Berlin: (hib/HAU) Der therapeutische
Ansatz des Maßregelvollzuges ist durch eine erhebliche
Steigerung der Einweisungen, verbunden mit einem Rückgang der
Entlassungen, derzeit stark gefährdet. Diese Ansicht vertraten
die geladenen Experten einer öffentlichen Anhörung im
Rechtsauschuss am Mittwochnachmittag. Um dieser Entwicklung
entgegen zu steuern, haben sowohl die Bundesregierung (
16/1110) als auch der Bundesrat (
16/1344) Gesetzentwürfe vorgelegt. Ziel
soll es sei, die knappen Ressourcen von Justiz- und
Maßregelvollzug effektiver zu nutzen und dabei eventuell
bestehende Sicherheitslücken zu schließen.Rolf Hannich,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, begrüßte die
Zielrichtung der Entwürfe. Fasse man das Beste aus beiden
Vorlagen zusammen, könne man gute und sinnvolle Regeln
schaffen. Allerdings, so Hannich, dürfe man spektakuläre
Fälle ausgebrochener Häftlinge aus dem
Maßregelvollzug nicht überbewerten. Der Gesetzgeber
könne nicht alle Ausnahmefälle regeln. Es gelte, einen
fairen Ausgleich zwischen den Sicherheitsinteressen der
Gesellschaft und der Freiheit des Einzelnen zu finden. Klaus
Hoffmann, Chefarzt der Abteilung Forensische Psychiatrie und
Psychotherapie Reichenau, begrüßte den politischen
Willen, die therapeutische Behandlung von psychisch Kranken als
Kernkompetenz des Maßregelvollzuges zu stärken. Hoffmann
sprach sich für eine Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge aus.
Ziel des Maßregelvollzuges müsse es sein, auf ein
delikt- und möglichst suchtfreies Leben nach der
Haftentlassung hinzuarbeiten. Es sei daher nicht sinnvoll, im
Anschluss an die Behandlung den Häftling eine Reststrafe
verbüßen zu lassen. Die Strafverteidigerin Gabriele
Jansen aus Köln stimmte dem zu. Erst müsse die Strafe
kommen und dann der Maßregelvollzug. Das Problem der
überfüllten Maßregelvollzugsanstalten könne
man auch mit Erhöhung der finanziellen Mittel für diesen
Bereich angehen. Der Bau neuer Anstalten könne auch die
therapeutischen Erfolge verbessern, so Jansen. Wolle man den
Maßregelvollzug unter vertretbaren Kosten sanieren,
müsse sich die forensische Psychiatrie auf ihre Kernaufgaben
beschränken, sagte Professor Rüdiger Müller-Isberner
vom Zentrum für Soziale Psychiatrie Haina. Eine zu
großzügige Auslegung des psychiatrischen
Maßregelvollzuges als Sicherungsinstrument mache ihn zur
Verwahranstalt für schwierige Kriminelle, worunter
tatsächlich Kranke zu leiden hätten. Bedauerlicherweise
ließen sich aus den Vorlagen dazu keine positiven Elemente
entnehmen. Jutta Muysers, Chefärztin der Forensischen
Psychiatrie Langenfeld, warnte ebenfalls vor der Gefahr, dass
Hochsicherheitstrakte in den Maßregelvollzügen entstehen
könnten. Angemessene Behandlung sei dann nicht mehr
möglich. Professor Norbert Nedopil, Leiter der Abteilung
für Forensische Psychiatrie der Universität München,
kritisierte die Gesetzestexte. Sie seien kaum durchschaubar und
unübersichtlich für ihre Anwender. Besser als neue
Gesetze, so Nedopil, sei es ohnehin, die Dienstleistung zu
verbessern, auch durch den verstärkten Einsatz finanzieller
Mittel. Professor Heinz Schöch von der Universität
München lehnte insbesondere die vom Bundesrat vorgeschlagene
Maßregelvollzugsunterbringung für Straftäter, bei
denen eine verminderte Schuldfähigkeit nicht
auszuschließen sei, ab. Eine positive Annahme verminderter
Schuldfähigkeit sei unbedingt erforderlich, da sonst eine
unabsehbare Zunahme der Unterzubringenden zu erwarten sei. Die
Rechtsanwältin Gabriele Steck-Bromme zweifelte die
Qualität der bei Gericht zugelassenen Sachverständigen
an. Ginge die Justiz verantwortungsvoller und sachkundiger mit
Gutachten um, würde sich der Maßregelvollzug von allein
leeren, da viele dort zu Unrecht säßen.
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Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
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