Gefahren von Aids und Wege zu ihrer Eindämmung (1987-1990)
Kernenergie, Globalisierung, Gentechnologie - es sind stets Zukunftsfragen, mit denen sich Enquete-Kommissionen befassen. Mit diesen überfraktionellen, von Abgeordneten und Sachverständigen besetzten Arbeitsgruppen versucht das Parlament über den Tellerrand der Tagespolitik hinauszublicken und Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu finden. Gerade in Zeiten großen Reformbedarfs sind die Enquete-Kommissionen so zu einem wichtigen Instrument der Entscheidungsvorbereitung für den Bundestag geworden.
Es war eine seltene Erkrankung, die 1981 die Mediziner der US-Seuchenüberwachungsbehörde in Alarmstimmung versetzte: Bei mehreren, bisher gesunden homosexuellen Männern in Los Angeles wurde "Pneumocystispneumon" festgestellt, eine Lungenkrankheit, die sonst nur immunschwache Menschen befällt.
Die Ärzte wussten es da noch nicht, aber sie waren auf eine neue Krankheit gestoßen, die sich schon bald zu einer Pandemie entwickeln würde: Es war, was Forscher später den Immundefekt "Acquired Immune Deficiency Syndrome" nennen werden - AIDS. Wissenschaftler - insbesondere in den USA und in Frankreich - begannen fieberhaft das unbekannte Virus zu erforschen, in der Hoffnung, schnell ein Heilmittel entwickeln zu können.
Währenddessen breitete sich das Virus, welches seit 1986 "Humanes Immunschwächevirus (HIV)" genannt wird, weiter aus: In Deutschland wurde der erste Patient 1982 registriert. In den USA waren es Ende 1983 rund 3.000 Infizierte, über 1.000 bereits verstorben.
In den Vereinigten Staaten und in Europa entwickelte sich eine hysterische Stimmung. In Deutschland war es besonders "Der Spiegel", der mit Berichten über die "Homosexuellen-Seuche" Schlagzeilen machte. Die Angst ging um, dass "schmuddelige Minderheiten" die gesamte Bevölkerung anstecken könnten.
Manche Wissenschaftler prophezeiten, das Gesundheitssystem werde zusammenbrechen. Die gesellschaftlich-politische Debatte schwankte Anfang und Mitte der 1980er Jahre zwischen Panikmache und Verharmlosung. Nach der Bundestagswahl im Januar 1987 wuchs auch der politische Streit über den richtigen Umgang mit der Krankheit AIDS, die sich längst von einem medizinischen zu einem politisch-gesellschaftlichen Problem entwickelt hatte.
Während der CSU-Politiker Peter Gauweiler, seit 1986 Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, bundesweite Zwangstests forderte und Infizierte melden und isolieren wollte, beschäftigten sich die Grünen mit der Frage, ob ein Patient, der auf den HI-Virus getestet wurde, über ein positives Resultat aufgeklärt werden dürfe.
Da AIDS eine sexuell übertragbare Krankheit ist, wurde auch bisweilen hitzig über Aspekte wie Schuld und Moral diskutiert. Bundesgesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU) jedoch erteilte jeder repressiven Politik eine Absage und setzte auf Prävention: Noch im Jahr 1987 begann die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit ihrer inzwischen berühmt gewordenen Kampagne "Gib AIDS keine Chance!".
In dieser Situation beantragen die Fraktionen CDU/CSU und SPD am 31. März 1987 jeweils mit einer eigenen Vorlage die Einrichtung einer Enquete-Kommission. Schließlich gehe es nicht nur um "Seuchenrecht und -politik", sondern um ein gesellschaftliches Problem "beispielloser Größenordnung", so begründete Roswitha Verhülsdonk (CDU) die Initiative ihrer Fraktion.
Einen Tag später, am 1. April 1987, legten auch die Grünen einen eigenen Antrag vor. So einig sich die regierende CDU und die Oppositionsfraktionen SPD und Grüne darin waren, dass es einer Enquete-Kommission bedurfte, so offenbarte die Bundestagsdebatte am 2. April 1987 doch teilweise sehr unterschiedliche Erwartungen an das Gremium - und äußerst divergierende Auffassungen, wie AIDS zu begegnen sei.
