Die Forderung, die parlamentarischen Vollmachten der russischen Delegation mit dem Ziel des Stimmrechtsentzugs zu überprüfen, könnte bei Herbstsitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, die am 28. September in Straßburg begann, für Zündstoff sorgen. Die Antragsteller begründen diesen Vorstoß unter anderem mit der diplomatischen Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Moskau nach dem Krieg zwischen Russland und Georgien. Nach monatelangem Streit im Europarat werden die Abgeordneten dieses Mal wohl einen neuen Generalsekretär wählen. Im Interview nimmt Joachim Hörster (CDU) Stellung, Leiter der 18-köpfigen Bundestagsdelegation.
International scheint man sich mit dem Status quo nach dem
Krieg zwischen Russland und Georgien abgefunden zu haben. Warum
soll der Europarat diesen Konfliktherd wieder heiß
machen?
Hörster: Mit der Lage in dieser Region darf man sich nicht arrangieren. Gerade unsere Parlamentarische Versammlung sorgt dafür, dass dieses ungelöste Problem auf der Tagesordnung bleibt. Moskau hat nun mal ein anderes Mitgliedsland des Europarats angegriffen und auf dessen Territorium in Südossetien und Abchasien Regierungen installiert, die vollständig von Russland abhängig sind.
Was rechtfertigt denn einen so schwerwiegenden Schritt wie die Forderung nach Entzug des Stimmrechts der russischen Delegation?
Moskau weigert sich, Beschlüsse unserer Parlamentarischen Versammlung in die Tat umzusetzen. Wir haben verlangt, dass Russland die diplomatische Anerkennung Abchasiens und Südossetiens rückgängig macht, internationalen Beobachtern freien Zugang in diesen Zonen garantiert und die Rückkehr georgischer Flüchtlinge in diese Regionen ermöglicht. All das ist nicht geschehen. Auch ansonsten hat sich Unmut gegenüber Moskau aufgestaut. Morde an Journalisten und Bürgerrechtlern sind unaufgeklärt. Die Rolle der Justiz im Verfahren gegen den einstigen Ölmagnaten und Oppositionellen Michail Chodorkowski ist rechtsstaatswidrig. Zudem blockiert Russland die Reform des Menschenrechtsgerichtshofs, dessen Arbeit angesichts massenhafter Klagen effizienter werden muss.
Ist denn die Schuldfrage zwischen Moskau und Tiflis eindeutig zu Lasten Moskaus geklärt?
Das lässt sich nicht mit aller Klarheit sagen. Fest steht aber, dass Russland die territoriale Integrität Georgiens verletzt hat. Moskau muss sich aus Südossetien und Abchasien wieder zurückziehen. Selbst wenn Tiflis im August 2008 die militärischen Auseinandersetzungen begonnen haben sollte, so sind die Georgier dabei auf eigenes und nicht auf fremdes Territorium vorgedrungen. Natürlich ist der Einsatz von Gewalt zur Lösung solcher Konflikte nicht zu unterstützen. Doch Moskaus Verhalten kann für den Europarat nicht akzeptabel sein.
Die Mehrheit der Abgeordneten in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats hat es bislang abgelehnt, den Russen das Stimmrecht abzuerkennen. Haben sich die Machtverhältnisse geändert?
Das ist schwer zu beurteilen. Es ist jedoch beachtlich, dass über 70 Volksvertreter und damit fast ein Viertel aller Parlamentarier den Antrag unterschrieben haben. In diesem Rückhalt kommt auch ein wachsendes Missbehagen über die Politik des Europarats zum Ausdruck: Kleine Länder wie etwa Aserbaidschan setzt man massiv unter Druck, weil rechtsstaatliche Standards nicht eingehalten werden, gegenüber Russland übt sich Straßburg jedoch in Zurückhaltung.
Könnte Moskau im Falle eines Stimmrechtsentzugs das Europarat-Parlament boykottieren oder gänzlich den Staatenbund verlassen?
Das glaube ich nicht. Das sind Drohgebärden, von denen wir uns nicht einschüchtern lassen dürfen.
Wird nach monatelangem Streit zwischen Abgeordnetenhaus und Ministerkomitee dieses Mal ein neuer Generalsekretär des Europarats gewählt? Hat die Parlamentsmehrheit gegenüber dem Ministerkomitee klein beigegeben, das den Volksvertretern keine Kandidaten aus deren Reihen und nur zwei Ex-Regierungschefs vorschlagen will?
Die Mehrheit im Parlamentspräsidium sieht offenbar keine Chancen mehr, die Position des Ministerkomitees zu verändern. Im Juni hatte ja im Plenum auch nur eine knappe Mehrheit beschlossen, die Wahl von der Tagesordnung abzusetzen. Im Übrigen müssen die beiden Bewerber, der Norweger Thorbjörn Jagland und der Pole Włodzimierz Cimoszewicz, als qualifiziert für den Posten des Generalsekretärs gelten.
Kann nach der Wahl des Polen Jerzy Buzek zum Präsidenten des EU-Parlaments mit Cimoszewicz ein Pole auch noch an die Spitze des Europarats rücken?
Dieser Aspekt dürfte bei den Abgeordneten keine Rolle spielen, das Rennen zwischen Cimoszewicz und Jagland ist offen. Es geht auch nicht um eine politische Richtungsentscheidung, beide gehören zu den Sozialisten. Entscheidend wird neben der Bewertung der Persönlichkeit die Frage sein, wer den Europarat am besten voranbringen wird.
Welches sind denn die wichtigsten Aufgaben des neuen Generalsekretärs?
Intern muss wegen der knappen Finanzausstattung des Staatenbunds dessen Arbeit effizienter werden, ein Controlling fand seit Jahrzehnten nicht statt. Der neue Chef im Palais de l’Europe muss aber vor allem dafür sorgen, dass sich der Europarat wieder auf seine Kernaufgaben konzentriert, nämlich die Durchsetzung freiheitlicher Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsländern, da ist noch viel zu tun. Gelingt dies, dann werden wir auch gegenüber der EU stärker als eigenständige Kraft wahrgenommen. Die Parlamentarier des Europarats sollten sich nicht beliebig bei allerlei Themen wie etwa dem Klimawandel oder der Nord-Süd-Problematik verzetteln.