Vorabmeldung zu einem Interview in der
nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 10. November
2008)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen
Veröffentlichung –
Für die Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland setzt sich Wolfgang Hetzer ein. Dies sei längst überfällig und aus „purem Dogmatismus“ nicht eingeführt, erklärt der Jurist und Berater des Generaldirektors von OLAF, dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung in Brüssel. In Anbetracht der weltweiten Finanzkrise fordert er weiter, dass die Bankvorstände „persönlich haften“ müssten. „Verbrechen darf sich nicht lohnen und Versagertum nicht rechnen, diese Maxime muss endlich umgesetzt werden“, betont er. Zur Organisierten Kriminalität erklärt er, dass diese nicht nur mit der Mafia in Verbindung gebracht werden dürfe. Angesichts der Höhe der in der EU und in den öffentlichen Haushalten zur Verfügung stehenden Mittel sei es viel lukrativer, in öffentliche Kassen zu greifen. Die Organisierte Kriminalität habe in den letzten Jahren „mehrere qualitative Sprünge“ gemacht. „Ihre Vertreter greifen zu kaufmännischen Kalkulationen und identifizieren die höchsten Gewinnspannen und geringsten Risiken dabei mit unternehmerischer Weitsicht“, so Hetzer. Kartellabsprachen bezeichnet er als „hohe Form“ der mafiaähnlichen Organisierten Kriminalität“.
Schwarze Kassen bei Siemens und Stiftungen für deutsche Steuerhinterzieher in Liechtenstein, gleichzeitig spricht das Bundeskriminalamt bei 88.000 Fällen und einem Schaden von rund 4 Milliarden Euro von rückläufigen Fallzahlen und sinkenden Schäden. Haben wir in Deutschland jetzt mehr oder weniger Wirtschaftskriminalität zu verzeichnen?
Aus Zahlenmixereien entsteht weder ein valider Befund noch eine wirkungsvolle Strategie. Zahlen erwecken nur den Anschein von Genauigkeit, gerade bei der Wirtschaftskriminalität. Das hat zum einen damit zu tun, dass höhere Fallzahlen auch etwas mit verbesserter Ermittlungstätigkeit zu tun haben und Großfälle wie zum Beispiel Siemens aus vielen Einzelfällen bestehen, das treibt die Statistik in die Höhe. Aber was sagt uns das wirklich? Es ist bezeichnend, dass die Angeklagten im Siemens-Prozess bisher nur wegen Untreue dran glauben sollen, das Wort Bestechung und Bestechlichkeit taucht da gar nicht auf.
Aber ist das nicht nur ein semantisches Problem?
Ganz und gar nicht. Denn hier geht es um das System und das hat bei Siemens Tradition seit dem Zweiten Weltkrieg, wie Papiere vermuten lassen, die jetzt ans Licht gekommen sind. Da geht es um systematische Korruption. Aber in den Lagebildern zur Wirtschaftskriminalität wird das nicht auftauchen, da ist erneut nur von Untreue die Rede. Verurteilt wurden bis jetzt nur die unteren Chargen – die Verfolgung hoher Entscheidungsträger scheint wieder unter den Tisch zu fallen.
Würde ein Unternehmensstrafrecht diese Situation verbessern?
Das ist längst überfällig und in Deutschland aus purem Dogmatismus immer noch nicht eingeführt. Schauen Sie sich doch nur mal die Dimension der Finanzkrise an: Die Fehlentwicklung war doch seit Jahren bekannt, aber bis heute gibt es keine ausreichenden strafrechtlichen Verfolgungsmöglichkeiten.
Was würden Sie vorschlagen?
Die Bankvorstände müssten haften und zwar persönlich. Das ist auch die Meinung etlicher Compliance-Manager in den großen Unternehmen. Verbrechen darf sich nicht lohnen und Versagertum nicht rechnen, diese Maxime muss endlich umgesetzt werden.
Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International beklagt, dass sich Deutschland in Sachen Bekämpfung von Korruption immer nur im Mittelfeld tummelt.
