Das Wohlstandsniveau im Ostseeraum durch eine Förderung der transnationalen Mobilität von Arbeitnehmern sichern und die oft hohe Jugenderwerbslosigkeit in dieser Region bekämpfen: Diese Forderungen gehören zu den Schwerpunkten der Ostseeparlamentarier-Konferenz, die vom 30. August bis zum 1. September 2009 im dänischen Nyborg tagt. Im Interview äußert sich der SPD-Abgeordnete Franz Thönnes, Leiter der fünfköpfigen Bundestagsdelegation und Parlamentarischer Staatssekretär im Arbeitsministerium.
Anders als etwa die Parlamentarische Versammlung des Europarats ist die Ostseeparlamentarier-Konferenz öffentlich kaum bekannt. Woran liegt das?
Die Versammlung des Europarats tagt mehrmals im Jahr und hat auch einen größeren politischen Einfluss. Vielleicht hat unser geringer Bekanntheitsgrad mit der regionalen Begrenzung unserer Konferenz zu tun, vielleicht treten wir auch öffentlich zu defensiv auf. Wie legen zudem Wert auf das Konsensprinzip, und so etwas findet weniger Resonanz als Streit.
Echte Kompetenzen hat Ihr Gremium ja nicht. Konnten die Parlamentarier aus den Ostsee-Anrainerstaaten trotzdem Erfolge erzielen?
Ohne Zweifel. Die 2001 in Greifswald verabschiedeten Forderungen zur Schiffssicherheit gingen im gleichen Jahr in die Helcom-Kopenhagen-Deklaration ein, diese Standards werden von allen Ostsee-Ländern als verbindlich anerkannt. Ein anderes Beispiel: 2007 hat unsere Konferenz in Berlin Vorschläge unterbreitet, die auf eine Reduzierung der zu starken Nährstoffanreicherung in der Ostsee zielen. Seither werden diese Gefahren öffentlich intensiver diskutiert. Im Übrigen ist unser parlamentarisches Netzwerk, eine Ergänzung des Ostseerats der Regierungen, bei der EU als regionale Interessenvertretung anerkannt. Unsere einzigartige Kooperation von EU-Staaten, den EFTA-Ländern Norwegen und Island sowie Russland und Grönland gilt als Musterbeispiel für eine europaweite Regionalisierung, wie sie der Lissabon-Vertrag vorsieht.
Welche Schwerpunkte hat die Bundestagsdelegation in den vergangenen vier Jahren in der Konferenz gesetzt?
Wir haben uns um Fragen der maritimen Sicherheit gekümmert, wozu auch Piraterie und Terrorismus gehören. Andere Themen waren etwa eine saubere Energieversorgung, eine umweltverträgliche Entsorgung von Schiffen, die bereits erwähnte Nährstoffanreicherung der Ostsee oder der Komplex Energie und Klimawandel.
In Nyborg greifen Sie selbst in einem Bericht Probleme auf dem Arbeitsmarkt auf. Nun gilt der Ostseeraum als Wohlstandsregion. Wo klemmt es trotzdem?
Wenn die Region ihr Wohlstandsniveau halten will, muss die Mobilität der Arbeitnehmer gefördert werden. Zuerst einmal benötigen wir verlässliche Statistiken über die Grenzpendler, deren Zahl auf 70.000 bis 120.000 geschätzt wird. Wir müssen aufpassen, dass solche Beschäftigte nicht unter schlechten Arbeitsbedingungen und durch Lohndumping ausgebeutet werden. Eine andere Misere ist die Jugenderwerbslosigkeit. Die Quote schwankt zwischen fünf Prozent auf der autonomen finnischen Inselgruppe Aland und 36 Prozent in Estland, mehrere Länder liegen über 20 Prozent. Das dürfen wir nicht hinnehmen.
Was kann man denn tun?
Wir appellieren an die Regierungen, in Regionen mit vielen Grenzpendlern an Grenzübergängen Informationszentren einzurichten, wo sich solche Beschäftigte über sozial-, arbeits- und steuerrechtliche Fragen bei einer Berufstätigkeit im Ausland unterrichten können. Beispiele dieser Art gibt es bereits zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark sowie zwischen Dänemark und Schweden. Die Arbeitsbedingungen für Grenzgänger müssen internationalen Standards entsprechen. Was junge Leute angeht, so stehen Unternehmen und nationale Regierungen in der Pflicht, inner- wie außerbetrieblich eine ausreichende Zahl von Ausbildungsplätzen zu schaffen. Bereits in der Schule sollten Heranwachsende auf das Berufsleben vorbereitet werden. Jene, die besonders schwer zu vermitteln sind, müssen von Arbeitsbehörden speziell gefördert werden.
Ein Schwerpunkt der Tagung ist die maritime Sicherheit. Wird auch der mysteriöse Fall der „Arctic Sea“ eine Rolle spielen, die angeblich vor der schwedischen Küste überfallen worden ist? Droht auch in der Ostsee Piraterie?
Nein, ein solches Risiko sehe ich nicht, die sozialen und ökonomischen Verhältnisse in diesem Raum sind nicht vergleichbar mit den Gegebenheiten in anderen Regionen der Weltmeere. Bei der „Arctic Sea“ ist noch vieles ungeklärt. Es ist durchaus denkbar, dass diese Affäre in Nyborg erörtert wird.
Ein Dauerthema sind die von Schiffen ausgehenden ökologischen Gefahren für die Ostsee, etwa von Ölfrachtern.
Da sind einige Fortschritte zu verzeichnen. In schwierig zu navigierenden Zonen werden öfters Lotsen eingesetzt, die permanente Schiffspositionsanzeige via Satellit verbreitet sich, Tiefwasserwege werden besser ausgewiesen. Auch wächst die Zahl von so genannten Mehr-Hüllen-Tankern, das sind Schiffe, die mit nicht nur einer Schiffswand gebaut werden, was bei Havarien den Austritt von Öl erschwert. Natürlich ist noch einiges zu tun. So müssen etwa die Schadstoffemissionen von Schiffen reduziert werden, besonders von Schwefel.