Das Europäische Parlament wird 50
785 Abgeordnete aus 27 Nationen sitzen derzeit im Europäischen Parlament und vertreten rund 490 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Damit ist es das größte multinationale Parlament der Welt. Am 19. März 2008 feiert es sein 50-jähriges Bestehen.
Gegründet wurde das Europaparlament 1958 als "Europäische Parlamentarische Versammlung". Gerade einmal 142 Abgeordnete umfasste es, die aus den sechs Gründungsstaaten der Gemeinschaft stammten (Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Niederlande, Luxemburg). Die Mitglieder wurden von den nationalen Parlamenten aus ihren eigenen Reihen bestimmt.
Lange Zeit hatte die Volksvertretung nur beratende Befugnisse. Bis 1979 sollte es dauern, bis das Parlament zum ersten Mal direkt gewählt wurde. Ein wichtiges Zugeständnis wurde dem Gremium 1971 gemacht, als es sich an der Verabschiedung des Haushalts beteiligen durfte und damit bedeutende legislative Kompetenzen erhielt.
Heute übernimmt die EU-Volksvertretung zunehmend die klassischen Funktionen eines Parlaments. Mit dem Vertrag von Lissabon, der am 1. Januar 2009 in Kraft treten soll, wird es neben dem Rat sogar zum gleichberechtigten EU-Gesetzgeber.
"Die Geschichte des Europaparlaments ist beeindruckend", sagt die Analystin Sara Wagemann vom unabhängigen "European Policy Centre" (EPC) in Brüssel. Markiert wird sie durch mehrere große EU-Reformen: die Einheitliche Europäische Akte (1986), die Verträge von Maastricht (1992), Amsterdam (1997) und Nizza (2001). Mit jedem Vertrag wurden die Befugnisse des Parlaments erweitert.
Eine echte politische Kontrollinstanz wurde die Volksvertretung spätestens in dem Moment, als sie bei der Zusammensetzung der EU-Kommission mitreden durfte. Mit einem politischen Paukenschlag machte das EU-Parlament 1999 sein neues Selbstbewusstsein klar. Es traf das Kommissionskollegium unter dem Luxemburger Jacques Santer. Das Parlament hatte einen Sachverständigen-Ausschuss eingesetzt, der dem Verdacht auf Betrug und Missstände in der Verwaltung nachging. Die Ergebnisse waren vernichtend: Am Ende reichte die gesamte Kommission ihren Rücktritt ein.
Auch dem aktuellen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso aus Portugal machte das Parlament 2004 einen Strich durch die Rechnung. Barroso hatte den Italiener Rocco Buttiglione als Innenkommissar vorgeschlagen. Der italienische Politiker hatte während seiner Anhörung im Europäischen Parlament unter anderem erklärt, dass er Homosexualität für eine Sünde halte. Unmissverständlich machten die Abgeordneten klar, dass sie die Liste der Kommissare nicht billigen würden. Schließlich setzte Barroso statt Buttiglione dessen Landsmann Franco Frattini ein.
Öffentlichkeitswirksam waren auch die Untersuchungsausschüsse des EP. 1996 forschte ein Ausschuss nach den Verantwortlichen der BSE-Krise, 2001 warnte ein weiterer vor Wirtschaftsspionage durch US- und andere Firmen. 2006 beleuchtete ein Ausschuss die Affäre um geheime CIA-Gefangenentransporte durch Europa. Auch die Bundesregierung kam dabei in Erklärungsnot.
Das Europaparlament - ein Musterbeispiel parlamentarischer Kultur also? Nach wie vor gebe es neben den Errungenschaften auch erhebliche Defizite, stellen Beobachter und Beteiligte übereinstimmend fest. Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU) selbst verweist darauf, dass die Möglichkeiten des Parlaments nach wie vor begrenzt seien, wenn es um Bereiche wie die Bereitstellung von Haushaltsmitteln oder die Außen- und Militärpolitik gehe. Analystin Wagemann spricht die geringe Bürgerbeteiligung bei den Europawahlen an. "Die EU-Debatten müssen lauter, sichtbarer und politischer werden", sagt sie und fügt hinzu: "Es gibt ein Kommunikationsproblem auf EU-Seite."
Eine Eurobarometer-Umfrage förderte kürzlich Bedenkliches zutage: Nur 13 Prozent aller Deutschen wissen, dass die nächsten Wahlen zum Europaparlament 2009 stattfinden. 68 Prozent geben an, über die Aktivitäten des Parlaments schlecht informiert zu sein. Jeder Zweite kann sich nicht erinnern, in jüngerer Vergangenheit etwas über das EP in den Medien gesehen zu haben. Im EU-Durchschnitt schauen die Statistiken nicht viel besser aus.
Das Parlament nimmt indessen die 50-Jahres-Feier zum Anlass, auf seine Erfolge zu verweisen. "Das EP macht das Alltagsleben der Bürger einfacher", ist sich Parlamentspräsident Pöttering sicher. Stolz ist er unter anderem auf die Roaming-Verordnung, die 2007 Handy-Gespräche im Ausland billiger machte, und die Schwarze Liste unsicherer Fluglinien. Außerdem verweist er auf die symbolträchtige Dienstleistungsrichtlinie, die sowohl Wachstum als auch sozialen Schutz bringen soll.
Pöttering lobt auch den neuen Grundlagenvertrag: "Über fast 100 Prozent aller Gesetze wird das Parlament mit den Regierungen künftig gleichberechtigt entscheiden", erklärt er stolz. Eine echte Neuerung: "Bisher liegt die Quote bei 75 Prozent."
Beim 50. Geburtstag am 12. März in Straßburg gab es neben einer große Torte aber auch eine Mahnung an die Mitgliedstaaten: "Das EU-Parlament darf nicht als Prügelknabe für nationales Versagen betrachtet werden", erklärte Pöttering.
Für den Bundestag nahm dessen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt (CSU) an den Feierlichkeiten teil. "Das EP ist ein Jubilar, der stolz auf die letzten 50 Jahre zurückblicken kann", so Hasselfeldt. "Das Europaparlament hat sich in den letzten Jahrzehnten so dynamisch entwickelt wie kaum ein anderes europäisches Organ. Gerade als Parlamentarierin freue ich mich, dass das EP mit dem Vertrag von Lissabon neben dem Rat jetzt wirklich ein gleichberechtigter Partner bei der Gesetzgebung geworden ist."
Auch die Analystin Hagemann glaubt an die Zukunft des EP. "Das EU-Parlament ist, betrachtet man sein Gründungsdatum, immer noch ein junges Parlament", sagt Hagemann. Sein Profil werde immer professioneller, seine Mitglieder dynamischer. "Hast du einen Opa, schick' ihn nach Europa" -dieser deutsche Frotzelspruch der 70er-Jahre gehört endgültig der Vergangenheit an.
Autoren: Isabel Guzman / jm