Gerade der Korruptions-Wahrnehmungs-Index zeigt doch, dass jede Zahl in diesem Feld unzuverlässig und interpretationsbedürftig ist. Schließlich geht es da nur um die gefühlte Korruption und die steigt nun mal, wenn große Fälle ans Tageslicht kommen. Das taugt auch nicht, um die wahren Dimensionen des Problems zu erkennen.
Was taugt dann?
Man muss sich davon lösen, Wirtschaftskriminalität und Organisierte Kriminalität voneinander zu trennen. Wirtschaftskriminalität ist eine besonders gut organisierte Form von Organisierter Kriminalität.
Heißt das, die Mafia hat Deutschland übernommen?
Die Mafia à la „Der Pate“ ist etwas für Nostalgiker. In der Organisierten Kriminalität gelten die Regeln geräuschloser, richten sich nach ökonomischer Effizienz. Insofern waren die Pizza-Morde von Duisburg eher ein Betriebsunfall.
Ein Betriebsunfall?
Ja, das ist Gewalt immer. Dadurch entstehen Spuren und es erhöht sich der Verfolgungsdruck. Das rechnet sich nicht. Aber wie gesagt: Es gibt sehr viel interessantere Bereiche als die kalabrische N'drangheta.
Die wären?
Kartellabsprachen. Das ist eine hohe Form der mafiaähnlichen Organisierten Kriminalität, auch wenn die Beteiligten das vehement bestreiten würden. Aber letztlich ist das wie das Abstecken von Geschäftsgebieten bei der Mafia: Es wird ein begrenztes Marktfeld für eine bestimmte Zeit verteilt. Und wir kümmern uns immer noch um Rauschgift...
Drogenhandel ist eben eine der profitabelsten Formen des organisierten Verbrechens...
Das stimmt, aber solange man selbst mit Rauschgifthändlern in Afghanistan kooperiert, weil man sie als Alliierte im Anti-Terror-Kampf braucht, wird der Drogenhandel nicht wirklich eingedämmt werden. Gegen Korruption in Afghanistan vorzugehen ist wichtiger als jedes von irgendeiner Marine aufgebrachte Mini-U-Boot, das vielleicht 100 Kilogramm Koks transportiert. Hören Sie doch auf mit so etwas. Was soll denn dieses reflexartige ‚Organisierte Kriminalität gleich Rauschgift, Rotlicht, Menschenhandel'?
Was ist es denn dann?
Angesichts der Höhe der in der EU und in den öffentlichen Haushalten zur Verfügung stehenden Mittel ist es doch viel lukrativer in öffentliche Kassen zu greifen. Die Organisierte Kriminalität hat in den letzten Jahren mehrere qualitative Sprünge gemacht. Ihre Vertreter greifen zu kaufmännischen Kalkulationen und identifizieren die höchsten Gewinnspannen und geringsten Risiken dabei mit unternehmerischer Weitsicht.
Und wie läuft das in Deutschland?
Gar nicht. Denn hierzulande gibt es überhaupt keine vernünftige Definition. Organisierte Kriminalität ist alles und gar nichts: von klassischer Bandenkriminalität wie zum Beispiel die Verabredung zum Umsatzsteuerbetrug, bis zu der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Thema Terrorbekämpfung: Leidet die Verfolgung von Wirtschaftskriminalität auch darunter, dass ihr die Ressourcen zur Terrorbekämpfung entzogen werden?
Natürlich ist das ein Problem, aber man darf sich auch nicht täuschen: Diejenigen, die jetzt vermehrt zur Terrorismusbekämpfung eingesetzt werden, waren nicht alle Wirtschaftsstrafermittler. Generell ist es eher so, dass die Strafverfolger im Bereich der Wirtschaftskriminalität seit Jahren personell unterbesetzt sind. Auch die Ressourcen der Justiz reichen nicht aus – deshalb gibt es ja so viele Deals mit den Tätern.
Brauchen wir nicht einfach härtere Strafen?
Was wollen Sie damit anfangen? Wir haben doch jetzt schon letztlich erfolglose Gesetze im Kampf gegen Terrorismus und Organisierte Kriminalität.
Was meinen Sie damit?