So beklagte die Abgeordnete Verhülsdonk, der moderne Mensch habe es verlernt, mit solchen Plagen umzugehen. "Wir müssen (...) wieder lernen, dass Tugenden wie Liebe, Treue, Verantwortung keine Worthülsen sind, sondern im wahrsten Sinne des Wortes lebenserhaltend sein können."
Heike Wilms-Kegel (Grüne) kritisierte dagegen den SPD-Antrag: Dieser wolle prüfen, "wie Änderungen menschlicher Verhaltensweisen im Intimbereich" gefördert werden könnten, doch das gehe zu weit, so die Abgeordnete. In den "Betten der bundesdeutschen Bevölkerung" habe die Kommission nichts zu suchen.
Nachdem die Kommission am 16. Juni 1987 ihre Arbeit aufgenommen hatte, legte das 17-köpfige Gremium (acht Sachverständige und neun Abgeordnete) unter Vorsitz von Hans-Peter Voigt (CDU) ein Jahr, 30 ganztägige Sitzungen, mehrere Tagungsbesuchen und Anhörungen später am 16. Juni 1988 einen Zwischenbericht vor. Mit diesem versuchte die Kommission, erste Empfehlungen an die Politik auszusprechen.
Doch es war ein denkbar schwieriges Unterfangen: "Wir sind uns bewusst, mit einer Problematik befasst zu sein, die medizinisch gegenwärtig nicht lösbar ist", schrieb Voigt im Vorwort. "Fast täglich werden neue medizinisch-naturwissenschaftliche und psycho-soziale Zusammenhänge bekannt.
Mitunter konfliktreich gestaltete sich auch die Zusammenarbeit im Gremium: So kritisierte Margit Conrad (SPD), die Anwesenheit von "vier harten Vertretern der bayerischen Linie" habe eine sachliche Diskussion erschwert. Zentraler Streitpunkt: Die Frage, ob zu freiwilligen AIDS-Tests ermutigt werden solle oder nicht.
Während die SPD sich dagegen aussprach und monierte, die Tests seien noch nicht ausgereift und könnten zu Fehlergebnissen führen, war die Koalition dafür: "Wer die Krankheit durch Entmutigungskampagnen verstecken will, wird später in Panik enden", warnte Norbert Eimer (FDP).
Trotz solcher Kontroversen setzte die Enquete-Kommission ihre Arbeit fort und konnte schließlich am 12. Februar 1990 ihren Schlussbericht vorlegen. Die Hauptempfehlung des über 1000-seitigen Berichts: Mehr AIDS-Beratung. Sie müsse künftig nicht nur die bekannten Risikogruppen wie Prostituierte und Homosexuelle erfassen, sondern auch die Menschen, die das Virus in die allgemeine Bevölkerung hineintragen: Drogensüchtige, bisexuelle Männer und Sextouristen.
Der Vorsitzende Hans-Peter Voigt bekräftigte zudem die Notwendigkeit, Beratungsprogramme weiterhin finanziell zu unterstützen. Dass die Zahl der Infektionen insgesamt geringer ausgefallen sei als anfangs befürchtet, sei kein "Grund zur Entwarnung".
Diese Aussage ist bis heute gültig: Zwar hat die seit Mitte der 1990er Jahre angewandte Kombitherapie das Leben von AIDS-Patienten verlängert und insgesamt erträglicher gemacht, doch heilbar ist ihr Leiden nicht. Und die Pandemie ist längst nicht gestoppt: Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben sich allein im Jahr 2007 rund 2,5 Millionen Menschen neu mit HIV infiziert.
Insgesamt gehen Schätzungen weltweit von 33 Millionen Infizierten aus. In Deutschland hat sich die Zahl der jährlichen Neuinfektionen seit 2007 zwar bei etwa 3.000 stabilisiert. Doch es besteht auch hierzulande Anlass zur Sorge, dass die Rate wieder ansteigen wird: Die erfolgreiche Aufklärungswelle der 1990er Jahre sei verebbt, so wird befürchtet, und bei Jugendlichen zeige sich eine erstaunliche Unkenntnis über die Ansteckungsgefahr beim ungeschützten Sexualverkehr.
Ende 2008 lebten etwa 63.500 HIV-infizierte Menschen in Deutschland. 10.500 von ihnen sind an AIDS erkrankt.