Grundgesetzänderung stößt bei Experten
weitgehend auf Zustimmung
Rechtsausschuss (Anhörung) - 15.05.2006
Berlin: (hib/BOB) Die Ergebnisse der
Föderalismuskommission stoßen bei Experten weitgehend
auf Zustimmung. Dies wurde am Montagvormittag beim Auftakt der
gemeinsamen Anhörung von Bundestag und Bundesrat deutlich. In
Gegenwart von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), des neuen
SPD-Parteivorsitzenden Kurt Beck sowie den Vorsitzenden aller
fünf im Parlament vertretenen Fraktionen nahmen am ersten Tag
der Anhörung Experten zur Neuordnung der Zustimmungsrechte und
Gesetzgebungskompetenzen Stellung.So bezeichnete Professor Peter M.
Huber von der Ludwig-Maximilians-Universität München die
Vorlage als "großen Schritt in die richtige Richtung". Der
"gordische Knoten" sei zu einem Teil entwirrt worden. Die
Bundesgesetzgebung falle mit dem präsentierten Resultat ein
wenig leichter. Die Gewinne würden aber auf Bundes- wie
Landesebene zu verzeichnen. Die Zuständigkeiten für den
Bund seien klarer verteilt als bisher. Gleichzeitig würden den
Ländern aber Abweichungsmöglichkeiten gestattet. Dies sei
zu begrüßen. Professor Ferdinand Kirchhof von der
Eberhard Karls Universität in Tübingen bezeichnete die
vorgesehene Föderalismusreform ebenfalls als gelungen. Er
nannte sie als einen ersten Schritt, dem ein zweiter, nämlich
die Reform der Finanzverfassung, folgen müsse. Die
Bundesländer würden seines Erachtens bei dem Dienstrecht,
bei der regionalen Wirtschaftsstruktur und bei den Hochschulen
profitieren; bei der Bundesebene sei besonders der Umweltschutz
hervorzuheben. Wie auch zuvor schon sein Kollege Huber
begrüßte Kirchhof die Abschaffung der
Rahmengesetzgebung. Das setze der stellenweise "widerborstigen"
Kooperation von Bund und Ländern ein Ende.Professor Hans Meyer
von der Berliner Humboldt-Universität hielt den vorliegenden
Entwurf insgesamt für eine "vernünftige Lösung". Die
Chancen, dass die Änderung des Grundgesetzes Erfolg haben
werde, seien hoch, weil in Zeiten Großer Koalitionen die
politische Oppositionsrolle auf natürliche Weise erheblich
zurückginge. Der Entwurf schweige aber zu einer Neuordnung der
Länder, obwohl es mittlerweile "nicht mehr mit dem politischen
Tod bestraft werde", wenn sich Politiker dazu positiv
äußern würden. Wofür es aber schwer falle,
Verständnis aufzubringen, so Meyer, sei die Tatsache, dass man
nicht einmal gewillt sei, der nächsten Generation den Weg zu
einer sinnvollen Neuordnung zu ebnen und den Artikel 29 des
Grundgesetzes (Neugliederung des Bundesgebietes) zu reformieren,
dessen Funktion in der derzeitigen Fassung die Neuordnung
weitgehend verhindere. Fritz W. Scharpf aus Köln, der Direktor
der Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung,
bezeichnete es als keineswegs sicher, dass durch die vorgesehene
Senkung der zustimmungspflichtigen Gesetze auf Bundesratsseite
damit auch "mehr Handlungsmöglichkeiten auf Bundesebene"
geschaffen würde. Insgesamt zog Scharpf das Fazit, es sei
weniger Autonomie für Bund und Länder erreicht worden,
als es möglich gewesen wäre.Professor Christian
Pestalozza von der Freien Universität Berlin wandte sich
ebenfalls gegen den Vorschlag, dass Landesrecht in bestimmten
Fällen gegenüber dem Recht des Bundes Vorrang habe, nur
weil es jüngeren Datums sei. Es handele sich hierbei um eine
"monströse Regelung". Im Übrigen war Pestalozza nicht
grundsätzlich gegen die Verfassungsreform. Eine Vermehrung der
Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder um den Preis
einer Verringerung des Einflusses des Bundesrats auf die
Gesetzgebung des Bundes erscheine ihm sinnvoll. Wenn dies der
Grundgedanke der angestrebten Verfassungsänderung sein sollte,
sei dagegen nichts einzuwenden.Für zu "optimistisch" hielt
Professorin Ursula Münch von der Universität der
Bundeswehr in München die Prognosen über das Sinken der
Zustimmungsquote. Solange man grundsätzlich an dem Konzept und
der Praxis der Verwaltungsverflechtung festhalte, sei ein
unkomplizierter und für die Bürger in der Umsetzung
nachvollziehbarer Abbau dieser Zustimmungsquote nicht erreichbar.
Ähnliches gelte für die Finanzverfassung. Münch war
der Ansicht, einzelne Kompetenzen auf die Länder zu verlagern
oder einen sachlich als problematisch an zu sehenden Verbot von
Kooperationen im Bildungsbereich erfolgten noch kein
Paradigmenwechsel im "Ranking" von Bundes- und Landespolitik(ern).
Die Reform des Grundgesetzes gehe insgesamt in die richtige
Richtung - so lautete das Fazit von Professor Christoph
Möllers von der Universität Göttingen. Er war aber
der Meinung, der Entwurf erscheine deutlich unausgewogen zulasten
des Bundes, der Gesetzgebungskompetenzen verliere. Die
Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates sinke - wenn
überhaupt - nicht spürbar.Von der Bundesratsseite hatte
Alois Glück, der Präsident des Bayerischen Landtages,
zuvor deutlich gemacht, das vorliegende Ergebnis der
Föderalismuskommission bringe dem Bund einen
größeren Handlungsspielraum als den Ländern.
Für letztere seien die Grenzen des Machbaren erreicht. Der
Bundestag sei in einer Vielzahl von Fällen künftig
"letzte Instanz". Dies dürfe den Verlust von Kompetenzen auf
Seiten des Parlaments verschmerzbar machen. Es seien "sehr viel
schönere Lösungen denkbar" gewesen, so Glück, aber
man habe unter den realen Gegebenheiten handeln müssen.
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Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
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