Wissenschaftler im Unterausschuss "Bürgerschaftliches Engagement"
Bei der Forschung und Lehre im Bereich der Zivilgesellschaft gibt es in Deutschland erheblichen Nachholbedarf. Dies konstatierten sowohl Prof. Dr. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), als auch Prof. Dr. Helmut Anheier, Direktor des Centrums für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) an der Universität Heidelberg. Der Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ des Familienausschusses hatte die beiden Wissenschaftler am 11. Februar 2009 zu einer öffentlichen Sitzung eingeladen.
Das Thema „Bürgerschaftliches Engagement“ finde an
deutschen Hochschulen kaum Platz, wohl auch weil es ein
Querschnittsthema sei, sagte Jutta Allmendinger. Es würde zwar
viel über interdisziplinäre Forschung geredet, jedoch
gelinge dies „nicht so oft“. Ihrer Ansicht nach ist
jedoch bürgerliches Engagement ein „Kernthema unserer
Zeit“. „Wir brauchen ein Mehr an bürgerlichem
Engagement“, so Allmendinger.
Ein hohes Potenzial an ehrenamtlicher Tätigkeit sei durch die immer stärkere Zuwendung zur Erwerbsarbeit insbesondere von Frauen verlorengegangen.
„Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich bin
natürlich dafür, dass Frauen erwerbstätig
sind“, stellte die Professorin klar.
Dem verlorengegangenen Potenzial stehe ein erweitertes Aufgabenfeld gegenüber: Die längere Lebensdauer und die zunehmend an Bedeutung gewinnende Integration von Einwanderern seien nur einige der Betätigungsfelder für das bürgerlschaftliche Engagement.
An ihrem Institut, dem WZB, wolle sie das Forschungsdefizit in
diesem Bereich bekämpfen, auch durch die Initiierung
abteilungsübergreifender Projekte. 140 deutsche und
ausländische Wissenschaftler beschäftigten sich im WZB
mit problemorientierter Grundlagenforschung. Unter ihnen seien
Ökonomen, Soziologen, Politologen, Rechtswissenschaftler und
Historiker.
Auch am CSI der Universität Heidelberg wird im Bereich des dritten Sektors“ – der Zivilgesellschaft – geforscht. Es gebe derzeit „keine Prognostik“ für Zivilgesellschaften, sagte Helmut Anheier. Diese zu entwickeln müsse das Ziel der Forschung sein.
„Wir stellen uns Fragen wie: Wie viel Zivilgesellschaft
braucht Deutschland? Oder auch: Welchen Beitrag kann der dritte
Sektor bei der Reorganisation des Wohlfahrtsstaates
leisten?“
Angesichts des Forschungsdefizits sei es nicht verwunderlich, dass in Deutschland weder gefragt werde, welche Rolle die Zivilgesellschaft bei der Bewältigung der aktuellen Krisen spielen kann, noch inwiefern sie von der Krise überhaupt betroffen sein wird.
Dabei werde die Nachfrage nach sozialen Diensten steigen, ist sich
Anheier sicher. Erforscht werden müsse daher die Frage: Wie
können sich zivilgesellschaftliche Organisationen auch ohne
staatliche Hilfen finanzieren?
Dazu müsse man produktive Finanzierungsmodelle entwickeln. Die Forschung auf diesem Gebiet, und da sind sich die beiden Wissenschaftler einig, müsse interdisziplinär und mit internationaler Ausrichtung erfolgen.