Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 2. Februar 2009)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Ein umfangreiches Konjunkturprogramm zur Bekämpfung von Armut und Hunger in den Entwicklungsländern fordert Thilo Hoppe, der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. „Eine Milliarde hungernde Menschen, die in ihrer Existenz bedroht sind, müssen uns zu einem großen Rettungspaket herausfordern. Das wäre von der Weltgemeinschaft nicht zu viel verlangt“, sagte der Grünen-Politiker in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 2. Februar 2009). Im vergangenen Jahr hätten die Menschen erlebt, was für gigantische Summen weltweit praktisch über Nacht mobilisiert werden konnten zum Retten und Abstützen des Bankensektors. „Daran kann man doch erkennen: Wenn ein politischer Wille da ist, geht einiges. Es ist alles eine Frage der Prioritätensetzung“, betonte Hoppe. Angesichts der explodierenden Zahl der Hungernden müsste die Staatengemeinschaft jetzt den Einsatz erhöhen.
Hoppe sagte weiter, das Millenniumsentwicklungsziel, die Zahl der extrem Armen bis 2015 zu halbieren, sei sehr wahrscheinlich nicht mehr zu erreichen. Schuld daran sei ein „massives Politikversagen auf allen Ebenen“. Die Entwicklungszusammenarbeit habe die Förderung der Landwirtschaft in den Ländern, in denen Hunger herrscht, lange Zeit sträflich vernachlässigt. Außerdem hätten die westlichen Industriestaaten die Landwirtschaft in vielen Entwicklungsländern kaputt gemacht, etwa „durch hoch subventionierte Agrarexporte aus der Europäischen Union“.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Hoppe, Sie haben im Entwicklungssausschuss jeden
Tag mit Hunger, Armut und Katastrophen zu tun. Würden Sie sich
trotzdem als Optimisten bezeichnen?
Als
Berufsoptimisten, ja. Es gibt gar keine Alternative dazu. Das
bedeutet nicht, dass man die Dinge beschönigt oder mit
statistischen Tricks schön rechnet. Es gibt aber immer
wieder einzelne Erfolge, etwa bei einzelnen der
Millenniumsentwicklungsziele, über die wir vergangene Woche im
Bundestag debattiert haben. Es ist wichtig, diese Erfolge zu
würdigen und herauszustellen, um sich selbst nicht zu
entmutigen.
Die bisherige Bilanz der im September 2000
verabschiedeten Millenniumsziele ist äußerst
durchwachsen. Wo gibt es Fortschritte?
Im Bereich
Bildung zum Beispiel gibt es messbare Erfolge. Die Zahl der Kinder,
die zumindest eine Grundschulausbildung durchlaufen, ist deutlich
gestiegen. Der Grund sind oft konkrete
Entschuldungsmaßnahmen. Beispielsweise wurden Tansania
Schulden nur unter der Bedingung erlassen, dass das Land die
freigewordenen Summen in die Bildung investiert. Auf diese Weise
bekommen jetzt hunderttausende Kinder eine kostenlose Schulbildung.
Allerdings gibt es auch auf diesem Gebiet noch viel zu tun -
besonders, was die Qualität der Bildung betrifft.
Auf einem anderen, wichtigen Gebiet ist die Bilanz kaum
so positiv. Bis 2015 soll die Zahl der extrem Armen halbiert
werden. Viele Kritiker sagen, das sei nicht mal
annähernd zu schaffen. Warum?
Das ist
tatsächlich sehr unwahrscheinlich. Bei der Bekämpfung des
Hungers gibt es massive Rückschläge. Die Zahl der
Hungernden ist explodiert und hat die magische Grenze von einer
Milliarde erreicht – ein historischer Höchststand.
Was läuft schief?
Die Ursachen liegen
zum einen in der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise, die
massive Auswirkungen natürlich auch auf Entwicklungs- und
Schwellenländer hat. Zum anderen hat die
Entwicklungszusammenarbeit die Förderung der Landwirtschaft in
den Ländern, in denen Hunger herrscht, lange Zeit
sträflich vernachlässigt. Gerade einmal 3 Prozent der
Mittel aus den Entwicklungshaushalten der Staaten sind in diesen
Bereich geflossen. Auch die Entwicklungsländer selbst haben
ihre Landwirtschaft sträflich vernachlässigt. Das muss
jetzt ganz dringend korrigiert werden, besonders angesichts der
akuten weltweiten Nahrungsmittelkrise.
Hat die Politik versagt?
Das muss man klar
sagen. Dass wir die Millenniumsziele noch nicht erreicht haben, die
Bilanz in einigen Bereich so katastrophal ausfällt, hat ganz
massiv mit einem Politikversagen auf allen Ebenen zu tun. Wir waren
es schließlich, die die Landwirtschaft in vielen
Entwicklungsländern kaputt gemacht haben – durch hoch
subventionierte Agrarexporte aus der Europäischen Union.
Eines der Ziele, sozusagen „das achte Gebot“
der Millenniumserklärung, ist es, genau diese Handelsschranken
abzubauen. Ist bis heute nichts geschehen?
