werden. Und sie verursacht kein CO2. Die Zuverlässigkeit, mit der Strom produziert wird, liegt bei Anlagen der Kernenergie über 95 Prozent, bei Windenergie bei 5 bis 10 Prozent und bei Solaranlagen bei 1 Prozent. Dabei sind erneuerbare Energien ohnehin äußerst schwankende Energiequellen.
Wir werden die Betreiber der Kernkraftwerke in eine angemessene gesellschaftliche Verantwortung nehmen: mit Maß und Vernunft, nicht mehr und nicht weniger.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Ulrich Kelber von der SPD-Fraktion.
Ulrich Kelber (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Monaten muss Deutschland einen schwarz-gelben Überbietungswettbewerb von Ergebenheitsadressen und Gewinnversprechen an die Atomwirtschaft ertragen. Wenn es dann einmal einen lichten Moment wie die Kabinettsklausur gibt, in der man sich auf die Einführung einer Brennelementesteuer verständigt, gibt es sofort die Blutgrätsche des Herrn Kauder, Fraktionsvorsitzender der CDU, der direkt sagt: Wir führen die Brennelementesteuer mit Einnahmen von 2,3 Milliarden Euro nur dann ein, wenn wir vorher politisch festgelegt haben, den Betreibern von Kernkraftanlagen 6 bis 8 Milliarden Euro pro Jahr durch eine Laufzeitverlängerung zu schenken. Das ist dann die Reaktion auf den ersten lichten Moment.
Jetzt geht es darum, den Spieß umzudrehen. Die SPD will die Atomlobby für die enormen Kosten der Altlasten zur Kasse bitten, und zwar nicht nur für Asse und Morsleben, Jülich und Karlsruhe, sondern auch für die leistungslosen Zusatzgewinne aus dem Emissionshandel. Es wurde nie zugesagt, dass diese Gewinne behalten werden können. Wir wollen das nicht mit einer Debatte über Laufzeitverlängerungen verbinden, sondern wir sind der Überzeugung, dass es jetzt nach diesem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien längst um die Frage einer Laufzeitverkürzung geht.
Wer in der politischen Diskussion die Brennelementesteuer mit einer Laufzeitverlängerung verbindet, der betreibt den Ausverkauf von Sicherheit in diesem Lande,
und wer das mit der Zusage verbindet, dass 6 bis 8 Milliarden Euro an Zusatzgewinnen pro Jahr anfallen, der macht Geschenke an die bestverdienenden Unternehmen unseres Landes und verzerrt den Wettbewerb am Strommarkt.
Die Kollegin Höhn hat den derzeitigen Präsidenten des Bundeskartellamts zitiert. Sein Vorgänger hat, wenige Wochen bevor er Staatssekretär dieser Regierung geworden ist, das Gleiche gesagt, und dessen Vorgänger hat in einem Gutachten für die Stadtwerke ebenfalls das Gleiche gesagt.
Worum geht es?
Erstens. Die Zusatzgewinne. Der Emissionshandel - erst ab 2012 gibt es eine volle Versteigerung, Herr Steffel - war vor zehn Jahren, zu dem Zeitpunkt, an dem der Atomkompromiss geschlossen wurde, noch nicht aktuell. Daraus sind Zusatzgewinne entstanden, die der Atomwirtschaft nie zugestanden haben; es wurde auch nie versprochen, dass sie sie behalten darf. Im Atomkompromiss - Sie hätten richtig zitieren sollen, Herr Dr. Nüßlein - steht nämlich nur etwas davon, dass es keine Zusatzbelastungen geben darf, und nichts vom Behalten von Zusatzgewinnen. Dieses Geld gehört nicht den Aktionären von Eon oder RWE; es gehört der Gesellschaft. So war der Emissionshandel von vornherein angelegt. Wir wollen dieses Geld abschöpfen.
Zweitens, die Altlasten von 10 Milliarden Euro für Asse, Morsleben, Karlsruhe und Jülich. In Jülich liegen aus der Zeit, in der die Atomwirtschaft aktiv war, Altlasten, von denen wir noch nicht wissen, wie wir sie technisch anfassen sollen.
