Gedenkstunde zur Erinnerung an die Opfer des
Nationalsozialismus, Lustiger: Die Wege der Erinnerung sind
schwierig
Bundestagsnachrichten/Bundestagsnachrichten -
27.01.2005
Berlin: (hib/MAR) Mit einer Gedenkstunde
erinnerte der Deutsche Bundestag am Donnerstagvormittag, dem 60.
Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers
Auschwitz, an die Opfer des Nationalsozialismus. "Die
verpflichtende Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen
ist Teil unserer moralischen und politischen Identität", sagte
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) in seiner
einleitenden Ansprache. Es gehe aber nicht nur um Vergangenheit
oder Schuldzuweisungen, mahnte er, sondern um die aus der
beschämenden Erinnerung erwachsende Verantwortung in der
Gegenwart und für die Zukunft. "Es sitzen wieder Neonazis in
einem deutschen Parlament", bemerkte Thierse und forderte: "Wir
dürfen denen unsere Sprache und unsere Plätze nicht
überlassen. Wegschauen, ignorieren, schweigen, all das
dürfen wir Demokraten nicht tun!" Der Holocaust-Gedenktag
verpflichte für immer dazu, "dass Deutsch nie mehr die Sprache
des Mordes, des Antisemitismus, der Menschenfeindlichkeit, der
Lüge und des rassistischen Vorurteils wird". Die Erinnerung an
die deutschen Opfer und die Trauer über das Leid auch der
Deutschen dürfe nicht missbraucht werden für
neonazistische Propaganda, mahnte Thierse. Zwar sei es
verständlich und legitim, mit Trauer an das eigene Leiden zu
erinnern. Das dürfe aber niemals und nirgendwo dazu dienen,
die Naziverbrechen zu relativieren und zu beschönigen. "Dem zu
widerstehen und zu widersprechen, ist Sache aller anständigen
Deutschen, aller Bürger", betonte der
Bundestagspräsident. "Die Wege der Erinnerung sind schwierig",
bekannte Professor Arno Lustiger in seiner Gedenkrede, "aber
solange wir leben, sollten wir sie alle in unserem Gedächtnis
behalten: die sechs Millionen unserer Brüder und Schwestern,
davon eine Million in Auschwitz, die anderen Opfer der Nazis ohne
Unterschied ihrer Herkunft, Religion oder des Grundes ihrer
Verfolgung, die Retter und die Widerstandskämpfer aller
Nationen." In sein Gedenken schloss Lustiger auch die Soldaten der
sowjetischen und der alliierten Armeen ein, die bei der Befreiung
fielen. "Ihre Namen und ihr Gedenken seien gesegnet und
unvergessen", schloss Lustiger.Der Überlebende mehrerer
Konzentrationslager erinnerte daran, dass er heute vor 60 Jahren
noch nicht befreit gewesen sei. Er hob den "weithin unbekannt
gebliebenen Widerstand der Juden Europas" und die Beschuldigung,
sich nicht gewehrt haben, als Motivation für seine Forschungen
hervor und bekannte, seine Bücher seien auch "Epitaphe auf
nicht vorhandene Grabsteine vieler jüdischer
Widerstandskämpfer". Ebenso würdigte er die "deutschen
Judenretter". Leider hätten diese keine Fürsprecher, auch
nicht in Jerusalem, beklagte Lustiger. So würden nur 400 von
insgesamt 20.000 Deutschen als "Gerechte" in Yad Vashem
geehrt.Unter Bezugnahme auf die Vorgänge im sächsischen
Landtag und das Scheitern des NPD-Verbotsantrags fragte Lustiger,
ob es nicht an der Zeit sei, dass deutsche Verfassungsrichter ihre
"Samthandschuhe" ausziehen, wenn es sich um Feinde unserer
Verfassung und Demokratie handelt.
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Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Verantwortlich: Uta Martensen
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