Das
Problem ist die mangelnde Kohärenz der Politik. Immer wieder
kommt es vor, dass sich – wie in der vergangenen Woche
– die Bundesentwicklungsministerin im Bundestag klar gegen
die Agrarexportsubventionen ausspricht, die Bundesagrarministerin
sich aber dafür stark macht, dass Milch und Butter wieder
hochsubventioniert in alle Welt verschickt werden. Es gibt leider
viele Beispiele dafür, wie inkohärent die
Europäische Union, einzelne Industrienationen und auch die
Bundesregierung vorgehen. Dahinter stecken knallharte
Lobbyinteressen. Den Lobbyisten geht es nicht darum, die
Millenniumsziele zu erfüllen, sondern darum, Geschäfte zu
machen.
Deutschland hat seine Mittel für die
Entwicklungszusammenarbeit gerade erst aufgestockt. Insgesamt
stehen 2009 im Haushalt 5,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Ist
das nicht genug?
Definitiv nicht. Wir haben uns zu
sehr daran gewöhnt, dass die Leute sagen: „Ihr habt
gute, ehrgeizige Pläne, aber sie sind nicht
finanzierbar.“ Dabei haben wir haben im vergangenen Jahr
erlebt, was für gigantische Summen weltweit quasi über
Nacht mobilisiert werden konnten zum Retten und Abstützen des
Bankensektors. Daran kann man doch erkennen: Wenn ein politischer
Wille da ist, geht einiges. Es ist alles eine Frage der
Prioritätensetzung. Angesichts der explodierenden Zahl der
Hungernden müssen wir jetzt den Einsatz erhöhen.
Sie fordern also ein milliardenschweres
Konjunkturprogramm für die
Entwicklungsländer?
Durchaus. Wir müssen
durch Öffentlichkeitsarbeit, parlamentarische Arbeit und
zusammen mit den Nichtregierungsorganisationen klar machen: Eine
Milliarde hungernde Menschen, die in ihrer Existenz bedroht sind,
müssen uns zu einem großen Rettungspaket herausfordern.
Das wäre von der Weltgemeinschaft nicht zu viel verlangt.
Wie viel Geld wäre nötig?
Da
gibt es unterschiedliche Berechnungen. In einigen Prognosen
heißt es, um den Hunger in der Welt zu besiegen, seien Mittel
von 40 bis 45 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich. Zwischen 12
und 22 Milliarden Euro hat die Staatengemeinschaft im vergangenen
Jahr zugesagt. Davon wurde bisher allerdings nicht mal ein Viertel
tatsächlich ausgezahlt. Dabei will allein Deutschland nun
weitere 50 Milliarden Euro in ein Konjunkturpaket zur Stimulierung
der eigenen Wirtschaft investieren. Wir reden also nicht von
völlig illusorischen, gigantischen Summen, sondern von
durchaus finanzierbaren Projekten.
Mit Geld allein macht man aber noch keine erfolgreiche
Entwicklungshilfe. Was muss auf struktureller Ebene
geschehen?
Natürlich kann man sich nicht vom
Hunger freikaufen, die Vergabe von Mitteln muss von sehr vielen
Politiken flankiert werden. Dazu gehören gerechtere
Handelsbeziehungen und die Förderung einer nachhaltigen,
standortgerechten Landwirtschaft.
Also Öko-Landbau in Afrika?
Eher
„Bio-light“. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist ganz
wichtig, sonst schießt man ein Eigentor. Ich habe mit
Entsetzen feststellen müssen, dass transnationale Konzerne die
„Errungenschaften“ der modernen Landwirtschaft in die
Entwicklungsländer tragen – gentechnisch
verändertes Saatgut, massiver Einsatz von
Stickstoffdüngern und Pestiziden. Sie sagen: Die
Weltbevölkerung steigt, die Menschen hungern, wir müssen
also die Produktion steigern. Eine solche Landwirtschaft
zerstört aber langfristig die Böden und verschärft
den Klimawandel, der diese Länder ohnehin am härtesten
trifft.
Im Entwicklungshilfeausschuss gab es kürzlich eine
Anhörung zu Erneuerbaren Energien. Welche Bedeutung haben sie
für die Armutsbekämpfung?
Wenn
Volkswirtschaften, beispielsweise in Afrika, auf eigene, praktisch
immer verfügbare Energiequellen wie Wind- oder Sonnenenergie
zurückgreifen könnten, wäre das eine riesige
Errungenschaft. Denn diese Energien machen sie unabhängig vom
Öl und würden Arbeitsplätze schaffen. Deutschland
hat da eine Menge zu bieten. Wir können den
Partnerländern helfen, eine eigene Industrie aufzubauen und
sie in die Lage versetzen, selbst Solarpaneele herzustellen und
diese auch zu warten.
Glauben Sie insgesamt noch an eine Verwirklichung der
Millenniumsziele?
Ich bin skeptisch, aber wir bewegen
uns zumindest bei sieben von acht Zielen in die richtige Richtung
– nur eben viel zu langsam. Was mich wirklich sorgt, ist die
große Zahl der Hungernden. Wenn das Recht auf Nahrung nicht
gewährleistet ist, dann ist auch das Recht auf Leben und
Überleben nicht gewährleistet Und hinter jedem dieser
eine Milliarde Menschen steht ein Mensch, der leidet und in seiner
Existenz bedroht ist.
Das Interview führte Johanna Metz
Thilo Hoppe (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit November 2005 Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.