Willy Wimmer zur Wintertagung der Parlamentarierversammlung der OSZE
Für einen neuen Geist der Kooperation in den internationalen Verhandlungen über eine europäische Sicherheitsarchitektur spricht sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer aus Neuss aus. Wimmer leitet die neunköpfige Bundestagsdelegation zur Wintertagung der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE PV), die am 19. und 20. Februar 2009 in Wien stattfand. Im Interview äußert er sich auch zu den Vorschlägen des russischen Ministerpräsidenten Medwedew.
Bei der Wintertagung in Wien am 19. und 20. Februar will sich die OSZE PV unter anderem auch mit den russischen Vorschlägen für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa auseinandersetzen. Braucht Europa überhaupt neue Sicherheitsmechanismen?
Es ist überfällig, dass sich eine parlamentarische Institution mit der Frage beschäftigt, wie die künftige Sicherheitsstruktur Europas gestaltet werden könnte und auch müsste. Parlamentarier bringen eher eine offene Diskussion über die Belange der Menschen zustande als Vertreter von Regierungen, die auch vergangenen Fehlentwicklungen verhaftet sind. Hinzu kommt, dass auch in der NATO eine hoffentlich tiefgreifende Revision des bisherigen globalen Interventionsmechanismus erfolgt. Die französische und die deutsche Regierung haben dazu deutlich gemacht, dass die NATO keiner weiteren Erosion ihres vertraglichen Verteidigungscharakters ausgesetzt werden darf.
Was halten Sie von den Erneuerungsvorschlägen des russischen
Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew ?
Die russischen Vorschläge zu einer neuen Sicherheitsarchitektur haben einen zentralen Charme. Sie knüpfen bewusst an einer völkerrechtlich bestimmten Kooperation an, die es Europa erlaubt hat, in den zurückliegenden Jahren seit 1975 und dem Helsinki-Prozess, zumindest die aus dem Zweiten Weltkrieg herrührenden Probleme friedlich beilegen zu können. Die Wiedervereinigung Deutschlands war eine unmittelbare Folge. Die Probleme für Europa, den Kaukasus und andere Gebiete resultieren nicht nur aus den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges, sie liegen tiefer. Die russischen Vorschläge sind ein Bekenntnis und eine Aufforderung zur Gewaltfreiheit in der Lösung dieser Probleme und für die Bewältigung neuer Aufgaben. Dies verlangt einen neuen Geist der Kooperation. Dazu sollten sich auch jene bekennen, die in den letzten elf Jahren aus durchsichtigen Motiven der Gewalt in der Durchsetzung ihrer europäischen Ziele verpflichtet waren.
Bisher hat der neue amerikanische Präsident Obama sich noch
nicht zu seinen Plänen hinsichtlich des Raketenabwehrschildes
in Europa geäußert. Wie, glauben Sie, wird sich die neue
US-Regierung in dieser Frage entscheiden?
Man muss sehen, dass die Regierung Bush mit der Verwirklichung der Raketenstationierungspläne in Polen und der Tschechischen Republik alles über den Haufen geworfen hat, was Grundgedanken der Zusammenarbeit in der NATO, der Europäischen Union und auf dem Kontinent mit Russland waren. Wie üblich fand sie dafür die Chöre der Zustimmung unter jenen, die alles gut heißen, wenn es aus Washington stammt. Seit der diesjährigen Sicherheitskonferenz in München gibt es US-amerikanische Lockerungsübungen. Man wird sehen müssen, wie weit die desaströse Wirtschaftslage in den USA reicht, um Projekte wie die Raketenabwehr in die notwendige ökonomische Frontbegradigung einbeziehen zu können.
In einer anderen Frage hat Obama seine Vorstellungen durchaus sehr
klar gemacht. Er erwartet mehr Anstrengungen der Europäer und
damit auch der Deutschen bei der Herstellung der Sicherheit in
Afghanistan. Denken Sie, dass die Bundeswehr in naher Zukunft ihr
Truppenkontingent in dem Land erhöhen muss?
Auch Obama kann es nicht lassen. Wir sind nicht die Hintersassen Amerikas. Mit den USA in schwierigen Fragen eine gemeinsame Politik zu formulieren und zu überlegen, wie man sie umsetzen kann, ist das eine. Es ist grundlegend anders, wenn Washington glaubt, für einseitig formulierte amerikanische Überlegungen die Potenziale von Partnern schlichtweg anfordern zu können. Es mag Regierungen wie die britische geben, denen das nichts ausmacht. Andere Regierungen sollten schon registrieren, dass seit der Clinton-Regierung die Öffentlichkeit in vielen Staaten diese Einstellung nicht goutiert. Das zeigt sich auch zunehmend in Wahlergebnissen. Der jetzige US-Sondergesandte Richard Holbrooke ist schon als Person in seiner Afghanistan-Verantwortung kein Garant dafür, dass nicht Afghanistan für amerikanische Vorherrschaftsphantasien in einem endlosen Kriegsmorast versinkt.
In Wien soll auch die Jahrestagung der
OSZE PV, die vom 29. Juni bis zum 3. Juli 2009 im
litauischen Vilnius stattfinden wird, vorbereitet werden. Wo werden
dabei die Schwerpunkte gesetzt?
Die jetzige Wintertagung in Wien darf kein Ende der Diskussion um die künftige Sicherheitsarchitektur sein. Wir müssen uns auch auf der Tagung in Vilnius weiter damit beschäftigen, weil wir sonst unserer Aufgabe nicht gerecht werden. Hinzu kommt ein weiterer Schwerpunkt: Der Weg der globalen Wirtschaft und des Finanzsektors macht es überfällig, in der OSZE die wirtschaftliche Dimension der Zusammenarbeit unter 56 Mitgliedsstaaten neu zu definieren. Das hat die deutsche OSZE-Delegation unter Führung von Frau Professor Süssmuth schon in den neunziger Jahren versucht. Seinerzeit haben die USA und England das verhindert. Heute wissen wir, warum das geschehen ist.