Dieses Geld soll nicht die nächste Generation zahlen, sondern dieses Geld sollen im Sinne der Nachhaltigkeit diejenigen zahlen, die davon profitiert haben. Auch das muss deswegen aus einer Brennelementesteuer bezahlt werden, die nicht an die Bedingung einer Laufzeitverlängerung geknüpft sein darf, weil das bereits entstandener Atommüll ist. Alles andere wäre eine Subvention der bestverdienenden Unternehmen dieses Landes.
Ich habe mitbekommen, dass die Kanzlerin den Finanzminister angewiesen hat, eine Alternative zur Brennelementesteuer zu prüfen, nämlich einen Fonds, den die Energiewirtschaft vorgeschlagen hat. Man muss sich das so vorstellen: Die Unternehmen nehmen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau einen Kredit auf. Das ganze Geld, das man ihnen nehmen will - ein Viertel ihrer Zusatzgewinne -, wird in einem Mal an die Bundesregierung übergeben. Dieser Kredit wird aber nur so lange abbezahlt, wie der Deutsche Bundestag die Laufzeitverlängerung nicht zurücknimmt. Danach müssen das wieder die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen.
Das ist ein Ausverkauf der Demokratie. Sie wollen den Menschen verbieten, sich bei Wahlen anders zu entscheiden, und Sie wollen dem Deutschen Bundestag verbieten, Energiepolitik zu machen. Wer das tut, der entmündigt die Bürger und dieses Parlament.
Man kann das ganz konkret machen: Stellen Sie sich vor, dieser Fonds wird von Ihnen eingeführt, Sie haben das Geld bekommen, und im Augenblick zahlen die Energiekonzerne den Kredit ab. Zu diesem Zeitpunkt sagen wir in der Politik: Wir schätzen die Terrorismusgefahr neu ein und wollen die ältesten Atomkraftwerke früher stilllegen, weil sie gegen Angriffe aus der Luft nicht richtig zu schützen sind. Dann wird gesagt: Ja, natürlich dürft ihr das machen. Ihr könnt uns anweisen, sie stillzulegen, aber pro Reaktor und Jahr wollen wir 500 Millionen Euro von euch an den Fonds gezahlt haben.
Ein anderer Fall: Die Atomaufsicht sagt: Wir haben neue Erkenntnisse über den sicheren Betrieb, sodass wir euch jetzt etwas Neues vorschreiben wollen. Ansonsten legen wir die Anlage still. Dann wird gesagt: Ja, ihr dürft sie stilllegen, das kostet euch aber 250 Millionen Euro pro Jahr.
Wenn die Atomaufsicht nicht mehr unabhängig arbeitet, sondern vor den finanziellen Konsequenzen ihrer Entscheidungen Angst haben muss, dann haben Sie mit Ihren Tricks an dieser Stelle nicht nur die Demokratie, sondern auch die Sicherheit ausverkauft.
Nach mir spricht ja noch Herr Dr. Fuchs, der auch in der Energiepolitik immer sehr vehement bei der Sache ist. Wir haben hier vielleicht die gleichen Emotionen. Sie haben ja die Chance, hier einmal ein paar Dinge klarzustellen:
Ist das politisch verbunden? Wie viel Prozent der Zusatzgewinne wollen Sie abschöpfen? - All das können Sie heute hier einmal sagen.
Was mich aber immer am meisten interessiert, ist die Gleichzeitigkeit in Ihrer Energiepolitik. Es geht gar nicht darum, dass im Augenblick gar keine Investitionen getätigt werden, weil alle auf ein immer wieder angekündigtes Energiekonzept warten, von dem ja nur eine Sache feststeht, wenn ich Sie richtig verstanden habe, nämlich die Verlängerung der Atomlaufzeit. Was Sie in dieser Woche machen, ist aber doch spannend: Die Brennelementesteuer wird nur eingeführt, wenn wir ihnen durch eine Laufzeitverlängerung das Vierfache schenken, und die Unterstützung der Solarindustrie wird gekürzt, weil - das wird von CDU/CSU oft mit zittriger Stimme gesagt - dort zweistellige Renditen möglich sind.
