Experte: Für Armutsbekämpfung ist der Zugang zu
Krediten unabdingbar
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (Anhörung)/Ausschuss für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (Anhörung) - 09.03.2005
Berlin: (hib/BOB) Die Entwicklung eines
tragfähigen Mikrofinanzwesens als integraler Bestandteil des
Finanzsystems stellt eine besondere Aufgabe für die deutsche
öffentliche und private Entwicklungszusammenarbeit und
für die Koordinierung der Entwicklungspolitik dar. Diese
Meinung vertritt Professor Hans Dieter Seibel von der
Universität zu Köln in seiner schriftlichen Stellungnahme
zur heutigen Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung zum Thema "Armutsbekämpfung
durch nachhaltiges Finanzwesen und Mikrofinanzierung". Die
ärmeren Bevölkerungsschichten, so Seibel weiter, fragten
vorrangig die Einsammlung und sichere Aufbewahrung von Ersparnissen
nach. Für eine nachhaltige Armutsbekämpfung und
Kleinunternehmensförderung sei der Zugang zu Krediten
unabdingbar. Er dürfe ordnungspolitisch nicht durch Zins- und
Kreditobergrenzen beschränkt oder durch Zinssubventionen
untergraben werden.Florian Grohs von Oikocredit (einer
internationalen Genossenschaft mit Sitz in den Niederlanden, die
über 23 Regional- und Länderbüros und ein
Genossenschaftskapital von 203 Millionen Euro verfügt) macht
deutlich, Mikrofinanz habe "sehr viel erreicht" in den letzten 20
Jahren. Es habe sich gezeigt, dass arme Menschen dauerhaft und
profitabel bedient werden könnten. Damit möglichst viele
Menschen Zugang zu Kleinkrediten bekämen, müssten sich
mittelfristig Institutionen entwickeln, die von der Finanzaufsicht
der jeweiligen Länder überwacht werden. Nur regulierte
Mikrofinanzinstitutionen (MFI) könnten Spareinlagen
mobilisieren und somit nachhaltig wachsen. Um weiter die
Entwicklung von MFIs zu fördern, so Grohs weiter, müssten
die Bankgesetze in vielen Ländern geändert werden. Seines
Erachtens würden einige weniger MFIs sich zu Banken
weiterentwickeln. Viele andere würden aber auch in der Zukunft
als regulierte MFI erfolgreich weiterarbeiten. Daher werde es
wahrscheinlich auch weiterhin ein Nebeneinander von sehr vielen
verschiedenen Finanzinstitutionen auf den Finanzmärkten der
Entwicklungsländer geben. Heute erhielten 517 MFIs etwa 769,23
Millionen Euro (etwa 1 Milliarde US-Dollar) von staatlichen und
privaten Geldgebern.Peter Langkamp von der Sparkassenstiftung
für internationale Kooperation führt aus, eine
Stabilisierung vorhandener MFI sei anzustreben. Der Aufbau eines
flächendeckenden Netzes solcher MFI sei sicherzustellen. Die
Vereinbarkeit von sozialen Auftrag, Professionalität und
Profitabilität müsse gewährleistet werden. Eine
lokale Präsenz vor Ort bei den Kunden sei erforderlich.
Dezentrale Entscheidungen und Steuerung des Kreditgeschäfts
verringerten das Risiko. Der Staat als Architekt des Finanzsektors
gebe eine Struktur vor und steuere die Umsetzung. Er gebe so eine
gezielte Förderung, falls erforderlich, vor. Zur Integration
von dem MFI in dem formellen Finanzsektor müsse der Staat aber
unter anderem ein rechtliches Regelwerk für die MFI
schaffen.Professorin Brigitte Young von der Universität
Münster argumentiert, Kenntnisse wie beispielsweise
rechnerische Fähigkeiten, einfache Bankprinzipien oder in der
Buchhaltung könnten eine emanzipatorische Funktion für
Frauen und Arme haben. Diese Aspekte könnten so dazu
beitragen, ein kollektives Bewusstsein über
Machtverhältnisse zu erzeugen, die das tägliche Leben der
Frauen und armen Bevölkerungsschichten beeinflussten. Weiter
meint die Expertin, Mikrofinanzinstitutionen müssten
organisatorische Kulturen, Managementstile, Anreizstrukturen und
Personalstrukturen etablieren, die Frauen wie andere Randgruppen
motivierten, ihre Diskriminierung und Armut als strukturelles
Problem zu erkennen. Auf Grund dieser Erkenntnisse müssten sie
soziale Netzwerke und Solidarität ausbauen, die Frauen auch
tatsächlich helfen, aus der Spirale von Abhängigkeit und
Armut zu entkommen.
Herausgeber
Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Verantwortlich: Uta Martensen
Redaktion: Dr. Bernard Bode, Michael Klein, Dr. Volker Müller,
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