"Wir müssen uns darum bemühen, die Partnerschaft mit Russland auf eine neue und solide Basis zu stellen": Impulse für eine solche Entwicklung erhofft sich Dr. Karl A. Lamers (CDU/CSU) von der Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO, die vom 28. Mai bis zum 1. Juni 2010 in Riga (Lettland) stattfindet. Bei diesem Treffen debattieren die Abgeordneten auch über das schwierige Verhältnis der Allianz zu Moskau. Lamers ruft dazu auf, das gegenseitige Misstrauen abzubauen. Der CDU-Politiker leitet die Bundestagsdelegation zur Parlamentarischen Versammlung der NATO.
Afghanistan, Finanzkrise, das Verhältnis zu Russland, nukleare
Sicherheit, Iran: Es mangelt nicht an spannenden Themen in Riga.
Aber wird es nicht bei interessanten Debatten bleiben? Oder
können die Abgeordneten tatsächlich Einfluss auf die
Politik der NaTO nehmen?
Unsere Versammlung hat schon oft bewiesen, dass sie großen Einfluss auf die Politik der NATO und deren Mitgliedsländer hat. In den Staaten des Bündnisses tragen die NATO-Parlamentarier wesentlich dazu bei, das transatlantische Verständnis zu fördern. Die Positionen unserer Versammlung bringen wir in den Nordatlantikrat ein. Drei Beispiele können unseren Einfluss illustrieren. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts haben sich die Mitglieder der Versammlung frühzeitig mit den Veränderungen in Mittel- und Osteuropa auseinandergesetzt und agierten als treibende Kraft beim Bemühen, die Parlamente der neuen Demokratien an das Bündnis heranzuführen. Als wegen des Irak-Kriegs 2003 die unterschiedlichen Meinungen der Regierungen der NATO-Staaten aufeinanderprallten, haben wir Parlamentarier uns um Vermittlung und Dialog bemüht. Aktuell hat unsere Versammlung einen eigenen Beitrag für das neue Strategische Konzept der NATO erarbeitet.
Warum befasst sich der Kongress in Lettland mit der internationalen Finanzkrise? Das ist doch keine militärische Angelegenheit.
Diese Krise hat direkte Auswirkungen auf das Militärische. Die Sparzwänge in den NATO-Ländern werden sicher auch um die Verteidigungshaushalte keinen Bogen machen. Schon jetzt hat das Bündnis ein Etatloch von 750 Millionen Euro, weil einige Staaten wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr in der Lage sind, ihre Beiträge zu bezahlen. Im Übrigen versteht sich die NATO nicht als reine Militärallianz, sondern als politisches Bündnis mit militärischen Fähigkeiten. Der Nordatlantikvertrag von 1949 legt großen Wert auf ein solides und aus meiner Sicht damit auch auf ein wirtschaftlich tragfähiges Fundament aller NATO-Länder als Basis für innere Festigkeit und Wohlergehen des Bündnisses.
Auch in Riga wird über die ungelöste Frage diskutiert, wie das schwierige Verhältnis der NATO zu Russland gestaltet werden soll. Sind bei diesem Thema neue Impulse zu erwarten?
Unserer Versammlung geht es darum, das gegenseitige Misstrauen abzubauen, wir wollen mit- und nicht übereinander reden. Russland hat bei uns den Status eines assoziierten Mitglieds. Die Duma-Abgeordneten haben zwar kein Stimmrecht, können jedoch an Plenartagungen sowie an den Aktivitäten zahlreicher Ausschüsse und Gremien teilnehmen. Nach dem Einmarsch russischer Truppen in Georgien im August 2008 und der völkerrechtswidrigen Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Moskau haben wir einige dieser Rechte suspendiert. Allerdings kann dieser Zustand nicht von Dauer sein. So wird auch in Riga wieder der NATO-Russland-Ausschuss tagen. Als mächtiges Land ist Russland aufgerufen, gemeinsam mit der NATO Frieden und Sicherheit in der Welt zu gewährleisten, ich denke etwa an Afghanistan, den Nahen und Mittleren Osten, Iran oder die Bekämpfung des Terrorismus. Wir müssen uns darum bemühen, die Partnerschaft mit Moskau auf eine neue und solide Basis zu stellen.
Ein handfestes Problem ist Afghanistan, wo sich der Dauerkrieg mit den Taliban zu verfestigen scheint. Können denn die Parlamentarier eigene Ideen in die NATO-Strategie einbringen?
Selbstverständlich. Die Berichte und Beschlüsse unserer Versammlung werden in Brüssel und in den nationalen Hauptstädten sehr wohl zur Kenntnis genommen. Ich denke dabei besonders an unseren Ansatz für eine Neudefinition der Strategie des Bündnisses in Afghanistan. Wir Parlamentarier haben bereits 2007 auf die Bedeutung einer gemeinsam mit der Regierung in Kabul auszuarbeitenden Exit-Strategie hingewiesen. Ich denke aber auch an unsere Vorschläge für die neue NATO-Strategie.
Debattiert wird in Lettland auch über die zivilgesellschaftlichen Aspekte der Instabilität in Afghanistan und Pakistan. Aber sind diese seit Jahren geführten Diskussionen nicht politische Dekoration? Letztlich geht es doch immer um das Militärische.
Von Dekoration kann keine Rede sein. Für unsere Versammlung steht die zivilgesellschaftliche Stabilität am Hindukusch an allererster Stelle. Ohne den zivilen Wiederaufbau, Good Governance, Korruptionsbekämpfung und eine gesellschaftliche Perspektive für die Bürger kann die Afghanistan-Mission nicht zum Erfolg geführt werden. Solche Bemühungen und der militärische Einsatz bedingen einander. Ohne Sicherheit kein Wiederaufbau, ohne Wiederaufbau keine Sicherheit und Stabilität. Dabei müssen wir auch stets Pakistan im Blick haben. Nur wenn in beiden Ländern Stabilität herrscht, wird Terroristen die Basis entzogen.
Eine Rede wird in Riga Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen halten. Ist das bloß eine Good-Will-Geste? Welche Erwartungen haben Sie an diesen Auftritt?
Der Generalsekretär der NATO erstattet der Parlamentarischen Versammlung regelmäßig Bericht über die Arbeit der Allianz. Für ihn ist die Teilnahme an unseren Tagungen Pflicht und Kür zugleich. In Lettland erwarte ich von Rasmussen eine Grundsatzrede zur künftigen Ausrichtung des Bündnisses. Afghanistan, das Verhältnis zu Russland und die Zusammenarbeit zwischen NATO und EU werden Kernpunkte seiner Ausführungen sein.