Serie: Debatten im Deutschen Bundestag
Rund 31.000 Reden wurden im vergangenen Jahrzehnt im Plenum des Deutschen Bundestages gehalten. Einige Debatten waren besonders kontrovers - wie jene über ein neues Zuwanderungsgesetz. Es brauchte mehrere Anläufe und fast drei Jahre intensiver Auseinandersetzungen, bis es in Kraft treten konnte.
Als Regierung und Opposition am 9. Mai 2003 über das Zuwanderungsgesetz debattierten, lag bereits ein turbulenter Gesetzgebungsprozess hinter ihnen: Schon mehr als ein Jahr zuvor am 1. März 2002, hatten die Parlamentarier den Entwurf der Bundesregierung für ein Zuwanderungsgesetz verabschiedet - mit den Stimmen der Regierungskoalition von SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP. Dann war es im Bundesrat zu einem Eklat gekommen: Die Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder hatten unter Protest das Plenum verlassen, nachdem Bundesratspräsident Klaus Wowereit (SPD) das Zuwanderungsgesetz für angenommen erklärt hatte. Der Grund für ihre Empörung: Wowereit hatte das Votum des Landes Brandenburg als eindeutiges Ja bewertet - obwohl Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) mit Ja, sein Koalitionspartner, Innenminister Jörg Schönbohm, mit Nein votiert hatte.
Daraufhin wurde das Zuwanderungsgesetz am 20. Juni 2002 von Bundespräsident Johannes Rau (SPD) unterschrieben.
Erstmals sollte es einen Rechtsrahmen geben, um die Migration zu steuern und zu begrenzen. Zugleich sollten Maßnahmen zur Integration der in Deutschland lebenden Zuwanderer gesetzlich verankert werden.
Bundesverfassungsgericht erklärt Gesetz für
ungültig
Das umstrittene Verfahren hatte jedoch zur Folge, dass das Bundesverfassungsgericht das Zuwanderungsgesetz am 18. Dezember 2002 stoppte: Es sei im Bundesrat nicht rechtmäßig beschlossen worden, so die Begründung. Sechs unionsgeführte Bundesländer - Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, das Saarland, Sachsen und Thüringen – hatten die Klage angestrengt.
So kam es am 9. Mai 2003 zu einem zweiten Anlauf. Die Bundesregierung brachte den unveränderten Gesetzentwurf ein weiteres Mal im Bundestag ein - erwartungsgemäß wurde er am 9. Mai 2003 mit den Stimmen von SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der CDU/CSU sowie der beiden fraktionslosen PDS-Abgeordneten angenommen, während die FDP sich der Stimme enthielt. In der eineinhalbstündige Debatte, die der Abstimmung vorausging, brachen die Konflikte erneut auf, die Differenzen zwischen Regierung und Opposition schienen unüberbrückbar. Ein wiederholtes Scheitern des Gesetzes im Bundesrat und die Einsetzung des Vermittlungsausschusses wurde immer wahrscheinlicher.
Vorwürfe an die Opposition
In seiner Rede im Plenum griff der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) die Opposition von CDU/CSU und FDP scharf an: Besonders die CDU/CSU habe kaum „Sachliches“ zur Zuwanderungsdebatte beigetragen, sondern sich auf eine „brutale Desinformationspolitik versteift“. Sie solle darauf verzichten, „in der Bevölkerung Ängste zu schüren und die gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander aufzuhetzen“.
Volker Beck von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN warf der Opposition zudem vor, gar keine Einigung zu wollen, sondern ein „parteitaktisches Süppchen mit der Zuwanderung kochen zu wollen“.
Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) wehrte sich gegen diese Anschuldigungen: Der Gesetzentwurf würde zu einer „erheblichen Ausweitung der ohnehin hohen Zuwanderung führen“. Das überstiege die Integrationskraft des Landes und verschärfe die Probleme auf dem Arbeitsmarkt.
Der FDP-Abgeordnete Max Stadler unterstützte diese Meinung zwar, betonte aber auch die Notwendigkeit für ein „Gesamtkonzept, das Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, Zuwanderung aus humanitären Gründen und Integration“ regle.
Petra Pau (PDS) warf der Regierung vor, der CDU/CSU zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben. So bliebe Rot-Grün nicht nur hinter dem eigenen Anspruch zurück, ein „modernes Zuwanderungsgesetz“ zu schaffen, sondern auch hinter europäischen Standards im Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen.
Kompromiss im Vermittlungsausschuss
Der Bundesrat lehnte die Gesetzesvorlage am 20. Mai 2003 erwartungsgemäß ab. Die Bundesregierung rief den Vermittlungsausschuss. Erst am 25. Mai 2004 erzielten Regierung und Oppositionschließlich einen Kompromiss, auf dessen Grundlage Bundesinnenminister Otto Schily und die Verhandlungsführer der Union, der saarländische Ministerpräsident Peter Müller sowie Bayerns Innenminister Günther Beckstein, einen neuen Gesetzentwurf formulierten.
1. Juni 2004: Zuwanderungsgesetz endgültig
verabschiedet
Nach zähem, über zweijährigem Ringen war der dritte Anlauf, ein Zuwanderungsgesetz zu verabschieden, schließlich erfolgreich. Insgesamt erhielt der Kompromiss in der Abstimmung am 1. Juni 2004 zwischen den Fraktionen nur vier Gegenstimmen aus den Reihen der CDU/CSU sowie der PDS. Durch die Zustimmung der CDU/CSU war nun auch die Blockade im Bundesrat aufgehoben.
Das Gesetz trat am 1. Januar 2005 in Kraft. Erste Reformen folgten kurz darauf: Im März 2005 traten Änderungen des Aufenthaltsgesetzes in Kraft. Die Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union in nationales Recht wurden 2007 in Bundestag und Bundesrat beschlossen.