Die Vorsitzende des Petitionsausschusses des Bundestages, Kersten Naumann (Die Linke) hat die Arbeit ihres Gremiums als außerordentlich wichtig bezeichnet. "Die Eingaben an den Petitionsausschuss sind das Spiegelbild der Sorgen und Nöte der Menschen in unserem Land. Als Abgeordnete müssen wir die Menschen ansprechen und aufklären, welche Möglichkeiten der politischen Teilhabe sie haben", sagte Naumann im Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" vom 29. Juni 2009. Der Ausschuss beobachte, ob die zuständige Bundesbehörde Abhilfe schaffe. Allerdings komme es noch zu selten vor, "dass die Bundesregierung unsere Empfehlungen aufnimmt und umsetzt", so Naumann.
Frau Naumann, am 30. Juni übergeben Sie dem Bundestag den Petitionsbericht 2008. Was sind die wichtigsten Themen?
Sehr intensiv war die Auseinandersetzung mit der Petition von ehemaligen Heimkindern aus Westdeutschland. Weil das Anliegen so wichtig ist, haben wir Betroffene zu einer öffentlichen Sitzung eingeladen. Die Arbeit des Petitionsausschusses ging da über das normale Maß hinaus –- mit dem Ergebnis, dass wir jetzt einen Runden Tisch haben, an dem Heimkinder, Politiker und die Kirchen über Entschuldigungen und Entschädigungen diskutieren.
Welche Petitionen erhielten 2008 die meisten
Unterschriften?
Mit 128.000 Unterschriften hatte die Forderung, die Diesel- und Benzinsteuer zu reduzieren, die meisten Unterstützer. Die Forderung, ein Grundrecht auf berufliche Ausbildung im Grundgesetz zu verankern, wurde von 73.000 Bürgern unterstützt. Am bekanntesten ist sicher die Petition zum bedingungslosen Grundeinkommen mit rund 53.000 Unterschriften. Seit Juni 2009 gibt es einen neuen Rekord: 134.000 Bürger haben die Petition gegen die Indizierung und Sperrung von Internetseiten unterzeichnet.
Welche Rolle spielt der Petitionsausschuss für die
Probleme der Gesellschaft?
Die Eingaben an den Petitionsausschuss sind das Spiegelbild der Sorgen und Nöte der Menschen in unserem Land. Im Grunde kann man sagen, dass wir als Ausschussmitglieder am ehesten wissen, was in diesem Land schief läuft, wo es Gesetzeslücken gibt oder wo etwas verändert werden muss. Allein die Zahl der Petitionen, die im vergangenen Jahr bei über 18.000 lag, zeigt, wie wichtig die Arbeit des Petitionsausschusses ist. Reformen und Gesetze, die Auswirkungen nach sich ziehen, die die Bürger nicht hinnehmen wollen, schlagen sich bei uns im Petitionsausschuss nieder.
Wann wird der Petitionsausschuss eigentlich genau
tätig?
Eine Eingabe an den Petitionsausschuss des Bundestages muss immer eine Angelegenheit des Bundes betreffen. Der Nachbarschaftsstreit ist also keine Sache für den Petitionsausschuss. Und möglich sind die unterschiedlichsten Themen, die alle Lebensfacetten berühren. Das können ganz persönliche Anliegen sein. Wir prüfen das Anliegen eines einzelnen Bürgers, der sich an uns wendet, wenn er zum Beispiel zu seinem Medikament keine Zuzahlung erhält. Aber genauso kümmern wir uns um Petitionen, die gesellschaftliche Themen wie Hartz IV oder Asylfragen betreffen.
Wo drückt der Schuh denn gerade am
meisten?
Die meisten Petitionen bekommen wir im Bereich Arbeit und Soziales. Allein 1.120 Eingaben zum Arbeitslosengeld II sind bei uns eingegangen. Zur Rentenpolitik gab es 13 Massen- und Sammelpetitionen, also Petitionen mit gleichem Anliegen, die von 41.000 Bürgerinnen und Bürger unterstützt wurden. Es ging dabei beispielsweise um Altersarmut und um die Rentenanpassung Ost/West. Im Bereich Finanzen und Steuern gab es 2008 rund 2.500 Petitionen. Dieses Themengebiet belegt damit – wie auch in den vergangenen Jahren – den zweiten Platz. Die hohen Benzinpreise, aber auch die Bankenkrise haben vielen Bürgern, die uns dann geschrieben haben, Sorgen bereitet.
Was passiert mit den Petitionen, die vor Ende der Legislaturperiode
nicht mehr abgeschlossen werden können, wie zum Beispiel die
zu den Themen Grundeinkommen und Internetsperren?
