Die Abgeordneten des deutschen Bundestages haben am Mittwoch, 1. Juli 2009, geschlossen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag begrüßt. In der Debatte hoben Mitglieder aller Fraktionen die Stärkung des Parlaments als besonders positiv hervor. So schnell wie möglich will der Bundestag jetzt die von Karlsruhe aufgetragenen Änderungen im Begleitgesetz vornehmen, damit der Lissabon-Vertrag noch im Oktober ratifiziert werden kann.
Die Verfassungsrichter hatten den Lissabon-Vertrag zwar
grundsätzlich gebilligt und die europäische Integration
begrüßt. Gleichzeitig haben sie aber Kompetenzgrenzen
aufgezeigt und die nationalen Parlamente gestärkt. Damit
teilte das Gericht Befürchtungen der Kläger, unter
anderem des CSU-Bundestagsabgeordneten Dr. Peter Gauweiler und der
Bundestagsfraktion Die Linke, die sich an einer zunehmenden
Machtfülle in Brüssel gestört hatten.
"Der Vertrag von Lissabon ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Und das ist ein großer Erfolg“, sagte der europapolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Axel Schäfer, in der Debatte. Das sei auch ein wichtiges Signal nach Irland. Die Bürger dort sollen am 4. Oktober in einer zweiten Runde über den Lissabon-Vertrag abstimmen. Im ersten Anlauf war er gescheitert.
Schäfer sagte, gründlich und zügig wollten jetzt
alle Fraktionen an den Änderungen für das Begleitgesetz
arbeiten, damit Anfang Oktober die Ratifizierungsurkunde hinterlegt
werden kann. "Ja, wir haben als deutsches Parlament eine
außerordentliche Stärkung unserer Rechte
erfahren“, so der SPD-Politiker. Das Parlament sei ein
Gestaltungs- und Kontrollfaktor in Richtung jeder Regierung. Sein
Fraktionskollege Michael Roth zeigte sich skeptisch, ob die Zeit
bis zur Bundestagwahl ausreiche, um die Änderungen am
Begleitgesetz vornehmen zu können.
"Die Parlamente sind die Gewinner des gesamten Prozesses“,
sagte auch der CDU-Europapolitiker Gunther Krichbaum. Die Rolle der
nationalen Parlamente sei aufgewertet worden. Ähnlich
äußerte sich sein Fraktionskollege Michael Stübgen.
Der europapolitische Sprecher der Unionsfraktion ermahnte Bundestag
und Bundesrat, aktiver mit ihren Gestaltungsmöglichkeiten
umzugehen.
Linksfraktionschef Dr. Gregor Gysi zeigte sich mit der Interpretation der Abgeordneten der großen Koalition über das Karlsruher Urteil nicht einverstanden. Immerhin sei das Begleitgesetz für grundgesetzwidrig erklärt worden, sagte Gysi, der die Verfassungsklage mitinitiiert hatte. Da erwarte er ein wenig mehr Selbstkritik von den Regierungsfraktionen.
Der Lissabon-Vertrag sei durch das Bundesverfassungsgericht neu
interpretiert worden. Das sei für die Arbeit von Bundestag und
Bundesrat bindend. So bleibe beispielsweise die Bundeswehr eine
Parlamentsarmee, sagte Gysi. Es sei "höchste Zeit“, dass
die Akzeptanz von Europa gestärkt werde.
Gauweiter betonte, dass Karlsruhe an allen Vertragspassagen
Änderungen in der Interpretation vorgenommen habe. „Ein
Parlament, das seine Kompetenz aufgibt, gibt sich selbst auf. Das
zu verhindern, dafür sind wir da“, sagte der
CSU-Politiker.
Der europapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Markus Löning, sprach von einem wichtigen Signal in Richtung Irland, aber auch in Richtung Polen und Tschechien. Dort ist der Lissabon-Vertrag ebenfalls noch nicht ratifiziert. Löning sagte, nach dem Urteil habe der Bundestag nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zur Mitwirkung. In allen Fachausschüssen müssten sich die Abgeordneten jetzt verstärkt mit europapolitischen Themen auseinandersetzen.
Auch der europapolitische Sprecher von Bündnis 90/Die
Grünen, Rainder Steenblock, betonte, die Parlamentarier
müssten mehr europapolitische Verantwortung übernehmen
und auch die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Parlamenten
ausbauen. "Dieses Grundgesetz will die europäische
Integration. Das ist eine klare Ansage an alle
Nationalisten“, sagte Steenblock.
Zuvor hatte auch schon Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert
Lammert das Karlsruher Urteil mit seinen "ergänzenden
Anforderungen“ über die Beteiligungsrechte von Bundestag
und Bundesrat begrüßt.
Am 13. Dezember 2007 hatten die EU-Staats- und -Regierungschefs
unter portugiesischer Ratspräsidentschaft den Vertrag von
Lissabon unterzeichnet und damit die mehrjährigen
Verhandlungen über die institutionelle Reform der Union
beendet. Durch den neuen Vertrag soll die europäische
Integration vorangetrieben werden.