Wissen Sie eigentlich, dass RWE und Eon in ihren Unternehmenspublikationen ausweisen, dass dort jedes Jahr 15 Prozent Rendite erreicht werden und dass diese beiden Unternehmen zusammen mehr Gewinn machen als alle anderen börsennotierten deutschen Unternehmen zusammen, nämlich 200 Euro pro Kopf der deutschen Bevölkerung? Diese Gewinne fließen dorthin ab - Gewinne, die Sie nicht abschöpfen, sondern erhöhen wollen, während Sie bei den erneuerbaren Energien reingrätschen.
Herr Kauch - ist er noch da? -, Sie hatten ja gesagt, es ist nicht ausgeschlossen, dass die Einnahmen aus der Brennelementesteuer für den Ausbau der erneuerbaren Energien ausgegeben werden. Aber der Haushaltsentwurf liegt auf dem Tisch: Die Einnahmen aus der Brennelementesteuer sind darin enthalten, aber die Ausgaben für die erneuerbaren Energien werden in Ihrem Haushalt 2011 gekürzt. Das heißt, Sie erzielen Einnahmen, aber kürzen gleichzeitig die Ausgaben für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist schwarz-gelbe Energiepolitik schwarz auf weiß.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kelber, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Pfeiffer und dann des Kollegen Kauch?
Ulrich Kelber (SPD):
Aber gerne doch.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vielleicht lassen wir beide Zwischenfragen nacheinander stellen, und Sie können dann darauf antworten.
Ulrich Kelber (SPD):
Wenn beide stehen bleiben! - Gerne.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Herr Kollege Kelber, Sie haben mehrfach ausgeführt, dass RWE und andere die größten Eigenkapitalrenditen haben, die sicherlich zum Teil auf mangelnden Wettbewerb zurückzuführen sind. Darin sind wir uns einig: Wir wollen einen besseren Wettbewerb erreichen.
Die Aussage, dass das die höchsten Renditen sind, ist aber, glaube ich, nicht ganz korrekt. Wenn ich richtig informiert bin - vielleicht können Sie das bestätigen oder auch nicht -, dann hat beispielsweise die Solarworld AG in 2008 nicht eine Eigenkapitalrendite, sondern, wenn ich richtig informiert bin, eine Umsatzrendite - das ist ein kleiner Unterschied - von annähernd 50 Prozent erzielt, und zwar allein aufgrund von Aktivitäten, die durch das EEG und andere Dinge politisch verursacht sind.
Ist es in der Tat richtig, dass die Solarworld AG beispielsweise Ihnen sechsstellige Spendenbeträge überwiesen hat? Dazu muss ich sagen: Das ist dann unerhört. Gibt es dort Zusammenhänge? Oder können Sie das nicht bestätigen? Das ist schon spannend.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kelber möchte direkt darauf eingehen.
Ulrich Kelber (SPD):
Ja, darauf muss man schon einzeln eingehen. Zunächst einmal: Ich würde mich freuen, wenn ich in der Lage wäre, einen Vergleich von RWE und Eon aus 2009 und entsprechende Zahlen aus 2009 zu nennen. Dann würden Sie nämlich sehen, dass viele der Solarunternehmen bereits ins Minus gerutscht sind.
Fragen Sie einmal Ihre Kollegen aus Sachsen-Anhalt, aus Thüringen und Sachsen. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Herr Dr. Pfeiffer, ich finde es schon spannend, dass Sie a) eine Lüge wiederholen und sich b) trauen, sich hier hinzustellen. Erstens. Ich als Person habe keinen Cent Spenden erhalten - Punkt.
- Ja, einen Augenblick. Wir kommen gleich dazu.
