Bundestag gedenkt Zerstörung der Demokratie vor 75 Jahren
„Das Ende der Weimarer Demokratie war weder zufällig
noch zwangsläufig.“ Das sagte Bundestagspräsident
Norbert Lammert am Donnerstag, dem 10. April 2008, in der
Gedenkstunde des Deutschen Bundestages „Die Zerstörung
der Demokratie in Deutschland vor 75 Jahren“. Lammert und der
ehemalige Bundesminister Hans-Jochen Vogel erinnerten in ihren
Reden an die Ereignisse im ersten Halbjahr nach der Machtergreifung
Adolf Hitlers im Jahr 1933.
In seiner Rede gedachte der Bundestagspräsident jener nationalsozialistischen Verbrechen, die bereits in den ersten sechs Monaten nach der Machtergreifung Hitlers zur systematischen Zerstörung der Weimarer Demokratie geführt hatten: das „Ermächtigungsgesetz“, die Bücherverbrennungen, der Boykott jüdischer Geschäfte und die Zerschlagung von Parteien und Gewerkschaften.
Mit "großem persönlichen Mut" hätten die 94
verbliebenen sozialdemokratischen Abgeordneten am 23. März
1933 im Deutschen Reichstag gegen das
„Ermächtigungsgesetz“ gestimmt - die KPD war
zuvor verboten worden, 26 sozialdemokratische Abgeordnete befanden
sich in Haft oder aus Angst um ihr Leben auf der Flucht. Mit ihrer
Weigerung, dem gewalttätigem Umsturz den Ausweis von
Legalität zu geben, seien sie zu „stillen Helden der
Demokratie und des Parlamentarismus in Deutschland“ geworden,
so Lammert.
Der frühere Bundesminister Hans-Jochen Vogel betonte in
seiner Rede, dass die Mahnung „Wehret den
Anfängen!“ aus jener Zeit vor 75 Jahren ein noch immer
aktuelles Gebot sei. Parteien, die in Landesparlamenten in
„schwer erträglicher Weise auftreten“, erinnerten
an die Frühzeit der NSDAP. Ihnen gelte es zu begegnen.
„Wer wegsieht oder nur die Achseln zuckt, schwächt die
Demokratie. Wer widerspricht und sich einbringt, stärkt
sie.“
In Erinnerung an die Abstimmung zum "Ermächtigungsgesetz"
am 23. März 1933 wurde während der Gedenkstunde der
Originalton mit wichtigen Passagen der Rede des SPD-Abgeordneten
Otto Wels eingespielt. In seiner letzten Rede im Deutschen
Reichstag hatte er sich wie seine Fraktionskollegen gegen die
Entmachtung des Parlaments ausgesprochen. Er sagte: "Noch niemals,
seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der
öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten
Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden,
wie es jetzt geschieht, und wie es durch das neue
Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll." Nach den
Verfolgungen, welche die sozialdemokratische Partei erfahren habe,
werde niemand von ihr erwarten und verlangen können, dass sie
für das Gesetz stimme. "Freiheit und Leben kann man uns nehmen
– Die Ehre nicht", so Wels.
Adolf Hitler, der am 30. Januar 1933 von Reichspräsident
Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden war, hatte das
"Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vorgelegt und der
Regierung damit die Ermächtigung verschafft, Gesetze ohne
Zustimmung von Reichstag und Reichsrat sowie ohne Gegenzeichnung
des Reichspräsidenten zu erlassen. Das Gesetz bildete bis Mai
1945 die rechtliche Grundlage der NS-Gesetzgebung.
Dem "Ermächtigungsgesetz" gingen weitere einschneidende
Ereignisse voraus: Der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 lieferte
den Nationalsozialisten den Vorwand zur Verhängung des
permanenten Ausnahmezustandes. Direkt nach dem Brand erklärte
der damalige Reichstagspräsident Hermann Göring, der
verhaftete Niederländer Marinus van der Lubbe habe im Auftrag
der KPD das Feuer gelegt.
Am 21. März 1933, kaum einen Monat nach dem
Reichstagsbrand, sollte der "Tag von Potsdam" das Prestige des
NS-Regimes im In- und Ausland erhöhen. Die Nationalsozialisten
wählten Potsdam als Traditionsort preußischer Geschichte
für die feierliche Konstituierung des ersten Reichstages nach
der Machtübernahme. Joseph Goebbels inszenierte den "Tag von
Potsdam" als symbolische Verbindung "vom alten und neuen
Deutschland".
Am "Boykott-Tag", dem 1. April 1933, begann die systematische Ausgrenzung jüdischer Geschäftsleute, Ärzte und Rechtsanwälte. Die Nationalsozialisten griffen sie an, beschädigten ihre Häuser und plünderten ihre Geschäfte, an denen Plakate mit der Aufschrift "Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden!" angebracht wurden.
Am 2. Mai 1933 besetzten die Nazis die Gewerkschaftshäuser.
Die Gewerkschaften wurden zerschlagen, ihr Vermögen
beschlagnahmt und führende Funktionäre
inhaftiert.
In der Gedenkstunde des Bundestages erinnerten die Redner auch an die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933. Sie war Höhepunkt der Kampagne "Wider den undeutschen Geist" gewesen, die vom Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft vorbereitet worden war. Unter Beteiligung von Rektoren und Professoren wurden Werke unter anderem von Erich Kästner, Kurt Tucholsky und Heinrich Heine verbrannt.
Am 22. Juni 1933, die Nazis waren kaum fünf Monate an der
Macht, wurde schließlich die SPD verboten. Ihr gesamtes
Vermögen und das ihrer Organisationen wurde beschlagnahmt.
Viele Mitglieder erhielten Berufsverbot und wurden verfolgt,
inhaftiert, ermordet.