Berlin: (hib/BES) Mit Unverständnis hat der Kulturausschuss am Mittwochnachmittag auf die Entscheidung der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 3. Juni reagiert, die umstrittene Rechtschreibreform am 1. August in weiten Teilen in Kraft treten zu lassen, obwohl sich der im vergangenen Dezember von der KMK zur Überprüfung des Reformwerks berufene Rat für deutsche Rechtschreibung noch längst nicht mit allen Streitfragen befasst hat. Der Vorsitzende des Rates und frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair berichtete in der Sitzung über die Ergebnisse der bisherigen Arbeit des Sprachgremiums. Es sei "ein mühsames Geschäft", angesichts der sehr heterogenen Kräfte im Rat ein Ergebnis mit der verbindlichen Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Dennoch "kommen wir mit Erfolg voran", so Zehetmair, der sich sehr zufrieden zeigte, dass er auch prominente Reformgegner, darunter Vertreter der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, zur Mitarbeit als ordentliche Mitglieder im Rat gewinnen konnte. Der Rat sei politisch völlig unabhängig und kein "verlängerter Arm der KMK". In seiner Arbeit gehe Substanz und Qualität vor Zeitplan. Das Ziel sei, die Einheit der deutschen Sprache zu bewahren und "die Sprache mit dem Volk zu versöhnen".
Die Tendenz der Beschlüsse im Rat, so Zehetmair, sei ein sinnorientiertes Schreiben: Es müsse weiterhin sprachlich zu unterscheiden sein, ob es sich um einen "vielversprechenden Politiker" oder um einen "viel versprechenden Politiker" handele; auch sei es ein Unterschied, ob man einen Fraktionsfreund "kaltstellt" oder "seinen Kaffee kalt stellt". In vielen Fragen gebe es eine "gewisse Offenheit", um "unnötige Erschwernisse für Lernende" zu beseitigen. Es dürfe bei der Überprüfung der Reform und bei der Reform selbst nicht um "wissenschaftliche Rechthaberei" gehen. "Ich lege großen Wert auf den Usus", so Zehetmair. So solle es künftig möglich sein, "kennenlernen" und "kennen lernen" zu schreiben. Bei "Leid tun" und "Not tun" müsse wieder die alte Rechtschreibung gelten - klein und zusammengeschrieben, weil da kein Gegenstand angetastet wird wie das Leid oder die Not. Es gehe bei der Rechtschreibung um Sinnunterschiede, die durch den Sprach- und Schreibgebrauch wieder besser zum Ausdruck kommen müssten. "Bei Fremdwörtern sind wir sehr gelassen", meinte der Ratsvorsitzende. Wer sich leisten könne, ins Restaurant zu gehen, sollte auch es richtig schreiben können, und wer Portemonnaie statt Geldbörse schreibt, sollte auch den Ursprung des Wortes kennen.
In der anschließenden Abstimmung lehnte der Ausschuss zwei Anträge zur Rechtschreibreform ab: einen Gruppenantrag ( 15/4249), der eine Rücknahme der Reform fordert, und eine Unionsinitiative ( 15/4261), die die Kultusminister und die Bundesregierung auffordert, entsprechende Schritte zur "raschen Beseitigung der zunehmenden Unsicherheit bei der Bevölkerung einzuleiten".
Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
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