Zweitens. Sie als Person weisen auf Ihrer Website aus, dass Sie - von wem auch immer und für welche Beratungsleistung auch immer - persönliche Einnahmen - also für Ihre Nebentätigkeit - in wer weiß welcher Höhe bekommen haben. Ich denke, Sie sind in diesem Parlament einer der Letzten, der sich auf Kolleginnen und Kollegen beziehen sollte, die über das gesetzliche Maß hinausgehend, Herr Hinsken, Spenden an Ortsverbände und Kreisverbände veröffentlichen. Das macht kein einziger Abgeordneter der CDU/CSU. Ich tue dies als einziger Abgeordneter freiwillig. Das sollten Sie sich vielleicht als Beispiel nehmen. Gewöhnen Sie sich an diese Transparenz, dann können wir uns gerne weiter unterhalten. Und nennen Sie endlich einmal die Namen der Unternehmen, für die Sie Beratungsleistungen für Ihre private Geldtasche erbringen, Herr Dr. Pfeiffer - vor allem mit Blick auf Ihre Herkunft aus der Energiewirtschaft. Das finde ich wirklich spannend.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Jetzt liegt noch eine Wortmeldung des Kollegen Kauch vor, den Sie auch angesprochen haben.
Michael Kauch (FDP):
Lieber Kollege Kelber, Sie haben quasi eine rückwirkende Zwischenfrage gestellt, die ich Ihnen gerne beantworten möchte. Ich habe eindeutig nicht gesagt, dass die Einnahmen aus der Brennelementesteuer in dem Umfang, wie es das BMF jetzt vorlegt, in die erneuerbaren Energien fließen. Ich habe deutlich gemacht, dass es bei einer Laufzeitverlängerung eine zusätzliche Abschöpfung der Gewinne geben muss. Und ich bin der Auffassung, dass diese dann in die erneuerbaren Energien fließen sollen.
Ulrich Kelber (SPD):
Ich würde mich freuen, wenn das nachher die Position von ganz Schwarz-Gelb wäre.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Jetzt können Sie zu Ihrem Schlusswort kommen.
Ulrich Kelber (SPD):
Ich hatte meinen Schlusssatz gesagt, bevor meine Redezeit abgelaufen war. Danach wurden noch zwei Zwischenfragen gestellt. Ich bedanke mich noch einmal. Ich habe am Ende ja das Fazit gezogen, dass der Vergleich im Umgang mit der Solarwirtschaft, der Vergleich im Umgang mit den Stadtwerken in der gleichen Art und Weise, wie man den am besten verdienenden Unternehmen dieses Landes Zusatzgewinne zuschanzen will, ein entsprechendes Licht auf die schwarz-gelbe Energiepolitik wirft. An ihren Zahlen sollt ihr sie erkennen - das wäre an dieser Stelle vielleicht eine schöne Variante.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Pfeiffer, habe ich Ihre Wortmeldung als Antrag auf eine Kurzintervention zu verstehen, oder ist das falsch? - Das ist so. Eine Zwischenfrage können Sie jetzt nicht mehr stellen.
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Ich möchte kurz auf das eingehen, was der Kollege Kelber gesagt hat. Ich bin ihm dankbar, dass er das wiederholt hat, was er schon in einer früheren Plenardebatte angesprochen hat, ohne dass ich die Möglichkeit hatte, darauf einzugehen. Ich musste mich belehren lassen, dass hier alles gesagt werden kann; man kann nicht dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
Er hat schon einmal hier behauptet, ich würde die Energiewirtschaft beraten - das hat er gerade wiederholt -, und darauf hingewiesen, dass ich aus der Energiewirtschaft komme. Dazu will ich in aller Deutlichkeit sagen, dass ich zwar in der Tat freiberuflich beratend tätig bin, aber zu keiner Zeit in der Vergangenheit oder heute - ich plane es auch nicht für die Zukunft - in irgendeiner Weise beratend oder in sonstiger Art und Weise für die Energiewirtschaft tätig bin.
Das möchte ich ein für alle Mal für das Protokoll und auch Herrn Kelber gegenüber öffentlich klarstellen. Insofern bin ich ihm für den Hinweis dankbar.
