Berlin: (hib/BOB) Eine Mehrheit der Sachverständigen befürwortet grundsätzlich eine Absprache zwischen Richter, Staatsanwalt und Verteidigung über das Strafmaß im Strafprozess. Die Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD ( 16/11736) und der Bundesrat ( 16/4197) hatten dazu Gesetzentwürfe vorgelegt, die am Mittwochnachmittag Gegenstand einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses waren.
Die Bundesrechtsanwaltskammer begrüße den Entwurf der Koalitionsfraktionen, betonten deren Vertreter Professor Alexander Ignor und Alfred Dierlamm. Die vorgesehenen Ergänzungen der Strafprozessordnung seien geeignet, das "Verständigungsverfahren" transparent zu machen und durch die Formalisierung den bisher teilweise zu beobachtenden Missbrauch zu verhindern. Der Entwurf treffe insbesondere Vorkehrungen, um eine Umgehung des gesetzlich zu regelnden Abspracheverfahrens weitestgehend auszuschließen. Armin Nack, Vorsitzender Richter des 1. Strafsenates am Bundesgerichtshof, meinte, der Gesetzgeber sei gefordert, der Praxis der Urteilsabsprachen klare Vorgaben zu machen. Für ihn sei das zentrale Argument der gesetzlichen Regelung, dass korrekt zustande gekommene Urteilsabsprachen vom Gesetzgeber legitimiert seien. Voraussetzung dafür sei unter anderem, dass der Anklagevorwurf so vollständig wie möglich ermittelt sein und das Gericht - und zwar bevor es in Verständigungsgespräche eintrete - den Akteninhalt sorgfältig durchgearbeitet haben müsse, so Nack.
Christoph Frank vom Deutscher Richterbund begrüßte ebenso den Entwurf der beiden Regierungsfraktionen. Die Gefahr, dass die gesetzliche Regelung zum mehrheitlich genutzten neuen Verfahrenstyp neben der Strafprozessordnung entwickeln würde, sehe er nicht. Er teile keineswegs die vielen kritischen Äußerungen aus der Justizpraxis, die den "Deal" nur als aus der Notlage geborenen und als zweitbeste Lösung der Verfahrenserledigung sähen. Aus der Praxis sei das procedere nicht mehr wegzudenken, so dass eine gesetzliche Regelung schon deswegen erforderlich sei, um weiteren Auswüchsen zu begegnen, argumentierte Stefan König, Vorsitzender des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins.Demgegenüber war Ferdinand Gillmeister, Fachanwalt für Strafrecht aus Freiburg im Breisgau, der Meinung, Absprachen im Strafverfahren, bei denen das Gericht die Sachverhaltsaufklärung reduziere und den Beschuldigten als Gegenleistung für ein Geständnis oder einen Verzicht auf Prozessrechte eine milde Sanktion in Aussicht stelle, seien rechtlich bedenklich. Sie könnten das Vertrauen der Bürger in die Strafrechtspflege beeinträchtigen. Der Experte argumentierte unter anderem, da das Gericht "Vertragspartner" einer Absprache sei, laute die Alternative für den Angeklagten: Verständige sich der Beschuldigte nicht "freiwillig" mit dem Gericht und mit der Staatsanwaltschaft, so entscheide das Gericht eben ohne seine Zustimmung. Professor Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichthof, war der Überzeugung, in der Verfahrenswirklichkeit habe sich eine "Kultur der Urteilsabsprachen" entwickelt, die zwingende gesetzliche Vorschriften und höchstrichterliche Erkenntnisse bewusst missachte. Sie sei zu einer erheblichen Gefahr für die Legitimität des Strafrechtsystems insgesamt geworden. Eberhard Kempf, Rechtanwaltskanzlei Kempf & Dannefeld aus Frankfurt/Main war der Überzeugung, die Grundpfeiler des Regierungsentwurfs seien "Sonntagsreden", gegenüber einer Praxis, die sich bisher nicht daran gehalten habe. Daran werde sich nichts ändern, wenn der Gesetzgeber die Schleusen öffne und Urteilsabsprachen legalisiere, so Kempf weiter.Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
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