Berlin: (hib/BOB) Überwiegend
kritisch haben sich Sachverständige zu einem Gesetzentwurf der
Regierungskoalition (
16/4842) geäußert, der Zahlungen
für Opfer der SED-Diktatur vorsieht. Betroffene sollen dann
eine Entschädigung von 250 Euro erhalten, wenn sie
wirtschaftlich Not leiden. Voraussetzung für die Zahlung ist
außerdem, dass sie zu DDR-Zeiten mindestens sechs Monate in
Haft waren. Michael Beleites, Sächsischer Landesbeauftragter
für die Stasi-Unterlagen aus Dresden, erklärte dazu am
Montagnachmittag bei einer Anhörung des Rechtsausschusses, mit
diesen Zahlungen würde Betroffenen eine "wichtige Hilfe"
zuteil. Dennoch sei der von CDU/CSU und SPD vorgesehene Entwurf
unbefriedigend. Der Sachverständige schlug unter anderem vor,
die Zahlung einer Opferrente unabhängig von der sozialen Lage
vorzunehmen. Sonst wäre die Zahlung kein Ausgleich für
verfolgungsbedingte Schäden, sondern eine Versorgung für
Bedürftige. Ehemals politisch Verfolgte, die wirtschaftliche
Not litten, wollten nicht über ihre Armut definiert werden,
sondern darüber, dass sie ohne eigene Schuld durch einen
Unrechtsstaat bestraft wurden. Problematisch erscheine auch die
Beschränkung auf Haftopfer. Eine monatliche Zuwendung sei nur
sinnvoll als eine pauschale Zahlung, die auch Opfer der
SED-Diktatur einbeziehe, die durch "Zersetzungsmaßnahmen" -
also gezielte individuelle Schädigung - nachweisbar
schwerwiegend geschädigt wurden.Johannes Rink,
Landesvorsitzender für Sachsen-Anhalt des Bundes der
Stalinistisch Verfolgten und der Vereinigung der Opfer des
Stalinismus in Deutschland, erklärte, der von der
Regierungskoalition vorgelegte Entwurf führe zu einer Spaltung
der Verfolgten des SBZ/DDR-Regimes in zwei Klassen. Nur
Häftlinge, die mehr als sechs Monate inhaftiert waren und
sozial bedürftig seien, erhielten Entschädigung.
"Zersetzungsopfer", Häftlinge, die weniger als sechs Monaten
inhaftiert waren und Menschen mit einer gebrochenen Berufskarriere
wie Zwangsausgesiedelte und Deportierte, die auch sozial
bedürftig seien, würden hingegen keine Entschädigung
erhalten. Der Vorsitzende der "Union der Opferverbände
Kommunistischer Gewaltherrschaft", Horst Schüler, nannte es
"beschämend", dass die Opfer einer Menschen verachtenden
Diktatur um ihre Würdigung kämpfen müssten. Der
Sachverständige kritisierte ebenfalls, dass die Opfer der
SED-Diktatur jedes halbe Jahr den Nachweis führen
müssten, dass sie auf finanzielle Hilfe angewiesen seien. Dies
sei nicht hinzunehmen.Heike Schrade vom Thüringer Ministerium
für Soziales, Familie und Gesundheit war ebenfalls der
Meinung, dass die Einführung eines
"Bedürftigkeitsklausel" in dem Gesetz eine Würdigung
derer, die in der SBZ oder in der SED-Diktatur Widerstand geleistet
hätten, vermissen ließe. Die Expertin brachte den
Vorschlag der "Vereinigung der Opfer des Stalinismus" ins Spiel.
Dieser sehe vor, eine vom Einkommen oder vom Vermögen
unabhängigen Sockelbetrag von 100 Euro zu zahlen. Dazu sei ein
weiterer Betrag von 150 Euro für die SED-Opfer vorzusehen, die
sich in schwieriger sozialer Lage befänden. Die Thüringer
Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Hildigung Neubert,
war gleicher Meinung. Der Koalitionsentwurf werde insgesamt sein
politisches Ziel verfehlen, die Forderung der Verbände der
Verfolgten des Kommunismus nach einer ehrenden pauschalen Zahlung
zu befriedigen. Unter anderem sei die alle sechs Monate vorgesehene
Einkommensprüfung ein "bürokratisches Monstrum". Nach
ihren Berechnungen würde die Opferrente den Betrag von 72,1
Millionen Euro nicht überschreiten.Reinhard Schult,
Mitarbeiter bei dem Landesbeauftragten für die
Stasi-Unterlagen im Land Berlin, sagte, er begegne zunehmend der
"geballten Empörung und Wut" von ehemaligen Stasi-Opfern. Auch
er plädiere für eine Leistung unabhängig von
sozialer Bedürftigkeit. Hubertus Knabe, Direktor der
Gedenkstätte Hohenschönhausen, plädierte ebenfalls
für die Zahlung eines monatlichen Betrages unabhängig von
der sozialen Bedürftigkeit an alle Personen, die aus
politischen Gründen in Haft waren oder anderweitig verfolgt
wurden.
Herausgeber
Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Verantwortlich: Uta Martensen
Redaktion: Dr. Bernard Bode, Götz Hausding, Michael Klein, Dr.
Susanne Kailitz, Dr. Volker Müller, Monika Pilath, Günter
Pursch, Annette Sach, Bernadette Schweda, Alexander Weinlein,
Siegfried F. Wolf