Ich komme den Offenlegungspflichten in vollem Umfang nach, um auch das in aller Deutlichkeit festzustellen. Ich gehe davon aus, dass damit auch dieses Thema erledigt ist.
Wenn Sie daraus eine Befangenheit ableiten wollen, dass jemand vor 20 Jahren in der Energiewirtschaft tätig war, dann kann ich nur antworten: Wenn Sachverstand nicht mehr gewünscht ist, dann führt das zu der Politik, die Sie verantworten, die elektrische Leistung und elektrische Arbeit nicht auseinanderhalten kann. Das ist nicht unsere Politik.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zur Erwiderung Herr Kelber.
Ulrich Kelber (SPD):
Wem es zu heiß ist, der muss aus der Küche herausgehen. Wer anfängt, muss auch eine Antwort aushalten. Ich schlage einfach allen vor, die zuhören: Besuchen Sie die Website von Herrn Dr. Pfeiffer - Sie müssen leider auf die Bundestagswebsite zurückgreifen, weil auf seiner Seite gar nichts steht - und auf meine Website www.kelber.de! Der Unterschied ist: Wenn ich eine Nebentätigkeit ausübe, ist dort ein Name und eine Summe angegeben. Bei Herrn Dr. Pfeiffer steht ?Kunde 1? und ?Stufe 3?. Das ist irgendein Betrag über 7 000 Euro. Ich glaube nicht, dass Sie der Richtige sind, um sich hier zu Wort zu melden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Jetzt hat als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt der Kollege Dr. Michael Fuchs von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kelber, Lesen bildet. Es wäre sinnvoll, sich die Verhaltensregeln des Deutschen Bundestages durchzulesen. Darin ist das, was Sie gerade gesagt haben, exakt aufgeführt. Der Kollege Pfeiffer verhält sich exakt so, wie es im Deutschen Bundestag vorgeschrieben ist.
Man kann ihm schlecht vorwerfen, dass er sich an die Vorschriften hält.
Der nächste Punkt: Sie sollten hier auch sagen - das mache ich für Sie -, dass Sie Ihren gesamten Wahlkampf durch Herrn Asbeck und die Firma Solarworld finanzieren lassen, der Ihre Kreispartei massivst unterstützt.
Aber kommen wir zur Sache: Ja, wir führen eine Brennelementesteuer ein. Ja, wir werden auch die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern. Allerdings zeichnet sich eine bürgerliche Koalition im Vergleich zu einer linken dadurch aus, dass sie den Unternehmen bei verbindlich getroffenen Vereinbarungen Verlässlichkeit bietet.
Wirtschaftspolitische Vernunft wird von Bürgern und der Wirtschaft außerordentlich geschätzt. Deshalb wurden wir gewählt und nicht Sie.
In der Ausstiegsvereinbarung vom 14. Juni 2000 wurde zwischen der Bundesregierung und den Kraftwerksbetreibern vereinbart, dass ihnen im Gegenzug zu den verkürzten Laufzeiten keine zusätzlichen Belastungen aufgebürdet werden können. Eine Brennelementesteuer unabhängig von einer Laufzeitverlängerung ist durch Ihr Handeln nicht möglich.
Sie fordern quasi dazu auf, eine Vereinbarung, die Sie selbst getroffen haben, zu brechen. Das ist nicht unsere Politik. So etwas tun wir nicht.
Dass Sie sich von Schröder distanzieren, kann ich verstehen.
Das haben Sie schon mehrfach gemacht. Dass Sie sich jetzt aber auch noch von Ihrem grünen Fraktionsvorsitzenden distanzieren - denn er hat das Ganze mit unterschrieben -, wie Sie es jetzt getan haben, kann ich nicht verstehen. Wahrscheinlich ist er nicht anwesend, weil er sich für Sie schämt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Fuchs, mir liegen mehrere Bitten um Zwischenfragen vor.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Nein, wir haben heute genug gehört.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Danke.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
In der Unionsfraktion gibt es keinen Zweifel daran, dass die Einführung einer Brennelementesteuer ausschließlich im Zusammenhang mit einer Laufzeitverlängerung gesehen werden muss. Durch Ihr Handeln sind wir dazu gezwungen.
