Berlin: (hib/KOS) Für einen Ausbau
der psychosozialen Beratung betroffener Frauen im Falle einer zur
Debatte stehenden Spätabtreibung wegen einer zu erwartenden
Behinderung des Kindes plädierten die Sachverständigen am
Mittwochnachmittag bei einer Anhörung des Familienausschusses.
Grundlage dazu waren Anträge der CDU/CSU (
15/3948) sowie von SPD und Grünen (
15/4148). Umstritten bei den Experten war
indes, ob eine solche Beratung obligatorisch sein soll, ob zwischen
Diagnose und einem Abbruch eine mehrtägige Bedenkzeit
verpflichtend eingeführt werden soll und ob eine medizinische
Indikation von einem größeren Ärztegremium
festgestellt werden soll. Lediglich knapp drei Prozent aller
Abtreibungen werden nach der zwölften Woche vorgenommen: Im
Jahr 2003 handelte es sich um 2044 Spätabbrüche, von
denen wiederum 217 nach der 22. Schwangerschaftswoche geschahen.In
einer schriftlichen Stellungnahme kritisierte Walter Bayerlein als
Vizepräsident des Zentralkomitees der Katholiken, dass
entgegen den Intentionen des Gesetzes in der Praxis allein eine
negative medizinische Prognose für das Kind im Rahmen einer
pränatalen Untersuchung als Rechtfertigungsgrund für eine
Abtreibung angesehen werde. "Schon beim Verdacht auf bestimmte
Behinderungen" würden Abbrüche vorgenommen. Bayerlein
verlangt eine "Überlegenszeit" zwischen Diagnose und
Abtreibung, auch solle ein Ärztekollegium die Indikaktion
analysieren. Der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands machte
sich in einer Erklärung ebenfalls für eine gesetzlich
vorgeschriebene Beratungspflicht und für eine obligatorische
dreitägige Bedenkzeit bei einem pathologischen Befund
stark.Auf Widerspruch stießen diese Forderungen bei Ulla
Ellerstorfer. Bei Spätabtreibungen handele es sich um
"menschlich tragische Einzelschicksale", die im Falle von
Abbrüchen nach der 22. Woche auch noch "extrem selten"
vorkämen, so die Vizevorsitzende des pro
familia-Bundesverbands. Ellerstorfer wandte sich gegen
strafrechtliche Verschärfungen bei der medizinischen
Indikation. Nach einem "für sie schmerzlichen
Untersuchungsergebnis" dürfe eine Schwangere über die
bisherige Beurteilung durch zwei Ärzte hinaus nicht noch einer
unzumutbaren Drittbewertung durch ein Gutachtergremium ausgesetzt
werden. Das Beratungsangebot für Betroffene in einer
"besonders schweren Lebenslage" solle weiter ausgebaut und vor
allem besser bekannt gemacht werden.Bernhard Hackelöer von der
Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
betonte, die pränatale Diagnostik habe nicht zu einer
Erhöhung der Zahl der Spätabtreibungen geführt. Die
Zuständigkeit für Aufklärung und Beratung müsse
beim jeweiligen Arzt bleiben. Hackelöer lehnte jede neue
Zwangsregelung ab: "In 30 Jahren habe ich es nie erlebt, dass eine
Frau nicht in der Lage war, selbst zu entscheiden." Gaby Hagmans
vom Sozialdienst Katholischer Frauen hob hervor, dass es sich im
Konfliktfall von Spätabbrüchen immer um "Wunschkinder"
handele und dass Frauen nach einer negativen medizinischen Prognose
in eine "Schocksituation" gerieten. In einer solchen Lage sei eine
Pflichtberatung "nicht legitim." Marion Brüssel vom Bund
Deutscher Hebammen sagte, dass die psychosoziale Beratung
vielfältig und flächendeckend sei, dass auch die
Beraterinnen hochqualifiziert und motiviert seien. Allerdings werde
dieses Angebot im Zusammenhang mit Pränataldiagnostik bislang
nur vereinzelt in Anspruch genommen. Diese Möglichkeit, so
Brüssel, solle den Frauen besser zugänglich gemacht
werden. Auch müssten die Ärzte frühzeitig auf dieses
Beratungsangebot hinweisen.Heribert Kentenich, Chefarzt der
Frauenklinik am Klinikum Berlin-Westend, forderte hingegen mit
Nachdruck, eine Beratung und eine Bedenkzeit zur Pflicht zu machen.
Dies sei erforderlich, weil es sich eben um eine verschärfte
Konfliktsituation handele. Auch solle in einer solch besonderen
Lage ein Gremium von Ärzten über die Indikation
entscheiden. Allerdings bräuchten betroffene Frauen nicht vor
einer solchen Kommission zu erscheinen.
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Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
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