Alle Petitionen, die vor Ende der Legislaturperiode nicht mehr vom Ausschuss abgeschlossen werden können, behalten natürlich ihre Gültigkeit. Durch die Wahl geht keine Petition verloren. Zu den Petitionen für ein Grundeinkommen und gegen die Internetsperren wird es wohl in der nächsten Legislaturperiode öffentliche Sitzungen geben. Wir werden das jedenfalls empfehlen.
Nehmen die Ministerien die Beschlüsse des
Petitionsausschusses ernst?
Wir achten sehr darauf, dass das jeweilige Ministerium auch Stellung nimmt. Und wir beobachten, ob die zuständige Bundesbehörde Abhilfe schafft, wenn das Anliegen berechtigt ist. Für uns kommt es aber leider noch zu selten vor, dass die Bundesregierung unsere Empfehlungen aufnimmt und umsetzt. Eine Petition ist für uns mit der Überweisung an die Bundesregierung nicht abgeschlossen.
Laut einer aktuellen Studie wissen nur zwei Drittel der
Bürger, dass sie das Recht haben, sich mit Problemen und
Sorgen an den Bundestag zu wenden. Wie wollen Sie das
ändern?
Wir sind bemüht, die Öffentlichkeitsarbeit immer mehr zu verbessern. Wenn der Bundestag auf einer Messe vertreten ist, ist auch der Petitionsausschuss dabei. Wir veranstalten Ortstermine, wenn es etwa um die Forderung nach Lärmschutz geht. Das nimmt dann die örtliche Presse zum Anlass, um über uns zu berichten. Oft kommen Bürger zu den Ortsterminen dazu und lernen uns und unsere Arbeit kennen. Beim Tag der offenen Tür des Bundestages stellen wir unsere Arbeit vor. Insgesamt sind wir aber natürlich nicht der Ausschuss, der im Fokus der Medien steht. Wir arbeiten vorrangig im Hintergrund.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass Menschen mit
niedrigerem Bildungsgrad seltener wissen, dass sie ein
Petitionsrecht haben. Wie wollen Sie das künftig
verbessern?
Unser Eindruck ist, dass sich viele Menschen, die aus einfachen Verhältnissen kommen, an den Petitionsausschuss wenden. Natürlich sind wesentlich mehr Menschen von bestimmten Themen betroffen, als sich Bürger an uns wenden. Gerade hier liegt die Verantwortung bei jedem Abgeordneten des Bundestages. Wir müssen die Menschen ansprechen und aufklären, welche Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe sie haben. Es ist ein wichtiges Zeichen, wenn sich viele Menschen an den Petitionsausschuss wenden, denn es zeigt uns, dass vieles im Argen liegt. Am besten wäre es natürlich, wenn niemand den Petitionsausschuss bräuchte.
2008 haben Sie einen Preis erhalten. Wofür genau
wurden Sie ausgezeichnet?
Den Preis für die beste Innovation im politischen Bereich haben wir für unser E-Petitionen-System, also für die Möglichkeit, Petitionen online einzureichen und mitzuzeichnen, bekommen. Das ist wirklich eine tolle Anerkennung unserer Arbeit, eine Auszeichnung, auf die wir stolz sind. Über drei Jahre ist der Modellversuch gelaufen und hat sich bewährt. Im November 2008 hat dann der reguläre Betrieb begonnen.
Wie hat sich Ihre Arbeit durch die E-Petitionen
verändert?
Unsere Arbeit ist viel intensiver und vielfältiger geworden. Rund 20 Prozent aller Petitionen sind 2008 per Mail eingegangen, 2007 waren es 13 Prozent. Das Einreichen der Petitionen via Internet ist nur die eine Sache. Wenn 50.000 Bürger eine öffentliche Petition unterstützen, sind wir verpflichtet, die Petition im Ausschuss zusätzlich öffentlich zu beraten. Das fordert uns schon viel Kraft und Energie ab. Aber wir machen das gerne. Wir sind überzeugt, dass es richtig ist und es an der Zeit war, dass Petitionen auch auf diesem Weg eingereicht werden können. Auch die Petitionsausschüsse der Bundesländer nehmen sich an uns ein Beispiel.
Auf der Internetseite des Petitionsausschusses gibt es
für die Bürger keine direkte Möglichkeit zur
Diskussion mit Abgeordneten. Das wurde schon am Modellversuch
kritisiert. Wie stehen Sie dazu?
Diese Art des direkten Austausches zwischen Abgeordneten und den Diskutanten ist schier unmöglich. Aufgrund der hohen Zahl an Beiträgen im Forum würde es die Abgeordneten überfordern, auf jeden einzeln zu reagieren. Wichtig wäre es, Erkenntnisse aus den Foren ziehen zu können. Für unsere Arbeit müssen wir uns einen Überblick über die Diskussion der Bürger und ihre Argumente verschaffen.