Darüber hinaus zitiere ich aus unserem Koalitionsvertrag. Darin heißt es wörtlich:
Der wesentliche Teil der zusätzlich generierten Gewinne aus der Laufzeitverlängerung der Kernenergie soll von der öffentlichen Hand vereinnahmt werden. Mit diesen Einnahmen wollen wir auch eine zukunftsfähige und nachhaltige Energieversorgung und -nutzung, z. B die Erforschung von Speichertechnologien
- damit haben Sie sich nie beschäftigt -
für erneuerbare Energien, oder stärkere Energieeffizienz fördern.
Genau deswegen werden wir das so machen. Ich weiß, dass es Ihnen schwerfällt, zu begreifen, dass wir heute noch nicht aus der Kernenergie aussteigen wollen. Ich will Ihnen einfach einige Zahlen nennen. Wissen Sie, wie viele Stunden ein Jahr hat? 8 760. Kennen Sie die durchschnittliche Wirkungszeit einer Solarzelle in Deutschland? 940 Stunden. Sie können also 10,7 Prozent des Jahres mit Solarstrom abdecken.
Kennen Sie die Ausnutzungsdauer von Onshorewindanlagen? 1 560 Stunden. Das sind 17,8 Prozent. Bei Offshoreanlagen sieht es ein bisschen besser aus. Da beträgt sie 3 000 Stunden; das entspricht 34,2 Prozent. Das zeigt ganz deutlich, dass wir bis heute keine Möglichkeit haben, auf die Grundlasterzeugung durch andere Energien zu setzen. Welche Grundlastversorgung haben wir? Wir haben fossile Energien,
wir haben in ganz kleinem Maße Biomasse - das liegt unter 1 Prozent -, und wir haben Kernkraft. Kernkraft deckt momentan 23 Prozent unseres gesamten Strombedarfs, aber 48 Prozent unserer Grundlast. Was passiert dann, wenn wir die Kernkraftwerke abschalten? Dann bleibt uns nichts anderes übrig - Frau Höhn, das sollten Sie wirklich irgendwann einmal lernen -, als fossile Energieträger zu nutzen, um die Lücke, die wir dann haben, auszufüllen.
Wir sind eben nicht in der Lage, vernünftige Speichertechnologien zu entwickeln. Wir haben sie bislang noch nicht. Wir haben weder Wasserspeicher noch Druckluftspeicher in ausreichendem Maße. Mir geht es um eines - das hat der Kollege Steffel vollkommen richtig gesagt -, nämlich dass wir verlässlich preiswerte Energie in Deutschland zur Verfügung stellen. Die Zeitung Photon ist kein Parteiblatt der CDU. Darin steht, dass allein durch den Zubau an Solaranlagen in diesem Jahr - das haben Sie zu verantworten - der Strompreis im nächsten Jahr um bis zu 12 Prozent steigen wird. Dabei sind Windanlagen noch gar nicht berücksichtigt. Die kommen noch hinzu. Ich sehe noch kommen, dass wir hier demnächst darüber diskutieren, ob wir wegen der steigenden Ökokosten Sozialtarife für den Strombezug einführen sollen.
Ich will nicht, dass in Deutschland die großen Industrien - Stahl, Glas, Textil etc. - aufgeben müssen, weil sie aufgrund zu hoher Stromkosten hier nicht mehr arbeiten können. Ich will nicht, dass die Preise so aus dem Ruder laufen, dass wir in Deutschland bestimmte Industrien nicht mehr halten können. Für mich ist Deutschland nach wie vor ein Industrieland. Dafür werde ich mich einsetzen, dafür kämpfe ich.
