Berlin: (hib/HAU) Die derzeitig
vorhandenen Kontroll- und Mitwirkungsrechte der Opposition werden
von Experten unterschiedlich beurteilt. Das wurde während
einer öffentlichen Anhörung im
Geschäftsordnungsausschuss am späten Donnerstagnachmittag
deutlich. Neben einem Gesetzentwurf der FDP-Fraktion (
16/126) standen auch Anträge der Fraktion
Die Linke (
16/4119) und der Fraktion von Bündnis
90/Die Grünen (
16/581) zur Diskussion. Die
Oppositionsfraktionen fordern unter anderem, das für eine
Klagebefugnis im abstrakten Normenkontrollverfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht erforderliche Quorum von einem Drittel der
Mitglieder des Bundestages auf ein Viertel zu reduzieren. Professor
Edzard Schmidt-Jortzig von der Universität Kiel bezeichnete
die Vorschläge zur Änderung der Normenkontrolle als
"durchaus interessant". Unter den derzeitigen Bedingungen sei es
der Opposition nicht möglich durchzusetzen, dass
verfassungsändernde Gesetze dem Bundesverfassungsgericht zur
Kontrolle vorzulegen seien. Das für die Klagebefugnis
erforderliche Drittel der Bundestagsmitglieder werde bei den
aktuellen Mehrheitsverhältnissen nicht erreicht. Dieses
grundsätzliche Manko des Systems, so Schmidt-Jortzig, sollte
verändert werden. Der ehemalige Richter am
Bundesverfassungsgericht, Professor Hans H. Klein, hält eine
situative Anpassung von Grundgesetz und Geschäftsordnung an
die jeweils aktuellen Mehrheitsverhältnisse für nicht
ratsam und dem Ansehen des Parlaments nicht dienlich. Es seien
allenfalls solche Änderungen zu erwägen, die in allen
vorstellbaren Lagen sinnvoll erscheinen. Derartige Vorschläge
könne er in den Vorlagen jedoch nicht erkennen. Florian
Havemann, Verfassungsrichter im Land Brandenburg, sieht keine
verfassungsrechtlichen Gründe, die gegen die Umsetzung der
Vorlagen sprächen. Es sei durchaus sinnvoll, die Hürden
für die Inkraftsetzung eines Normenkontrollverfahrens
abzusenken. Der immer wieder dagegen eingebrachte Vorwand, dies
würde zu einer Überlastung des Bundesverfassungsgerichts
führen, schlage verfassungsrechtlich nicht durch. Vielmehr
könne man dadurch dem Parlament zu mehr Lebendigkeit
verhelfen.Auch Professor Wolfgang Zeh, ehemaliger Direktor des
Deutschen Bundestages, sieht keine verfassungsrechtlichen Bedenken
gegen die vorgeschlagene Absenkung des erforderlichen Quorums. Es
sei allerdings auch im Interesse von Minderheiten wichtig,
langfristige Stabilität für das parlamentarische
Verfahren zu sichern. Im Interesse der parlamentarischen Kontrolle,
so Professor Ulrich K. Preuß von der Hertie School of
Governance in Berlin, müsse der Machtsteigerung der Mehrheit
ein balancierendes Gegengewicht hinzugefügt werden.
Minderheitenrechte als Machtbegrenzung dienten daher der Steigerung
der Leistungsfähigkeit des politischen Systems insgesamt.
Gerald Kretschmer, Ministerialrat a. D., sprach sich nach
Abwägung von Vor- und Nachteilen gegen die vorgeschlagenen
Änderungen aus. Er forderte, langfristig Stabilität zu
wahren. Im Übrigen seien die deutschen Regelungen der
Minderheitenrechte im internationalen Vergleich sehr
ausgeprägt. Auch Professor Joachim Wieland von der
Universität Frankfurt am Main sprach sich für die
Beibehaltung der Kontinuität im parlamentarischen Verfahren
aus. Man habe Spielregeln aufgestellt, an denen man unabhängig
von den aktuellen Mehrheitsverhältnissen festhalten
müsse. In einer Demokratie herrsche nun einmal die Mehrheit,
so Wieland.
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Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
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