Weder bei Rasterfahndung noch bei Abhörmaßnahmen ist derzeit erkennbar, ob diese überhaupt notwendig sind. Denken Sie nur an den „Beifang“ bei Abhörmaßnahmen.
Hilft das aber nicht auch, wirtschaftskriminellen Netzwerken auf die Spur zu kommen?
Der Bürger hat ein Recht darauf, vom Staat in Ruhe gelassen zu werden. Genauso wie er ein Anrecht auf einen Vertrauensvorschuss hat. Derzeit wird er eher als potenzielles Sicherheitsrisiko und Gefahrenquelle und nicht als rechtstreuer Mensch gesehen.
Das widerspricht sich doch: Einerseits wollen sie Manager härter bestrafen und ein Unternehmensstrafrecht einführen, andererseits den Bürger in Ruhe lassen. Wie passt das zusammen?
Noch einmal: Wirtschaftskriminalität ist Organisierte Kriminalität – und die ist längst flexibel, grenzüberschreitend und international. Kriminelle ‚Task Forces' aus verschiedenen Herkunfsländern schließen sich zu Bündnissen auf Zeit zusammen. Da hilft es Ihnen gar nichts, mit dem Strafgesetzbuch zu wedeln. Zumal Sie sich ja auch fragen müssen, wie sich das international durchsetzen lässt.
In Deutschland stöhnen vor allem Banken gerade über die Umsetzung der dritten EU-Geldwäscherichtlinie...
Wegen der gerade ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik läuft. Umgesetzt hat die Regierung sie nämlich erst Ende August. Deadline war aber der 15. Dezember 2007.
Stöhnen die Banken jetzt zu Recht über das Geldwäschebekämpfungsgesetz?
Das hat doch die letzten 15 Jahre auch nicht geklappt. Banken und Finanzdienstleister werden mit erheblichen Kosten belastet und Sanktionsrisiken ausgesetzt. Aber der Sinn muss sich erst noch zeigen. Zumal sich ja streiten lässt, ob ausländische Kriminelle, die ihre Geld nach Deutschland bringen wollen, selber zur Bank laufen oder Familienangehörige damit beauftragen. Das geht über Hedgefonds viel anonymer und mit größeren Summen. Inzwischen weiß man, dass das rot-grüne Investment-Modernisierungsgesetz ab 2004 nicht nur Hedgefonds nach Deutschland lockte, sondern auch zahlreiche Geldwäscherisiken anzog.
Warum gibt es nur so wenige Verurteilungen wegen Geldwäsche? 2007 waren es gerade einmal ein Dutzend bei etwas mehr als 9.000 Verdachtsanzeigen. Verfahren gab es aber nur rund 4.000 im vergangenen Jahr.
Sie müssen bei Geldwäsche immer eine kriminelle Vortat wie etwa Drogenhandel nachweisen. Und kommt es dann zu einer Verurteilung richtet sich die Strafe nach dem schwersten Delikt, da fällt Geldwäsche häufig unter den Tisch.
In welchen Wirtschaftsbereichen wächst die Kriminalität?
In Deutschland ist ganz klar die Produktpiraterie auf dem Vormarsch. Die nimmt derzeit bedrohliche Formen an.
Gibt es dafür Zahlen?
Selbst wenn es sie gäbe, wären sie kaum verlässlich. Denn es gilt nach wie vor: Entdeckt wird immer nur die Spitze des Eisbergs.
Deutsche Unternehmen klagen vermehrt über Wirtschaftsspionage aus China und aus Russland...
Das geht einher mit der wachsenden Produktpiraterie. Irgendwo müssen die wettbewerbsrelevanten Informationen und die Formeln für die Werkstoffe ja herkommen. Und da gibt es eben Länder, die die Wirtschaftsspionage im nationalen Interesse organisieren. Empirische Befunde und belastbare Aussagen gibt es nicht.
Gibt es denn Gegenmittel?
Wir brauchen bessere Regeln zum fairen Wettbewerb. Dazu ist aber eine internationale Kontrolle notwendig – ein deutscher Alleingang reicht nicht aus.
Das Interview führte Sonia Shinde.
Sie ist Redakteurin beim „Handelsblatt“.