Ich möchte nicht, dass Deutschland ein Land wird, dessen Bruttoinlandsprodukt zu 75 Prozent von der Finanzbranche und der Dienstleistungsbranche abhängig ist. Die zentralen Bereiche der Industrie müssen hier erhalten werden. Dafür müssen wir alle uns einsetzen.
Schauen Sie sich England an. Ungefähr 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in England - ich weiß nicht, ob Ihnen diese Zahl bekannt ist - werden in der City of London erzeugt - mit all den Problemen, die die Engländer jetzt haben: 12 Prozent Verschuldung etc. Wir sind auf einem wesentlich besseren Weg. Die Industrie läuft hier wieder, die Industrie erlebt richtige Boomzeiten. Haben Sie mitbekommen, dass der VDMA bekanntgegeben hat, dass der Auftragseingang im Maschinen- und Anlagenbau um 60 Prozent im Mai 2010 gegenüber dem Vorjahresmonat gewachsen ist? Das sind positive Zahlen. Die Entwicklung wird sich sehr schnell auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machen. Darüber sind wir froh. Genau das wollen wir.
Lassen Sie mich noch einen Satz zum Abschalten der Kernkraftwerke sagen. Würden wir die jetzt komplett abschalten, dann würde das bedeuten, dass wir rund 150 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich produzieren würden, weil wir die Differenz - ich habe eben versucht, Ihnen das zu erklären - mit fossiler Energie überbrücken müssten. Wissen Sie, Frau Höhn, wie viel 150 Millionen Tonnen CO2 sind?
Das entspricht dem Ausstoß des gesamten deutschen Straßenverkehrs. Dies müssten wir in Kauf nehmen, wenn wir alle Kernkraftwerke ersetzten. Anders ist das nicht zu machen. Das sollten Sie wissen.
Deswegen werden wir die Kernkraftwerkslaufzeiten verlängern und eine Brennelementesteuer einführen, weil es gerecht ist, den Profit, der durch die Verlängerung der Laufzeiten entsteht, abzuschöpfen. Das ist unser Ziel.
Vielen Dank.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Mir liegen zwei Meldungen zu Kurzinterventionen vor. Weitere Kurzinterventionen lasse ich allerdings nicht mehr zu.
Zunächst hat der Kollege Ulrich Kelber das Wort.
Ulrich Kelber (SPD):
Es bleibt dabei: Wer Vorwürfe macht, muss sich die Antwort anhören. - Die Zahlen, die Herr Dr. Fuchs in Hilfestellung für Herrn Dr. Pfeiffer genannt hat, sind deswegen bekannt, weil sie auf der Webseite der Bonner SPD seit drei Jahren freiwillig - über jedes gesetzlich notwendige Maß hinaus - stehen.
Welche Spenden an den CDU-Kreisverband Koblenz von Herrn Dr. Fuchs gegangen sind und welche Spenden an den CDU-Kreisverband Waiblingen von Herrn Dr. Pfeiffer gegangen sind, wird auf den entsprechenden Webseiten hingegen nicht veröffentlicht. Bei uns kann sich das jeder anschauen.
- Das müssen Sie sich jetzt schon anhören.
Es weiß auch niemand, wie viel Geld vom Bonner Unternehmen Solarworld gezahlt wurde. Seit der Rent-a-Rüttgers-Affäre ist bekannt, dass von Solarworld über die sogenannten Zukunftskongresse Geld an die NRW-CDU geflossen ist. Wann und wie viel, ist auf der Webseite der NRW-CDU nicht nachzulesen. Seit dieser Affäre weiß man auch, dass die Firma Solarworld der FDP und Herrn Westerwelle Geld gegeben hat. Das finde ich völlig in Ordnung; denn auch er ist ein Bonner Abgeordneter. Wie viel, können Sie bei der FDP nicht nachlesen.
Das ist der entscheidende Unterschied. Es ist einfach peinlich, wenn die Intransparenten die Transparenten wegen angeblich mangelnder Transparenz angreifen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zur Erwiderung, Herr Fuchs.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Herr Kollege, man sollte vielleicht das Parteienfinanzierungsgesetz kennen, wenn man in diesem Hohen Hause arbeiten darf.
