Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 29. September 2008)
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Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Ulrike Merten (SPD), rechnet mit einer Mehrheit für die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes im Oktober im Parlament. Merten sagte gegenüber der Wochenzeitung „Das Parlament“, sie fände es nachvollziehbar, wenn die Abgeordneten sich fragten, ob wir auf dem richtigen Weg seien oder ob nicht die Zeit für einen Strategiewechsel sei. Merten sagte weiter, sie würde nicht – wie der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, es getan hatte – vom Krieg im Afghanistan sprechen. Aber die Bundeswehr hätte es an etlichen Stellen auch im Norden des Landes „eindeutig mit Aufständischen“ zu tun. Daher bedürfte es auch des Einsatzes militärischer Mittel. „Wenn dieser Einsatz nicht so gefährlich wäre, dann müssten wir dort keine Soldaten haben, sondern das Technische Hilfswerk könnte das auch erledigen“, sagte Merten.
Interview im Wortlaut:
Macht der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan überhaupt noch Sinn?
Ja. Weil noch nicht alle Ziele erreicht sind. Eines der Ziele ist die Sicherheit des Landes. Dazu gehören funktionsfähige Streitkräfte ebenso wie die Polizei, aber auch eine vernünftig arbeitende Justiz. Da sind wir in den letzten Jahren ein erhebliches Stück weitergekommen, vor allem bei den Streitkräften. Wir sind aber noch nicht so weit, dass die Afghanen die Sicherheit ihres Landes allein bewältigen können. Deswegen dürfen wir nicht auf halbem Wege stehenbleiben und die Afghanen mit dieser Aufgabe allein lassen. Sie erwarten vielmehr, dass Deutschland und die über 30 anderen Nationen ihrer Verantwortung gerecht werden, die Aufgabe bis zum Ende zu führen.
Eine Mehrheit in der Bevölkerung lehnt den Einsatz inzwischen ab. Wie kann die Politik die Bürger noch vor der Notwendigkeit überzeugen?
Die Diskussion über den Einsatz hat sich bisher zu sehr auf das Parlament und Experten beschränkt. Nicht zuletzt durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan sind die Bürgerinnen und Bürger stärker darauf aufmerksam geworden und stellen uns zunehmend kritische Fragen. Wir haben bisher nicht genügend darstellen können, dass der Sicherheitsaspekt eine ganz entscheidende Rolle spielt. Aber es gibt keine Sicherheit ohne Entwicklung und Wiederaufbau. Dies gilt auch andersherum. Die Terroranschläge von 2001 sind von Afghanistan aus vorbereitet worden. Deshalb müssen wir verhindern, dass von Afghanistan erneut Gefahren durch den Terrorismus ausgehen können. Das Land braucht eine Perspektive, um die Menschen in Afghanistan nicht wieder anfällig werden zu lassen für Al-Qaida und die Taliban. Entscheidend wird sein, ob wir den Bürgern hinreichend klarmachen können, dass der Einsatz in Afghanistan unmittelbar mit ihrer Sicherheit und der ihres Landes zu tun hat.
Die Stärke des Bundeswehr-Kontigents wurde in den vergangenen Jahren immer weiter erhöht. Wie lange soll der Einsatz noch dauern?
Ich traue mir nicht zu, dafür einen konkreten Zeitpunkt zu nennen. Wenn die Menschen in Afghanistan in der Lage sind, selbst für die Sicherheit ihres Landes sorgen zu können, dann ist der Zeitpunkt erreicht. Der Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen ist dafür unerlässlich. Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Wege sind. Wir müssen aber unsere Anstrengungen beim Polizeiaufbau noch verstärken. Darüber hinaus ist es uns bisher nicht gelungen, in Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung die Korruption erfolgreich zu bekämpfen. Dies sind nur einige der wichtigen Probleme, über die wir uns im Verteidigungsausschuss laufend unterrichten lassen.
In Teilen der SPD und der CSU gibt es Bedenken gegen eine Weiterführung des Afghanistan-Einsatzes. Rechnen Sie mit einer Mehrheit im Deutschen Bundestag?
Ich rechne damit, dass es eine Mehrheit im Bundestag geben wird. Das heißt aber nicht, dass es keine kritischen Diskussionen gäbe. Ich finde es nachvollziehbar, dass sich die Abgeordneten – die große Verantwortung übernehmen, wenn sie über die Verlängerung des Mandats befinden – fragen: Sind wir auf dem richtigen Weg? Gibt es ein vernünftig ausbalanciertes Verhältnis zwischen dem zivilen Aufbau und dem militärischen Engagement? Kommen wir weiter auf dem Wege hin zu einer sich selbst tragenden Sicherheit? Gibt es eine wirklich kohärente Strategie in Afghanistan? Was machen wir mit dem für Afghanistan so wichtigen Nachbarland Pakistan? Die Abgeordneten wollen auch wissen, ob es nicht Zeit für einen Strategiewechsel ist.
