Berlin: (hib/STO/HIL) Christian Wulff ist neues Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland. Die 14. Bundesversammlung wählte den von Union und FDP nominierten 51-Jährigen am Mittwoch in Berlin im dritten Wahlgang mit der absoluten Mehrheit von 625 Stimmen ins höchste Staatsamt. In diesem Wahlgang wäre die einfache Mehrheit der Stimmen ausreichend gewesen. Für den von SPD und Bündnis 90/Die Grünen benannten Kandidaten, den früheren Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde und einstigen DDR-Bürgerrechter Joachim Gauck, votierten 494 Wahlleute. 121 der insgesamt 1.244 Mitglieder der Bundesversammlung enthielten sich der Stimme.
Wulff, der bisher niedersächsischer Ministerpräsident war, legte dieses Amt unmittelbar nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten und noch vor deren Annahme nieder. Er soll am Freitag in einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat vereidigt werden.
In den ersten beiden Wahlgängen hatte kein Kandidat die dabei erforderliche absolute Mehrheit von 623 Stimmen erreicht. Im ersten Wahlgang votierten 600 Wahlleute für Wulff und 499 für Gauck. Die für Die Linke angetretene Bundestagsabgeordnete Lukrezia Jochimsen kam dabei auf 126 Stimmen. Der von der NPD aufgestellte Kandidat Frank Rennicke erhielt 3 Stimmen. 13 Wahlleute enthielten sich im ersten Wahlgang.
Im zweiten Wahlgang kam Wulff auf 615 Stimmen, Gauck auf 490 Stimmen, Jochimsen auf 123 Stimmen und Rennicke auf 3 Stimmen, während sich 7 Wahlleute enthielten. Jochimsen und Rennicke traten im dritten Wahlgang nicht mehr an.
Der neue Bundespräsident bedankte sich nach seiner Wahl für das ihm entgegengebrachte Vertrauen und bekundete denen seinen Respekt, die ihm nicht seine Stimme gegeben hatten. Zugleich dankte er Gauck für einen ”sehr fairen Wettbewerb“ um das Amt des Bundespräsidenten und würdigte das Wirken seines Amtsvorgängers Horst Köhler, der mit seinem Auftreten die Herzen vieler Menschen gewonnen habe. Köhler habe Deutschland gedient, fügte Wulff hinzu. Er kündigte zudem an, zur inneren Einheit Deutschlands und einem ”noch besseren gegenseitigen Verständnis“ beitragen zu wollen. Parallelgesellschaften verhindere man dadurch, dass man aufeinander zugehe und nicht aneinander vorbeilebe. Wulff schloss seine kurze Ansprache mit den Worten ”Gott schütze unser Land.“
Der Bundesversammlung gehörten die 622 Bundestagsabgeordneten und ebenso viele von den Landesparlamenten gewählte Personen an. Allerdings fehlten bei der Wahl 2 SPD-Abgeordnete. Eine war nach Fraktionsangaben hochschwanger und die zweite krank.
Zu Beginn der Bundesversammlung würdigte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) das Grundgesetz als die ”beste Verfassung, die wir Deutschen je hatten“. Zugleich erinnerte er daran, dass Deutschland vor zwei Jahrzehnten am Vorabend der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen Bundesrepublik und DDR gestanden habe: ”Mit Ablauf dieses Tages, heute vor 20 Jahren, wurden die Grenzüberwachung und die Grenzkontrollen an der innerdeutschen Grenze eingestellt. Der Freiheitswille der Menschen hatte gesiegt“, sagte Lammert. Wenn nun im 20. Jahr der deutschen Einheit der zehnte Bundespräsident gewählt werde, könne man dies ”mit großer Dankbarkeit, aber auch mit berechtigtem Stolz auf die Verfassung eines glücklichen Landes tun, das zu einer gefestigten Demokratie in Einheit und Freiheit geworden ist“.
Dabei unterliege das Amt des Staatsoberhauptes denselben Regeln demokratischer Legitimation wie jedes andere öffentliche Amt, betonte der Bundestagspräsident. Durch ihre verfassungsmäßige Zusammensetzung gebe die Bundesversammlung die politischen Kräfteverhältnisse im Bund wie in den Ländern so aktuell und verlässlich wie möglich wieder. ”Das war übrigens auch bei den 13 bisherigen Bundesversammlungen nicht anders – ebenso wie das freie Mandat für die Mitglieder des Bundestages wie die durch die Landtage gewählten Wahlmänner und Wahlfrauen, die an Aufträge und Weisungen nicht gebunden sind“, fügte Lammert hinzu.
Mit Blick auf den Rücktritt von Wulffs Amtsvorgänger Horst Köhler, der sein Amt am 31. Mai mit sofortiger Wirkung niedergelegt hatte, sprach der Parlamentspräsident von einem in der Demokratiegeschichte Deutschlands ”einmaligen Vorgang“, der ”zwar manche Enttäuschung und einige Turbulenzen“ ausgelöst habe, aber keine Staatskrise. Die Entscheidung Köhlers und ihre Gründe seien zu respektieren, ”auch wenn viele von uns sie noch immer nicht wirklich verstehen können“. Köhlers überraschender Amtsverzicht habe ”in der Öffentlichkeit manche Fragen aufgeworfen, die nach Antworten suchen“, und zugleich ”eine Nachdenklichkeit erzeugt, die bei allen direkt und indirekt Beteiligten Anlass auch zur selbstkritischen Befassung mit ihrer eigenen Rolle und zum Umgang mit öffentlichen Ämtern gibt“. Dies gelte für Amtsinhaber wie Bewerber, für politische Parteien und auch für die Medien.
Niemand müsse öffentliche Ämter übernehmen, sagte Lammert weiter. Wer kandidiere und gewählt werde, übernehme allerdings eine Verantwortung, die er ”mit aller Kraft nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen hat“. Weder Parlamente noch Regierungen oder das Staatsoberhaupt stünden unter Denkmalschutz. Kritik müsse sein, doch habe Köhler den Anspruch auf ”Wahrhaftigkeit und Respekt“ mit vollem Recht nicht nur für sich, sondern für die politische Kultur des Landes im Ganzen reklamiert. ”Wir alle, die wir uns heute versammelt haben, gehören verschiedenen Parteien an oder gar keinen, haben unterschiedliche Auffassungen zu wichtigen Themen, unterstützen verschiedene Kandidaten für öffentliche Ämter, aber wir teilen die gemeinsame Verantwortung für unser Land“, mahnte der Bundestagspräsident. Diese Verantwortung habe sich ”mit der Wahl eines Bundespräsidenten nicht erledigt – schon gar nicht in schwierigen Zeiten, die wir jetzt haben, mit vielen Unsicherheiten und Ängsten, die keineswegs nur eingebildet sind“, sagte Lammert.
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