Ich halte das schon für notwendig. Sie sind nämlich veröffentlichungspflichtig. Wenn ein Kreisverband eine Spende über 10 000 Euro erhält, muss das veröffentlicht werden.
- Bitte schön, das können Sie beim Bundestagspräsidenten nachschauen.
Das ist veröffentlichungspflichtig.
An meinen Kreisverband hat es nicht eine Spende über 10 000 Euro gegeben.
Bitte sagen Sie uns dann auch - wir können es auch nachschauen -, wie viele Spenden Sie von Solarworld bekommen haben.
Das würde Ehrlichkeit bedeuten.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zwar könnte ich Auskunft geben, weil ich darüber gut Bescheid weiß. Ich bin aber gehalten, mich hier neutral zu verhalten,
keine Meinung zu äußern und auch keine Fachaufklärung zu leisten. Alle Spenden eines Spenders müssen aber - unabhängig davon, an wie viele Untergliederungen einer Parteien sie gehen - öffentlich berichtet werden.
- Nein, sie müssen im Rechenschaftsbericht öffentlich berichtet werden.
Jetzt kommt eine weitere Kurzintervention der Kollegin Kotting-Uhl.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Dr. Fuchs, bei meiner Kurzintervention geht es nicht um Spenden, sondern um den Vertrag zum Atomkonsens, den Sie vorhin zitiert haben. In der Tat steht in diesem Vertrag zwischen den Betreibern und der damaligen rot-grünen Bundesregierung, dass keine einseitig diskriminierenden Maßnahmen getroffen werden sollen, wozu auch Steuern gehören, die die Atomkraft einseitig belasten.
Wie wir heute mehrfach gehört haben - auch Sie haben es gehört, Herr Dr. Fuchs -, stehen wir inzwischen vor neuen Fakten. Mittlerweile sieht die Situation so aus, dass die Atomwirtschaft seit dem Emissionshandel de facto einseitig privilegiert ist. Wenn man denn wollte, könnte die Argumentation also wie folgt lauten: Dieses einseitige Privileg wird aufgehoben.
Mir geht es in meiner Kurzintervention aber um etwas anderes. Sie haben sich hier der Klage der Atomwirtschaft angeschlossen und gesagt, das sei in der Tat ungerecht; wir würden mit unseren Anträgen jetzt den Vertrag brechen, den wir damals selbst unterschrieben hätten.
Herr Dr. Fuchs, ist Ihnen bekannt, womit dieser Vertrag beginnt? In seiner Einleitung steht der Satz:
Beide Seiten werden ihren Teil dazu beitragen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung dauerhaft umgesetzt wird.
Stimmen Sie mit mir überein, dass die Atomwirtschaft diesen Vertrag nicht einhält?
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Fuchs zur Erwiderung.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Wir bringen in unserem Koalitionsvertrag klar zum Ausdruck - ich habe eben daraus zitiert -, dass wir die Laufzeiten verlängern wollen. Das ist eine politische Entscheidung der christlich-liberalen Koalition. Dazu stehen wir auch.
Sie müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass nach dem von Ihnen ausgehandelten Vertrag zum sogenannten Atomkonsens die von Ihnen angestrebte Behandlung eben nicht möglich ist. Das ist eine technische Frage; man bricht diesen Vertrag ja nicht. Die Verlängerung der Laufzeiten ist eine politische Entscheidung der christlich-liberalen Koalition. Also können wir mit den Atomkraftwerksbetreibern durchaus einen neuen Vertrag vereinbaren; schließlich tun wir damit nichts Schädigendes - anders als Sie damals.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 17/2410 und 17/2425 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
[Der folgende Berichtsteil - und damit der gesamte Stenografische Bericht der 55. Sitzung - wird morgen,
Freitag, den 9. Juli 2010,
auf der Website des Bundestages unter ?Dokumente & Recherche?, ?Protokolle?, ?Endgültige Plenarprotokolle? veröffentlicht.]