Die Zahl der Anschläge häuft sich im Norden Afghanistans, wo die Bundeswehr stationiert ist. Ist das schon Krieg, wie der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes, Bernhard Gertz, meint, oder nur ein Einsatz?
Ich würde nicht von Krieg sprechen, aber wir haben es an etlichen Stellen auch im Norden Afghanistans eindeutig mit Aufständischen zu tun. Daher bedarf es auch des Einsatzes militärischer Mittel. Wenn dieser Einsatz nicht so gefährlich wäre, dann müssten wir dort keine Soldaten haben, sondern das Technische Hilfswerk könnte das auch erledigen.
Sind die Soldaten gut ausgerüstet?
Ja, unsere Soldaten sind adäquat ausgerüstet. Zur Ausrüstung gehört auch eine vernünftige Ausbildung. Beides passt hier zusammen. Das heißt nicht, dass man die Dinge nicht noch besser machen könnte. Gerade im wichtigen Bereich der geschützten Fahrzeuge hat das Parlament eine Menge bewegen können. Wir haben inzwischen rund 700 Fahrzeuge in allen Schutzklassen in Afghanistan im Einsatz. Bezogen auf den Auftrag, der nicht an jedem Tag und nicht in jeder Region gleich ist, kann der angemessene Schutz ausgewählt werden, so dass die Soldaten ihren Auftrag erfüllen können.
Schutz bei Patrouillen bieten besonders gut geschützte Fahrzeuge wie zum Beispiel der „Dingo“. Trifft es zu, dass Kommandeure sich um Fahrzeuge gestritten haben?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Welches der geschützten Fahrzeuge gewählt werden muss, hat etwas mit dem jeweiligen Auftrag zu tun. Das werden die Kommandeure jeweils sehr sorgfältig dem Auftrag entsprechend entscheiden.
Die Nato-Partner verlangen seit langem, mehr deutsche Soldaten, in den Süden Afghanistans zum Kampf gegen die Taliban zu schicken. Sind Sie dafür?
Die regionalen Zuständigkeiten sind sinnvoll. Damit können Kenntnisse der Regionen erworben und Vertrauensverhältnisse zu den Menschen aufgebaut werden. Der Ansatz der Bundesregierung, dem der Bundestag gefolgt ist, ist richtig: Unser Schwerpunkt liegt im Norden. Wir sind aber bereit, in anderen Regionen, im Übrigen auch im Süden, zu helfen, wenn unsere Partner in Bedrängnis kommen oder wenn unsere Unterstützung dort unabdingbar ist für den Erfolg der Gesamtmission.
In der Nato wird jetzt ein Einsatz von Awacs-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan diskutiert.
Es hat eine Anfrage gegeben, über die auf Nato-Ebene noch nicht entschieden worden ist. Es muss jetzt abgewartet werden, ob die Awacs-Anforderung zeitgerecht in Berlin eingeht, um noch zusammen mit dem Afghanistan-Mandat im Bundestag beraten zu werden. Die Bewegungen im afghanischen Luftraum haben so deutlich zugenommen, dass die bodengestützte Luftraumüberwachung nicht mehr ausreichend ist.
Hat sich der Einsatz der deutschen „Tornado“-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan bewährt?
Ja. Es hatte zwar viele kritische Stimmen gegeben, die rätselten, was Tornados mit der Sicherheit der Soldaten der Gesamtmission zu tun haben könnten. Doch inzwischen liegen viele überzeugende Ergebnisse vor. Die „Tornados“ können mit ihren Aufklärungsmöglichkeiten der „International Security Assistance Force“ (ISAF) wichtige Anhaltspunkte möglicher Gefährdungen liefern, denen damit zuvorgekommen werden kann. Das dient unmittelbar der Sicherheit der Soldaten. Damit tragen die „Tornados“ zum Erfolg der Mission bei.
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat ein effektiveres Vorgehen gegen Drogenbarone in Afghanistan verlangt. Soll die Bundeswehr jetzt gegen Drogenbarone vorgehen?
Das ist nie geplant gewesen. Die Drogenbekämpfung soll ein afghanisches Gesicht behalten. Die einheimischen Kräfte müssen aber stärker unterstützt werden als das bisher der Fall war.
Das Interview führten Bernard Bode und Hans-Jürgen Leersch
Ulrike Merten (56) ist seit 2005 die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, dessen Mitglied sie seit 1998 ist. Sie war zunächst im Petitionsausschuss und im Unterausschuss für Streitkräftefragen in den neuen Bundesländern tätig. Seit 1972 ist Merten Mitglied der SPD. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.